Protokoll der Sitzung vom 28.09.2017

Tagesordnungspunkt 73, Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP betreffend Bürgerwille endlich achten – Windkraftausbau stoppen, Drucks. 19/5305. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der FDP. Wer ist dagegen? – Das sind die übrigen Fraktionen des Hauses und die Abg. Öztürk, fraktionslos. Enthaltungen gibt es keine. Damit ist dieser Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 76, Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend sichere, bezahlbare und nachhaltige Energieversorgung, Drucks. 19/5309. Wer will diesem Antrag zustimmen? – Die Fraktion der CDU und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? – Die FDP-Fraktion. Wer enthält sich der Stimme? – Die Fraktion der SPD, die Fraktion DIE LINKE und Frau Abg. Öztürk, fraktionslos. Somit ist dieser Antrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zu dem Vertrag zwischen dem Land Hes

sen und dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Hessen – Drucks. 19/5249 –

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs hat der Herr Ministerpräsident das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist mir wichtig, es ist mir ein persönliches Anliegen, und es mir auch eine Freude, dass ich Ihnen heute für die Landesregierung den Entwurf für einen Staatsvertrag zwischen dem Land Hessen und dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Hessen, vorlegen darf. Es ist mir nicht zuletzt im Hinblick auf die Debatte, die wir heute Morgen geführt haben, eine Freude. Das, was wir in diesem Staatsvertrag vereinbart haben, ist ein deutliches Zeichen gegen die gesellschaftliche Ausgrenzung und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie gegen Rassismus und für Gemeinschaft. Deshalb passt das sehr gut hierher.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir möchten mit diesem Staatsvertrag die anerkannte Minderheit der deutschen Sinti und Roma in allen Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Lebens gezielt fördern und ein gleichberechtigtes Miteinander herstellen. Dieses ist die Grundlage jeder offenen Gesellschaft. Es ist auch ein Teil unserer historischen Verantwortung. Die deutschen Sinti und Roma sind während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt worden. Über eine halbe Million Menschen sind umgebracht worden.

Deshalb geht es uns darum, dass wir, erstens, mit diesem Staatsvertrag anerkennen – 72 Jahre nach Ende der Nazidiktatur finde ich: endlich anerkennen –, was diese nationale Minderheit erleiden musste, und dass wir, zweitens, ein neues gemeinsames Kapitel aufschlagen. Meine Damen und Herren, das eine – sie nicht zu vergessen – sind wir den Opfern schuldig, und bei dem anderen handeln wir klug im Sinne einer gemeinsamen Zukunft, so, wie wir das heute Morgen besprochen haben. Wir wollen dieses Land zusammenhalten, wir wollen denen, die ausgrenzen, entgegentreten, und wir wollen vernünftig eine gemeinsame Zukunft bauen. Genau darum geht es in diesem Staatsvertrag.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

1999, nach dem damaligen Regierungswechsel, ist der Landesverband erstmals finanziell unterstützt worden. 2014 haben wir ein Verwaltungsabkommen geschlossen, und nun haben wir nach sehr guten Verhandlungen mit dem Landesverband der Sinti und Roma einen Staatsvertrag geschlossen, der eine Reihe von Inhalten betrifft, die ich Ihnen nicht im Einzelnen, sondern summarisch beschreiben will.

Wir haben eine enge Zusammenarbeit mit dem Land vereinbart – mit der Regierung, aber auch mit dem Parlament und allen Dienststellen –, um das Geschehene besser in Erinnerung zu behalten und für unsere Gemeinschaft daraus zu lernen. Als Beispiele sind zu nennen: eine Zusammenarbeit mit den Schulen über das Kultusministerium, das Ermöglichen einer Dauerausstellung über die einzelnen Schicksale, aber auch über die nationale Minderheit, Unterstützung bei der Pflege des Erbes und die gemeinsame Gestaltung der Zukunft in unserem Land. All das findet

sich in diesem Staatsvertrag. Er sichert das Andenken an die Opfer.

Das ist übrigens ein Problem, das seit 30 Jahren nicht gelöst ist – die Insider kennen es –: Wie geht man mit Gräbern um, um die sich keine Angehörigen mehr kümmern können und die daher verfallen? Die Gräber sind Sache der Kommunen; denn Friedhöfe sind eine kommunale Angelegenheit. Die betroffenen Verbände haben mehr als 20 Jahre lang mitgeteilt bekommen, dass man das Problem zwar sehe, aber eigentlich nicht zuständig sei. Wir haben jetzt die Möglichkeit, in angemessener Weise zu gedenken und die Grabstätten zu erhalten.

Der Landesverband ist in seiner Arbeitsfähigkeit finanziell abgesichert, und insbesondere gibt es die Möglichkeit, gemeinsame Bildungsarbeit zu treiben.

Meine Damen, meine Herren, das ist das Ergebnis einer zum Teil mehrjährigen, nicht einfachen, aber am Ende guten Verhandlung. Ich glaube, wir tun gut daran, diesen Staatsvertrag so breit wie möglich zu unterstützen. Mein Wunsch ist, wir würden das in diesem Haus einstimmig beschließen; dann würde dem Anliegen besonders entsprochen. Es wäre ein besonders intensives, aber, wie ich glaube, auch notwendiges Signal an die Bevölkerung in dem Sinne, wie wir heute Morgen darüber diskutiert haben: Hessen ist ein Land, in dem Gemeinschaft gefördert und Ausgrenzung verhindert wird. An diesem Staatsvertrag kann man das wunderbar beweisen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank. – Die Aussprache eröffnet Frau Kollegin Hofmann, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sinti und Roma wurden während der Herrschaft des Nationalsozialismus als – ich setze das in Anführungszeichen – „Zigeuner“ erniedrigt, verfolgt und auch ermordet. Rund eine halbe Million Menschen dieser Minderheit sind während des dunkelsten Kapitels Deutschlands ermordet worden.

Auch heute noch werden sie in unserer Gesellschaft zum Teil diskriminiert. Angesichts dieses dunkelsten Kapitels unserer Geschichte und unserer besonderen historischen, aber auch politischen Verantwortung ist es mehr als richtig, dass wir gerade diese Minderheit der Sinti und Roma, die inmitten unserer Gesellschaft, inmitten von Hessen, unter uns und mit uns, leben, besonders schützen und anerkennen. Der Ministerpräsident hat zu Recht gesagt – da kann ich ihm ausnahmsweise einmal zustimmen –, dass diese Verantwortung, die wir alle haben und tragen, in diesen Zeiten des Rechtsextremismus und Erstarkens des Rechtspopulismus umso schwerer wiegt und dass wir uns dieser Verantwortung gerade in diesen Zeiten umso mehr stellen müssen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP so- wie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Deshalb ist es richtig, dass diese Rahmenvereinbarung, die bestanden hat, jetzt weiterentwickelt wird zu einem Staatsvertrag, der mit dem vorgelegten Gesetzentwurf verankert werden soll, damit das Ganze mehr Verbindlichkeit und

Tragkraft erhält und die Minderheit der Sinti und Roma in unserem Bundesland zudem eine verlässlichere finanzielle Grundlage erhält, mit der der Verband, aber auch die Sinti und Roma in Gänze unterstützt werden. Es ist wichtig, diese Minderheit gerade bezüglich ihrer ethnischen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Identität besonders zu schützen.

Dazu bedarf es – das ist angesprochen worden – im Detail einzelner Maßnahmen, etwa im Bereich der Schulen, wo es darum geht, die Sprache Romanes, also die Sprache der Sinti und Roma, besonders zu fördern und zu unterstützen, damit diese nicht untergeht, sondern Bestand hat, und diese gar gepflegt werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Es bedarf einer zielgruppenspezifischen Förderung der Sinti und Roma und detailgerechter Angebote – auch für junge und erwachsene Sinti und Roma, und zwar passgenau und spezifisch. Ich bin sehr froh darüber, dass mit dem Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten und der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen auch die europäische Ebene erkannt hat, dass Sinti und Roma als Minderheit zu schützen sind. Das muss auch Einfluss finden in die hessische Praxis.

Ich selbst weiß aus Gesprächen mit dem Landesverband, aber auch einzelnen Sinti und Roma – das habe ich zu Beginn meiner Rede gesagt –, dass der Minderheitenschutz noch heute aktuell ist, weil Sinti und Roma, wie ich es bereits ausgeführt habe, in unserer Gesellschaft bedauerlicher- und schädlicherweise noch heute diskriminiert werden. Wir brauchen passgenaue Maßnahmen gegen Diskriminierung und Vorurteile.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Ich möchte zwei konkrete Punkte herausstellen, die auch in diesem Gesetzentwurf vorgesehen sind und die ich im Namen der SPD-Landtagsfraktion ausdrücklich unterstütze. Es ist vorgesehen, dass gerade im Bereich des Friedhofswesens eine Gedenkform der ewigen Ruhe für Sinti und Roma erfolgen soll – für Sinti und Roma, die im Rahmen der Nazidiktatur in schändlichster Art und Weise ermordet wurden und noch nicht einmal eine Grabstätte erhalten durften. Dass dem jetzt im Nachgang, nach vielen Jahrzehnten, mit solch einer Gedenkstätte Rechnung getragen wird, ist längst überfällig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktions- los))

Ich bin auch sehr froh darüber, dass jetzt über die Landeszentrale für politische Bildung ein Ort für die Ausstellung zur Verfolgung von Sinti und Roma gefunden wurde, nämlich die Wissenschaftsstadt Darmstadt. Es sind geeignete und würdige Räume, um auf dieses Thema mit einer Ausstellung aufmerksam zu machen, weil wir nicht vergessen dürfen: Das Thema der Sinti und Roma steht nicht im Mittelpunkt des Bewusstseins der öffentlichen Wahrnehmung, sondern es ist oft leider nur ein Randthema. Wir müssen gerade die Geschichte der Sinti und Roma, ihre Bedeutung und ihren Stellenwert für unsere Gesellschaft, in Form solch einer Ausstellung für die Bürgerinnen und Bürger transparent machen und ihnen damit ein Gesicht geben sowie sie anerkennen. Deshalb bin ich sehr froh, dass solch

eine Ausstellung initiiert wird. Insofern kann ich für die SPD-Landtagsfraktion ganz klar sagen: Wir sind froh, dass es diesen Staatsvertrag geben wird, und wir werden das Gesetzgebungsverfahren konstruktiv begleiten.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Das Wort hat Herr Abg. Dr. Wilken für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wir begrüßen den Staatsvertrag mit dem hessischen Landesverband der deutschen Sinti und Roma ausdrücklich und stehen somit der Einstimmigkeit einer Beschlussfassung nicht im Wege. Durch den Vertrag wird die Menschenrechts- und Bildungsarbeit des Landesverbands für die nächsten Jahre abgesichert und somit das Engagement gegen Antiziganismus. Diese Arbeit ist wie eh und je dringend nötig, weil es nach wie vor Ausgrenzungen gibt und ein Sich-Outen als Sinti oder Roma mit Nachteilen verbunden ist. Insbesondere die Lage von Romamigrantinnen und -migranten sowie Romaflüchtlingen hat sich erheblich verschlechtert.

Durch die Einstufung der Staaten des ehemaligen Jugoslawiens als sichere Herkunftsländer, was auch von der Hessischen Landesregierung geteilt wurde, haben Flüchtlinge aus der Region keine Bleibeperspektive, kein persönliches Recht auf Asyl und werden häufig in Armut und Repression abgeschoben. Gleichzeitig nimmt – Frau Hofmann hat darauf hingewiesen – der alltägliche Rassismus gegen Sinti und Roma eher zu als ab. Der Zugang zu öffentlicher Unterstützung von Roma, die aus Osteuropa kommen und vor Armut, Diskriminierung und Chancenlosigkeit fliehen, ist fast vollständig versagt worden. Ihre Bemühungen, sich eigenständig einzurichten und damit die Familien zu Hause zu unterstützen, werden auch durch eine manchmal repressive Vertreibungspolitik zerstört, wie wir es im Februar dieses Jahres in Frankfurt am Main bei dem Räumen einer Brache im Gutleutviertel erleben mussten. Wir stimmen diesem Staatsvertrag auch deswegen zu, weil wir hoffen, dass er uns allen dabei den Rücken stärkt, gegen solche Diskriminierungen im Alltag gemeinsam vorzugehen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Ministerpräsident, deswegen hoffen wir, dass die Landesregierung unrecht behält, wenn sie auf dem Deckblatt des Gesetzentwurfs als „Problem“ benennt:

Die Hessische Landesregierung möchte mit dem Staatsvertrag die Minderheit in den Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Lebens unterstützen und eine gleichberechtigte Teilhabe weiter fördern.

Ich hoffe, dass dieser Satz in den falschen Absatz gerutscht ist und der Staatsvertrag zur Lösung beiträgt. Meine Stimme haben Sie. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos) – Ministerpräsident Volker Bouffier: So war es sicherlich gemeint!)

Herr Abg. Lenders für die Fraktion der FDP hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Entschuldigen Sie bitte, dass ich diese Rede entgegen der üblichen Vorgehensweise nicht frei halte; denn dafür ist mir dieses Thema zu wichtig. Es ist auch ein Thema, zu dem man nicht jeden Tag spricht.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, der vorliegende Staatsvertrag ist in der Tat ein starkes und gutes Signal; denn der Staatsvertrag wurde im Dezember 2013 in ähnlicher Form in Baden-Württemberg beraten und einstimmig beschlossen.

Staatsverträge schließt man normalerweise, wie der Name schon sagt, zwischen Staaten oder traditionell mit den Kirchen ab. Ansonsten ist es, wie hier vorliegend, der absolute Ausnahmefall. Es ist nicht einfach nur ein Vertrag. Dieser Vertrag bekommt durch das Transformationsgesetz noch eine ganz andere Bedeutung.

Mit diesem Gesetz wandeln wir als Gesetzgeber den von der Landesregierung am 6. September 2017 unterzeichneten Vertrag in von uns selbst gesetztes Recht um. Damit geben wir der Angelegenheit noch einmal eine besondere Bedeutung.

Das Gesetz ist ein Signal an die Sinti und Roma, die in den vergangenen Jahrhunderten – das wissen wir alle – auch und gerade auf deutschem Boden selten etwas Gutes erlebt haben. Der Höhepunkt der Abscheulichkeit war dabei sicher der 16. Dezember 1942, der berüchtigte AuschwitzErlass mit dem reichsweit die Deportation aller – der damals sogenannten – Zigeuner in die Vernichtungslager angeordnet wurde. Eine halbe Million Menschen wurden allein aufgrund ihrer ethnischen Herkunft ermordet.

Bis heute gibt es Vorurteile und Diskriminierungen. Dabei sind die Sinti und Roma als nationale ethnische Minderheit anerkannt. Uns, der Fraktion der Freien Demokraten, ist es wichtig, den Schutz von Minderheiten als Teil unserer Rechts- und Werteordnung zu dokumentieren und uns öffentlich dazu zu bekennen. Ohne diesen Schutz wäre es nicht unsere Rechtsordnung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn daher jetzt ein solches Signal der Anerkennung und Wertschätzung kommt, dann kann man das im Landtag nur gemeinsam beschließen und unterstützen. Wir müssen mit Klischees und Vorurteilen, die in der Gesellschaft noch immer existieren, aufräumen, sie bekämpfen und damit auch die Geschichte und die Kultur stärker im gesellschaftlichen Denken verankern. In diesem Staatsvertrag sind wichtige Impulse dafür enthalten.