Ich darf dann auf ein Thema eingehen, welches uns seit Beginn der parlamentarischen Debatte begleitet. Die Frage, auf welche Zahlen bei einer Neueinteilung abgestellt werden muss, beschäftigt uns seit der ersten Lesung. In der zweiten Lesung hat der Abg. Greilich publikumswirksam mit einem Zettel gewedelt, der die Zahlen der Auslandsdeutschen enthielt. Ja, der Bundeswahlleiter hat der FDPFraktion die Zahl der Auslandsdeutschen mitgeteilt, dies aber ausschließlich auf der Basis der Bundestagswahlkreise. Der Informationswert der Zahl der Auslandsdeutschen auf Basis der Bundestagswahlkreise ist für unsere Diskussion allerdings gleich null.
Nur zur Erinnerung: Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2012 eine Berücksichtigung von Nichtwahlberechtigten – es ging in der Entscheidung um Jugendliche – bei der Wahlkreiseinteilung für zulässig erachtet, solange sich deren Anteil an der deutschen Bevölkerung regional nur unerheblich unterscheidet. Um zu prüfen, ob es regionale Unterschiede in der Verteilung der Auslandsdeutschen gibt, müssten die Zahlen auf Gemeindeebene vorliegen und auf die Landtagswahlkreise umgerechnet werden. Die Zahl der Auslandsdeutschen liegt aber auch beim Bundeswahlleiter nicht auf Gemeindeebene vor.
In der Sache sind wir damit kein Stück weiter. Im Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen hat man sich entschieden, als Grundlage für die Vorschläge die amtliche Bevölkerungsstatistik heranzuziehen. Dies entspricht auch der Praxis der bisherigen Wahlkreiseinteilung. Bei der letzten Novellierung der Landtagswahlkreise im Jahr 2005 wurden ebenfalls die vom Statistischen Landesamt festgestellten Bevölkerungszahlen, also die amtliche Bevölkerungsstatistik, als Bemessungsgrundlage gewählt.
Lassen Sie mich zuletzt noch auf einen Gesichtspunkt eingehen, der ebenfalls seit Beginn der Debatte kritisiert wird. Seit Beginn des Verfahrens wird Kritik an den konkreten Vorschlägen der Koalitionsfraktionen für die Wahlkreiseinteilung geübt. Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass die rein rechnerische Angleichung der Wahlkreisgrößen an den Durchschnittswahlkreis verfassungsrechtlich im Vordergrund der Novelle steht. Das Verfassungsrecht fordert an erster Stelle einen möglichst gleichen Erfolgswert der Wählerstimmen und Chancengleichheit der Bewerber und Parteien. Alle sonstigen Kriterien, die nach der Rechtsprechung berücksichtigt werden dürfen – und in dem vorliegenden Gesetzentwurf genannt werden –, sind nur ergänzender Art und dürfen den zahlenmäßigen Vergleich nicht grundsätzlich infrage stellen.
Das hat Auswirkungen auf die Begründungspflicht des Gesetzgebers. In erster Linie muss er in der Begründung seine überprüfbaren Berechnungsgrundlagen darstellen. An weitere Begründungen stellt das Verfassungsgericht keine vertieften Anforderungen. Die Forderung nach einer darüber hinausgehenden Transparenz einer gesetzgeberischen Abwägung geht zu weit. Die letzte Wahlkreisnovelle im Jahr 2005 hat die Einzelbegründung zu den Wahlkreisänderungen auf die Darstellung der zahlenmäßigen Abweichung vom Durchschnittswahlkreis und der dazu getroffenen Veränderungen reduziert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es lohnt sich auch ein Blick auf den Bund. Auch der letzte Gesetzentwurf zur Neueinteilung der Bundestagswahlkreise beschränkt sich in der Einzelbegründung genau auf diese Angaben. Mehr zu fordern für die hessischen Wahlkreise ist nicht geboten. Trotzdem haben die Regierungsfraktionen in aus meiner Sicht sehr konstruktiver Weise auf Ihre Kritik reagiert und mit dem überarbeiteten Änderungsantrag detaillierte, nachvollziehbare Begründungen für die einzelnen Neuzuschnitte gegeben.
Der Gesetzentwurf will erklärtermaßen bei der Wahlkreiseinteilung möglichst die Landkreisgrenzen einhalten und gewährleisten, dass jeder Wahlkreis ein in sich zusammenhängendes Gebiet bildet. Deshalb finden die Verschiebungen überwiegend innerhalb der Landkreisgrenzen statt. Das gilt für Lichtenfels in Waldeck-Frankenberg, für Ludwigsau in Hersfeld-Rotenburg, für Fernwald in Gießen und Heidenrod im Rheingau-Taunus-Kreis.
Anders ist das bei der Gemeinde Nieste aus dem Landkreis Kassel mit etwa 1.500 Wahlberechtigten, weil der Wahlkreis 9 den nördlichen Werra-Meißner-Kreis umfasst. Das wäre aber bei den Gemeinden Kaufungen und Helsa aus dem Landkreis Kassel nicht anders gewesen. Mit der Verlagerung von Nieste bleibt der Gesetzentwurf seiner Vorstellung des geringstmöglichen Eingriffs treu; denn hier sind die wenigsten Wahlberechtigten betroffen. Ich halte das für einen nachvollziehbaren Ansatz.
Auch die Gemeinden Laubach und Eiterfeld sollen künftig Wahlkreisen zugehören, deren Wahlkreisgrenzen andere Landkreise umfassen. Das ist leider unvermeidbar; denn hier zeigt sich, was auch bei einer möglichen breiter angelegten Wahlkreiseinteilung in der nächsten Legislaturperiode allgemeines Phänomen sein würde: die Verschiebung hessischer Gemeinden nach Norden und Osten. Die demografische Situation schlägt naturgemäß auf die Wahlkreiseinteilung durch. Das macht seit Jahren vielfältige landespolitische Bemühungen zur Gegensteuerung oder zum Ausgleich zum ländlichen Raum hin erforderlich.
Bei der Wahlkreiseinteilung sind solche gegensteuernden Maßnahmen nicht zulässig. Die Wahlkreiseinteilung vollzieht die Entwicklung lediglich nach. Die Vergrößerung östlicher und nördlicher Wahlkreise ist deshalb bei dieser und bei kommenden Wahlkreisneueinteilungen unausweichlich. Das ist der Grund für die Verschiebung der Gemeinden Laubach und Eiterfeld, auch wenn dadurch Kreisund Wahlkreiszugehörigkeit auseinanderfallen.
Wenn es eines Beleges bedurft hätte, gilt das für diesen Gesetzentwurf. Es gilt auch für den nächsten Tagesordnungspunkt. Es gilt auch für das Verfassungsschutzgesetz, wo Sie einen Gesetzentwurf einbringen und sofort einen Änderungsantrag nachschieben müssen, weil die öffentliche Kritik verheerend war. Herr Innenminister, so viel zu dem Thema „Sie arbeiten seriös, Sie arbeiten gründlich, und Sie arbeiten sorgfältig“ – genau das Gegenteil ist der Fall.
Weil der Abg. Frömmrich es gestern bereits getan hat und heute wieder: Wenn wir Kritik an einem Fraktionsgesetz üben, üben wir Kritik an den dafür Verantwortlichen, auch am Minister, der zugibt, dass er Ihnen zuarbeitet – ich sage: fast zu 99,9 %. Deswegen können Sie sich dieses eher dümmliche Argument sparen, wir würden die Mitarbeiter beschimpfen. Wir legen Wert darauf, dass die Verantwortung bei den politisch Verantwortlichen liegt, nicht bei den Mitarbeitern. Deswegen hören Sie auf mit diesen Argumentationsschienen.
Die Mitarbeiter müssen im Zweifel auf Anweisung arbeiten. Deswegen ist das ein Versuch von Nebelkerzen.
Herr Innenminister, Sie haben eben fast wortwörtlich abgelesen, weil Sie das für mögliche gerichtliche Auseinandersetzungen machen wollen. Sie haben nichts dazu gesagt. Sie und Herr Frömmrich sagen: Alternativen der Opposition. – Ja, wir werden in der nächsten Wahlperiode eine große Wahlkreisreform machen. Wenn Sie das heute so verabschieden, kann es Kommunen passieren, dass sie in der nächsten Wahlperiode noch einem anderen Wahlkreis zugeordnet werden, weil wir gravierende Veränderungen haben werden. Wir haben in der Debatte von Anfang an gesagt, dass wir möglicherweise Landkreisgrenzen nicht einhalten werden können, aber auf einem Datenmaterial,
Bei der Anhörung war ich ziemlich entsetzt über die Präsidentin des Statistischen Landesamtes und ihre Aussagen. Wir schreiben heute den 15. Dezember 2017. Diese Landesregierung ist augenscheinlich nicht in der Lage, aktuelles Datenmaterial zu geben. Noch einmal, Herr Innenminister: Rufen Sie bei Einwohnermeldeämtern von Städten und Gemeinden an, fragen Sie nach, ob Sie aktuelles Datenmaterial bekommen können. Ja, das geht per Knopfdruck. Ja, das ist möglich.
Sie hätten für den Zeitpunkt 31.10. oder 30.09. dieses Jahres aktuelle Zahlen gehabt. Dann hätten Sie feststellen können, dass wir Veränderungen haben, die über 25 % Abweichung hinausgehen, z. B. in Niederdorfelden im Wahlkreis 41. Deswegen ist Ihr Gesetzentwurf der falsche Ansatz.
So etwas haben wir selten erlebt. Dass ich hier vorne Juristen verteidige, ist auch selten. Was macht man nicht alles?
Meine Damen und Herren, zum Ernst der Sache zurück. Das ist das zweite Mal. Wir haben bereits im Jahr 2005 eine Wahlkreisreform gehabt. Damals war sie nur bezogen auf Wiesbaden, Frankfurt und den Wetteraukreis. Jetzt ist sie einen Schritt weiter, und die nächste wird noch größer. Sie müssen ein Anhörungsverfahren entwickeln, ein Beteiligungsverfahren, bei dem die Kommunen und die Bürger vor Ort den Eindruck haben, dass sie mitgenommen werden und dass das nicht von oben verordnet wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Innenminister, die Verantwortung liegt bei Ihnen. Es ist übrigens ein schwerer Vertrauensbruch gegenüber den Fraktionen und Parteien dieses Landtags; denn es wurden Terminierungen vorgenommen im Verlass darauf, dass die jetzige Einteilung für diese Wahlperiode und die nächste noch gilt und es danach einen großen Änderungsbedarf gibt. Sie haben gegenüber den Fraktionen und Parteien einen Vertrauensbruch begangen. Sie haben jetzt den Fraktionen zugearbeitet und machen einen genau gegenteiligen Vorschlag. Was hat Sie dazu bewogen? – Doch nicht ernsthaft ein Brief der FDP. Darüber lacht selbst die FDP, als wenn Sie je auf einen Brief der FDP in der Opposition sachgerecht argumentiert hätten. Das nimmt Ihnen doch keiner ab.
Herr Kollege Bellino, die Argumentation reicht vielleicht für den von mir sehr geschätzten Ortsvereinsvorstand – bei Ihnen heißt es Ortsvorstand – in Neu-Anspach. Aber lassen Sie das beiseite für dieses Auditorium.
Genau, ist in Ordnung. – Bei dem, was Sie vorgetragen haben, bleibe ich dabei: Sie haben eine politische Begründung geliefert. Die beiden markanten Punkte bleiben. Die Zuordnung von Nieste statt Helsa können Sie nicht glaubwürdig belegen, zumal der Ministerpräsident einen anderen Vorschlag gemacht hat. Eiterfeld bleibt umstritten; auch das können Sie nicht darlegen.
Meine Damen und Herren, deswegen sage ich: Dieser Gesetzentwurf ist mit heißer Nadel gestrickt. Wir werden das rechtlich prüfen. Das ist das eine. Wir werden insbesondere auch die Rolle des Innenministers zu prüfen haben. Sie wissen, dazu gibt es Wege und Möglichkeiten. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Kolleginnen, werte Kollegen! Es ist unsere Aufgabe als Parlament, die Kriterien festzulegen, unter welchen Voraussetzungen eine Landtagswahl Abgeordnete legitimiert, die hessische Bevölkerung im Hessischen Landtag zu vertreten. Es ist die Aufgabe eines Parlaments, ein Gesetz zu verfassen, unter welchen Kriterien unter Gleichheitsgrundsätzen eine Wahl abläuft. Deshalb ist es unsere Pflicht gewesen, dass wir die aktuellen Gegebenheiten aufgreifen, um ein rechtssicheres Gesetz vorzulegen.
Denn die Experten in der Anhörung haben eines zum Ausdruck gebracht. Sie sagen, die Rechtsunsicherheit ist darauf gegründet, dass es zu große Abweichungen gibt. Bei den Rechtsexperten, die Sie zurate ziehen, muss man ehrlicherweise sagen, dass Sie immer nur die zwei zitieren, die in der Sitzung anwesend waren. Aber Sie haben auch eine Stellungnahme von einem dritten Rechtsexperten gehabt, der eine schriftliche Stellungnahme abgegeben hat. Prof. Klaus Gärditz war anderer Meinung. Er hält den Entwurf für verfassungskonform und die Anpassung für das Erfüllen einer positiven verfassungsrechtlichen Verpflichtung. Er sagt – ich darf ihn zitieren –:
Ohne eine Anpassung … wäre die nächste Landtagswahl möglicherweise mit einem Fehler behaftet, der die Stabilität der Wahl gefährden könnte.
Deshalb machen wir diese Wahlkreisänderung. Sie fordern hier aktuelle Zahlen. Man muss ehrlicherweise sagen, wenn wir andere Zahlen heranziehen würden, wären das selbst zusammengerechnete Zahlen, die in keinem anderen Landtagswahlgesetz als Grundlage herangezogen werden. Alle Landtagswahlgesetze beziehen sich auf amtliche statistische Daten.
Wir haben das in der Vergangenheit auch so praktiziert. Ich kann nicht verstehen, warum man hier einen Popanz aufbaut, zumal wir detailliert nachgefragt haben: Gibt es andere amtliche Zahlen? – Die Antwort war eindeutig. Wenn Sie die Experten der Anhörung schon als Kronzeugen heranziehen, dann müssen Sie auch hören, was die Präsidentin des Statistischen Landesamtes gesagt hat. Sie wurde nämlich explizit gefragt: Darf man aus Wählerverzeichnissen oder auf anderem Wege die Wahlberechtigten
Die … Frage war, ob man aus Wählerverzeichnissen oder auf anderem Wege die Zahl der Wahlberechtigten für die Bundestagswahl ermitteln kann. Das ist kein Geheimnis. Die Zahl ist da; sie steht im Internet. Aber das hat jetzt nichts mit Statistik zu tun. Deshalb verstehe ich den Vorwurf an die Statistik nicht. … Ich gehe nicht davon aus, dass sie deckungsgleich ist.