Protokoll der Sitzung vom 26.04.2018

Der Antisemitismus hat dabei viele Gestalten. Er reicht vom offenen Rassismus in der geistigen Tradition der Nationalsozialisten bis hin zum Antizionismus. Meine Damen und Herren, ich will sehr deutlich sagen: Wer die grundsätzlich legitime Kritik an Teilen der israelischen Politik mit antisemitischen Ressentiments in Verbindung bringt, der reihten sich in antisemitische Haltungen, Worte und Hasstiraden ein, in das, was wir von Linksextremisten, Rechtsextremisten und Islamisten in diesen Tagen leider und zunehmend zur Kenntnis nehmen müssen.

Gerade junge Menschen müssen deshalb aufgeklärt werden. Ihnen muss ein Wertesystem vermittelt werden, das Orientierung bietet und sie auf die historische Verantwortung aus dem Zivilisationsbruch der Schoah verpflichtet. Die Schulen, aber auch die gesamte Gesellschaft haben junge Menschen zu befähigen, die beispiellosen Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus und die daraus resultierenden Folgen einzuordnen, die entschiedene Absage an alle Formen von Antisemitismus und Judenfeindlichkeit als selbstverständliche Verpflichtung aufzufassen und die Beziehungen zu unseren jüdischen Mitbürgern nach den Grundsätzen der gegenseitige Achtung und Toleranz zu gestalten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ganz in diesem Sinne hat an den hessischen Schulen seit vielen Jahren auch die Erinnerungspädagogik einen besonderen Stellenwert. Der Besuch von Konzentrationslagern wird finanziell unterstützt und dringend empfohlen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Tatsache, dass der Kultusminister die Schulen aufgefordert hat, antisemitische Vorfälle zu melden, reiht sich ein in eine ganze Reihe von Maßnahmen, die, davon gehe ich fest aus, einen grundsätzlichen Konsens auch hier im Hause finden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, während das entschiedene Eintreten gegen den Antisemitismus, das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels und die historisch-moralische Verpflichtung aus der Schoah in Deutschland in einem unverrückbaren gesellschaftlichen und politischen Grundkonsens wurzeln, gehören in zahlreichen Staaten des Nahen Ostens und der arabischen Halbinsel Judenfeindlichkeit und Hass auf Israel leider immer noch zum Selbstverständnis einer zum Teil großen Bevölkerungsmehrheit. Dort wird der Hass auf Israel und auf die Juden jungen Menschen häufig schon im Elternhaus, in den Schulen, über die Nachrichtensender oder leider auch durch Hassprediger in den Moscheen vermittelt.

Die Anschauungen dieser jungen Menschen, ihre Sichtweisen und Überzeugungen sind vielfach durch diese jahrelange Indoktrination judenfeindlicher Gesellschaften geprägt. Daher ist es sehr zu begrüßen, dass der Kultusminister in den Erlass an die hessischen Schulen die Vorgabe aufgenommen hat, dass Äußerungen antisemitischer Art und antisemitisches Verhalten in diesem Zusammenhang gegebenenfalls zu melden sind.

Die neuen Formen des von Flüchtlingen und Zuwanderern importierten Antisemitismus werden sich allerdings nicht nur durch pädagogische Ansätze an den Schulen bekämpfen lassen, sondern sie bedürfen der unnachsichtigen Strenge und konsequenten Härte des Rechtsstaates. Wer jüdisches Leben in Deutschland ablehnt oder das Existenzrecht Israels infrage stellt, liebe Kolleginnen und Kollegen, der hat keinen Platz in unserer Gesellschaft und in unserem Land.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Die Förderung jüdischen Lebens in Deutschland, das Bekenntnis zum Existenzrecht des Staates Israel und der entschiedene Kampf gegen alle Erscheinungsformen des Antisemitismus sind keine Gegenstände politischer Diskussion, sondern unverrückbare Eckpfeiler unserer Werteordnung

in Deutschland. Antisemitismus ist die Gemeinsamkeit aller Extremisten. Der Kampf gegen den Antisemitismus ist die Gemeinsamkeit aller Demokraten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der SPD und der FDP sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Vielen Dank, Herr Kollege Boddenberg. – Das Wort hat der Abg. René Rock, Fraktionsvorsitzender der FDP.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Freien Demokraten in Deutschland lehnen jede Form des Antisemitismus, ob es sich um physische Gewalt oder um Schmähungen handelt, entschieden ab und treten ihnen überall in unserem Land entgegen.

(Beifall bei der FDP)

Umfragen haben ergeben, dass immer noch 20 % unserer Bevölkerung antisemitischen Einstellungen zustimmen. Charlotte Knobloch, ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, hat bereits 2007 erklärt, es scheint, als würden in Deutschland gerade die letzten Tabus fallen. Das, worüber wir heute reden, ist nicht erst zu dem Zeitpunkt entstanden, als die Bilder in Berlin gemacht wurden, die uns alle schockiert haben. 2015 hat der Zentralrat der Juden den Juden in Deutschland empfohlen, in gewissen Regionen unseres Landes die Kippa nicht mehr öffentlich zu tragen. Das war nicht erst gestern, sondern das ist bereits einige Jahre her.

Wie hat die Bundesregierung reagiert? – Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie diesen Auswüchsen entschieden und mit aller Härte des Rechtsstaats entgegentreten wolle. Das war vor drei Jahren. Anscheinend ist das nicht ausreichend gewesen. Das legt zumindest das nahe, was wir jetzt feststellen konnten.

Meine Fraktion hat seit vielen Jahren – das ist eine Tradition – eine Beziehung zum Staat Israel. In jeder Legislaturperiode besuchen wir Israel einmal. 2012 war ich zum ersten Mal mit dabei. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Yad Vashem, die Holocaustgedenkstätte, besucht. Als Resultat dieses Besuchs hat meine Fraktion eine Kooperation hessischer Schulen mit Yad Vashem angeschoben. Wir sind dankbar, dass der Hessische Kultusminister sie fortgesetzt hat.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Nicht verstehen kann ich, dass der Erlass im Kultusministerium immer noch in der Erarbeitung ist. Dabei geht es doch darum, die Lehrkräfte für das Thema „Antisemitismus in unseren Schulen“ voranzubringen. Dieser Erlass liegt immer noch nicht vor.

Bei unserem letzten Besuch in Israel hatten wir Kontakt mit jungen Menschen, einem Mann und einer Frau, die hier geboren wurden und hier zur Schule gegangen sind. Besonders erschüttert hat mich der Bericht einer jungen Frau aus Berlin, die gesagt hat, sie sei aus Deutschland ausgewandert, weil sie in Berlin keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen könne, wenn sie den Davidstern trage – an einer kleinen Kette. Sie ist gegangen, damit sie ihren Glauben in Israel frei leben kann.

Das hat uns betroffen gemacht. Wir haben nach der Reise, im Januar 2017, eine Anfrage an die Hessische Landesregierung gestellt. Sie hat ergeben, dass „insgesamt 116 Fälle im Kontext von antisemitisch … motivierten Ermittlungsverfahren mit Tatörtlichkeit an hessischen Schulen“ – das ist Beamtendeutsch – festgestellt und bekannt geworden seien. Bis Mai 2017 hat die Beantwortung der Anfrage gedauert. Es wurde uns auch mitgeteilt, es gebe in der Bildungsverwaltung kein Register, in das solche Vorfälle aufgenommen würden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es besteht Handlungsbedarf. Ministerpräsident Bouffier hat sich dafür ausgesprochen, einen Beauftragten zur Bekämpfung des Judenhasses in Hessen zu berufen. Ich nehme an, das wird jetzt passieren. In anderen Bundesländern gibt es einen solchen Beauftragten bereits. In der Bundesregierung wird der Beauftragte im Mai dieses Jahres mit seiner Arbeit beginnen. Die Empfehlung, einen solchen Beauftragten zu berufen, hat der Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus 2017 in Berlin ausgesprochen. Er hat noch mehr Empfehlungen ausgesprochen, z. B. die, eine Bund-Länder-Kommission einzurichten, die sich mit diesem Thema beschäftigen soll.

Meine Forderung an die Landesregierung ist – von dem, was der Fraktionsvorsitzende hier vorgetragen hat, glaube ich jedes Wort –: Investieren Sie mehr Energie in das Thema. Seit zehn Jahren liegen Studien über junge muslimische Menschen in unserem Land mit stark antisemitischen Tendenzen vor. Kooperieren Sie mit Institutionen und auch mit der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. Vernetzen Sie das; bringen Sie das voran. Gehen Sie aus dem Mittelfeld der Aktion an die Spitze, seien Sie Vorbild in unserem Land. Herr Ministerpräsident, das wäre ein Thema für eine Regierungserklärung. Das würde ich mir wünschen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Vielen Dank, Kollege Rock. – Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mobbing und Übergriffe an Schulen, verbale und körperliche Angriffe und nicht zuletzt die Echo-Verleihung haben leider abermals gezeigt, dass die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus von höchster Priorität ist.

Das Bundesinnenministerium spricht von 1.421 antisemitischen Straftaten allein im Jahr 2017: 1.377 rechtsextreme Täter, 33 Ausländer, 25 religiös motivierte Täter und 17 Täter, die nicht zugeordnet werden können. Die Dunkelziffer dürfte bei antisemitischen Straftaten deutlich höher sein. Die Kritik an der Art und Weise der Statistikführung wird in diesen Tagen immer lauter. Deswegen will ich, auch mit Blick auf die Verteilung, in aller Klarheit sagen: Für uns kann es keine Toleranz geben, egal welches Motiv und welche Begründung antisemitischen Straftaten zugrunde liegen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich will am heutigen Tag aber auch sagen, dass das leider kein neues Thema ist. René Rock hat bereits darauf hingewiesen. Zahlreiche Studien belegen immer wieder, dass in Deutschland ein erhebliches antisemitisches Potenzial existiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die eigentliche Frage ist – das ist in beiden Reden schon angeklungen –: Warum sind wir in den letzten Jahrzehnten bei der Bekämpfung des Antisemitismus eigentlich nicht substanziell vorangekommen? Eine Teilantwort auf diese Frage lautet aus meiner Sicht: Es gab – und gibt – zwar klare Statements, aber wirkliche Konsequenzen wurden selten gezogen. Wir brauchen aber nicht nur klare Statements, sondern wir brauchen auch Konsequenzen.

(Beifall bei der SPD)

Dies gilt z. B. für die Pflicht zur Dokumentation antisemitischer Vorfälle gerade an öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und Behörden. Es gilt für Untersuchungen darüber, ob es sich bei den Vorfällen, z. B. bei den aktuellen Fällen an Schulen, um Einzelfälle handelt oder ob wir es mit einem systematischen, flächendeckenden Phänomen zu tun haben, das bearbeitet werden muss. Die Vertreter von Schulen und Behörden dürfen bei solchen Vorfällen nicht aus falsch verstandenen pädagogischen Gründen schweigen; sie müssen vielmehr handeln und Anzeige erstatten.

Wir brauchen eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung. Diese darf nicht nur in Sonderprogrammen erfolgen, sondern das muss regelmäßig geschehen. Wir brauchen nicht Rechtsstaatskunde für einige wenige, sondern die Stärkung der politischen und kulturellen Bildung für alle.

(Beifall bei der SPD und der FDP, bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Schließlich ist es offensichtlich, dass wir es nicht mit Ereignissen zu tun haben, die erst in den letzten zwei Jahren stattgefunden haben. Bis zu dem Tag, an dem in Deutschland die besonderen Sicherheitsvorkehrungen vor jüdischen Einrichtungen abgeschafft werden können, dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen.

(Beifall bei der SPD und der FDP, bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Ich bin daher froh, dass jetzt in vielen Bundesländern und im Bund Antisemitismusbeauftragte berufen werden. Es ist eben angesprochen worden: Dieter Burgard wurde Ende letzten Jahres in Rheinland-Pfalz als erster Antisemitismusbeauftragter einer Landesregierung berufen. Dr. Michael Blume ist auf der Grundlage einer gemeinsamen Entschließung von GRÜNEN, CDU, SPD und FDP im Landtag von Baden-Württemberg zum Antisemitismusbeauftragten nominiert worden. Auf der Bundesebene fiel vor wenigen Tagen die Entscheidung zugunsten von Felix Klein.

Auch Hessen folgt jetzt – so die Ankündigung aus der Staatskanzlei – diesem Beispiel. Ich will unsererseits ausdrücklich sagen, dass wir diese Entscheidung der Landesregierung begrüßen und unterstützen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Mehr noch würden wir begrüßen, wenn wir die Frage der weiteren Konsequenzen gemeinsam auf den Weg bringen

würden. Dazu reichen wir nicht nur den Regierungsfraktionen, sondern auch den Oppositionsfraktionen die Hand. Herr Ministerpräsident, wir begrüßen übrigens auch, dass die Landesregierung am Tag der Staatsgründung Israels in der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt tagt. Noch stärker wäre es gewesen, wenn Landtag, Landesregierung und Staatsgerichtshof gemeinsam an diesem Tag aufgetreten wären.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

„Hessen tritt Antisemitismus entschieden entgegen“, so der Titel Ihrer Aktuellen Stunde. Lassen Sie mich am Ende meiner Rede mit Blick auf viele Ereignisse der letzten Wochen und Monate sagen: Hessen tritt jeder Form der Menschenfeindlichkeit entgegen, egal ob sie religiös oder ideologisch begründet ist.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Kollege Schäfer-Gümbel. – Das Wort hat Frau Abg. Feldmayer, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In Berlin wurde ein junger Mann, ein Israeli, angegriffen, weil er eine Kippa trug. Er wurde beleidigt und tätlich angegriffen. Wir verurteilen das auf das Schärfste. Hierfür gibt es keine Entschuldigung und keine Toleranz.

(Allgemeiner Beifall)

Es ist gut, dass gestern so viele Menschen in den unterschiedlichsten Städten Deutschlands demonstriert haben, mit einer schönen Geste: Sie haben eine Kippa getragen. Es ist ein starkes Signal, das von dort gesandt wurde. Das Signal lautet: Es gibt nicht die geringste Toleranz für solche Angriffe. Wir stehen nicht nur an der Seite der Juden, wir stellen uns auch vor sie.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir tragen in Deutschland aufgrund der schlimmsten Menschheitsverbrechen, die Deutsche begangen haben, eine besondere Verantwortung für die Juden in Deutschland. Damals, in der Zeit des Nationalsozialismus, hat die Mehrheit der Deutschen die jüdischen Freunde, die Nachbarn und die Kollegen nicht beschützt. Der Antisemitismus in der Gesellschaft hat dazu geführt, dass die Juden verfolgt und ermordet worden sind – 6 Millionen Juden. Auch deshalb ist es unsere Pflicht, allen antisemitischen Anfeindungen entschieden entgegenzutreten.

(Allgemeiner Beifall)