Wehret den Anfängen – das ist keine Floskel, das gilt immer noch. Es ist eine Daueraufgabe, der sich alle gesellschaftlichen Kräfte widmen müssen.
Der Angreifer in Berlin war, nach allem, was wir wissen, ein Zuwanderer. Da sage ich ganz klar: Wer hier leben will, muss sich den Grundlagen unseres Zusammenlebens verpflichten.
Dazu gehören natürlich die Absage an Antisemitismus und die Anerkennung des Existenzrechts Israels. Das sind unsere Grundlagen, und die gelten für alle.
Ja, wir haben in Deutschland ein Antisemitismusproblem. Das hat mit 1945 nicht schlagartig aufgehört. Jüdische Einrichtungen müssen seit Jahrzehnten beschützt werden. Diesen Antisemitismus gibt es bei Rechtsextremen, bei Rechtspopulisten, in Teilen bei den LINKEN, latent und verklausuliert auch in der Mitte der Gesellschaft, aber auch bei Zuwanderern aus arabischen Staaten, das stimmt.
Wenn man sich aber die Statistik des Bundesinnenministeriums ansieht, dann sieht man, dass 90 % der antisemitischen Straftaten von Deutschen begangen werden. Unsere Aufgabe dabei ist es, klar zu benennen, wenn es zu Straftaten kommt, und diesen Hass zu bekämpfen, egal woher er kommt.
Was mir ganz wichtig ist: Wir dürfen uns nicht an die Tabubrüche gewöhnen, die Antisemiten begehen. Wer Menschen auf offener Straße angreift, weil sie religiöse Symbole tragen, macht sich nicht nur strafbar, sondern begibt sich außerhalb unseres gesellschaftlichen Konsenses.
Wer im Land der Täter des Holocaust versucht, die Erinnerungskultur lächerlich zu machen oder einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit zu ziehen, begibt sich außerhalb dieses Konsenses. Wer Hunde auf Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe hetzt, begibt sich außerhalb unseres Konsenses, wo Menschlichkeit und Demokratie gelten.
Wir müssen alle zusammen dafür sorgen, dass jede einzelne Überschreitung der roten Linien benannt und gestoppt wird. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen. Was bezwecken die Menschen damit, dass sie Tabubrüche begehen und diese roten Linien überschreiten? – Sie versuchen, die Linien, die wir in unserer Gesellschaft haben, zu verschieben. Meine Damen und Herren, das dürfen wir nicht zulassen.
Abschließend möchte ich sagen: Dieses Land ist immer noch ein Land, in dem Demokratie, Toleranz und Menschenrechte gelebt werden und in dem Antisemitismus geächtet wird. Dieses Land ist stark. Die große Mehrheit der Menschen teilt unseren Grundkonsens.
Mein Appell an Sie alle ist: Sorgen wir dafür, dass dieser Grundkonsens erhalten bleibt. Bleiben wir in dieser Frage beisammen. Sorgen wir alle zusammen dafür, dass Demokratie und Menschenrechte verteidigt werden und Angriffe wie die, die wir erlebt haben, egal von wem, geächtet werden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Judenfeindschaft und Antisemitismus haben in Europa eine schreckliche jahrhundertelange Tradition. Jüdinnen und Juden werden seit mehr als 1.500 Jahren als angebliche Verursacher aller möglichen Fehlentwicklungen ausgrenzt, verfolgt, vertrieben und ermordet.
Im 19. Jahrhundert entstand in Europa die politische Ideologie des Antisemitismus. Dieser Antisemitismus bereitete im 20. Jahrhundert den ideologischen Nährboden für den deutschen Faschismus, der den Massenmord an den europäischen Juden staatlich organisierte und industriell durchführte. Aus diesem großen Menschheitsverbrechen entspringt die besondere Verantwortung, sich konsequent dem Antisemitismus, aber auch allen faschistischen Bestrebungen entgegenzustellen.
Auch heute, mehr als 70 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus durch die Alliierten, ist der Antisemitismus keineswegs überwunden. Nach dem ersten Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus von 2011 sind latent antisemitische Einstellungen und Denkmuster, die sich nicht in Straftaten äußern, in Deutschland in erheblichem Umfang bis in die Mitte der Gesellschaft verankert. So belegen verschiedene Untersuchungen seit vielen Jahren – es ist auch hier und heute gesagt worden – einen Anteil von 20 % der Bevölkerung mit latent antisemitischen Einstellungen.
Die praktischen Konsequenzen des nach wie vor virulenten Antisemitismus lassen sich bedauerlicherweise tagtäglich beobachten. So verzeichneten die Behörden für 2017 – es ist schon gesagt worden – 1.400 antisemitische Straftaten.
Jüdische Einrichtungen in Deutschland müssen auch heute noch von der Polizei geschützt werden. Jüdische Friedhöfe werden regelmäßig von Antisemiten geschändet. Zu den Erkenntnissen des ersten Expertenberichts zählte, dass das rechtsextremistische Lager in Deutschland weiterhin der wichtigste politische Träger eines manifesten Antisemitismus ist. Rund 90 % aller antisemitischen Straftaten werden von Tätern begangen, die dem rechten Spektrum zugeordnet werden.
In der aktuellen Debatte bekommt man mitunter den Eindruck, oder es wird der Eindruck erweckt, Muslime und Migranten seien in der Hauptsache Verursacher von Antisemitismus. Der zweite Expertenbericht, der in diesen Tagen vorgestellt wurde, warnt ausdrücklich davor, die Bedeutung des Rechtsextremismus beim Antisemitismus zu vernachlässigen oder zu verharmlosen.
Wir als Fraktion vertreten die Auffassung, dass Antisemitismus ein Problem der gesamten Gesellschaft ist, unabhängig davon, ob es Alteingesessene oder neu Hinzugekommene sind. Es ist ein Problem der gesamten Gesellschaft, aus deren Mitte der Antisemitismus immer wieder entspringt. Deshalb bedarf es einer nachhaltigen und öffentlichen Thematisierung des Problems Antisemitismus.
Das gilt insbesondere auch in Zeiten, in denen eine im Bundestag vertretene Partei, die sich auch anschickt, in den Hessischen Landtag einzuziehen, davon spricht, die deutsche Erinnerungskultur aufzubrechen, deren Fraktionsvor
sitzender das Holocaustmahnmal in Berlin als ein „Mahnmal der Schande“ bezeichnet, und in denen im Stuttgarter Landtag ein Vertreter einer Partei sitzt, der aufgrund seiner antisemitischen Schriften höchstrichterlich als Holocaustleugner bezeichnet werden darf. Diesen antisemitischen Tendenzen gilt es entschieden entgegenzutreten.
Für DIE LINKE bleibt die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte und den Ideologien der heutigen extremen Rechten ein entscheidender Punkt im Kampf gegen den Antisemitismus. Projekte, die sich gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus richten, müssen dauerhaft finanziell abgesichert werden. Die historischen Erinnerungsorte an den Faschismus müssen erhalten und eine ausreichende finanzielle Ausstattung gesichert werden. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte muss gefördert werden, und natürlich gilt es, das jüdische Leben in Deutschland und in Hessen weiter zu fördern und zu verbreitern. Dazu gehört auch die Unterstützung der entsprechenden kulturellen, akademischen und gesellschaftlichen Einrichtungen.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Herr Josef Schuster, hat in diesen Tagen gesagt: „Wir haben uns in Deutschland viel zu gemütlich eingerichtet. Ein bisschen Antisemitismus, ein bisschen Rassismus, ein bisschen Islamfeindlichkeit – ist doch alles nicht so schlimm? Doch, es ist schlimm.“
Da hat der Vorsitzende zweifelsohne recht. Natürlich müssen wir in Hessen Antisemitismus entschieden entgegentreten – ebenso entschieden wie allen anderen ausgrenzenden menschenfeindlichen Einstellungen und Handlungen auch.
Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich gemeldet, weil ich zwei Dinge auch noch einmal betonen möchte. Ja, der Antisemitismus ist ein Problem unserer gesamten Gesellschaft, und zwar nicht erst, seitdem in Berlin die Vorfälle passiert sind. Deswegen wünsche ich mir, dass wir dieses Thema immer wieder aufgreifen und nicht nur zur Aktuellen Stunde, weil wir einen Anlass geliefert bekommen haben.
Wenn wir ernsthaft dieses Thema in unserer Gesellschaft diskutieren wollen, dann haben wir die Anlässe auch schon vor zehn oder 15 Jahren gehabt. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum wir hier im Land Hessen einen Antidiskriminierungsbeauftragten haben – weil uns klar ist, dass in bestimmten Bereichen Handlungsbedarf besteht.
Von daher wünsche ich mir, dass wir das nicht nur als Reaktion auf die Berliner Ereignisse behandeln, die da stattgefunden haben, weil ein Migrant gekommen ist und den jungen Menschen verprügelt hat. Ich finde es auch gut, dass er sich der Polizei gestellt hat. Ich hoffe auch, dass damit der Täter vielleicht Einsicht gewinnen kann. Denn wir müssen in dieser Gesellschaft, wenn wir ernsthaft das Antisemitismusproblem lösen wollen, tagtäglich damit zu tun haben und nicht nur zur Aktuellen Stunde.
Ich möchte eine Sache noch einmal betonen: Es gibt den Antisemitismus in Deutschland nicht erst, seitdem die Migranten hierher zugezogen sind.
Es ist aber auch klar, dass in vielen Migrantenfamilien und muslimischen Familien der Antisemitismus sehr stark bagatellisiert wird. Wenn wir das mit dem Namen benennen, sodass eben auch die Familien hier in die Verantwortung genommen werden müssen, wünsche ich mir definitiv viel mehr Räume in den Schulen, eine ganz andere Stärkung der Lehrerinnen und Lehrer. Ich wünsche mir auch eine ganz andere Unterstützung der Eltern, dass vor allen Dingen dann, wenn antisemitische Themen im Alltag diskutiert werden, dafür Räume in den Schulen geschaffen werden.
Wir wollen einen Antisemitismusbeauftragten einrichten. Es ist wichtig, dass das nicht nur eine symbolhafte Handlung bleibt. Als ich im Dezember 2016 in Israel war, habe ich mich sehr darüber gewundert, dass sehr viele jüdische Menschen aus Frankreich zurück nach Israel gegangen sind, weil sie das Gefühl hatten, der Antisemitismus, den sie jeden Tag erleben, wird von der Gesellschaft einfach geduldet, nicht zur Kenntnis genommen, und sie werden nicht unterstützt.
Dass junge jüdische Franzosen auswandern mussten, war für mich ein Schock. Das ist etwas, was wir hier in Deutschland auf gar keinen Fall zulassen dürfen. Es ist wichtig, dass wir den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern klarmachen, dass wir ihre Probleme, die sie tagtäglich auch schon vor 20 Jahren in Deutschland erlebt haben – auch vor zehn und 15 Jahren –, ernst nehmen.
Wenn mir deutsche Schüler sagen: „Ich bin nicht mehr verantwortlich für das, was meine Großeltern im Zweiten Weltkrieg verursacht haben, und das liegt nicht mehr in meiner Verantwortung“, dann ist das genauso eine alarmierende Aussage, die wir nicht mit einem Schulterzucken zur Seite legen dürfen, wie wenn junge Muslime sagen, die Politik Israels sei quasi Grund genug, um antisemitisch zu sein. Auch da müssen wir aufpassen. Antisemitismus darf auf keinen Fall mit politischer Kritik vermischt werden.
Wenn wir heute Probleme in der Gesellschaft diskutieren, dürfen wir es auch nicht zulassen, dass deutsche junge Menschen, die in Deutschland auf der Suche nach ihrer Identität sind, leichtfertig sagen: „Mit dem, was meine Großeltern gemacht haben, habe ich heute nichts mehr zu tun.“ – Doch, wir haben etwas damit zu tun. Die Verantwortung tragen wir zusammen. Lassen Sie uns deswegen öfter über dieses Thema reden und nicht nur in einer Aktuellen Stunde, wenn etwas in Berlin passiert ist. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In Hessen darf es keinen Platz geben für Antisemitismus, genauso wenig darf es Platz geben für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Ich begrüße sehr, dass der Hessische Landtag heute – wenn man einmal alles in allem zusammennimmt – doch recht übereinstimmend ein klares Bekenntnis abgeliefert hat. Das ist kein Ritual. Das ist eine Notwendigkeit, um vieles von dem, was Sie angesprochen haben, deutlich zu machen.
Um die Sache auf den Punkt zu bringen: Antisemitismus geht nicht nur die Juden an. Das ist nicht nur ein Angriff gegen die Juden. Antisemitismus ist ein Angriff auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, und deshalb ist es ein Angriff auf uns alle.