Protokoll der Sitzung vom 11.09.2018

Ich möchte damit schließen: Wir können stolz darauf sein, dass wir das Ausführungsgesetz zum Bundesteilhabegesetz in dieser Woche gemeinsam verabschieden werden. Wir gießen dort für die betroffenen Menschen eine klare Regelung in Gesetzesform. Wir schaffen an dieser Stelle klare

Kompetenzzuweisungen, stärken den Landeswohlfahrtsverband weiterhin als unseren zentralen Träger und unterstützen ihn an dieser Stelle auch.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich danke Ihnen für die bisherigen Beratungen, auch für die Anregungen, die im Rahmen der Anhörung gekommen sind, und freue mich jetzt auf die noch folgende Debatte. Wir werden für die betroffenen Menschen in dieser Woche das Gesetz in Kraft setzen. – Herzlichen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Reul. – Das Wort hat der Abg. Gerhard Merz für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich teile vieles von dem, was Kollege Reul gesagt hat. Nachdem wir im Vorlauf zu diesem Gesetzentwurf eine sehr lange Debatte gehabt haben und die große und entscheidende Frage der grundsätzlichen Zuständigkeiten, wie wir finden, richtig gelöst worden ist und jetzt mit den Ergänzungen im Änderungsantrag von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch noch einmal präzisiert wird, wie es das Ergebnis der Anhörung war, glaube ich, dass über den großen Punkt und über die Gesamtanlage des Gesetzes kein Streit besteht und im Grunde auch kein Streit in der ersten Lesung bestand, sodass wir unser weiteres Stimmverhalten – ich will das gleich am Anfang zusammenfassen – von den weiteren Beratungen heute im Ausschuss zur Vorbereitung einer dritten Lesung, die ich hiermit beantrage, abhängig machen werden. Ich werde im weiteren Verlauf meiner Rede noch ein paar Anmerkungen dazu machen, was aus unserer Sicht noch änderungs- und klärungsbedürftig wäre.

Lassen Sie mich aber zunächst eine grundsätzliche Vorbemerkung machen und dann noch einmal eine zum Verfahren. Die grundsätzliche Vorbemerkung ist die, dass sich mit dem Bundesteilhabegesetz und mit dem, was wir jetzt hier als Anpassungsgesetz verabschieden, in der Tat ein Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe weiter Bahn bricht, nämlich der Wechsel von dem Gedanken der Fürsorge zu dem Gedanken der gleichberechtigten Teilhabe.

Das soll man nicht geringschätzen. Das spiegelt sich auch im Titel wider. Aber es ist eben mehr als nur eine Frage der Bezeichnung, sondern es ist ein Stück gelebte gesetzliche Realität. Unsere Aufgabe wird nun sein, daraus auch eine gelebte Praxis im Zusammenleben und im Zusammenwirken von Behörden und behinderten Menschen, von behinderten Menschen und ihren Organisationen usw. – also in allen gesellschaftlichen Bereichen, auf die es hier ankommt – zu machen und dafür zu sorgen, dass gleichberechtigte Teilhabe als Basis für gesellschaftliche Gerechtigkeit hier Platz greifen kann.

Vorhin sollte im Rahmen der Regierungserklärung über die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhaltes geredet werden. Dies ist eine der großen Fragen, bei der sich gesellschaftlicher Zusammenhalt beweisen muss, nämlich bei der Frage, wie wir den Schwachen, den Schwächeren, den Verwundbaren, den Vulnerablen – wie man heute sagt –

die Möglichkeit zu gleichberechtigter Teilhabe ermöglichen.

Ich habe gesagt: den Schwachen. Ich glaube, es ist auch ein Wechsel in der Betrachtung, dass diese Schwachen durchaus auch ihre Stärken haben und deswegen auch etwas in unser gesellschaftliches Zusammenleben einzubringen haben. Das wird an einem Punkt in meinen weiteren Ausführungen noch eine Rolle spielen.

Lassen Sie mich zweitens sagen: Man kann an dem Beispiel sehen, wie gut es ist, wenn man sich wenigstens ein bisschen mehr Zeit lässt, und wie gut es ist, wenn man eine mündliche Anhörung durchführt. Denn in dieser mündlichen Anhörung ist in der Tat eine Reihe von Dingen gesagt worden, die sich jetzt auch in den Änderungsanträgen widerspiegeln – sowohl in dem, den die Koalition vorgelegt hat, als auch in dem, den wir vorgelegt haben.

Ich will allerdings immer noch kritisch anmerken, dass es für eine Oppositionsfraktion in dieser Frist, die wir jetzt hatten, nicht ganz einfach war, ein Gesetz mit so komplexen Regelungen vollständig mit einem vernünftigen Änderungsantrag zu belegen. Wir haben uns deswegen auf einige Punkte konzentriert. Wir nehmen zur Kenntnis, dass Sie noch ein paar Punkte mehr gefunden haben, die zu ändern waren. Ich sage es noch einmal – und Sie wissen, warum ich es sage –: Es war klug, sich hier die Zeit für eine mündliche Anhörung zu nehmen.

Dies alles wollte ich vorausgeschickt sagen. Nun komme ich zum Inhalt. Zu der großen Frage der Zuständigkeit ist viel gesagt worden. Es ist gut, dass wir das Lebensabschnittsmodell haben. Es ist realitätsgerecht, dass der erste Abschnitt mit dem ersten Schulabschluss endet, mit der jetzt stattgehabten Klarstellung. Es ist gut, dass der Landeswohlfahrtsverband weiterhin in der Zuständigkeit bleibt, weil dies auch eine Frage der Gerechtigkeit ist und eine Frage der Nichtabhängigmachung der Leistungen für behinderte Menschen von der jeweiligen Finanzkraft oder dem jeweiligen Gutdünken einer Kommune. Sie wissen, dass für uns in dieser Frage die Einheitlichkeit der Lebensbedingungen in Hessen immer die entscheidende war. Deswegen begrüßen wir diese gefundene Lösung klar und unzweideutig.

Dies vorausgeschickt, möchte ich vier Anmerkungen eher kritischer Art machen. Ich verstehe nach wie vor nicht, warum man im Vorblatt die positiven Auswirkungen auf die Lebenssituation behinderter Menschen nicht herausstellt. Sie haben versucht, das zu erklären, Herr Minister. Ich habe es nach wie vor nicht verstanden. Aber das ist das geringere meiner Probleme.

Bei dem Inklusionsbeirat wird die Sache schon etwas kritischer. Es ist gut, dass Sie sich hier überhaupt noch einmal zu einer Änderung bewegt haben. Ich finde die Änderung, wie Sie sie jetzt vorgelegt haben, allerdings nicht wirklich klug und auch nicht zwingend.

Es werden jetzt die Mitglieder eines Inklusionsbeirats bei der Landesbeauftragen für die Belange Behinderter, der selber keine gesetzliche Grundlage hat, zur Ausgangsbasis genommen für eine Interessenvertretung, die im Gesetz festgehalten wird. Ich finde, da werden die Dinge auf den Kopf gestellt. Ich finde insofern den von uns gemachten Vorschlag, dass man die Landesregierung auffordert, eine solche Interessenvertretung zu bilden, dass der Kreis derer, aus denen die Interessenvertretung zu bilden wäre, definiert ist und die Aufgaben definiert werden, deutlich logi

scher und deutlich zwingender von der gesetzgeberischen Logik her als das, was Sie hier vorschlagen.

Denn ich glaube nicht, dass es klug ist, eine Interessenvertretung, die gesetzliche Aufgaben oder Aufgaben nach einem Gesetz wahrnimmt, von einem Gremium bestellen zu lassen, für das es keine gesetzliche Grundlage gibt und das von jemandem berufen wird, der das im Grunde mehr oder weniger nach eigenem Gutdünken berufen kann. Und innerhalb dieser so zusammengesetzten Gruppe werden dann wiederum einige berufen, ein gesetzliches Gremium zu bilden. – Ich finde das, mit Verlaub, nicht logisch.

Zweiter Punkt. Die Frage des Rechts auf anlasslose Prüfung haben Sie nicht geändert. Ich glaube, dass das im Zusammenhang mit dem nächsten Punkt steht, den ich ansprechen will, nämlich der Frage der Fachaufsicht. Ich glaube, dass es da einen Zusammenhang gibt. In beiden Fällen geht es aus unserer Wahrnehmung um eine Art Kompromiss mit einem Teil der Kommunalen Spitzenverbände und möglicherweise auch um einen Interessenkonflikt in einer der beiden Regierungsfraktionen, der sozusagen der Nachhall der großen Debatte um die Frage der Zuständigkeit des LWV – ja oder nein – ist.

Es ist der Versuch, hier eine Kontrollmöglichkeit über den LWV bzw. über die Art und Weise der Leistungsgewährung auszuüben und insofern den Bedenken insbesondere aus dem Städtetag entgegenzutreten. Wahrscheinlich haben die meisten von Ihnen, die sich mit der Materie befassen, den, wie ich finde, nicht besonders feinen Kommentar in der letzten Ausgabe der Mitteilungen des Hessischen Städtetages gelesen. Er war noch einmal eine Art Nachtreten in dieser Angelegenheit.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass sowohl das Recht auf anlasslose Prüfung als auch die neue Art der Fachaufsicht über die zukünftigen Träger der Eingliederungshilfe nicht gerechtfertigt sind. Ich weiß gar nicht, wo es so etwas sonst gibt. Dass die Aufsichtsbehörden in dem Fall, wo der Verdacht besteht, dass rechtswidrig oder unwirtschaftlich gehandelt wird, eingreifen müssen, ist klar. Aber ein Recht auf anlasslose Prüfung halten wir für nicht sachgerecht und dem Vertrauen, das zwischen den Trägern und den Behörden herrschen sollte, nicht angemessen.

Zu der Frage der Fachaufsicht habe ich bereits in der ersten Lesung etwas gesagt. Ich bin sehr im Zweifel – die Anzuhörenden haben diese Zweifel bestätigt –, ob das mit dem Verfassungsrecht in Einklang zu bringen ist.

Ich finde, die Veränderungen, die Sie eingebracht haben, machen den Entwurf nicht wirklich besser, zumal sie im Wesentlichen aus unbestimmten Rechtsbegriffen besteht. Die Formulierung in der Begründung, „auf allgemeine Anordnung beschränken und in der Regel nicht in die Einzelausführung eingreifen“, ist unklar und wird in der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses zur Vorbereitung der dritten Lesung noch nachzuarbeiten sein. Wir haben noch eine Reihe anderer Fragen, auf deren Beantwortung wir hoffen.

Wie gesagt, wir werden unser Abstimmungsverhalten nach stattgehabter Ausschusssitzung festlegen, und Sie werden am Donnerstag hören, wie es ausgegangen ist.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Kollege Gerhard Merz. – Das Wort hat der Abg. Lenders, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will heute Abend etwas dafür tun, um die Zahl meiner Redebeiträge im Hessischen Landtag in der Statistik noch ein wenig nach oben zu treiben.

(Heiterkeit – Minister Stefan Grüttner: Als Sozialex- perte?)

Meine Kollegen sind echt nett.

(Außer Abg. Jürgen Lenders (FDP) befindet sich kein FDP-Abgeordneter im Saal. – Heiterkeit – Minister Tarek Al-Wazir: Vor allem die, die gleich klatschen werden! – Heiterkeit)

Es ist, wie es ist.

(Heiterkeit)

Ich will jetzt versuchen, die Haltung der Freien Demokraten zu dem Gesetzentwurf wiederzugeben. Wir hätten eine dritte Lesung nicht gebraucht. Wir hätten dem Gesetzentwurf und dem Änderungsantrag, den CDU und GRÜNE eingebracht haben, unsere Zustimmung geben können.

Wir werden dem Antrag der SPD-Fraktion nicht zustimmen können. Das hat vor allen Dingen etwas mit der unterschiedlichen Auffassung unserer Fraktionen beim Thema Inklusionsbeirat zu tun. Der Umfang der Interessenvertretung, den die SPD-Fraktion jetzt formuliert hat, ist uns zu weitreichend.

Wir werden in der Ausschusssitzung bzw. in der Aussprache zur dritten Lesung darüber sicherlich noch ein bisschen diskutieren können. Was aber durchaus unsere Zustimmung findet: Die bisherige Finanzierungspraxis wird beibehalten, und die Rehaträger können weiterhin pauschale Abrechnungen vereinbaren. All das findet unsere Zustimmung. Von daher warten wir die dritte Lesung am Donnerstag ab.

Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, vielleicht kann jemand aus einer anderen Fraktion klatschen. Kollege Lenders fühlt sich sonst so einsam.

(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich stelle für das Protokoll fest, dass es Beifall gegeben hat.

Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Schott, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Widerspruch bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

So ist es nicht? – Dann sage ich: Fraktion DIE LINKE.

(Heiterkeit)

Sind wir uns wieder einig, Kollege Kaufmann? Ich wollte um 19:23 Uhr testen, wie es um Ihre Aufmerksamkeit bestellt ist.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ich schlafe nicht! – Heiterkeit)

Frau Kollegin Schott.

Herr Präsident! Sie haben festgestellt, alle sind noch wach. Das finde ich um die Uhrzeit schön, dem Thema aber auch angemessen; denn das Teilhabegesetz ist schließlich eine ganz wichtige Angelegenheit, die viele Menschen in unserem Land betrifft, und die Zahl derer, die betroffen sind, nimmt zu. Dem muss man Rechnung tragen.

Wir haben vorhin vom Kollegen Merz gehört, dass der Gesetzentwurf einem Wechsel im Duktus der Betrachtung der gesamten Problemlage geschuldet ist. Es spielt leider aber auch der Duktus des Sparens eine Rolle. Das muss man einfach zugeben, und daher muss man sehr genau aufpassen, dass die Art und der Umfang der Teilhabe nicht so gestaltet werden, dass sie letztendlich einem Sparprogramm gleichen. Das ist eine ganz kritische Situation.

Es sind immer mehr Menschen betroffen, und das, was man diesen Menschen angedeihen lässt und angedeihen lassen muss, kostet unsere Gesellschaft viel Geld. Dieses Geld müssen wir aber tatsächlich in die Hand nehmen; denn eine gute Gesellschaft ist daran zu messen, dass sie mit den Schwächeren gut und würdevoll umgeht. Dazu gehört eine echte Teilhabe – nicht eine Teilhabe, die eigentlich ein Sparprogramm ist.

(Beifall bei der LINKEN)