Protokoll der Sitzung vom 05.02.2014

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Vorstudie zur NS-Vergangenheit ehemaliger hessischer Landtagsabgeordneter und die anschließende Fachtagung, an der sich viele von Ihnen, zusammen mit der Kommission, hier beteiligt haben, war ein sehr später, aber sehr wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Hessen.

Unser Dank gilt auch der Fraktion DIE LINKE, Herr Schaus, die dazu den Anstoß gegeben hat, aber auch der Historikerkommission aus dem Kreis der Landtagskommission, die diese Studie vorgelegt hat.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Ab- geordneten der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, es war überfällig, dass dieser Aspekt der Geschichte des Hessischen Landtags beleuchtet wurde. Bei der Vorstudie trat zutage, dass wesentlich mehr hessische Landtagsabgeordnete als bisher angenommen zur Zeit der NS-Herrschaft bei der NSDAP gewesen sind. Herr Schaus hat schon erwähnt, welche Erkenntnisse die Kommission gewonnen hat.

Die Tiefe der Verstrickung in das NS-Regime war unterschiedlich ausgeprägt. Wie schon gesagt: Zwölf Abgeordnete waren Mitglied bei der SS oder der Waffen-SS, 26 bei der SA, und eine Vielzahl von Abgeordneten war Mitglied in NSDAP-nahen Organisationen. Der Vorstudie zufolge betätigten sich einige möglicherweise an militärischen Maßnahmen illegaler oder verbrecherischer Art.

Hieraus ergeben sich selbstverständlich Ansätze für weiter gehende Untersuchungen. Die unterstützen wir.

Unter diesen Abgeordneten ist auch ein Mitglied der GRÜNEN, das 1983/84 hier im Landtag war, allerdings ohne über seine NSDAP-Mitgliedschaft zu informieren. Dieser Abgeordnete wurde am 1. September 1941 im Alter von 18 Jahren als Mitglied in die NSDAP aufgenommen. Nach 1945 zog er aber, soweit wir wissen, persönliche Konse

quenzen und wurde zu einem engagierten Menschen gegen Krieg, Rassismus und Ungerechtigkeit. Dennoch hat er, wie so viele andere, seine Mitgliedschaft nicht offengelegt. Das war ein Fehler. Denn ganz egal, wie tief die Verstrickung in die NSDAP gewesen ist, so war es doch wichtig. Wir hätten es wirklich von allen erwartet, dass sie sich aktiv mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus dieser Vorstudie ergeben sich Fragen zur persönlichen Schuld Einzelner: Hat sich ihre politische Orientierung nach 1945 geändert? Wenn ja, warum? Oder haben sie ihre Orientierung behalten, und hat sie sich gar in politischem Handeln niedergeschlagen? Wieso sind sie überhaupt wieder in Amt und Würden gelangt? Aber vielleicht auch: Welche Seilschaften gab es? Oder: Wie sind die Opfer des Nationalsozialismus – die es hier im Landtag ja auch gegeben hat – und die Täter miteinander umgegangen? Wie wurde die Politik durch die jeweilige Biografie beeinflusst? Welche Rolle hat der 1948/49 gegründete Witikobund gespielt, in dem laut Vorbericht Abgeordnete des Hessischen Landtags sogar eine führende Rolle einnahmen?

Es gibt also noch viele Unklarheiten und viele Fragestellungen. Meine Damen und Herren, deshalb ist es uns auch wichtig, dass hier weiter geforscht wird und wir es bei dem Bisherigen nicht bewenden lassen. Ich glaube, hier besteht Einigkeit mit Ihnen und den LINKEN, Herr Schaus, und mit allen anderen im Landtag.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) und Judith Lannert (CDU))

Meine Damen und Herren, selbstverständlich sind diese Studien kein Selbstzweck. Wir alle wollen aus der Geschichte lernen. Es gibt keinen Schlussstrich unter der Vergangenheit. Ganz im Gegenteil: Anhand der Vorstudie sehen wir, dass es auch hier im Parlament keine Stunde null gab. Es ist ein kontinuierlicher Prozess, der uns weitere wichtige Einblicke in unsere Geschichte gibt. Wir alle stehen in der Verantwortung, der jetzigen und den nachfolgenden Generationen deutlich zu machen, wozu Rassenhass, Antisemitismus, Antiziganismus, die Verfolgung politisch und religiös Andersdenkender, die Verfolgung Homosexueller und behinderter Menschen geführt haben. Es ging damals, aber auch heute, darum, sich dieser menschenverachtenden Gesinnung entgegenzustellen.

Wenn hier Aufklärung über die NS-Vergangenheit betrieben wird, geht es auch um unsere demokratische Selbstvergewisserung und um unsere Institution. Was nicht aufgeklärt und aufgearbeitet wird, kann uns irgendwann wieder einholen. Meine Damen und Herren, wir sollten diesen Prozess einmütig begleiten. Dieses Thema taugt nicht für eine politische Auseinandersetzung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der LINKEN und der FDP)

Liebe Frau Kollegin Feldmayer, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Ich möchte uns alle auffordern, uns gemeinsam diesem Prozess zu widmen. Wir sollten ihn politisch nicht instrumentalisieren und ihn vor allen Dingen auch weiterhin befördern.

Zum Schluss noch ein Zitat von Fritz Bauer, das ich mir angesichts des 50. Jahrestags der Auschwitz-Prozesse anzubringen erlaube. Fritz Bauer hat gesagt – ich zitiere –:

Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.

Fritz Bauer war davon überzeugt: Wenn die junge deutsche Demokratie dauerhaft Freiheit und Gerechtigkeit garantieren will, muss sie ihre Vergangenheit bewältigen. – In diesem Sinne, im Sinne von Fritz Bauer, möchte ich, dass diese Arbeit fortgesetzt wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Abg. Günter Rudolph, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Hessische Landtag hat im Mai 2011 beschlossen, dass es eine Studie geben soll, die sich mit der NS-Vergangenheit ehemaliger hessischer Landtagsabgeordneter befasst. Wir haben damit gegenüber anderen Landesparlamenten eine Vorreiterrolle übernommen.

Wer sich das Ergebnis der 70-seitigen Studie anschaut, wird feststellen: Es war Zeit, dass wir uns auch mit unserer eigenen Vergangenheit beschäftigt und auseinandergesetzt haben, und manche Ergebnisse hatten wir so nicht erwartet. Deswegen ist diese Vorstudie nur der Beginn der Auseinandersetzung mit unserer eigenen Vergangenheit.

Über 400 Abgeordnete wurden überprüft. Fast alle Parteien, die damals politisch aktiv waren, waren betroffen. Parteien, die damals noch nicht existierten – das passt an der Stelle –, genießen an der Stelle die Gnade der späten Geburt. Ich will aber auch in Richtung meiner eigenen Partei sagen: Obwohl die SPD neben der KPD die Partei war, die am härtesten und brutalsten verfolgt wurde, waren auch Sozialdemokraten Mitglied der NSDAP oder entsprechender NS-Einrichtungen. Das ist eine Erkenntnis, die wir uns zu eigen machen müssen, um daraus die richtigen und notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

Ich will ein Zweites hinzufügen. Man muss natürlich auch die geschichtlichen Zusammenhänge und Zeitabläufe sehen. Deswegen besteht zwar die Gefahr, dass wir fragen: „Wie konnte so etwas sein?“, aber es gibt darauf keine abschließende Antwort. Deshalb ist es notwendig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns diesem Thema weiter zuwenden.

In der 5. Wahlperiode des Landtags, von 1962 bis 1966, waren 34 % der Abgeordneten Mitglied der NSDAP gewesen. Offensichtlich war die Zeit damals nicht reif – oder man war nicht willens –, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Da muss man ansetzen, da müssen

wir Mechanismen finden, wie so etwas im Rahmen der politischen Bildung aufgearbeitet werden kann. Wir begehen in diesem Jahr den 75. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass diese Demokratie wehrhaft ist, dass menschenverachtende Systeme, Parteien und Strukturen auf deutschem Boden niemals mehr entstehen können. Das ist ein gemeinsamer Auftrag aller demokratischen Parteien. Deswegen war diese Vorstudie – ebenso wie die öffentliche Anhörung hier im Landtag – ein erster wichtiger Schritt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und der FDP)

Wir haben damals im Ältestenrat gesagt – so ist meine Erinnerung, ich bitte, mich zu korrigieren, wenn das nicht stimmt –: Wir werden diese Arbeit in der neuen Wahlperiode fortsetzen. – Deswegen sage ich für die Sozialdemokratische Partei: Wir können den beiden vorgelegten Anträgen zustimmen, aber wir halten sie für entbehrlich, weil wir uns ein anderes Verfahren wünschen. Wir wünschen uns, dass der Ältestenrat für den gesamten Landtag den Auftrag formuliert, wie wir in der 19. Wahlperiode mit unserer eigenen Geschichte weiterhin umgehen. Deswegen finde ich es sehr, sehr schade – und sage das sehr, sehr deutlich –, dass die LINKE mit einem Antrag vorgeprescht ist und dass CDU und GRÜNE in den üblichen Reflex verfallen sind, einen eigenen Antrag vorzulegen. Ich finde, eine Lehre aus der Geschichte sollte sein, dass wir gemeinsam dagegen vorgehen müssen, dass demokratische Strukturen erschüttert werden, und gemeinsam verhindern müssen, dass menschenverachtende Systeme überhaupt eine Chance bekommen. Deshalb haben wir zu Beginn der Wahlperiode eine Chance vergeben, indem wir wieder in alte Rituale zurückgefallen sind.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb bitte ich darum, dass unter Führung des Ältestenrats, unter Führung des Landtagspräsidenten der Auftrag formuliert wird, zu vereinbaren, wie wir in dieser Wahlperiode mit diesem Thema umgehen, welche Strukturen wir anlegen wollen.

Wichtig wäre für uns auch Folgendes – da hat Kollege Schaus ausdrücklich recht –: Es geht nicht nur um die Verstrickung politischer Mandatsträger, sondern auch um Verstrickungen in der Beamtenschaft. Dieser Punkt ist nämlich unterschätzt worden. Eine Aufarbeitung an dieser Stelle findet auf der Bundesebene bereits statt. Das ist teilweise schwierig. Es gibt beispielsweise Arbeitsgruppen im Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen, in denen man sich dieser Thematik zuwendet. Es waren nämlich auch Menschen unterhalb der politischen Ebene für Gräueltaten und die Schaffung unmenschlicher Strukturen mitverantwortlich. Sie waren Teil des Problems.

Ein weiterer Aspekt, den wir gern einbringen möchten: Wie können wir uns diesem Thema in der politischen Bildungsarbeit, etwa an den Schulen, zuwenden? Eine sinnvolle Anregung gibt es schon, nämlich die Planspiele, in deren Rahmen Schulklassen drei Tage hier im Landtag sind. Die Rückmeldungen, die wir bekommen, besagen: Das ist beispielhaft; so kann man Demokratie hautnah erleben. – Wir sollten uns gemeinsam überlegen, wie wir diesen Aspekt noch verstärken können, wenn wir uns mit unserer eigenen Geschichte auseinandersetzen.

Deswegen hoffe ich, dass es gelingt, dass sich fünf Parteien gemeinsam mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen und dass wir die üblichen Spiele – die einen stellen einen Antrag, die anderen einen Gegenantrag – endlich beenden.

(Beifall bei der SPD)

Wenn der Wunsch nach einem neuen Stil auch nur ansatzweise ernst gemeint ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann sollten wir das endlich einmal ausprobieren. Ich finde, die Aufarbeitung unserer eigenen Geschichte ist viel zu wichtig, als dass hier kleines parteipolitisches Karo gespielt werden könnte. Deshalb machen wir da nicht mit.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Abg. Caspar, CDU-Fraktion.

Meine Damen und Herren! Zunächst will ich grundsätzlich feststellen, dass ab 1945 im Rahmen der Aufarbeitung der Zeit des nationalsozialistischen Gewaltregimes in den verschiedensten Bereichen unserer Gesellschaft der Frage, wer in den Landtagen, im Deutschen Bundestag und auch schon in den verfassungsgebenden Versammlungen saß und vor Kriegsende Mitglied der NSDAP oder einer nationalsozialistischen Gliederung gewesen war, nicht angemessen nachgegangen wurde.

Um dieses Defizit aufzulösen, hat der Hessische Landtag – auf Vorschlag des Landtagspräsidenten, Herrn Kartmann, dem ich dafür ausdrücklich danken möchte, und auf Beschluss des Ältestenrats – die Historische Kommission für Hessen mit der Aufarbeitung der parlamentarischen Geschichte Hessens beauftragt.

Eine Arbeitsgruppe von Historikern, die von der genannten Historischen Kommission einmütig ausgewählt wurden, hat sich dieser Aufgabe angenommen. Ihre Arbeit wurde vom Historiker und Leiter des Hessischen Staatsarchivs in Marburg, Herrn Dr. Hedwig, koordiniert. Ich denke, es ist wichtig, zu erwähnen, dass dieser Arbeitsgruppe kein Mitglied aus der Politik angehörte. Man sieht daran, dass wir das ganz bewusst nicht zu einem parteipolitischen Thema machen wollten. Deshalb kann ich die Kritik von Herrn Rudolph nicht akzeptieren. Herr Rudolph, das, was Sie gesagt haben, ist verständlich – gemessen an dem, was, wie Sie zu Recht sagten, vereinbart worden ist. Wenn eine Fraktion aber einen Antrag stellt, dann muss man aus diesem Antrag parlamentarisch etwas machen. Unser Petitum ist deswegen, beide Anträge an den Ältestenrat zu überweisen und dort zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Ich glaube, dann ist alles wieder auf dem Weg, der von den Fraktionen des Hauses gewünscht wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

In den Planungen dieser Arbeitsgruppe, die in Abstimmung mit dem Landtag tätig war, war auch vorgesehen, dass am Ende der Untersuchungsphase ein Symposion mit Fachreferenten und mit Fachpublikum im Landtag veranstaltet wird. Dieses Symposion fand auch statt.

Darüber hinaus wurde als Ziel dieser Arbeit definiert, eine wissenschaftliche Grundlage für zukünftige Forschungsarbeiten zu schaffen. Daraus folgt, dass natürlich nicht beabsichtigt war, den Vorgang mit der Beendigung der Forschungsarbeiten und der Verteilung der Broschüre über das durchgeführte und über Hessen hinaus beachtete Symposion abzuschließen.

Im Gegenteil, gerade die Fortführung der Forschungen zu Personen und Sachverhalten im Zusammenhang mit den bisherigen Erkenntnissen – welche Erkenntnisse auch immer – war und ist eine Zielsetzung, die der Arbeitsgruppe klar war und die sie daher auch stets verfolgt hat.

In Summe dieser von mir dargestellten Grundsätze und Ziele ist festzustellen, dass eine Vergabe von Forschungsaufträgen durch den Hessischen Landtag nicht diesen Grundsätzen und Zielen entsprechen würde. Tatsache ist auch, dass der Antrag der LINKEN in vielen Teilen nicht den Grundsätzen und Zielen entspricht, die der Arbeit der Kommission zugrunde liegen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Was?)

Der Entschließungsantrag der drei anderen Fraktionen entspricht ihnen sicherlich eher. Der Antrag der drei Fraktionen liegt ganz auf der Linie des bisherigen gemeinsamen Vorgehens. Die Kommission gewährt eine parteipolitisch unabhängige Behandlung der Themen. Sie soll und wird uns Vorschläge über weitere Forschungsvorhaben machen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)