Protokoll der Sitzung vom 04.03.2015

Entfernungen zurückzulegen sind. Denen muss man wirklich sehr dankbar sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein besonderes Manko gibt es allerdings bei den Kinderund Jugendpsychotherapiepraxen. Hier ist die Hälfte der Sitze nicht besetzt. Es gibt ganze Regionen, die völlig unterversorgt sind. Wir gehen nicht davon aus, dass zufällig in diesen Regionen die zunehmende Belastung der Kinder durch psychische Erkrankungen, wie sie die Kindergesundheitsstudie festgestellt hat, nicht zutrifft. In Osthessen gibt es gar keine Praxis für Kinder- und Jugendpsychotherapie. In der Region Starkenburg fehlen sieben Kolleginnen und Kollegen. Selbst in der Rhein-Main-Region gibt es einen Mangel, und das bei abnehmender Tendenz, sodass wir auch hier von zunehmenden Praxisaufgaben ausgehen müssen.

Diese Lücken müssen die Ärztinnen und Ärzte füllen, die noch da sind. Die müssen bis zu dreimal so viele Patientinnen und Patienten wie der Durchschnitt versorgen. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten können einige Aufgaben, aber nicht alles übernehmen. Auch wenn hier von einer überdurchschnittlichen Versorgung gesprochen wird, entspricht dies nicht der Realität vor Ort. Durchschnittlich warten Eltern, Kinder und Jugendliche über ein halbes Jahr auf einen Platz in einer psychotherapeutischen Praxis. Ein halbes Jahr nachdem man sich nach vielen Untersuchungen und Überlegungen, Zweifeln und Erschütterungen entschieden hat, es mit einer psychotherapeutischen Behandlung zu versuchen, hat man eine Chance auf einen Platz. Das auch nur, wenn man immer und immer wieder anruft, sich bei vielen verschiedenen Therapeuten anmeldet und Gott und die Welt in Bewegung setzt, um überhaupt einen Termin zu bekommen. Das ist ein untragbarer Zustand.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sehen die Folge dieses Mangels ganz schnell, diese zeigt sich nämlich in der Zunahme der stationären Behandlungen. Die Bettenzahl in der Kinder- und Jugendpsychiatrie hat in zwölf Jahren um mehr als ein Drittel zugenommen, die Fallzahlen haben um sage und schreibe 75 % zugenommen und die Verweildauer um mehr als ein Viertel. Allein innerhalb eines Jahres erhöhten sich die stationären Behandlungsfälle um fast 15 % in den stationären und um 35 % in den teilstationären Einrichtungen. Hier erwarten wir eine deutliche Erklärung und eine Antwort der Landesregierung darauf, wie sie diese Problemlage angehen will.

(Beifall bei der LINKEN)

Überall in der Medizin, aber gerade in der Psychiatrie gilt der Grundsatz, dass eine gute ambulante Versorgung stationäre Aufnahme überflüssig macht. Hier wird wohl am falschen Ende gespart. Das erhöht Leid bei den Kindern, den Jugendlichen und ihren Familien und erhöht am Ende die Kosten bei den Krankenversicherungen. Wir sehen die Versorgung als gefährdet an. Die Landesregierung muss handeln.

Nun noch ein paar Sätze zu Kinderkliniken. Eine Kinderstation ist für jede Klinik ein wirtschaftliches Risiko, weil der Aufwand nie von der Krankenkasse übernommen wird. Da ist es zynisch vonseiten des Sozialministers, zu sagen, das DRG-System würde die tatsächlichen Kosten abbilden, die im Krankenhaus im Rahmen einer Behandlung entstehen.

Sie haben sicherlich schon einmal von der Aktion „Rettet die Kinderstation“ gehört. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und die Gesellschaft für Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen in Deutschland schlagen seit einem Jahr unter diesem Motto Alarm. Die zukünftige nachhaltige Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Kinderkliniken, Abteilungen für Kinder- und Jugendmedizin und in der Kinderchirurgie ist in Gefahr.

Frau Kollegin, seien Sie so lieb und kommen zum Schluss.

Noch zwei Sätze, dann komme ich zum Ende. – Es gäbe sicher noch einiges mehr zur Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage zu sagen. Beim Kongress der Kinder- und Jugendärzte in Bad Orb wurde eine Reihe von wichtigen Forderungen formuliert – schauen Sie sich diese an, sie sind ein Leitfaden für politisches Handeln. Arbeiten Sie sie ab, dann haben wir eine Chance auf eine gute Versorgung. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schott. – Das Wort hat die Abg. Dr. Sommer, SPD-Fraktion.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Jetzt wird es Sommer!)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kindergesundheit war lange kein so politisches Thema und noch nicht so medienpräsent wie heute. Die Gruppe der Kinder und Jugendlichen war lange Zeit diejenige Bevölkerungsgruppe in Deutschland, über deren Gesundheit am wenigsten bekannt war.

In der Beantwortung der Großen Anfrage, Drucks. 19/749, erklärt uns die Landesregierung, dass es eine Unterversorgung in diesem Bereich nicht gebe. Dennoch ist Unter- und Überversorgung immer wieder ein Thema und wird in der Zukunft noch brisanter werden.

(Beifall bei der SPD)

Die Landesregierung verspricht uns allerdings, sich um eine ausreichende Versorgung zu kümmern. Wir werden das beobachten und schauen, ob dies tatsächlich der Fall sein wird. Nicht zu vernachlässigen sind hier neben den Kinderärzten auch Fachabteilungen der Kinderheilkunde, Geburtshilfestationen, Hebammen, die psychiatrische Versorgung – deren Bestand darf nicht gefährdet werden.

Frau Abg. Schott hat es eben schon erwähnt: Neben der subjektiven Gesundheit sind es allergische Erkrankungen, psychische Auffälligkeiten, Übergewicht, Adipositas, Störungen des Essverhaltens, Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen, um nur einige Bereiche zu nennen, bei denen ein großer Bedarf besteht und in denen auffällige Befunde vorhanden sind.

Die Landesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, sich der Gesundheitskompetenz im Bereich der Kinder und Jugend

lichen zuzuwenden, und verlautbart, Prävention und Gesundheitsförderung würden im Alltag beginnen und hätten einen hohen Stellenwert. Gerade hier müssten Empowerment-Ansätze besser zum Tragen kommen und vor allem langfristig vernetzt werden. – Auf diesen Aspekt möchte ich später noch einmal eingehen.

Zunächst möchte ich aber die zunehmenden gesellschaftlichen Ungleichheiten in den Fokus rücken. In der vorliegenden Anfrage wurde die Landesregierung aufgefordert, zum Zusammenhang von sozialer Lage und der gesundheitlichen Situation von Kindern und Jugendlichen Stellung zu nehmen. Diese Möglichkeit hat die Landesregierung nicht genutzt, wenngleich diese Aspekte unter VII. „Kindervorsorge- und Schuleingangsuntersuchungen“ angerissen wurden. Hier hätten Sie übrigens die Möglichkeit, genau diese Daten zu erheben, uns Auskunft zu geben und auf fundierter Datengrundlage bedarfsgerechte Maßnahmen zu entwickeln.

(Beifall bei der SPD)

Aber nein, eine Stellungnahme bekommen wir von Ihnen nicht. Ich aber möchte darauf eingehen. Die gesellschaftlichen Ungleichheiten machen sich in den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen in besonderem Maße bemerkbar. Die finanzielle und soziale Lage beeinflusst maßgebend ihre Chance bzw. ihr Risiko, gesund aufzuwachsen und auch in späteren Jahren eine gesunde Zukunft zu haben oder eher gefährdet zu sein, krank aufzuwachsen oder krank zu werden. Vor diesem Hintergrund stellen Kinder und Jugendliche, die unter ungünstigen Lebensumständen groß werden, für die Gesundheitspolitik eine bedeutende Zielgruppe dar.

(Beifall bei der SPD)

Der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey, auf den Frau Schott bereits verwiesen hat, als komplex angelegte Gesundheitsstudie für Kinder und Jugendliche hat gezeigt, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien sowie aus Familien mit Migrationshintergrund – das ist zum Teil analog zu den Befunden der Kindervorsorge- und Schuleingangsuntersuchungen in Hessen – häufiger von Übergewicht und Adipositas betroffen sind, häufiger zu den Rauchern gehören, weniger gestillt wurden, seltener regelmäßig Sport treiben, mehr Freizeit vor dem Bildschirm verbringen, sich seltener beispielsweise die Zähne putzen, häufiger Verhaltensauffälligkeiten haben, häufiger psychische Probleme und Essstörungen haben, in einem ungünstigen Familienklima aufwachsen, geringere personelle, soziale und familiäre Ressourcen besitzen, eine höhere Gewaltbelastung aufweisen und häufiger Aufmerksamkeitsdefizit- oder Hyperaktivitätsstörungen, also ADHS, haben.

Für diese genannten Bereiche gibt es Maßnahmen der Prävention und der Intervention, wie z. B. „Klasse 2002“ oder „Beweg dich, Schule!“, die in der Antwort auf die Große Anfrage erläutert bzw. aufgelistet worden sind. Aber es sind immer nur einzelne, nur unzureichend aufeinander abgestimmte Aktivitäten und Angebote, die hier vorgehalten werden.

(Beifall bei der SPD)

Die Entwicklung eines umfassenden Konzeptes, welche eine detaillierte Kenntnis über das Ausmaß, die Erscheinungsformen und die Ursachen der gesundheitlichen Benachteiligung der betroffenen Kinder erfordert, wäre wichtig, um Initiativen bedarfs- und zielgerecht zu entwickeln

und umzusetzen, sie zu verstetigen und die verschiedenen Präventions- und Interventionsformen zu vernetzen und mit wissenschaftlicher Fundierung zu reflektieren.

Festzuhalten ist, meine Damen und Herren: Ein Großteil der Kinder und Jugendlichen in Hessen wächst gesund auf, und das ist auch gut so. Jedoch sind die Gesundheitschancen sozial ungleich verteilt. Und diese vorhandene Ungleichverteilung der Gesundheitschancen muss beseitigt werden.

(Beifall bei der SPD)

Neben der Verbesserung der Lebensbedingungen und der Teilhabechancen von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen müssen Prävention und Gesundheitsförderung noch mehr und wirksamer gestärkt werden. Benötigt werden geschlechtsspezifische Präventionsmaßnahmen sowie Lebensweltansätze und familienunterstützende Maßnahmen in Kindertagesstätten, in Schulen, in Stadtteilen – da, wo wir sie erreichen: in ihrer Realität und nicht an der Realität vorbei.

Kindertagesstätten, Schulen und Stadtteile gehören zu den wichtigsten Orten, um gesundheitliche Chancengleichheit zu bewirken; denn dort erreichen gesundheitliche Hilfsangebote Eltern und ihre Kinder in ihrer alltäglichen Lebenswelt. Dort sind partizipative und Empowerment-Ansätze mit den Kindern und Jugendlichen, aber auch mit den Eltern wichtig, bei denen sich Verhältnis und Verhaltensprävention gegenseitig vernetzen, ergänzen und verstärken und aus denen auch die Handlungsförderung bzw. Handlungsfähigkeit gefördert werden kann. Beispielsweise gesunde Ernährung bzw. Gesundheitsbildung in der Schule fest zu verankern, und zwar flächendeckend, das bedeutet echte Prävention. Aber davon sind wir noch weit weg.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Die Umsetzung geeigneter Präventionsmaßnahmen sowie Intervention erfordern allerdings die langfristige Bereitstellung ausreichender Ressourcen. Die Kinder und Jugendlichen sind die Erwachsenen von morgen. Wenn sie nicht bereits heute das gesunde Aufwachsen erlernen, werden sie die kranken, adipösen und hilfebedürftigen Menschen von morgen sein, die die Krankenkassen und die Gesamtgesellschaft belasten.

Nicht unerwähnt lassen und kurz anschneiden möchte ich in diesem Zusammenhang, dass auch Gesundheit und Bildung miteinander korrelieren.

(Beifall bei der SPD)

Kranke Kinder können sich beispielsweise schlechter konzentrieren, sodass die Lernfähigkeit und die Leistungen beeinträchtigt werden. Dies belegen neueste Studien. Daher sind bedarfsgerechte Angebote und auch eine bedarfsgerecht Finanzierung vom Land, aber auch von den Krankenkassen vor allem im präventiven Bereich die beste Investition für eine gesunde Zukunft.

(Beifall bei der SPD)

Auch wenn die Landesregierung stets darauf verweist, dass Bürgerinnen und Bürger die Verantwortung für ihre eigene Gesundheit selbst übernehmen sollen – ganz können Sie sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Wir brauchen gute Gesundheit für unsere Kinder und Jugendlichen, für alle und vor allem flächendeckend, und die Rahmenbedingungen stecken Sie.

An der Gesundheit darf man nicht sparen, weder an den Akteuren im Gesundheitswesen noch an der Beratung und Begleitung. Hier dürfen keine Gelder gekürzt oder gestrichen werden. Diese Kürzungen werden sonst zum Bumerang in der Zukunft. Es liegt in Ihrer Hand.

Frau Kollegin, Sie sind so lieb?

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Das war es, punktgenau, sehr schön. Herzlichen Dank. – Das Wort hat die Frau Kollegin Ravensburg, CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Gesundheit unserer Kinder ist bereits seit 2009 ein ganz wichtiges Anliegen der CDULandesregierung. Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ist nämlich eine der wichtigsten Voraussetzungen, um unseren Kindern einen guten Start in ihr Leben zu ermöglichen.

Neben hochwertigen Präventionsangeboten und konkreten Hilfen ist eine auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtete medizinische Infrastruktur für alle Lebensphasen – von der vorgeburtlichen Betreuung bis zum jungen Erwachsenenalter – notwendig. Unterstützt werden die Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe durch den Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan – ein wichtiges Anliegen unserer Regierungszeit.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Kindertagesstätten, Tageseltern, Schulen und Eltern arbeiten gemeinsam mit hohem Engagement zur Stärkung der Kompetenzen unserer Kinder. Dabei spielt auch die Kindergesundheit eine herausragende Rolle. Dahinter steht die Erkenntnis, dass wesentliche Weichen zum gesundheitsbewussten Leben bereits in frühester Kindheit und sogar schon vor der Geburt gestellt werden. Deshalb haben bereits die Eltern in der Schwangerschaft eine große Verantwortung für die Gesundheit Ihrer Kinder. Ich sage hier bewusst: Eltern; denn auch der rauchende Vater nimmt Einfluss auf die Gesundheit seines Kindes.