Es gelingt uns nicht, die Wirtschaft in Griechenland zu stabilisieren und den Menschen dort wieder eine Perspektive zu geben. Es gelingt uns noch nicht einmal, die Steuergesetzgebung in der Europäischen Union zu harmonisieren.
In vielen Staaten erstarken europakritische populistische Parteien. Das geschieht in Großbritannien, aber auch in Frankreich, in den Niederlanden, in Polen und bei uns.
Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist die Europäische Union das große Friedensprojekt, das uns Sicherheit, Freiheit und Wohlstand gebracht hat. Unabhängig davon, wie morgen das Ergebnis ausfallen wird – ich kann mir eigentlich gar nicht vorstellen, wie es sein wird, wenn die Briten gegen den Verbleib in der EU stimmen –, in der Europäischen Union darf man auf jeden Fall nicht zur Tagesordnung zurückkehren. Natürlich besteht Reformbedarf.
Kurzfristig muss es gelingen, Entscheidungen in der Europäischen Union transparenter und nachvollziehbarer zu machen. Zum Beispiel sollen Großkonzerne ihre Steuern da entrichten, wo sie die Gewinne erwirtschaften. Das soll nicht dort geschehen, wo die Steuersätze am niedrigsten sind.
Langfristig müssen wir über die Weiterentwicklung der Europäischen Verträge nachdenken. Man muss auch darüber reden, ob der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt um einen Europäischen Sozialpakt ergänzt werden muss. Er hätte die Absicherung der Menschen in den Mitgliedstaaten zum Ziel.
Was würde der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union bedeuten? – „Raus ist raus“, sagte der Präsident der Europäischen Kommission Juncker gestern Abend. Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, macht es sich nicht ganz so einfach. Er sagt:
Der Kritiker der Europäischen Union Wilders aus den Niederlanden hat gleich schon einmal deutlich gemacht, dass es Folgen haben wird, wenn die Menschen feststellen werden, dass das Leben auch nach dem Austritt Großbritanniens weitergehen wird. Die Briten tragen jedenfalls morgen eine große Verantwortung, und zwar nicht nur für sich selbst, sondern für unseren gesamten Kontinent.
Natürlich darf nicht der Eindruck entstehen, dass irgendjemand – auch wir im Hessischen Landtag nicht – den Briten für ihre Entscheidung morgen Vorschriften machen will. Aber wir wollen heute schon gemeinsam deutlich machen, dass uns das Ergebnis des morgen stattfindenden Referendums nicht egal sein kann. Der „Spiegel“ hat vor Kurzem festgestellt, was morgen zur Wahl steht. Ich zitiere:
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Mathias Wag- ner (Taunus) und Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns alle einig: Wir wollen, dass Großbritannien weiterhin ein vollwertiges Mitglied der Europäischen Union bleibt. Wir werden sehen, wie sich die Menschen in Großbritannien morgen entscheiden. Auf dem Stimmzettel des Referendums ist vermerkt: „Should the United Kingdom remain a member of the European Union or leave the European Union?“ Wie dies ausgehen wird, wissen wir alle nicht.
Wir sehen, dass sich die Gegner und die Befürworter ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Ich sage ganz deutlich: Es rächt sich, dass in der Vergangenheit die Vorteile der Europäischen Union in der öffentlichen Diskussion überhaupt nicht offensiv dargestellt wurden. Vielmehr wurden die negativen Dinge genannt, die immer wieder einmal zu erkennen waren. Das hat natürlich dazu geführt, dass die Europagegner über einen unglaublichen langen Zeitraum an Lufthoheit gewonnen haben.
Man muss es leider feststellen: Der Austausch von Fakten und Sachargumenten wurde zu spät in den Vordergrund der Debatte gestellt. Mich erschüttert besonders, dass die Debatte so emotional und aufgeladen geführt wird. Es erfüllt mich persönlich mit großer Sorge, welche fremdenfeindlichen Töne sich in Großbritannien in die politische Debatte über die Vor- und Nachteile eines Brexits gemischt haben.
Die tödliche Attacke auf die europafreundliche britische Labour-Abgeordnete Jo Cox entsetzt uns alle. Sie hat ihre Haltung mit dem Leben bezahlt. Meine Damen und Her
ren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Hass darf niemals ein Mittel der politischen Auseinandersetzung werden.
Wir schauen daher mit großer Beunruhigung auf den Ausgang des Referendums. Einen Austritt eines Mitgliedstaates aus der EU hat es noch nie gegeben. Aber eines ist klar: Das Verlassen der Europäischen Union wäre absehbar mit weitreichenden Folgen verbunden. Ein Brexit würde nicht nur Großbritannien schaden, sondern auch Deutschland und der EU. Der Austritt würde nicht folgenlos für den Europäischen Binnenmarkt bleiben.
Wenn man sich einmal die Zahlen anschaut, dann kann man feststellen, dass gerade Großbritannien mit großen Auswirkungen zu rechnen hätte. 50 % der britischen Exporte gehen bisher in die anderen 27 EU-Mitgliedstaaten. Bis zu 3 Millionen Arbeitsplätze hängen alleine am Export. Deshalb hat auch das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung vor großen Schäden für die Konjunktur Großbritanniens gewarnt. Die deutsche Außenhandelskammer in Großbritannien ermittelte durch eine Umfrage, dass etwa 80 % ihrer Mitgliedsunternehmen – immerhin knapp 700 – durch einen Brexit mit negativen Folgen für ihr Geschäft rechnen müssen. Deshalb sind die Unruhe und die Besorgnis innerhalb der deutschen Wirtschaft sehr groß.
Es wurde schon festgestellt: Hessen ist ebenfalls ein wichtiger Handelspartner für Großbritannien. Auch für uns Hessen ist Großbritannien ein wichtiger Handelspartner. Immerhin gingen in den letzten Jahren 8 % der hessischen Exporte nach Großbritannien.
Die Hoffnung der Austrittsbefürworter, dass durch einen EU-Austritt die Probleme in Großbritannien gelöst werden könnten, ist ein Trugschluss. Das können doch nur mutige Reformen im Land selbst bewirken. Dagegen würde ein Austritt nicht nur zu Problemen in Großbritannien führen; er würde die vorhandenen Probleme sogar weiter verschärfen.
Wir hoffen, dass die Menschen in Großbritannien den Populisten und Nationalisten unter den Austrittsbefürwortern nicht auf den Leim gehen. Gerade den jungen Menschen muss für ihre Zukunft klar sein, dass kein Land alleine in der Lage sein wird, die großen Herausforderungen wie das Aufhalten des Klimawandels und die Bekämpfung der Ursachen von Flucht und Vertreibung zu bewältigen.
Die Werbung für die Europäische Union muss an erster Stelle stehen. Deshalb möchte ich hier die Arbeit von Organisationen wie die Jungen Europäischen Föderalisten und die Europa-Union loben, die mit großem Engagement den Sinn der Bevölkerung für die Vorteile der EU schärfen.
Eines ist wirklich klar: Die Herausforderungen sind groß, und sie können nicht von jedem Land allein bewältigt werden. Sie sind grenzüberschreitend. Deshalb muss die Europäische Union weiterhin so bestehen bleiben, um diese Aufgaben gemeinsam angehen zu können.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir brauchen mehr internationale Kooperation und die Solidarität der europäischen Länder untereinander, um den Problemen wirksam begegnen zu können.
Wir sind überzeugt davon, dass wir gerade in diesen schwierigen Zeiten, in denen wir so viele Probleme zu lösen haben, das Gewicht und die Stimmen aller 28 Mitgliedstaaten brauchen, um gute Lösungen für die gemeinsamen Herausforderungen zu finden. Eine Abspaltung Großbritanniens dagegen würde die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft schwächen. Es steht für uns alle viel auf dem Spiel, denn wir wissen nicht, wie die weiteren Entscheidungen aussehen werden.
Wir dürfen niemals vergessen, dass die EU ein Garant für Frieden ist. Sie hat uns ein niemals zuvor gekanntes Niveau an Sicherheit, Freiheit und Wohlstand gebracht. Wir haben innerhalb der Union gemeinsame Werte wie Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Vielfalt, die Wahrung der Menschenrechte und die soziale Verantwortung. Sie gemeinsam zu schützen, muss uns allen eine Verpflichtung sein.
Wir können daher nur hoffen, dass sich am Donnerstag eine große Mehrheit der Wähler in Großbritannien für die Europäische Union entscheidet. Denn durch die Europäische Union sind wir alle in Europa miteinander verbunden. Sie ist zu einem unverzichtbaren Instrument geworden.
Herr Präsident, letzter Satz. – Wir brauchen eine starke Europäische Union, und wir brauchen ein starkes Großbritannien als wichtiges Mitglied der Europäischen Union. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! In ganz Europa gärt es. Das Euroregime und mit ihm die EU scheinen von einer Krise in die nächste zu taumeln. Delors‘ Versprechungen von einem sozialen Europa wurden spätestens mit der Unterwerfung Griechenlands so stark desavouiert, dass immer mehr Menschen an der Möglichkeit seiner Verwirklichung zweifeln.
Inzwischen fordern auch die iberischen Menschen ein Ende des von Brüssel und Berlin unter der Ägide der Eurorettung verhängten Verarmungskurses. Die Neuwahlen zum spanischen Parlament könnten die Krise des Euroregimes weiter beschleunigen, wenn die Austeritätspolitik fortgeführt wird. Über die De-facto-Insolvenz Griechenlands, die selbst der IWF ohne Schuldennachlass als unabwendbar
Fakt ist: Auch in den anderen europäischen Ländern hat die Skepsis gegenüber der EU in der letzten Zeit zugenommen. In Deutschland ist die Zustimmung seit 2004 um 8 Prozentpunkte gefallen, in Frankreich sogar um 17 und in Spanien um 16 Punkte. Doch während in Deutschland noch immer gut die Hälfte der Bevölkerung der EU freundlich gegenübersteht, sind es in Spanien 47 % und in Frankreich etwas mehr als ein Drittel. Den schwersten Stand hat die EU in Griechenland, wo nur 27 % der Befragten der EU etwas Positives abgewinnen können. Im Sommer wird sich die Krise dort erneut zuspitzen, so wie wir es schon vor einem Jahr vorausgesagt haben.
Der Ausgang der Abstimmung in Großbritannien wird größere Rückwirkungen auf die gesamte EU haben. Bei der Volksabstimmung im Jahr 1975 über einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – Abg. Beer hat schon darauf hingewiesen – gaben protektionistische Stimmen den Ton an.
Der Labour-Chef Jeremy Corbyn hat sich in den letzten Monaten mit dem Motto: „Bleiben und Verändern“ für den Verbleib in der EU ausgesprochen. Nach einem positiven Votum für den Verbleib in der EU wollen der Gewerkschaftsbund TUC und die Labour-Party dann für eine Änderung und Erneuerung der Politik mit dem Ziel der Beendigung neoliberaler Austerität kämpfen.
Abgesehen von der radikalen Linken – vereint im Bündnis Lexit – kämpfen also Gewerkschaften und Labour für eine Erneuerung Europas. Ihnen geht es vor allen Dingen um den Erhalt des europäisch verbrieften Arbeitnehmerinnenschutzes. Aber auch das muss gesagt werden: Dazu bedarf es eines radikalen Aufbruchs der Gewerkschaften und der Linken, wie es gerade unsere französischen Genossen zeigen, um diese Standards wirklich zu verteidigen. Statt Politikfehler und Profitgier als Krisenursachen zu benennen, werden die Staatsdefizite zu einer Sozial-Staatsschuldenkrise umgedeutet, um die desaströse Politik zu legitimieren. Öffentliche Ausgaben sowie Arbeits- und Sozialeinkommen werden durch europäische Vorgaben radikal gekürzt; Lohnabhängigen, Arbeitslosen und Rentnern werden die Kosten der Bankenrettung aufgebürdet.
Als wirtschaftlich und politisch stärkster Mitgliedstaat trägt die deutsche Politik eine besondere Verantwortung. Europa braucht eine Demokratieoffensive – als abgehobenes Eliteprojekt hat die EU keine Chance.