Protokoll der Sitzung vom 13.07.2016

Frau Dr. Sommer, ich finde die Diskussion, wie sie geführt wird, sehr sachlich. Sie haben natürlich auch Punkte genannt, bei denen man sagen muss: Wir wollen als Bundesland hier nicht stehen bleiben. Sie haben die richtigen Fragen gestellt, und ich will die Herausforderungen benennen, vor denen wir in der Gesundheitspolitik – in dem Fall bei den Rettungsdiensten – stehen.

Nach meiner Ansicht müssen wir drei Themenfelder besonders in den Fokus stellen.

Erstens den demografischen Wandel, insbesondere im ländlichen Raum. Dort stehen viele Krankenhäuser vor großen Problemen, überhaupt weiter betrieben werden zu können. Die wenigsten der vielen Krankenhäuser, die ich besucht habe, schreiben eine schwarze Null; die meisten machen große Verluste. Man muss tatsächlich die Notwendigkeit im Auge behalten, dass ein Rettungssanitäter zügig ein Krankenhaus oder eine andere geeignete Einrichtung anfahren kann. Das ist völlig unstrittig. Darauf liegt bei der

Krankenhaus- und der Notfallversorgungsplanung natürlich ganz wesentlich der Fokus.

Das zweite Thema wird sein, dass sich in der Tat die Krankheitsbilder verändern. Darauf wird man bei Anpassungen im Rettungsdienstwesen und bei Vorqualifikationen achten müssen.

Drittens. Wir werden auch die Veränderung in den Krankenhausstrukturen insgesamt beobachten müssen, insbesondere die Frage: Wie wird sichergestellt, dass die Krankenhäuser tatsächlich jeden Notfall aufnehmen können?

Diese drei Themenfelder sehen auch wir in der Koalition. Ich will noch einmal herzlichen Dank für die Anmeldung dieses Setzpunktes sagen; denn ich finde es richtig, dass man über solche Themen redet, wenn sie nicht in der Krise sind und nicht täglich im Fokus der medialen Berichterstattung stehen, wenn man auch ihnen einmal Aufmerksamkeit schenkt und das mit einer Analyse der Lage verbindet.

Ich finde, das Ergebnis der Analyse ist kein Jubelgeheul, sondern es ist eine sachliche Feststellung, dass wir an der Stelle in vielen Bereichen sehr gut aufgestellt sind. Wir können den Menschen in diesem Land sagen, dass wir uns um dieses Thema kümmern und dass wir wissen, dass das ein ganz wichtiger Punkt der Daseinsvorsorge ist. Frau Bächle-Scholz wird mir recht geben: Wir scheuen an dem Punkt keine Diskussion darüber, was wir verbessern können – in Kooperation mit den Rettungsdiensten, mit anderen Akteuren, mit den KVen, den Ärztekammern und allen, die sich sonst noch beteiligen wollen. Wir sind so aufgestellt, dass wir uns jede Frage der Zukunftsplanung und einer guten Versorgung selbstkritisch stellen können, und wir werden weiterhin daran arbeiten, noch besser zu werden, als wir es schon sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Das Wort hat der Sozialminister, Herr Staatsminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Rettungsdienst ist rund um die Uhr, ob an einem Werktag, ob an einem Feiertag, ob bei Sonnenschein oder bei einem Schneesturm, für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land unterwegs. Es ist die gemeinsame Auffassung dieses Landtags, dass allen, die an der Stelle aktiv sind, unser Dank gebührt. Es gehört sich, dass dieser Dank seitens der Landesregierung noch einmal ausgesprochen wird.

(Beifall)

Die Landesregierung sieht den Rettungsdienst als einen Grundpfeiler der Rettungskette und damit auch als einen Teil der präklinischen Versorgung an. Deswegen ist Hessen das erste und einzige Bundesland, in dem die Rettungsdienstplanung mit der Krankenhausplanung verknüpft wird. Das halten wir für richtig, denn die Versorgung eines Patienten durch den Notarzt vor Ort allein nutzt wenig; erforderlich ist auch eine Anschlussversorgung im Krankenhaus. Deshalb ist die Verknüpfung von Rettungsdienstplanung und Krankenhausplanung außerordentlich wichtig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dabei nimmt der Rettungsdienst für sich in Anspruch, dass er genau weiß, welche Versorgungskapazitäten für Notfälle in den einzelnen Krankenhäusern vorhanden sind, und daher die Krankenhäuser anfährt, die für eine Notfallversorgung tatsächlich geeignet sind. Deshalb sieht das Gesetz zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung – ein Bundesgesetz, das im letzten Jahr mit maßgeblicher Beteiligung des Landes auf den Weg gebracht worden ist – als entscheidendes Kriterium für die Krankenhausplanung die Notfallversorgung, insbesondere die Notfallversorgung in der Fläche, vor.

(Zuruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Einschub: Frau Schott, wenn Sie auch heute wieder ein bestimmtes Krankenhaus angesprochen haben, muss ich Ihnen leider sagen: Der Rettungsdienst hat dieses Krankenhaus seit Jahren nicht mehr angefahren, weil es nicht mehr in der Lage war, in der Notfallversorgung eine entsprechende Qualität zu bieten. Insofern muss man das unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die notärztliche Versorgung befindet sich in Hessen deswegen auf einem hohen Niveau, weil wir permanent darauf achten, dass diejenigen, die zu einem Unfall- oder Einsatzort gerufen werden, durch Fortbildungen stets auf dem neuesten Stand der Erkenntnisse sind und daher genau wissen, was unter notfallärztlichen Gesichtspunkten notwendig ist. Uns stehen an dieser Stelle Ärztinnen und Ärzte mit einer ganz besonders guten Qualifikation zur Verfügung.

Wir arbeiten in Hessen nach dem sogenannten Rendezvous-System. Das hört sich möglicherweise etwas merkwürdig an, weil es ja um Notfälle geht. Dieses System, d. h. die getrennte Anfahrt eines Rettungswagens einerseits und eines Einsatzfahrzeugs mit Notarzt andererseits, hilft aber dabei, die medizinische Versorgung vor Ort auf jeden Fall sicherzustellen. Das ist ein entscheidender Punkt dafür, dass wir in Hessen die Hilfsfrist von zehn Minuten einhalten können – in einem großen Teil der Fälle. Ich sage ganz bewusst „in einem großen Teil der Fälle“ und komme damit zu dem Punkt, den Frau Dr. Sommer angesprochen hat, was die Frage des Einwirkens auf diejenigen Rettungsdienstträger betrifft, die diese Hilfsfristen zum Teil nicht einhalten.

Sie wissen, dass nach dem Hessischen Rettungsdienstgesetz die Landkreise und die kreisfreien Städte als Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes diese Aufgabe als Selbstverwaltungsangelegenheit wahrnehmen. Ich lobe Gesetzesvorhaben, die aus der Zeit einer rot-grünen Landesregierung stammen, nicht sehr häufig. Das Hessische Rettungsdienstgesetz sah früher aber eine Fachaufsicht für die Landkreise und die kreisfreien Städte vor. Damit hätte sehr wohl eine Möglichkeit der unmittelbaren Einflussnahme auf die Landkreise und die kreisfreien Städte in Fragen des Rettungsdienstes bestanden. Rot-Grün hat aber mit seiner letzten Gesetzesnovelle, nämlich der vom 24. November 1998, genau diese Fachaufsicht abgeschafft. Rot-Grün hatte recht, die Fachaufsicht abzuschaffen, weil die bodengebundenen Rettungsdienste eine ureigene Selbstverwaltungsaufgabe der Landkreise und der kreisfreien Städten ist. Wenn man diese Tatsache anerkennt, darf man auf der anderen Seite nicht fordern, dass das Land Einfluss auf die

Landkreise und die kreisfreien Städte in Form einer nicht mehr vorhandenen Fachaufsicht nimmt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das tun wir an dieser Stelle auch nicht, sondern wir lassen uns vom Regierungspräsidium Gießen regelmäßig innerhalb entsprechender Fristen berichten.

Wir nehmen an dieser Stelle natürlich Kontakt mit den Landkreisen und auch mit den Kostenträgern auf – die im Übrigen mit den Rettungsdienstorganisationen über die Bezahlung und anderes mehr verhandeln.

Ein weiterer Punkt. Die gesetzlichen Veränderungen im Hinblick auf die Notfallsanitäter-Ausbildung stellen einen Weg dar, um vom Rettungsassistenten zum Notfallsanitäter zu werden. Sie sind ein wesentlicher Beitrag dazu, in Zukunft Fachkräfte für diesen Bereich zu generieren, der – das sage ich an dieser Stelle sehr bewusst – absolut lebensund sogar überlebenswichtig ist.

Ich teile Ihre Auffassung, dass der Stichtag 31.12.2013 und die erforderlichen fünf Jahre Tätigkeit eine Hinterfragung verdienen. Deshalb hat das Land Hessen für die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft, die im September ihre Arbeit aufnimmt, einen Antrag vorbereitet, der, im Hinblick auf die erforderliche fünfjährige Berufserfahrung, eine Änderung bei den Anerkennungszeiten bis zum Ende der Übergangsfrist vorsieht. Wir brauchen an dieser Stelle keine Opposition, die uns dazu auffordert. Das machen wir schon allein.

Abgesehen davon: Hessen hat als erstes Bundesland mit der Notfallsanitäter-Ausbildung angefangen, wir haben hier die meistens Auszubildenden, und unsere Hilfsfristen führen dazu, dass häufig aus anderen Bundesländern Rettungswagen angefordert werden, die bei uns dann nicht mehr zur Verfügung stehen.

All das führt im Zusammenwirken letztendlich dazu, dass man mit Fug und Recht sagen kann: Der Rettungsdienst in Hessen ist im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes hervorragend aufgestellt, qualitativ hochwertig, hat hervorragende und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und wird von der Setzung von Rahmenbedingungen begleitet, die es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erlauben, ihre Arbeit bestmöglich wahrzunehmen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend zuverlässiger und effektiver Rettungsdienst in Hessen. Wer stimmt zu? – CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? – DIE LINKE. Wer enthält sich? – SPD und FDP. Damit ist der Antrag mit Mehrheit beschlossen.

(Mürvet Öztürk (fraktionslos): Ich habe mich auch enthalten!)

Gut, dann halten wir fest, Frau Kollegin Öztürk hat sich auch enthalten. Ich bitte um Nachsicht.

Der Europaausschuss kommt jetzt zur Freude aller Beteiligten im Sitzungsraum 204 M zusammen und will seine Sitzung zügig durchführen.

Damit sind wir am Ende der Vormittagssitzung. Wir treffen uns um 15 Uhr zur Fortsetzung der Plenarsitzung wieder. Damit ist die Sitzung unterbrochen. Ich danke Ihnen. Alles Gute.

(Unterbrechung von 13:03 bis 15:01 Uhr)

Kolleginnen und Kollegen, ich hebe die Sitzungsunterbrechung auf.

Noch eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Reformen der Erbschaftsteuer und der Grundsteuer auf dem Weg – vermögensbezogene Steuern sind im Zusammenhang zu betrachten, Drucks. 19/3602. – Die Dringlichkeit wird bejaht. Dann wird dieser Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 52 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 31 zu diesem Thema aufgerufen werden.

Außerdem eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend ehrenamtliches Engagement fördern – Gemeinnützigkeitsrecht hinsichtlich Anpassungsnotwendigkeit aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen überprüfen, Drucks. 19/3603. – Auch hier wird die Dringlichkeit bejaht. Ich sehe keinen Widerspruch. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 53 und kann mit Tagesordnungspunkt 17 zu diesem Thema aufgerufen werden.

Dann ist noch eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Integration von Flüchtlingen – Maßnahmen der Landesregierung zeigen Wirkung, Drucks. 19/3605. – Auch hier gibt es keinen Widerspruch gegen die Dringlichkeit. Dann wird dieser Antrag Tagesordnungspunkt 54 und kann zusammen mit Tagesordnungspunkt 20 zu diesem Thema aufgerufen werden.

Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun Tagesordnungspunkt 31 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Anhörung zur Wiedererhebung einer Vermögensteuer – Drucks. 19/3564 –

zusammen mit Tagesordnungspunkt 52:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Reformen der Erbschaftsteuer und der Grundsteuer auf dem Weg – vermögensbezogene Steuern sind im Zusammenhang zu betrachten – Drucks. 19/3602 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. Als Erster hat Kollege van Ooyen, Fraktion DIE LINKE, das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Am 24.06.16 führte die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag eine eigene Anhörung zur Vermögensteuer durch, fast auf den Tag genau 21 Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem die bis dahin gültige Ausgestaltung der Vermögensteuer für verfassungswidrig erklärt wurde.

Die Frage nach der Wiedererhebung der Vermögensteuer ist zunehmend aktuell, wie man den Zeitungen entnehmen kann. Sie ist aber auch aktuell, weil wir beobachten müssen, dass die Vermögen in Deutschland immer stärker konzentriert werden: Die Reichen werden immer reicher, und die Armen werden immer ärmer. Dennoch gibt es auch 21 Jahre nach dem Karlsruher Urteil noch immer kein anwendbares Vermögensteuergesetz.

Ich halte es daher für angebracht, dass sich nicht nur die SPD-Fraktion, sondern der ganze Landtag mit der Frage beschäftigt, ob und in welcher Form wieder eine Vermögensteuer erhoben werden kann und sollte.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ergibt sich eigentlich schon aus der Hessischen Verfassung, dass wir unserer Einnahmeverantwortung nachkommen und die im Art. 47 vorgeschriebene progressive Besteuerung von Vermögen als Gesetzgeber auch endlich umsetzen. Doch auch das Grundgesetz sieht die Vermögensteuer explizit vor und weist ihre Erhebung den Ländern zu. Nachdem wir aber ein seit 21 Jahren als verfassungswidrig geltendes Bundesgesetz haben, das der formale Grund dafür ist, dass die Länder diese Steuer nicht erheben dürfen, ist es an der Zeit, die Debatte über die Vermögensteuer wieder deutlich aus den Ländern herauszuführen.