Kritiker haben gesagt: Straftaten aus Gruppen sind schwer zu beweisen. – Ja, das ist so. Aber soll der Staat deshalb ohnmächtig zusehen? – Nein, ich finde, es war richtig, den Straftatbestand für Übergriffe, die aus Gruppen heraus begangen werden, zu schaffen. Der Rechtsstaat hat hier ein Zeichen gesetzt, dass wir solch ein Handeln nicht tolerieren.
Es bleibt trotzdem unsere Aufgabe, dass ein sexueller Übergriff auch bewiesen werden muss. Aber das spricht keinesfalls gegen die Gesetzesnovelle, sondern fordert uns umso mehr heraus, für größtmögliche Sicherheit und Abschreckung durch Polizeipräsenz bei Großveranstaltungen zu sorgen. Durch den Einsatz von Videoüberwachung und Bodycams signalisiert gerade auch die hessische Polizei, dass Täter oder Tätergruppen jederzeit damit rechnen müssen, identifiziert zu werden. Zudem setzt das neue Recht ein deutliches Zeichen, dass der Rechtsstaat Gewalt, gleich welcher Form, nicht toleriert. Übergriffe gegenüber Frauen wie Grabschen sind nämlich keinesfalls ein Kavaliersdelikt, sondern Grabschen ist ein klarer Eingriff in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des Opfers.
Die jetzt beschlossene Strafrechtsnovelle ist deshalb auch ein großer Erfolg der Frauenverbände, auch unserer Frauen-Union, die sich schon lange für die weiter gehende Reform eingesetzt haben. Auch der Landesfrauenrat hier in Hessen, die Frau Kollegin hat es erwähnt, hat klare Zeichen gesetzt. Das sind nämlich Zeichen, dass es keine Toleranz gegenüber Tätern gibt, die Grenzen überschreiten und den Opfern – meist Frauen und Mädchen – großes körperliches und seelisches Leid zufügen. Deshalb ist die Strafrechtsreform ein großer Erfolg für uns Frauen und genau der richtige Weg. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Ravensburg. – Das Wort hat der Abg. Florian Rentsch, Fraktionsvorsitzender der FDP.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem das Thema uns hier schon in verschiedenen Debatten im Landtag beschäftigt hat – ich denke, zu Recht –, Frau Kollegin Ravensburg, darf ich feststellen, dass das Gesetz kein Erfolg für die Frau sein kann, sondern es nur ein Erfolg ist, wenn sich aus dem Gesetz ein Verhalten der Gesellschaft ergibt, das sozusagen nicht mehr zu diesen
Übergriffen führt, wie wir sie leider in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder beobachten mussten.
Ich glaube, das muss die Wirkung eines Gesetzes sein – ein generalpräventiver Ansatz, der eben dazu führt, dass die Menschen die sexuelle Selbstbestimmung und die Würde des Menschen achten und wahrnehmen und dass es nicht mehr zu solchen Fällen kommt, wie wir sie in Köln, aber auch an vielen anderen Stellen leider diskutieren müssen. Die Zeitungen sind voll davon. Es sind zum großen Teil Frauen und ein kleiner Teil von Männern, die in einer bestimmten Form strafrechtlich als Objekt missachtet werden, die zum Schluss aber, so glaube ich, Frau Kollegin Ravensburg – das betrifft auch das, was Frau Kollegin Erfurth gesagt hat –, schon darauf setzen, dass der Gesetzgeber beim Thema Sexualstrafrecht ein Recht implementiert, das nachher umsetzbar ist.
Ich sage offen, ich bin bei den Wünschen. Auch dem, was Kollege Wilken gesagt hat, kann ich mich, was die Intention angeht, sehr stark anschließen. Ich hoffe, dass wir mit diesem Gesetzentwurf auch zu dem kommen, was wir hier diskutieren; denn eines ist klar: Recht muss anwendbar sein, es muss durchsetzbar sein, es muss so sein, dass die Tatbestandsvoraussetzungen eines Straftatbestands auch nachgewiesen werden können.
Die Kritik von Strafrechtlern und von Menschen, die sich damit beschäftigen – Männern und Frauen im Übrigen –, war: Sie haben klar die große Gefahr festgestellt, dass – ich will es einmal vorsichtig formulieren – so eine Art Placebo-Straftatbestand implementiert wird, der nachher aufgrund der Tatsache nicht richtig nachweisbarer Tatbestandsvoraussetzungen auch nicht zu mehr Verurteilungen führen wird, als das bisher der Fall war, und dass wir – wir hatten dies schon diskutiert – in eine Situation kommen, in der dieser Straftatbestand auch für Falschbeschuldigung genutzt werden kann. Es ist also ein sehr schwieriges Konstrukt, das wir hier heute diskutieren.
Frau Kollegin Erfurth, ich denke nicht, dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger in der Frage nicht auf der Seite derjenigen ist, die gesagt haben, wir wollen beim Sexualstrafrecht Verbesserungen herbeiführen, damit solche Übergriffe nicht mehr stattfinden. Aber sie hat als, ich glaube, sehr profunde Juristin zu Recht darauf hingewiesen
dass auf der einen Seite die politische Debatte geführt wird, was wünschenswert ist, und auf der anderen Seite natürlich die Frage steht, was juristisch wirklich umsetzbar ist. Ich meine, dass die Kritik in diesem Zusammenhang nicht unberechtigt ist. Wir haben uns sehr intensiv damit beschäftigt, und ich habe mich gewundert: Es war ja nicht ganz unvorhersehbar, dass nach den Geschehnissen in Köln – nicht zu Unrecht, finde ich – massive Forderungen aus der Politik laut geworden sind, dass wir auch im Rechtssystem wehrhafter werden müssen. Ich glaube, das ist unbestritten.
Wer die Bilder sieht, kann nur angewidert sein von dem, was dort passiert ist, nämlich davon, dass die Würde des
Menschen eben nicht unantastbar war, sondern Menschen zu Objekten degradiert worden sind, vor allem Frauen. Das ist etwas, wo der Rechtsstaat, aber auch die Zivilgesellschaft gefordert ist. Es sollte unbestritten sein, dass wir in dem Punkt gefordert sind, so etwas nicht zuzulassen.
Deshalb glaube ich, die Debatte über Köln hat ein bisschen gezeigt, dass da natürlich eine mediale Steigerung des ganzen Sachverhalts erzeugt worden ist. Ich sage ganz offen, der Streit „Wer hats erfunden?“ zwischen der Landesjustizministerin und dem Bundesjustizminister – ich will mich da gar nicht einmischen; die machen das so profund und so offen, das ist prima – ist mir zum Schluss egal.
Mir ist es wichtig, dass wir in der Sache einen effizienten Straftatbestand bekommen. Da sind Zweifel angesagt. Diese Zweifel muss man ehrlich aussprechen. Auf der einen Seite steht die Hoffnung, dass durchgesetzt wird, was wir, denke ich, alle wollen, nämlich dass solche Vorfälle nicht mehr passieren. Aber auf der anderen Seite steht ein Strafrecht, durch das es wirklich dazu kommt, dass Straftatbestände, wenn sie verwirklicht worden sind, auch mit entsprechendem Urteil abgeschlossen werden können und es nicht wieder zu Beweisproblemen kommt, die in dem Gesetz an vielen Stellen angelegt sind.
Deshalb glaube ich: Ob den Opfern von Sexualstraftaten durch diese Reform tatsächlich geholfen wird oder ob es eher eine politisch opportune Handlung ist, wird sich zum Schluss erweisen.
Ich hoffe ehrlicherweise, dass meine Vorrednerin und mein Vorredner recht damit haben, dass der Straftatbestand dazu führt. Ich gebe allerdings zu, dass sich in vielen dieser Debatten, die wir in den letzten Jahrzehnten geführt haben, der politische Wille, einmal ein Zeichen zu setzen, strafrechtlich leider null ausgewirkt hat.
Darüber muss man ernsthaft reden. Deshalb machen wir auch einen guten Schritt, wenn wir sagen, dass das, worüber heute hier diskutiert wird, was im Bundestag beschlossen worden ist und was als so kerniger Satz „Nein heißt nein“ debattiert wird, hoffentlich auch umgesetzt und von den Menschen wahrgenommen wird. Aber ich glaube ernsthaft, dass man sich sehr genau anschauen soll, ob es wirklich effizient ist, was dort gemacht worden ist – auch in einem strafrechtlichen Sinne, nicht nur in einem politischen.
Deshalb werden wir uns nicht verweigern. Aber ich sage, wir schauen mit einer gewissen Skepsis auf dieses Thema. Wenn es zum Schluss hilft, bin ich der Letzte, der sagt, wir haben etwas falsch gemacht. Wenn es nicht hilft, sollten wir die Diskussion weiter führen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Rentsch. – Bevor wir in der Debatte weiterfahren, begrüße ich auf der Besuchertribüne das Präsidium des Repräsentantenhauses des Parlaments von Bosnien-Herzegowina, Herrn Bosic, Herrn Dzaferovic und Frau Kristo.
Sie sind innerhalb eines viertägigen Aufenthalts in Hessen. Sie besuchen das Parlament, und sie werden begleitet von Seiner Exzellenz, Herrn Botschafter Janjetovic und Herrn Generalkonsul Saldic. Herzlich willkommen, Ihnen allen eine schöne Zeit hier bei uns.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der 7. Juli dieses Jahres ist ein gutes, ein historisches Datum für die Opfer von Sexualstraftaten, die leider meistens Frauen sind. Dieser griffige Satz „Nein heißt nein“ passt im Prinzip sehr gut, um zu umschreiben, welche Veränderungen und welchen Paradigmenwechsel es jetzt im Sexualstrafrecht gibt.
Wir hoffen in der Tat, dass diese grundlegende Reform des Sexualstrafrechts generalpräventiven Charakter hat und dem gesellschaftlichen Konsens bei diesem Thema Rechnung trägt. Ich will auch darauf hinweisen, es ist längst überfällig, dass damit auch übergeordnetes Recht, die sogenannte Istanbul-Konvention, ratifiziert werden kann. Das ist ein wichtiger Punkt in der Diskussion.
Es reicht mit dieser Reform – das ist hier in der Debatte schon ein paar Mal deutlich geworden – nun also aus, sich über den erkennbaren Willen des Opfers hinwegzusetzen. Es war bisher immer so, dass Sex mit Gewalt oder Gewaltandrohung verbunden sein musste, um strafbar zu sein. Meine Damen und Herren, das reicht lange nicht aus, um Opfer von Sexualstrafdelikten ausreichend zu schützen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))
Ich will das Beispiel noch einmal ausdrücklich erwähnen, da es viele Frauen empfindlich berührt und betroffen hat, dass das Grabschen an die Brust oberhalb der Kleidung oder in den Schritt nicht strafbar war, weil die Erheblichkeitsschwelle gefehlt hat. Auch das ändert sich nun mit dieser Reform, und das ist gut so.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))
Auch die Schieflage bei der sexuellen Belästigung, die so oft nur am Arbeitsplatz verfolgt werden konnte, wird nun endlich beseitigt.
Frau Ravensburg, Sie haben erwähnt, dass auch die Angriffe aus einer Gruppe heraus strafrechtlich verfolgt werden. Dazu möchte ich nur etwas anmerken und an das anschließen, was Herr Dr. Wilken gesagt hat, nämlich dass es bereits heute geltendes Recht ist und ausgereicht hätte; die Beihilfe zu Sexualstraftaten ist natürlich strafbar, und eine gemeinschaftliche Begehung wirkt strafverschärfend. Meine Damen und Herren, darauf möchte ich für meine Fraktion noch einmal ausdrücklich hinweisen.
Es ist in der Debatte deutlich geworden, es ist wichtig – das hat auch Herr Rentsch zum Ausdruck gebracht –, dass
wir den Frauen – es sind meist Frauen, die Opfer von Sexualdelikten werden – nicht Steine statt Brot geben: Die neuen Bestimmungen müssen gerichtsfest sein. Sie dürfen keine Beweisschwierigkeiten produzieren. Das ist ganz wichtig.
Aber ich kann Ihnen klar aus der Praxis heraus sagen, wir haben sehr gut ausgebildete Polizeibeamtinnen, -beamte und Staatsanwälte sowie die Strafjustiz, die in der Lage ist, in diesen Fällen, in denen oft Aussage gegen Aussage steht, professionell zu ermitteln, welche Aussage glaubhaft und welche Person glaubwürdig ist. Meine Damen und Herren, das zu bewerten, gegenüberzustellen und dann die richtigen Urteile zu sprechen, wird durch diese Reform nur verstärkt und nicht verschlechtert.
Hier vertraue ich auf unsere Strafjustiz und die mit dem Thema befassten Personen. Es ist in der Tat so, dass diese Reform von dem energischen Eintreten vieler Politiker und insbesondere Politikerinnen über alle Fraktionsgrenzen hinweg, der Frauen selbst, den Verbänden, Initiativen und den Frauenrechtlerinnen in einem langen, zähen Prozess erstritten und erkämpft worden ist. Ihnen gilt der Dank für das, was wir jetzt erreicht haben, und niemandem anderen.