Protokoll der Sitzung vom 15.09.2016

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Redner ist Herr Abg. Rentsch. Er spricht für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Frau Klaff-Isselmann dankbar, dass sie auf sehr sachliche Art auf das geantwortet hat, was hier als Vorwurf im Raum steht. Frau Kollegin Schott, hier wurde der Kollege Bocklet gerade beschimpft. Ich sage das einmal ganz offen, weil ich den Dialog mitbekommen habe: Es ging schon um das Thema. – Ich weiß nicht, ob Sie so gute Ohren haben, dass Sie genau wissen, wie wir das Thema besprochen haben. Aber das stelle ich einmal anheim.

Was ich aber nicht akzeptiere, ist die Diktion, mit der Sie in die Debatte gehen. Sie haben allen, die in diesem Bereich beteiligt sind, sowohl in der politischen Debatte als auch die fachlich Zuständigen in den Einrichtungen, von den Gutachtern über die Gerichte bis hin zur Forensik, quasi unterstellt, dass sie nicht nach den Leitlinien arbeiten würden, die Sie hier gerade verkündet haben. Dieses tiefe

Misstrauen drückt sich auch in den Fragen aus, die Sie in Ihrem Katalog aufführen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich finde, das ist im Vergleich zu dem, was ich in den letzten Jahren bei vielen Besuchen in den Einrichtungen, die Sie hier beschreiben, erlebt habe, nicht in Ordnung. Ich finde, das gehört sich nicht. Aber das muss jeder für sich selbst beurteilen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Bei einem haben Sie recht. Das will ich nicht bestreiten. Da bin ich bei Ihnen. Wir reden über einen mehr als sensiblen Bereich. Auf der einen Seite geht es um den Freiheitsentzug. Das ist einer der massivsten Grundrechtseingriffe, die der Staat machen kann.

Auf der anderen Seite geht es darum, dass viele dieser psychisch kranken Straftäter, über die wir reden, gerade hinsichtlich der Zukunft nicht so einfach zu prognostizieren sind, wie wir das im normalen Strafvollzug haben. Es geht dabei auch um die Frage, ob diese Menschen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen.

Wenn man die Straftaten sieht, über die wir reden, erkennt man, dass es meistens um Dinge geht, zu denen wir gemeinsam sagen, dass das mehr als sensibel ist. Das gilt auch gegenüber den Opfern, über die wir hier reden. Die sind mir gerade etwas zu kurz gekommen. Denn natürlich sind auch sie ein wesentlicher Teil der Debatte.

Ja, ich bin an dieser Stelle bei Ihnen. Dies gilt gerade auch nach dem Fall Mollath. Man muss sehr genau hinschauen, was der Staat dort in den Einrichtungen macht. Ich sage aber auch, dass das, was gerade die Kollegin vor mir gesagt hat, zutrifft. Das entspricht auch dem, was ich von der Landesregierung dazu in den letzten Jahren mitbekommen habe. Ich kenne eigentlich kaum Fälle, bei denen ich sagen muss, dass da grob rechtswidrig oder nicht sorgfältig gearbeitet worden sei.

Ich möchte auch einmal etwas zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sagen. Es ist nun keine leichte Aufgabe, die da gemacht wird. Das sind schwere Fälle. Ich sage in diese Richtung: Ich habe da bisher eher ein gutes Gefühl gehabt.

(Beifall bei der FDP)

Die ganze Große Anfrage ist unserer Ansicht nach eine wirklich große Misstrauenserklärung. Ich finde, das ist sie gegenüber den Einrichtungen, den Gerichten und den Gutachtern.

Sie haben einen speziellen Bereich herausgegriffen, der sich mit den Gutachten beschäftigt. Das geht nach dem Motto: Müssen die Gerichte immer die gleichen Gutachter bestellen? – Ich bin froh, dass es im Ermessen der Gerichte liegt, wie sie das handhaben. Wenn wir dort noch Vorgaben machen würden, würde es mit Sicherheit nicht besser werden. Deshalb glaube ich, dass Sie auch an dieser Stelle nicht richtig liegen.

Meine Damen und Herren, wir sind uns einig – und das ist etwas, was uns hier eint –, dass wir so wenige Grundrechtseingriffe wie möglich haben wollen, aber auch so viel Sicherheit wie möglich. Diese beiden Werte zusammenzubringen ist der Spagat, von dem wir reden.

Wir freuen uns über den Gesetzentwurf für ein sinnvolles PsychKG genauso wie über ein Maßregelvollzugsgesetz. Das sind genau die Gesetze, in denen diese Bereiche geregelt werden. Neben der Tatsache, dass sich viele der Fragen für mich nicht ganz erschlossen haben – vielleicht kann das Ministerium noch Licht ins Dunkle bringen –, glaube ich aber, dass das Misstrauen, das Frau Schott hier geäußert hat – ich sage es einmal positiv –, vielleicht ein Grund dafür ist, etwas genauer hinzuschauen. Aber aus meiner Sicht gibt es wenig Grund dafür, bei diesem Thema ein solch grundsätzliches Misstrauen an den Tag zu legen. Ich glaube, das geht deutlich über das Ziel hinaus. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das Wort hat Kollege Bocklet, Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Schott, die mangelhafte Aufmerksamkeit während Ihres Redebeitrags war auch der Tatsache geschuldet, dass wir Schwierigkeit hatten, zu verstehen – wir haben versucht, uns selbst darüber aufzuklären –, in welche Stoßrichtung Ihr kompletter Redebeitrag ging. Ich habe jetzt eine Pressemitteilung der LINKEN gefunden, die es mir erleichtert hat, zu verstehen, worum es Ihnen geht. Darin wurde Ihre Aussage in zwei Blöcken zusammengefasst. Im Kern wird ausgesagt, Sie seien der Meinung, dass im Maßregelvollzug nicht genug kontrolliert wird, weil viele Fragen, die Sie gestellt haben, nicht beantwortet sind. – Ich fasse das einmal so zusammen: Das ging über zehn Minuten, und wir haben in der Tat die Verständnisfähigkeit verloren.

Wenn das Ihr Problem ist, will ich hinzufügen: Frau KlaffIsselmann hat eigentlich alles Wesentliche gesagt. Ich bin mir sicher, dass der zuständige Minister auch die eine oder andere Frage klären kann. Wir haben vor einem Jahr ausführlich die bürgerrechtliche Problematik des Maßregelvollzugs diskutiert. Wir haben lange darüber gesprochen. Wir wissen, dass Sie eine andere Auffassung darüber haben, wie man mit dieser Zielgruppe umgeht. Sie selbst haben auch Aktionen organisiert, die immer wieder unterstellen, dass Menschen zu Unrecht weggesperrt und Zwangsmedikationen unterzogen würden und vieles andere mehr. Es gibt in der Tat Einzelfälle, die vorkommen – deshalb können Sie aber nicht gleich ein System infrage stellen.

Ich war auch schon einmal im Krankenhaus und habe eine unglückliche Knieoperation gehabt. Meine Knieoperation musste daraufhin wiederholt werden. Ich würde dem Krankenhaus trotzdem nicht unterstellen, dass mein Knie mit Absicht falsch operiert worden ist.

Deswegen ist es in diesem Fall genauso: Wir haben es mit einer Zielgruppe von psychisch kranken Menschen zu tun, die eine Straftat begangen haben. Wir haben klugerweise ein neues Maßregelvollzugsgesetz geschaffen, in dem wir klare und transparente Schritte mit klaren Rechten und Pflichten, wie z. B. Dokumentation und Besuchskommission, vorgesehen haben. Frau Klaff-Isselmann hat das ausführlich dargelegt. Insofern erschließt sich mir Ihre Kritik überhaupt nicht. Wenn Sie der Meinung sind, irgendetwas

besser machen zu wollen, dann legen Sie doch einen Antrag vor, und wir reden dann darüber, ob dort noch etwas nachzubessern ist. Aber hier nur so einen Mischmasch vorzubringen wie: „Da ist mal etwas passiert, und Medikamente finden wir auch blöd, und außerdem haben die UN mal etwas gesagt, und im Übrigen bin ich jetzt einmal sauer“ – so können wir nicht mit dem Maßregelvollzug umgehen. Das ist nur suboptimal. Deswegen bitte ich Sie allen Ernstes: Legen Sie doch einmal einen parlamentarischen Vorgang vor, in dem Sie Verbesserungsvorschläge machen und sagen, was Sie eigentlich an dem Maßregelvollzugsgesetz anders haben wollen. Oder fordern Sie doch die Kontrollinstanzen gezielt auf, dies oder jenes zu tun. Aber hier eine Schlechtwetterrede zu halten, nach dem Motto: „Irgendwie gefällt mir das alles nicht, und ich war schon immer dagegen“ – so können wir mit dem Thema auch nicht umgehen. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Für eine Kurzintervention hat Frau Kollegin Schott das Wort.

Herr Bocklet, Sie haben hier eben ernsthaft das, was die UN gesagt haben – sie sprechen im Zusammenhang mit geltendem deutschem Recht nämlich von Folter –, wortwörtlich so bezeichnet, als ob die UN einmal so ein bisschen daherreden. Ich empfinde das als eine Missachtung dessen, was die UN feststellen. Das ist schon beeindruckend.

Ich glaube auch, dass man einmal veröffentlichen sollte, wie Sie darüber denken. Sie haben gesagt, es solle schon einmal vorgekommen sein, dass jemand gegen seinen Willen medikamentiert wurde. Menschen werden mit gesetzlicher Legitimation in diesem Land in Einrichtungen zwangsmedikamentiert. Es gibt Ärzte in diesem Land, die behaupten, wenn das nicht geschähe, würden die Krankheiten dieser Menschen schlimmer. Das behaupten Ärzte, die in diesem Land viel Einfluss haben. Es gibt weltweit Ärzte, die sagen: „Das ist Unfug, und das Gegenteil ist richtig.“

Es gibt in diesem Land – wir hatten dazu eine Anhörung – die Möglichkeit, Menschen in ihren Betten zu fixieren. Ich habe nachgefragt, wie lange das gemacht werden kann; denn ich dachte, das gehe über Stunden, um sie einmal zu beruhigen. Nein, das geht über viele, viele Tage bis zu Wochen. Stellen Sie sich bitte einmal einen Moment lang vor, Sie wären aufgebracht und würden dann wochenlang an einem Bett festgebunden. Ob Sie davon gesünder würden, wage ich zu bezweifeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Bocklet, bitte Ihre Antwort.

Herr Präsident! Frau Schott, es wird einfach nicht besser. Natürlich gab es auch von den UN unterschiedliche Studi

en, Berichte und Aufforderungen – auch an Deutschland. Wir haben das aber im Zuge des Maßregelvollzugs diskutiert. Wir werden das beim PsychKG noch einmal diskutieren. Es gibt dazu Urteile des Bundesverfassungsgerichts, und es gibt auch andere Bundesländer, die deswegen verklagt worden sind, aber Recht bekommen haben. Sie hören „Folter“, also wird bei uns gefoltert, weil die UN das den Deutschen irgendwann einmal attestiert haben. Diesen Vorwurf allen vier hessischen Maßregelvollzugsanstalten zu unterstellen, finde ich – mit Verlaub – riskant.

Die zweite Frage, die Sie stellen: Gibt es Medikamente? – Ja, wenn wir psychisch Kranke haben. Das haben wir auch im Gesetz festgelegt. Was machen Sie eigentlich? Wärmen Sie die Debatte über das Gesetz noch einmal neu auf? Ist das Ihr Ziel? Dann legen Sie doch einen Gesetzentwurf vor, und verlangen Sie die Aufhebung des Maßregelvollzugsgesetzes. Zeigen Sie doch dann Ihre Alternativen. Wir haben das doch ein Jahr lang in drei Lesungen diskutiert. Alles ist ausführlich abgewogen worden: Wir werden bei psychischen Erkrankungen in der Tat auch zu Zwangsmaßnahmen greifen müssen – das haben wir gesetzlich ermöglicht. Wir haben das gesetzlich klar und transparent geregelt. Wir haben Rechtssicherheit geschaffen und alles, was Sie sagen, sowohl der Folter- als auch der Missbrauchsvorwurf, ist entkräftet, weil wir ein gutes Gesetz gemacht haben. Das Gesetz wird auch vor jedem Verfassungsgericht Bestand haben.

Ich habe aber auch selbstkritisch gesagt: Wenn mehrere Hundert Menschen in Hessen oder mehrere Tausend in Deutschland untergebracht werden, wird es auch zu Fehlern kommen. Ich wäre der Letzte, der das schönreden will. Natürlich will das keiner. Gerade deswegen haben wir klare und transparente Regeln eingeführt – Kontroll- und Besuchskommission, Dokumentationspflichten und vieles andere mehr. Wenn Sie noch weitere kluge Vorschläge haben, außer immer wieder im Gesetz herumzustochern und zu sagen: „Mir gefällt das Foltern nicht, Medikamente mag ich auch nicht, und die UN haben das auch gesagt“, dann machen Sie doch einmal konstruktive Vorschläge, wie es besser geht. Wir als Regierungsfraktionen haben einen hinreichend guten Gesetzentwurf vorgelegt, der alle Eventualitäten abdeckt. Wir haben mit den Experten diskutiert. Zum Schluss kamen wir zu einer guten Gesetzeslage. Wir werden sorgsam und aufmerksam weiter mit dem Thema umgehen. – Danke.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Das Wort hat Frau Dr. Sommer für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Bocklet, ich frage mich wirklich, ob Sie die Antwort auf die Große Anfrage gelesen haben. Ich hoffe es doch sehr.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, habe ich!)

Nachdem wir uns gestern zum PsychKG ausgetauscht haben, sprechen wir heute über die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Wir haben schon gehört,

dass das nach § 63 Strafgesetzbuch erfolgt. Darin wird festgelegt, dass für jemanden, der eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wird, wenn er für die Allgemeinheit gefährlich ist. Herr Rentsch hat es schon erwähnt: Es ist natürlich wichtig, zu prüfen: Wer sind diese Menschen? Was haben sie gemacht? Müssen sie in so einer Einrichtung bleiben? Oder können sie resozialisiert werden? Ziel – auch beim Maßregelvollzug – ist die Entlassung. Voraussetzung dafür ist die Annahme, dass von der betreffenden Person dann keine Gefahr bzw. keine Strafrückfälligkeit mehr ausgeht.

In der Behandlung sind alle Maßnahmen genau auf dieses Ziel, nämlich die Entlassung, ausgerichtet – das natürlich mit therapeutischen Maßnahmen. Wir haben eben die Debatte verfolgt: Ob mit oder ohne Medikamente, das liegt immer am individuellen Hilfebedarf der psychisch Kranken. Das ist wichtig, um ihre psychische und physische Integrität zu wahren und schließlich eine Resozialisierung zu erreichen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, dies heißt aber nicht, das eine zu machen und das andere zu lassen. Wir hatten schon das Gesetz zum Maßregelvollzug. Es geht immer zuerst um die Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; es geht aber auch um die Individualität der Patientinnen und Patienten und um eine angemessene Verhältnismäßigkeit. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das hinreichende Abwägen der Interessen sollten immer gelten.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Nun aber zur Großen Anfrage. Frau Schott hat es schon gesagt: Die Beantwortung der Großen Anfrage weist erhebliche Lücken auf. 25 der 75 Fragen werden gemeinsam und knapp beantwortet. Auf 16 Fragen gibt es gar keine Antwort mit der Begründung, die Beantwortung dieser Fragen sei wegen nicht vertretbaren Aufwands nicht realisierbar; es lägen keine Übersichten und keine Statistiken vor; die Landesregierung verfüge über keine entsprechenden Erkenntnisse. Auf fünf weitere Fragen wird ebenfalls mitgeteilt, dass keine Erkenntnisse vorliegen. Auf zwölf weitere Fragen gibt es zumindest Ein-Satz-Antworten, die wenig Informationsgehalt bieten. Viele Fragen werden gar nicht oder unzureichend beantwortet.

Nehmen wir jetzt einmal die 75 Fragen, von denen 16 Fragen nicht beantwortet wurden, ergibt das notendurchschnittlich, wenn man es ausrechnen würde, eine Zwei. Werden aber die gemeinsam beantworteten Fragen, also 25, zusammengeführt, dann sind von den 75 quasi nur noch 50 übrig. Wenn ich davon den Notendurchschnitt ausrechne, sind wir schon bei einer Drei minus. Nehmen wir noch die Ein-Wort-Sätze dazu, sind wir bei einer Fünf. Eine Fünf bedeutet mangelhaft. Meine Damen und Herren, für uns und hoffentlich auch für Sie ist das nicht zufriedenstellend.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Gerade auf die Fragen zur Zwangsmedikation werden keine Antworten gegeben. Dies wäre aber wichtig gewesen. In den Fragen 1 bis 3 heißt es z. B.:

In wie vielen Fällen wurden Untergebrachte nach § 63 … zwangsweise mit Medikamenten … behandelt …?