Wie widerspruchsvoll und auch schmerzvoll diese Diskussion ist, haben einige Abgeordnete erlebt, als sie vor eineinhalb Jahr zum Jahrestreffen der gemeinnützigen Krankenhäuser eingeladen waren, die genau dieses Thema diskutierten. Professor Braun vom Amalie-Sieveking-Krankenhaus und Professor Meier-Baumgartner vom Albertinen-Krankenhaus bemühen sich – das weiß ich, weil ich unter beiden als Assistenzarzt gearbeitet habe –, das Ster
ben in den stationären Alltag zu integrieren und würdig zu gestalten. Für sie war es eine besondere Kränkung, zu erleben, daß die Hospizbewegung so erfolgreich und notwendig ist, weil ihr Ansatz nicht generell in den Krankenhäusern umgesetzt wurde. Das ist eine spannende und wichtige Frage.
Woran liegt es, daß das Sterben im Alltag, im Krankenhaus möglich zu machen, so schwerfällt oder auch so abfällig behandelt wird? Ein Grund ist, daß die Geburt bei der Ausbildung der Ärzte eine wesentliche Bedeutung hat, das Sterben, der Tod aber eben nicht oder kaum.
Ein anderer Punkt ist – das ist vielleicht eine gewagte These –, daß männliche Ärzte in diesem Land nicht sehr alt werden. Die Lebenserwartung beträgt durchschnittlich 63 Jahre. Ich kann verstehen, warum Ärzte eine besondere Angst vor dem Sterben und dem Tod haben.
Mir sind sowohl während meines medizinischen als auch meines politischen Werdegangs sehr merkwürdige Dinge in Hamburg begegnet. Das Albertinen-Krankenhaus bietet seit zehn Jahren dem UKE einen Stiftungslehrstuhl für Geriatrie an. Erst jetzt ist das UKE bereit, dieses Angebot zu akzeptieren. Bisher waren die Internisten der Auffassung, daß sie, wenn sie alte Menschen behandeln, damit auch Geriater seien. Somit sei dieser Lehrstuhl überflüssig. Diese Art von Geringschätzung ist meiner Meinung nach auch ein Ausdruck dafür, warum Sterben im Berufsalltag dieser Ärzte eher als narzißtische Kränkung denn als Herausforderung angesehen wird.
Ein anderes Beispiel: Als die Strahlentherapie vor mehr als zehn Jahren im AK Altona geschlossen wurde, lautete das Hauptargument des Ärztlichen Direktors auf einer Deputationssitzung: Dann haben wir nur noch alte Patienten. Diese Dinge sind unerträglich und müssen sich im Bewußtsein der Mediziner und bei denen ändern, die das finanzieren müssen. Die Schulmedizin schafft das Vakuum, daß wir sowohl in Richtung Hospiz als auch in die andere Richtung diskutieren.
Es ist notwendig – diese Forderungen sind auch schon genannt worden; ich kann sie noch einmal unterstreichen –, Lehrstühle für die Palliativmedizin und die Geriatrie einzurichten und den Sterbeprozeß in die Ausbildung von Ärzten und Pflegekräften genauso zu integrieren wie andere wichtige Lebensabschnitte sowie die Schmerztherapie endlich gebührend umzusetzen. In Deutschland werden erheblich weniger Opiate verschrieben als in vergleichbaren anderen europäischen Ländern. Das ist ein Skandal, es ist eine unterlassene Hilfeleistung.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sterbebegleitung ist in jeder Hinsicht schwierig. Ein Beispiel:
Mit 39 Jahren erkrankte die zweifache Mutter Frau S. an Brustkrebs. Nach einer schweren Operation folgte eine Chemotherapie und eine Bestrahlung. Frau S. war eine tapfere Frau, die die Strapazen der Therapie bravourös meisterte. Zwei Jahre ging alles gut. Dann kamen die Metastasen, zuerst im Narbenbereich auf der Haut, dann in der Leber. Es folgten eine erneute Operation und die Chemotherapie. Starke Schmerzen machten eine Morphinbehandlung notwendig. Häufig war sie nicht mehr in der Lage, aufgrund der starken Nebenwirkungen der Schmerzmittel am täglichen Leben teilzunehmen.
Sie sprach dann über den Tod, machte ein Patiententestament und verfügte, daß künstliche, lebensverlängernde Maßnahmen nicht durchzuführen seien. Es kam der Zeitpunkt, an dem sie nach der Pille fragte, die ihr Leiden beenden würde. In vielen Gesprächen konnte sie dann überzeugt werden, daß sie schmerzfrei und im Beisein ihrer Liebsten einschlafen würde.
Es kamen weitere Schmerzen durch Hirnmetastasen. Die Morphindosen waren jetzt so hoch, daß sie kaum noch wach war. Und wenn sie wach war, hatte sie starke Schmerzen. Sie hat mehrmals um die letzte Spritze gebeten. Ich erinnere mich noch ganz genau an ihre flehenden Blicke.
Von Tag zu Tag wurden die Abstände der Spritzen kürzer. Sie hatte ein starkes Herz. Sie wachte noch einmal auf, ihr Blick war nicht mehr flehend, er hatte den Ausdruck von einem Vorwurf und von Enttäuschung. Ich las darin: Wieso muß ich da durch? Wieso muß ich dieses Horrorszenario erleben? Nach der nächsten Morphindosis schlief sie ein. War dies ein würdevoller Tod? Immerhin starb Frau S. in ihrer gewohnten Umgebung in den Armen ihrer Liebsten. War die letzte Morphinspritze tötend?
Es ist die Aufgabe des Arztes, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten Leiden zu mindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Der Arzt trägt die Verantwortung für den würdevollen Tod. Wo bleibt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten?
„Die heutige Medizin macht oft zuviel. Im Hospiz dagegen will man Leiden lindern, die schweren Schmerzen bekämpfen, auch auf Kosten der Lebensdauer. Verstößt man in diesem Fall als Arzt nicht gegen das Strafgesetzbuch?“
Gerade weil wir Deutschen eine Vergangenheit durch den grauenhaften Mißbrauch der Euthanasie haben, dürfen wir dieses Thema nicht verdrängen. Wir dürfen es nicht allein den Ärzten überlassen, die zum Beispiel durch die Schmerzdosis den Zeitpunkt des Todes beeinflussen können. Ich bin der Meinung, daß wir das Sterben in Würde diskutieren und Regelungen schaffen müssen, die einen klaren, für alle nachvollziehbaren Umgang mit dem Sterben aufzeigen. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Petersen, vielen Dank für diesen Beitrag, den Beitrag eines Arztes.
Ich habe einen ähnlich schwierigen Fall in einer der jüngsten Wochenzeitungen gelesen, bei dem ich mich gefragt habe: Woran liegt es, daß dieser Mensch, der nicht mehr bei Bewußtsein war – es ging hierbei auch um die Angehörigen, die leiden mußten, und um die Patientenverfügung, die der Patient sechs Wochen vorher selbst in vollem klaren Bewußtsein gefertigt hatte –, nicht anerkannt und nicht ernst genommen wurde, weil der Professor sagte, daß der Patient zwar bewußtlos sei und dies auch bliebe, sich aber im Wachkoma befände und nur eine Ernährung benötige. Wenn die Frau des Patienten einer Sondenernährung nicht zustimmen würde, dann werde er über eine Nasensonde ernährt, denn dazu würde ihre Zustimmung nicht gebraucht. Als sie zu einem späteren Zeitpunkt ihren Mann aus dem Pflegeheim nach Hause holen wollte, wurde vom Pflegeheim bei der zuständigen Richterin veranlaßt, daß ihr das Betreuungsrecht entzogen wurde.
Damit solche Dinge nicht mehr möglich sind, muß noch unendlich viel getan werden. Gerade bei der Anerkennung der Patientenverfügung – das habe ich aus den Richtlinien der Bundesärztekammer von 1998 entnommen –, ist offenbar ein gewisser Paradigmenwechsel zu verzeichnen. Während es früher um Lebenserhaltung ging, geht es jetzt auch darum, das – ich darf es einmal so ausdrücken – Sterbenlassen zu lernen. Dazu gehört unbedingt das Ernstnehmen der Patientenverfügung. Bei der damaligen Debatte haben wir gelernt, wie schwierig es ist, diese Verfügung richtig zu hinterlegen und dafür entsprechende rechtliche Formen zu finden. Insofern ist noch unendlich viel an politischen Maßnahmen für eine gute Sterbebegleitung nötig.
Zum hippokratischen Eid, Frau Koppke. Ich meinte nicht das lebenserhaltende Handeln, sondern den Satz: „Ich werde nie ein tödliches Gift verabreichen und auch keinen entsprechenden Rat geben.“ Das scheint mir das Wichtige zu sein.
Zu damaligen Zeiten gab es noch keine lebenserhaltenden Maschinen und Apparate. Es ist heute wirklich das Wichtigste, daß ein Patient mit seinem Selbstbestimmungsrecht verlangen kann, daß die lebenserhaltenden Maßnahmen beendet werden. Wenn der Patient selbst nicht mehr dazu in der Lage ist, dann sollen dies seine Angehörigen beziehungsweise die Bevollmächtigten tun können. Wir müssen die Notwendigkeit vermitteln, daß Patienten mit voller Geisteskraft Menschen dazu bevollmächtigen, die ihr Vertrauen besitzen.
Dafür möchte ich so gern die Medien gewinnen, daß sie über die Notwendigkeit, eine gute Sterbebegleitung zu veranlassen und zu erreichen, viel mehr berichten, so daß sich die Menschen mehr mit den Fragen über den Tod – auch über ihren eigenen Tod – auseinandersetzen. Das ist wieder notwendig. Früher starb man im Kreis der Familie und war gut aufgehoben. Es gab Gott sei Dank vieles nicht, was wir heute wissen.
Der Arzt – das hat der Beitrag von Herrn Petersen gezeigt – befindet sich in einer schwierigen Situation. Frau Thomas sagte mir, daß ein Arzt sicher sein muß, wenn er die lebenserhaltenden Maßnahmen beendet hat, nicht vor den Kadi zu kommen, weil die Angehörigen gefragt haben: Warum haben Sie nicht alles getan, um auch noch das Letzte zu versuchen?
Es gibt noch eine Fülle von Problemen, die wir in einer Aktuellen Stunden mit unseren fünfminütigen Beiträgen leider nicht in der notwendigen Ruhe besprechen können. Viel
leicht schaffen wir in Hamburg dafür ein eigenes Forum, um uns damit ernsthaft auseinanderzusetzen. Vielen Dank für das, was hier gesprochen wurde.
Frau Koppke, Sie haben besonders die holländische Situation angesprochen. Hier sind wir in der Einschätzung sehr unterschiedlicher Meinung.
Sie sagten, daß der jetzigen gesetzlichen Regelung ein jahrelanger, kritischer Diskussionsprozeß vorangegangen wäre. Das stimmt so nicht.
Der jetzigen gesetzlichen Regelung in Holland ist vor allem eine jahrelange, hochfragwürdige Praxis vorausgegangen, die auch schon die aktive Tötung von Patienten zuließ, und zwar auch die Tötung von Menschen, die nicht ihre Einwilligung hierzu gegeben haben und es auch nicht konnten. Diese Praxis wird jetzt durch das Gesetz legalisiert. Das ist der schwierigste Punkt.
Das holländische Gesetz sieht nun vor, daß man im Rahmen einer Patientenverfügung verfügen kann, daß man, wenn man in einem späteren Stadium einen Zustand erreicht hat, den man beim Aufsetzen der Verfügung als unerträglich ansieht und in dem man nicht mehr dazu einwilligen kann, daß man dann durch den Arzt getötet werden möchte. Das ist für mich etwas ganz anderes, als keine aktiven Maßnahmen mehr durchzuführen.
In Holland sind schon sehr viele Menschen getötet worden, die an einer Demenzerkrankung litten, also nicht mehr zustimmen konnten. Es sind dort auch Menschen aktiv durch ihren Arzt getötet worden, die an Depressionen und psychischen Störungen litten und die in genauer untersuchten Einzelfällen nicht so behandelt wurden, wie man es hätte tun können.
In diesem Zusammenhang ist der Fall eines ehemaligen Senators in Holland bekannt geworden. Er war lebensmüde, hatte keine Lust mehr – das gibt es im Alter von Mitte achtzig – und hat die Tötung durch den Arzt verlangt. Wir müssen es in manchen Fällen akzeptieren, wenn ein Mensch sich selbst das Leben nimmt, so schwer es auch sein mag. Aber es ist etwas anderes, ob ich dazu die Hilfe meines Arztes erbitte.
Die holländische Regelung ist für mich deshalb so problematisch – darüber sollten wir nachdenken –, weil sich eine Situation abzeichnet, daß Menschen sich genötigt sehen, ihre Tötung zu verlangen, weil sie anderen nicht zur Last fallen wollen. Hier müssen wir aufpassen, denn das ist der Kernpunkt, und der ist für uns sehr wichtig.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte gern ein anderes Problem ansprechen, das mir sehr am Herzen liegt, in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist, das ich aber wegen der Kürze der Zeit nicht vortragen konnte.