Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

Die GAL-Fraktion beantragt eine Überweisung an den Sozialausschuss. Wer möchte das Wort? – Frau Möller, Sie haben es.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diese Überweisung kommt ein bisschen plötzlich, das weiß ich wohl. Ich habe mir, als ich mir noch einmal die fünfzehnseitige Antwort auf meine Große Anfrage angesehen habe, in Anbetracht der Zeit aber gedacht,

(Präsidentin Dr. Dorothee Stapelfeldt übernimmt den Vorsitz.)

dass ich meine Redezeit von 20 Minuten nicht dazu nutzen möchte, um Ihnen alles von dieser Stelle zu sagen, was man sagen muss. Wir können uns die Zeit nehmen, um darüber – auch mit der Senatorin – im Sozialausschuss ausführlich miteinander zu reden. Das möchte ich vorweg zu dem etwas plötzlich formulierten Überweisungswunsch sagen.

Ich fange aber trotzdem einmal an. Diejenigen, die sich die Antwort auf die Große Anfrage angesehen haben, haben vielleicht das gleiche Empfinden wie ich. Es ist ein Thema, das einen riesigen Berg von Fragen stellt und von Problemen beinhaltet. Es ist auch ein Thema, das die Stadt schon seit mindestens zehn Jahren beschäftigt. Das haben weder wir zu Ende gebracht noch wird es die jetzige Regierung im positiven Sinne zu Ende bringen. Wir werden auf lange Sicht weiterhin damit leben müssen, dass fast 80 Prozent der Zuwanderer, die in diese Stadt kommen, erst einmal für einen kurzen oder längeren Zeitraum die öffentliche Unterbringung benötigen werden. Es wird also eine der großen sozialpolitischen Aufgaben des Senats und auch der Bezirke bleiben.

Mittlerweile sind es fast 25000 Menschen, die auf diese öffentliche Unterbringung angewiesen sind. Dazu kommen im Übrigen 3000 Plätze für Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen obdachlos oder wohnungslos geworden sind. Diese möchte ich heute nicht weiter betrachten, obwohl sie natürlich auch für sich gesehen der Betrachtung wert sind und besprochen werden könnten. Die Einrichtungen dafür werden von den Bezirken und von pflegen & wohnen vorgehalten.

Es spricht vieles dafür, über das Interesse, das ich erreichen möchte, im Ausschuss noch ausführlicher zu reden. Ich entlasse Sie jedoch nicht aus der Pflicht, mir für den einen oder anderen Satz Ihr Ohr zu schenken.

Die Überfüllung unserer Einrichtungen macht eines der Probleme ganz deutlich: In dieser Stadt gibt es in öffentlichen Unterbringungen Platz für 20000 Personen. Die Einrichtungen sind in jedem Jahr mit circa 1000 Personen überbelegt.

Mindestens 3500 Menschen haben einen Wohnberechtigungsschein, sodass sie überhaupt nicht mehr in öffentlichen Unterbringungen leben müssten; um diese geht es uns zunächst einmal vorrangig.

Das Heraushelfen auf dem Weg aus der öffentlichen Unterkunft muss effizienter gestaltet und begleitet werden. Die zuständigen Wohnungsbauunternehmen, Bezirke und andere Institutionen sind in der Pflicht, diesen Weg zu beschleunigen. Nur dann lässt sich die Überbelegung am Anfang der Kette – auf den Schiffen – tatsächlich beseitigen. Dann können die Personen langsam „nachwachsen“. Gemeint ist natürlich, dass die Aufenthaltsdauer auf den Schiffen verkürzt werden kann, damit die Menschen in die Folgeunterbringungen hineinwachsen.

Das ist das bisherige Ziel der Sozialbehörde gewesen. Ich entnehme den Antworten, dass dies auch weiterhin das Ziel sein wird. Nur der Weg dahin ist noch nicht klar. Zunächst verweist die neue Senatorin natürlich zu Recht darauf, dass sie sich erst das Modellprojekt Harburg und die anderen bisherigen Konzepte ansehen wird, um ihre eigenen Schlüsse daraus zu ziehen und dann einen Neustart oder eine Weiterführung des bisher Vollzogenen anzugehen. Die Frage ist nur: Wie lange dauert das? Das habe ich

(Dr. Willfried Maier GAL)

zwar nicht so konkret gefragt, aber auch das sollten wir möglichst schnell diskutieren. Denn eine weitere jahrelange Verzögerung bedeutet für die Menschen, dass sie jahrelang in den Einrichtungen leben, in denen sie überhaupt nicht mehr leben müssten, weil sie einen Wohnberechtigungsschein haben. Die Einrichtungen sind nur für einen kurz- oder mittelfristigen Aufenthalt geplant. Das sind – auch die Pavillondörfer – keine Dauereinrichtungen.

Es gilt vor allem die Frage zu klären, warum diese Engpässe entstehen und wo die Probleme liegen. Von den Kosten will ich im Übrigen nicht reden; das wäre ein anderer Halbstundenbeitrag. Sie wissen aber sicherlich, dass die öffentliche Unterbringung mindestens 25 Prozent teurer ist als die Unterbringung im öffentlich geförderten Wohnungsbau. Das ist schon ein Argument für sich.

Natürlich wissen wir alle, dass möglicherweise die Akzeptanz das Hauptproblem ist. Das erleben wir in den Quartieren der Bezirke, wenn es darum geht, dass Einrichtungen der öffentlichen Unterbringung oder die Belegung von öffentlich gefördertem Wohnraum mit Aussiedlern oder anderen wohnberechtigten Zuwanderern geschaffen werden sollen. Wenn die Debatte darauf kommt, dann gibt es immer Streit vor Ort. Hier haben wir alle gemeinsam eine politische Aufgabe zu lösen. Dieses Sankt-Florians-Prinzip darf man einfach nicht mehr zulassen.

(Frank-Thorsten Schira CDU: Wir werden Sie daran erinnern! – Elke Thomas CDU: Wir werden darauf zurückkommen!)

Falls das die Intention Ihres Zwischenrufs war: Zur Versachlichung der Debatte würden wir gern mit beitragen.

Es ist aus unserer Sicht das vorrangige Ziel, den Umzug der Wohnberechtigten in die Wohnungen zu beschleunigen. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei natürlich die Verteilung der Menschen über das Stadtgebiet. Die Ergebnisse dieser Großen Anfrage – das haben wir in diesem Detailgrad zum ersten Mal erlebt, vielen Dank dafür – zeigen eindeutig, in welche Stadtteile die Menschen wie verteilt werden. Es gibt in einigen Stadtteilen erhebliche Konzentrationen, auch in denen, wo die soziale Lage bereits angespannt ist. Dann gibt es andere Stadtteile mit weit unterdurchschnittlichen Aufnahmequoten oder keinen öffentlichen Unterbringungen.

Sie können selbst nachvollziehen, welche Stadtteile sich aus der Verantwortung stehlen. Ich sage das mit Absicht so drastisch, weil sich viele von Ihnen sicher an die Debatten erinnern. Wir wissen alle, welche Bezirke ihre Quote nicht erfüllt haben, wussten aber nie, welche Stadtteile in welchem Umfang mit welchen Einrichtungen ausgestattet sind. Nun wissen wir es und das ist für die weitere Arbeit in diesem Bereich sehr hilfreich.

Im Sinne eines quasi sozialen Lastenausgleichs muss auf eine gleichmäßige Verteilung über alle Stadtteile hingearbeitet werden. Dafür braucht man natürlich neue Kriterien. Die Bevölkerungszahl reicht aus unserer Sicht nicht aus. Das sieht man, wenn man ins Detail geht.

(Unruhe im Hause – Glocke)

Frau Möller, meine Damen und Herren! Es ist hier im Raum zu laut. Deswegen bitte ich Sie, Ihre Gespräche nach draußen zu verlagern. Sie haben das Wort, Frau Möller.

Nötig ist eine kleinteilige Entwicklung, keine Quartiere in großen Wohnheimen, die das überhaupt nicht tragen können, und eine Dekonzentration dieser sogenannten belegungsgebundenen Bestände. Diese Durchmischung – damit sind wir wieder bei der Debatte von gestern – muss natürlich in zwei Richtungen ablaufen. Nicht nur die sozial benachteiligten Stadtteile sollen stärker mit attraktivem Wohnungsbau durchmischt werden, sondern auch die sozial stabilen Stadtteile auf der – um es ein wenig dramatisch zu sagen – Sonnenseite müssen ihren Beitrag zu einem sozialen Lastenausgleich beitragen. Ich weiß, das gibt Streit und Debatten, aber wir müssen dieses Thema angehen. Und ich glaube auch, dass dies alle – die Politikerinnen und Politiker vor Ort vielleicht noch mehr als wir hier – wissen.

Das geht im Übrigen natürlich nicht, wenn man die attraktiven Bestände aus den städtischen Wohnungsunternehmen herauslöst und verkauft. Aber das ist wieder ein anderes Thema. Diese Debatte nehme ich heute nicht auf. Aber vielleicht fühlen Sie sich zumindest genötigt, sich doch einmal die Große Anfrage anzusehen. Denn es geht in diesem Fall nicht nur um das Thema, wohin die Flüchtlinge oder die Aussiedler sollen, sondern es geht auch um Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaupolitik.

In diesem Zusammenhang ist mir allerdings unverständlich – ein bisschen Kritik muss dann doch sein; das macht die Antwort des Senats deutlich –, dass er es nicht für nötig hält, eine Einschätzung oder Prognose über die zu erwartenden Zuwandererzahlen einzuholen. Es wird geantwortet, dass diese Prognose nicht machbar wäre, weil sie von regionalpolitischen Entwicklungen abhinge. Man weiß natürlich, welche regionalpolitischen Entwicklungen – zum Beispiel EU-Osterweiterung und andere – demnächst anstehen.

Ich glaube, dass eine wissenschaftliche oder zumindest externe Prognose der Zuwandererzahlen für Hamburg dringend nötig ist. Wir brauchen diese Zahlen auch, um zu einem schlüssigen stadtentwicklungspolitischen Konzept für das Wohnen und die Unterbringung in der Stadt zu kommen. Die Entwicklungen sind prognostizierbar und eine Prognose ist machbar, denn auch ein Teil dieser Einwanderer wird zunächst günstigen Wohnraum benötigen. Damit schließt sich der Kreis zur gestrigen Debatte noch einmal.

Ich möchte zusammenfassend sagen: Die öffentlichen Unterkünfte sind weiterhin überfüllt und die Unterbringung in Wohnungen ist von den Kosten her um circa 25 Prozent günstiger. Die Integrationsmöglichkeiten für die verschiedenen Zuwanderer sind im normalen Wohnraum und in Quartieren wesentlich leichter, besser und erfolgversprechender. Eine Unterbringung in kleinen Einheiten ist immer quartier- und stadtteilverträglicher als große Wohnheime und -einrichtungen, die jetzt teilweise vorhanden sind.

Hier ist eine unterstützende Sozialarbeit und Betreuung durchaus bis in die Hausgemeinschaften hinein nötig. Möglicherweise kostet das zusätzliches Geld, aber genau das muss man den Ersparnissen gegenrechnen, wenn die Unterbringung in Wohnungen tatsächlich realisiert wird. So haben Hausgemeinschaften eine reale Chance, zusammenzuwachsen, auch zu funktionieren und sich in stabilen Quartieren zu entwickeln.

Ich glaube, in diese Richtung muss die Debatte gehen. Ich bin mit Absicht nicht auf die Zahlen im Detail eingegangen. Die Antwort ist spannend; ich bedanke mich noch einmal

(Antje Möller GAL)

dafür. Daran kann man weiterarbeiten. Ich hoffe einfach auf eine Unterstützung unseres Überweisungsantrags.

(Beifall bei der GAL und bei Simone Kerlin SPD)

Das Wort hat jetzt Frau Fiedler.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nicht planbare und unkoordinierte Zuwanderung von Flüchtlingen und Aussiedlern stellen großen Metropolen wie Hamburg vor schwer lösbare Aufgaben. Deswegen sind die Schwankungen, die auf internationalen und europäischen Entwicklungen basieren, langfristig nur mit einem umfassenden Konzept für Zuwanderung und Integration zu bewältigen.

(Beifall bei der SPD und bei Christian Maaß GAL)

Die Bundesregierung hat längst diese Notwendigkeit erkannt und den Entwurf für das neue Zuwanderungsrecht entsprechend gestaltet. Es wäre politisch schädlich, wenn dieses so wichtige Reformprojekt dem bevorstehenden Wahlkampf geopfert würde.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Der Bürger kann schon darüber entscheiden, was für ihn wichtig ist!)

Ein entscheidendes Instrument für die Eingliederung von Flüchtlingen in den Kommunen ist bekanntlich die Bereitstellung von angemessenem Wohnraum. Jedoch zeigt die Antwort des Senats auf die Große Anfrage der GAL, dass trotz aktueller Entspannung der Lage weiterhin ein strukturelles Problem besteht.

Mit der Größenordnung von 20000 Menschen in öffentlichen Wohneinrichtungen können und wollen wir uns auch nicht zufrieden geben. Diese Situation verhindert nicht nur Integration, sie schafft noch zusätzliche fiskalische Probleme; das wissen alle hier im Haus.

Die Anfrage der GAL verschafft uns heute allerdings keine nennenswerten neuen Erkenntnisse. Die derzeitigen Verhältnisse mit einer dauerhaften Überlastung auf den Schiffen in Neumühlen sind schlicht und einfach als menschenunwürdig zu bezeichnen und bereiten außerdem den Nährboden für gesellschaftliche Folgeprobleme. Darüber müssen wir uns im Klaren sein, dass humanitäre Regelungen wie angemessene Unterbringungen nicht nur dazu dienen, individuelle und leidvolle Schicksale zu lindern, sie dienen vor allem der Prävention und dem sozialen Frieden in dieser Stadt.

(Beifall bei der SPD und bei Antje Möller GAL)

Hier gibt es gar nichts zu lachen.

(Frank-Thorsten Schira CDU: Hier lacht keiner!)

Eines muss hier in aller Deutlichkeit gesagt werden: Hamburg hat in der Vergangenheit aufgrund des ungerechten Verteilungsschlüssel der Bundesländer eine besonders hohe Zahl von Flüchtlingen ohne dauerhafte Aufenthaltsperspektiven aufnehmen müssen; das ist eine Wahrheit.

(Erhard Pumm SPD: Das stimmt!)

Dies gilt übrigens für die Gruppe der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge.

(Uwe Grund SPD: Nicht nur die!)

Die massiven Bemühungen des rotgrünen Senats für eine gerechte Verteilung haben nach langer Blockade im Bundesrat zu der heutigen Entspannung geführt.

(Beifall bei der SPD – Manfred Silberbach Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Nur innerhalb Ham- burgs nicht!)