Protokoll der Sitzung vom 29.10.2003

Abschließend, meine Damen und Herren, können wir sagen, dass mit einem derartigen Praktikum, das auch an mehreren verschiedenen Schulen durchgeführt werden kann und damit eine entsprechende Transparenz und Flexibilität von vornherein beinhaltet, natürlich nur ein erster Eindruck vermittelt werden kann, aber es kann dazu beitragen, ein klareres Bild über die realen Anforderungen des zukünftigen Berufs zu erhalten und frühzeitig entsprechende Erfahrungen im richtigen Umgang mit Kindern und Jugendlichen zu sammeln. Deswegen, meinen wir, lohnt es sich, auch diesem "niedlichen" Antrag aus inhaltlicher Begründung zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Frau Goetsch hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema Lehrerbildung ist ein sehr wichtiges Thema. Ich würde hier gerne noch einmal an einem konkreten Beispiel deutlich machen, wie man diesen Antrag einsortieren muss und wo er Sinn machen würde oder nicht.

Herr Drews, alle Lehramtsstudenten, egal, welches Amt sie anstreben, ob höheres oder Grund- und Mittelstufe,

müssen im ersten Semester eine praxisorientierte Einführung machen. Alle Lehramtsstudenten. Ich selbst habe diese praxisorientierte Einführung von 1992 bis 1997 als Dozentin mit Lehrauftrag gemacht und finde es auch extrem wichtig, dass diese angehenden Kolleginnen und Kollegen ganz schnell mit Schule und Kindern in Berührung kommen, um festzustellen, ob sie überhaupt geeignet sind. Diese praxisorientierten Einführungen werden allerdings nicht von allen Dozentinnen und Dozenten in der Schule mitgemacht. Insofern wäre da der Ansatz.

Ich war, als ich diesen Lehrauftrag zum ersten Mal hatte, die ersten zwei Semester immer wieder enttäuscht, wenn ein, zwei dieser jungen Leute gleich absprangen, weil sie festgestellt hatten, wenn sie direkt an den Kindern waren, dass das doch nicht ihr Beruf ist. Ich habe immer gesagt, ihr müsst euch austesten, ob das auch wirklich euer Beruf ist. Das Gute ist, wenn das relativ schnell festgestellt wird, dass man dann eventuell Diplompädagogik weitermacht oder nur die Fachwissenschaft oder, oder. Insofern d´accord, Praxis ja.

Herr Drews, Sie sprachen schon die HKL an, also die Kommission, die damals ganz speziell auf Wunsch der GAL mit Experten von außen besetzt wurde. Das war ein richtiger Kraftakt, einmal die gesamte Lehrerbildung auf den Prüfstand zu stellen mit einem Kommissionsleiter aus der Schweiz, dem Professor Oelkers, der auch ganz knallhart mit dieser Kommission erarbeitet hat, wo überall die Mängel sind. Der Bericht ist wirklich sehr aufschlussreich. Es ist schon Ende der letzten Legislaturperiode begonnen worden, diese drei Phasen der Lehrerbildung, die sich untereinander nie grün waren – Studium, Referendariat und Schule, das ist immer jeweils eine Bastion für sich gewesen –, einmal zusammenzubringen. Das war wirklich ein richtig guter Prozess.

Der zweite Punkt ist der, dass in dieser Kommission ein Pflichtanteil "Umgang mit kultureller und sozialer Heterogenität" verbindlich war, nämlich genau das, was wir in Schulen vorfinden und was jahrelang nicht verpflichtend, zum Beispiel in meinem Studium, gelehrt wurde, Umgang verpflichtend, was Schulentwicklung bedeutet, und auch Umgang mit Medien und Einsatz und so weiter. Das waren Anteile, um das Lehramtsstudium verbindlich zu machen.

Was ich vermisse – es haben bundesweit dazu Kommissionen getagt –, ist, wie eigentlich der Praxisanteil aussehen soll. Es reicht nicht mal ein Praktikum, es reicht auch nicht mal ein Schnellschuss, wie ein Praktikumssemester – das hatte Hessen vorgeschlagen, das ist nach hinten losgegangen –, sondern Sie müssen eine Kontinuität an Praxis haben, die dann theoretisch immer wieder reflektiert wird an der Uni. Am besten wäre, jeder Student hätte eine Patenschule und würde da regelmäßig den Schulalltag mitbekommen und nicht nur mal hospitieren. Die HKL hat ein halbjähriges Praktikum vorgeschlagen, was dann auch parallel von der Uni mitbetreut wird. Daran muss weiter gearbeitet werden. Ich finde, dass sich Ihr Antrag nicht in diesem Gesamtkontext wiederfindet, sondern das ist so etwas, wo jeder, Klein Erna, sagt, ja, das ist gut, das hört sich gut an, wenn Lehrer erst einmal ein Praktikum machen.

(Wilfried Buss SPD: Hört, hört!)

Aber es ist eben nicht im Gesamtkontext von Reformen der Lehrerbildung angesiedelt. Insofern bin ich auch gespannt auf die Anhörung am 11. Dezember. Wir werden

uns bei dem Antrag enthalten, weil er fachlich einfach nicht ausreichend ist. – Danke.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL und der SPD)

Herr Woestmeyer, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn man in diesen Tagen über den Campus der Universität geht, fällt einem eines auf: Baulich tut sich da etwas.

(Christa Goetsch GAL: Ja, das hat Krista Sager angestoßen!)

Mit der Grundsanierung des erziehungswissenschaftlichen Traktes erhalten die Studierenden und Lehrenden des Lehramtes endlich wieder angemessene Räumlichkeiten. Auch inhaltlich – und da ist dann Schluss mit Krista Sager – unterzieht sich die Lehrerausbildung in Hamburg einem wichtigen Reformprozess.

Die Idee und der Wunsch nach mehr Praxisnähe, wie zum Beispiel durch eine vermehrte Anzahl von Praktika, ist zugegeben nicht neu. Hier ist schon die Kommission aus der letzten Legislaturperiode zitiert worden. Ich zitiere eine andere Kommission, nämlich die so genannte "gemischte Kommission Lehrerbildung", 1998 von der KMK eingesetzt, die auch verdeutlicht hat, wie wichtig eine stärkere Anbindung an die Praxis ist.

Unser Antrag, der Antrag der Regierungsfraktionen, soll einen kleinen, aber nicht unerheblichen Beitrag zu diesem Prozess darstellen. Uns geht es bei diesem Antrag, den wir heute beraten, nicht etwa nur darum, die Anzahl der Studierenden, die ihr Studium frühzeitig abbrechen, zu minimieren, sondern wir wollen den Studierenden durch den direkten Praxisbezug schon zum Beginn des Studiums Perspektiven aufzeigen, denn sie sind die Lehrerinnen und Lehrer, die in der Zukunft Hamburgs Schüler zu unterrichten haben.

Frau Goetsch, wenn Sie sagen, dies sei ein niedlicher Antrag, dann muss ich sagen, dass es auch immer wieder niedlich ist, wie Sie das hier vortragen. Entweder Sie üben Kritik an den Reformvorhaben, die wir auf den Weg bringen, und tun so, als wäre der Status quo eigentlich das, was man unbedingt erhalten müsste, damit sich bloß nichts ändert an dem, was Sie uns hinterlassen haben, weil Sie offensichtlich auch ein bisschen Angst haben, Ihre Klientel mit zu viel eigenem Reformeifer zu verschrecken, oder – und das finde ich wiederum sehr niedlich – Sie zitieren hier ebenso die Kommission, kommen zu den gleichen Schlüssen wie wir und sagen dann, daraus müsste man Konsequenzen ziehen. Aber wenn wir eine Konsequenz daraus ziehen und hier solch ein Orientierungspraktikum fordern, dann ist Ihnen das wieder zu wenig, dann kanzeln Sie das als zu niedlich ab. Das wiederum finde ich niedlich. Der spärliche Applaus in Ihrer Fraktion war auch sehr niedlich dazu. Also dann wissen Sie, was Sie davon haben.

(Beifall bei Katrin Freund Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Die Stärkung der Praxisnähe in der Lehrerausbildung ist uns in der Koalition ein wichtiges Anliegen. Auch die Strukturkommission unter Vorsitz des geschätzten Dr. Klaus von Dohnanyi kam zu dem Ergebnis, dass die Lehrerausbildung in Hamburg einen früheren und auch einen stärkeren Praxisbezug braucht. Im Dezember wird

dann der Wissenschaftsausschuss gemeinsam mit dem Schulausschuss über die Reform der Lehrerausbildung beraten. Ich freue mich da auf eine anregende und sachliche Diskussion. Es steht dem aber überhaupt nichts im Wege, diesem Antrag, diesem ersten richtigen und wichtigen Schritt, heute gleich zuzustimmen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das kann ich nicht erkennen. Dann kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drs. 17/3468 federführend an den Wissenschaftsausschuss und mitberatend an den Schulausschuss zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Der Antrag ist somit abgelehnt.

Dann lasse ich jetzt in der Sache abstimmen. Wer möchte diesen Antrag annehmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Somit ist dieser Antrag mit Mehrheit und vielen Enthaltungen beschlossen worden.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 8, Große Anfrage der GAL-Fraktion: Verkehrsunfälle mit Kindern im Jahr 2002.

[Große Anfrage der Fraktion der GAL: Verkehrsunfälle mit Kindern im Jahr 2002 – Drs. 17/2903 –]

Wer wünscht das Wort? – Herr Lühmann, Sie haben es.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Passend zur heutigen Debatte titelte das "Hamburger Abendblatt" am letzten Freitag "15 Prozent weniger Unfälle mit Kindern". Das ist in der Tat ein Anlass zur Freude, aber ausdrücklich kein Grund zur Entwarnung, denn hoffentlich freuen wir uns nicht zu früh. Schließlich warnt auch der Leiter der Verkehrsdirektion, Herr Kneupper, vor zu viel Euphorie, denn genau jetzt – und ich zitiere ihn da –

"... beginnt mit rutschigen Straßen und schlechter Witterung die gefährliche Unfallzeit".

Das Niveau, auf dem sich Hamburgs Unfälle mit Kindern ereignen, ist immer noch erschreckend hoch. Die Basis, von der wir ausgehen, sind 477 von 100 000 Kindern, die 2002 auf Hamburgs Straßen verunglückt sind. Damit ist das Risiko für Kinder, in Hamburg im Straßenverkehr zu verunglücken, deutlich höher als im Bundesdurchschnitt, der bei 340 von 100 000 Kindern liegt. Ein bisschen plastischer ausgedrückt: Das Risiko eines Kindes, in Hamburg zu verunglücken, ist 40 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt.

Die Vermutung, dass es sich hierbei um ein Großstadtphänomen handeln könnte, widerlegen die Zahlen aus Berlin, die sich exakt auf dem Bundesdurchschnitt bewegen. Selbst wenn ein erheblicher Rückgang, so wie eingangs erwähnt, in Hamburg eintreten sollte, wären die Unfallzahlen Hamburgs immer noch deutlich über dem Stand von Berlin. Damit ist das Risiko eines Kindes, in Hamburg zu verunglücken, deutlich größer als in anderen vergleichbaren Großstädten.

In der Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage räumt dieser freimütig ein, dass ihm keine plausiblen

Erklärungen dafür vorliegen, und weil er keine Erklärungen hat, ist leider in der Folge auch von einer Strategie gegen diese Unfälle überhaupt keine Spur.

Am Tag der Einweihung der Verkehrsdirektion in der Stresemannstraße sprach Polizeipräsident Nagel richtigerweise davon, dass jedes Kind, das Opfer eines Verkehrsunfalls wird, eines zu viel sei. Um dann fortzufahren, wie schwierig es sei, die Sicherheit der Kinder zu gewährleisten und gleichzeitig den Verkehrsfluss – und damit meint er natürlich nur den Verkehrsfluss der Autos – zu beschleunigen, was politische Vorgabe sei. Da haben Sie es aus berufenem Munde, die Polizei kann diesen inhaltlichen Widerspruch doch gar nicht auflösen. Fragen Sie sich doch einmal ehrlich, meine Damen und Herren, warum sich immer mehr Eltern nicht trauen, ihre Kinder zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule oder in den Kindergarten zu schicken und sie stattdessen dorthin chauffieren. Welches Klima herrscht denn in der Stadt, wenn in demselben "Abendblatt"-Artikel steht, dass innerhalb von nur sieben Minuten neun Geschwindigkeitsverstöße gemessen werden, und zwar an einem Fußgängerüberweg direkt vor einer Grundschule, und das völlig unverdeckt messend. Was für ein Rasereiklima haben wir in der Stadt, das Kinder nachhaltig bedroht.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Das sind die Lehrer um fünf nach acht!)

Der Senat, Herr Ehlers, setzt sein Hauptaugenmerk in der Verkehrspolitik auf die Beschleunigung des Autoverkehrs, durch Entpollerung, grünen Pfeil und Heraufsetzung der Höchstgeschwindigkeit. Immerhin wird nun – dank des Eingriffs von Herrn Nockemann – nicht mehr die Toleranzgrenze pauschal angehoben, aber das war ja auch nur die Spitze des Eisberges. Die Chefsache "Entpollerung" soll nach jüngsten Auskünften unvermindert weiter betrieben werden, obwohl bereits jetzt im Bezirk Mitte großflächig zu sehen ist, wie nicht mehr geschützte Grünflächen, Fuß- und Radwege als Parkplätze missbraucht werden. Der grüne Pfeil besitzt, wie die Uni Kaiserslautern jüngst feststellte, ein nicht unerhebliches Gefährdungspotential für Fußgängerinnen und Radfahrerinnen, weil es immer wieder zu unklaren Situationen kommt, und die überfordern ganz besonders das Verkehrsverständnis von Kindern. Wenn gegenüber der Universität sogar darauf verwiesen wird, dass – ich zitiere –

"… bei Überwachung durch die Polizei die Auseinandersetzung mit den Autofahrern ganz wesentlich erleichtert wird durch das Schild, das sie zur Anhaltepflicht mahnt",

dann macht das doch überdeutlich, wie gering die Regeltreue ist, wenn die Polizei nicht da ist. Versuchen Sie doch mal, einem Autofahrer klarzumachen, dass er dort anhalten soll. Der biegt dann um die Ecke und ist weg.

Dann gibt es noch dieses schöne Thema Tempo 60 auf Hauptverkehrsstraßen, das nicht einmal den Autofahrerinnen selbst etwas nützt. Wissenschaftlich nachgewiesen ist ein maximaler Effekt von 3 Prozent effektiver Verkehrsbeschleunigung. Im Gegenzug steigt aber die Gefahr von Unfällen und ihre Schwere überproportional an. Jetzt greift der Senat endlich gegen Raserei durch – solange die von Radfahrern betrieben wird.

(Beifall bei Christa Goetsch und Christian Maaß, beide GAL)

Der Sicherheits- und Ordnungsdienst verhängt nun Strafen zwischen 30 und 75 Euro gegen Radfahrerinnen, die von Radwegen auf Fußwege ausweichen. Das wird Pi mal Daumen geschätzt, wie schnell die gefahren sind. Von den Aussprüchen, in denen Geschwindigkeitskontrollen des Autoverkehrs als Abzocke verunglimpft worden sind, hat sich der Senat dagegen niemals distanziert. Fußgängerinnen und Radfahrerinnen werden von diesem Senat eben definitiv nicht als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmerinnen betrachtet. Denn im Detail betrachtet offenbart der Verkehrsbericht 2002, dass vor allem die Gruppe der Kinder im Alter von 11 bis 14 Jahren besonders gefährdet ist. Deren Unfallhäufigkeit schnellte um satte 16 Prozent in die Höhe.

Und was macht diese Gruppe so besonders? Das sind die Kinder, die anfangen Rad zu fahren, und es sind allgemein Fußgänger und Radfahrer, die die Leidtragenden dieser Politik sind, denn sie verunglücken insgesamt zu 28 Prozent im Straßenverkehr. Das ist schon etwas höher, als ihr Verkehrsanteil ist, aber bei der Zahl der getöteten Verkehrsopfer, da geht ihr Anteil auf 50 Prozent hoch. Bei der Zahl der Schwerverletzten steigt er sogar auf über 50 Prozent. Das bedeutet: Wer sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad in der Stadt bewegt, wer sich stadtverträglich bewegt, wer zu den Schwachen im Verkehr gezählt werden muss, der ist überproportional gefährdet in der Stadt, und das sind eben die Kinder, die überwiegend mit dem Rad fahren und zu Fuß durch die Stadt gehen.

Was wir in Hamburg brauchen, ist eine umfassende Strategie zur Unfallvermeidung. Und was bietet der Senat uns an? Jetzt wird die Kampagne "Rücksicht auf Kinder... kommt an" als großer Erfolg gewertet. In der Antwort auf die Große Anfrage unserer Fraktion hieß es noch:

"Als Indikatoren für den Erfolg von Verkehrssicherheitsaktionen können nur indirekte Größen... herangezogen werden."

Da war man sich also noch gar nicht sicher, was der Wert einer Kampagne ist. Und die Bundesanstalt für Straßenwesen stellt dagegen ganz eindeutig fest, dass Kampagnen durchaus geeignet sind, mit vergleichsweise geringem Mitteleinsatz kurzfristig Erfolge zur Verbesserung der Verkehrssicherheit zu erzielen – das erleben wir hier –, aber dann warnt die Bundesanstalt im Weiteren, die Erfolge durch Baumaßnahmen und ernsthaft verschärfte Kontrollen seien dagegen dauerhafter. Wir müssen also befürchten, dass sich dieser Erfolg der Kampagne sehr schnell abschleifen wird.