Protokoll der Sitzung vom 12.11.2003

Im Übrigen, ich verstehe gar nicht: „Sozialhilfe vernachlässigen“. Lieber Herr Böwer, Sie müssen es nun doch wenigstens gelesen haben. Sie wissen genau, die Priorität 2 bei der Zuteilung von Kita-Plätzen ist die Rückkehr aus der Sozialhilfe. Das haben wir gerade eingeführt, anders als Sie.

(Beifall bei Burkhardt Müller-Sönksen FDP)

Wenn heute jemand Sozialhilfeempfänger ist und einen Arbeitsplatz bekommt, dann hat er die zweithöchste Priorität und erhält garantiert einen Kita-Platz. Das ist die Realität. Wir kümmern uns um die Sozialhilfeempfänger. Das nur dazu.

Einen Punkt habe ich noch vergessen. Bemerkenswert war, Frau Freudenberg, Sie haben sich erlaubt, sehr abfällig über Tagesmütter zu reden. Lesen Sie einmal nach, was die von Ihnen gestellte Bundesregierung dazu sagt. Da steht, die Tagesmütter leisten einen wichtigen Beitrag zur Kinderbetreuung, Berlin, 7. November 2003. Von Ihrer eigenen Bundesregierung zutreffend festgestellt.

(Dr. Dorothee Freudenberg GAL: Das habe ich gar nicht gesagt!)

Dass Sie nichts dafür tun und dass die 1,5 Milliarden nicht kommen, ist eine ganz andere Frage. Soweit zu Ihren Äußerungen, die mit dem Antrag gar nichts zu tun haben, aber wir können nicht ernsthaft die Tiraden immer im Raume stehen lassen.

(Zuruf von Antje Möller GAL)

Wissen Sie, Frau Möller, Herr Böwer hat Ihnen einen Tipp gegeben. Wenn Sie etwas sagen wollen, die Hand heben und herkommen.

Viele Sozialhilfeempfänger in dieser Stadt können und wollen etwas tun und wir wollen Ihnen dazu verhelfen. Es gibt einen Bedarf an Tagespflege und es gibt auch Sozialhilfeempfängerinnen, die gern diese Aufgabe wahrneh

men würden. Rein technisch ist das sehr einfach. Man muss sie nur zusammenführen.

Ich gebe gern zu, es gibt Probleme im emotionalen Bereich. Als wir den Antrag berieten, kam sofort die Frage, ob nicht viele Leute sagen werden, mein Kind wird nicht von einer Sozialhilfeempfängerin betreut. Es ist klar, das ist zunächst einmal ein emotionales Problem, aber ich sage, das kann ein Problem sein. Nur, weil jemand Sozialhilfeempfänger ist, ist er trotzdem ein vollwertiger Mensch. Er kann auch ohne weiteres seine eigenen Kinder und die Kinder anderer Leute betreuen.

Das hätte ich gern mal von Ihnen gehört. Sie wollen sich gern ein soziales Mäntelchen umhängen. Sie stempeln hier einfach alle so ab. Das geht nicht. Sozialhilfeempfänger können das ohne weiteres tun. Man muss in der Tat, Herr Müller hat das gesagt, im Einzelfall gucken. Das müsste aber möglich sein.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Aber bitte schön.

Herr Dr. Schinnenburg, an welcher Stelle hat sich Frau Dr. Freudenberg abfällig über Tagesmütter geäußert?

Dr. Wieland Schinnenburg: Das kann ich Ihnen genau sagen. Sie hat wörtlich gesagt: Auf die Dauer sind Tagesmütter kein Ersatz für Kindertagesstätten.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive) – Dr. Willfried Maier GAL: Und zwar für die Mütter nicht!)

Ich sage Ihnen, Tagesmütter sind kein Ersatz und auf Dauer kann jede Mutter ihre eigenen Kinder und andere Kinder gut erziehen. Das ist die Realität. Das passt nicht in Ihren ideologischen Kram. Es ist nur die Wahrheit, das ist doch der Punkt.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Völlig zu Recht hat man erst einmal nur ein Modellprojekt vorgehabt, weil wir in der Tat ein problematisches Feld betreten. Ich persönlich bin sehr gespannt darauf. Wir werden dieses Modellprojekt durchführen. Wir werden es nicht zulassen, dass Sie die Tagesmütter disqualifizieren. Wir werden allen Tagesmüttern und Sozialhilfeempfängerinnen, die etwas machen wollen, die Chance dazu geben. Am Ende werden Sie uns dann applaudieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Herr Müller, Sie haben das Wort.

Ich sehe mich ja fast gezwungen, nochmals hier nach vorn zu kommen, weil ein großer Teil von Ihnen, meine Damen und Herren, diesen Antrag einfach nicht verstanden hat oder nicht verstehen will.

(Christa Goetsch GAL: Besser als Sie!)

Wenn ich hier jetzt einen Antrag gestellt hätte, Sozialhilfeempfänger zu Kfz-Mechanikern auszubilden, hätten Sie über den Wagen des Bürgermeisters gesprochen. So geht das nicht.

(Lachen bei der GAL)

Sie führen hier eine Debatte im Rücken unseres Antrags, der abzielt, für Sozialhilfeempfängerinnen ein Modellprojekt herbeizuführen, und Sie sprechen über Kita.

(Christian Maaß GAL: Wir reden über das, wo- rüber die ganze Stadt spricht!)

Natürlich ist nicht im Geringsten angedacht, mit 20 Tagesmüttern mehr das Kita-Problem letztendlich zu lösen. Frau Freudenberg, Sie haben es doch selbst erwähnt. Es bedarf einer vernünftigen Globalrichtlinie. Die Frauen sollen auch nicht in der Sozialhilfe verweilen. Da sind wir auch einer Meinung. Da gibt es überhaupt keinen Streitpunkt. Bleiben Sie ganz ruhig. Falls Sie es noch nicht erkannt haben, unsere Fraktion zielt darauf ab, ein anerkanntes Berufsbild der Tagesmutter herbeizuführen. Das unterscheidet uns in dieser Frage.

(Dr. Dorothee Freudenberg GAL: Ist es dann sozi- alversicherungspflichtig?)

Und, Frau Freudenberg, noch etwas. Ich kann nichts dafür, wenn Sie hier ein halbes Jahr schlafen. Aber wir haben hier den Antrag eingebracht, die Tagesmütter zu qualifizieren. Wenn Sie es jetzt erst merken, dass es Not tut, dann sind Sie hier wirklich schon etwas verspätet eingetroffen.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Das Wort hat jetzt Frau Steffen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Um mit dem Antrag anzufangen, Herr Müller, vielleicht einmal noch zur Erläuterung, Frau Freudenberg hat es ja schon gesagt: Sozialhilfeempfängerinnen können jetzt schon Tagesmütter werden. Es wäre vielleicht schlau gewesen, auf die Behörde und den Senat einzuwirken, die Richtlinie, die nicht mehr gilt, zu aktualisieren, damit es auch eine ordentliche Rechtsgrundlage gibt. Jetzt muss eine neue Globalrichtlinie geschaffen werden, obwohl es eine Verwaltungspraxis gibt, nach der noch glücklicherweise für diejenigen gehandelt wird, die Tagesmütter sind. Der Anschub einer neuen Richtlinie wäre vielleicht sinnvoller gewesen, als diesen Antrag einzubringen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Im Übrigen sollten Sie sich vielleicht vergegenwärtigen, wie hoch der Verdienst von Tagesmüttern ist, der auch davon abhängig ist, wie viele Kinder man betreut. Das sind nämlich in der tiefsten Staffelung 43 Euro im Monat pro Kind. Wenn ich ein bis drei Kinder betreue, können Sie sich wohl ausrechnen, wie viel Euro das sind, die im Moment noch ohne Abzug von der Sozialhilfe behalten werden dürfen, wenn man Sozialhilfeempfänger ist. Dass das bisher keine Aussicht ist, um davon den Lebensunterhalt zu bestreiten, da werden Sie mir ja wohl beipflichten.

Wenn Sie das ändern wollen, Herr Müller, weil Sie daraus sozusagen einen richtigen Beruf machen wollen, dann

vermisse ich allerdings, mit wie viel Geld Sie diesen Bereich denn ausstatten wollen. Da wären wir dann beim Geld. Wenn man sich mal überlegt, wie die Situation derzeit im Kita-Bereich ist, dann ist es genau das Problem. Es ist nämlich nicht so, Herr Schinnenburg, dass derweil, zum jetzigen Zeitpunkt, wie wir es diese Woche erfahren haben, die Anträge von Sozialhilfeempfängern in der Kategorie 2 berücksichtigt werden. Im Moment ist die Situation die, dass es einen totalen Stopp von Kita-Gutscheinen gibt und nur noch der Rechtsanspruch, so haben wir laut letzter Pressemitteilung der BBS gehört, erfüllt werden soll. Man muss allerdings sagen, dass die ganzen Pressemitteilungen, die man übers Jahr bekommen hat, nicht mehr das Papier wert sind, auf dem sie stehen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Man weiß also nicht, wie das aussehen wird. Aber auch da stellt sich die Frage, ob es stimmt oder – und da bitte ich mal um eine eindeutige Auskunft des Senators oder des Bürgermeisters – ob es sich hier vielleicht noch um regierungsamtlich verordneten Rechtsbruch handelt, indem man darauf wartet, dass Eltern,

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Lächerlich!)

falls sie keinen Kita-Gutschein oder Rechtsanspruch bekommen, vielleicht den Klageweg bestreiten müssen. In dieser Situation befinden wir uns im Moment und nicht in der, dass man sagt, Sozialhilfeempfänger würden berücksichtigt und das hätten Sie eingeführt.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort hat jetzt Herr Böwer.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Die Tagesmütter sind nicht so schlimm!)

– Das hat auch niemand gesagt, Herr Müller-Sönksen. Darum geht es aber auch nicht. Es geht nämlich darum, dass ich vergessen habe, einen dritten Namen aus der FDP zum Bereich Kita-Politik hinzuzufügen. Das ist der Name von Herrn Dr. Schinnenburg. Sie haben wirklich gar nichts begriffen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das ist in der Tat der Punkt. Da sprechen Sie vom Modellprojekt. Das Modellprojekt Lange ist gescheitert. Sie reden davon, dass Ihnen die Sozialhilfeempfänger am Herzen liegen. Dann lesen Sie mal die Wirkungen Ihrer eigenen Kita-Gesetzgebung durch, die heute auf Seite 1 im "Abendblatt" gestanden hat. Aufgrund Ihres KitaGesetzes müssen Gerichte so entscheiden: Sie brauchen keinen Kita-Platz, sie können ja in der Sozialhilfe bleiben. Das ist die Realität und nicht, dass man die "Glinder Zeitung" hier hochhält.

(Beifall bei der SPD und der GAL)