Protokoll der Sitzung vom 31.03.2004

(Beifall bei Manuel Sarrazin GAL)

gegenüber allen Schülerinnen, Schülern und Lehrern in dieser Stadt, wenn diese Reformen, die Herr Lange angegangen hat, solide fortgesetzt werden sollen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Wir sollten diesen Einschnitt dazu nutzen, einen grundlegenden Neuanfang in der Bildungspolitik zu wagen. Ich möchte dem Senat vorschlagen, wo soviel von Internationalisierung die Rede ist, doch auch im Bildungsbereich einmal den Blick in Richtung anderer Länder zu richten. In keinem anderen Land Europas gibt es eine derart strenge und frühe Selektion von Schülerinnen und Schülern und in kaum einem anderen Land Europas ist in Relation zu den großen hier in Deutschland eingesetzten Mitteln der Erfolg im Hinblick auf die Ergebnisse in Studien so gering.

Wir haben unser Konzept bereits vorgelegt. Wenn Sie uns als Grüne da misstrauen – das ist ja verständlich –, dann reden Sie doch einfach einmal mit den konservativen Bildungspolitikern aus anderen Ländern. Auch die schlagen sich doch die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie hören, dass die Schülerinnen und Schüler in Deutschland nach der vierten Klasse sortiert werden. Reden Sie doch wirklich einmal mit Ihren Fachkollegen aus anderen Ländern. Machen Sie auch einmal ernst mit der Internationalisierung und machen Sie hier einen Neuanfang in der Bildungspolitik, anstatt einen halben Schritt zu tun, der vielleicht in die richtige Richtung geht, wenn Sie sagen, Sie wollen die Durchlässigkeit zwischen den Schulsystemen verbessern. Wir sollten hier, glaube ich, wegkommen von Provinzialismus und von anderen Ländern lernen.

Neben der Bildung als Schwerpunkt gibt es noch den Bereich der Integration und der Internationalisierung. Immer, wenn die CDU etwas zu einem Schwerpunkt erklärt, muss sich eigentlich die CDU-Fraktion fürchten, denn dann trifft der Erste Bürgermeister eine Bestenauslese. Man kann sicher sein, dass zumindest niemand aus der CDU die Zuständigkeit für diesen Schwerpunkt bekommt.

In der letzten Legislaturperiode waren das die Bereiche Bildung, Sicherheit und Verkehr und das beeindruckende Personalaufgebot kennen wir ja mit den Herren Lange, Mettbach und Schill. Für die Schwerpunkte Bildung, Sicherheit und Kultur ist auch in dieser Legislaturperiode wieder niemand aus der CDU zuständig.

(Vizepräsidentin Dr. Verena Lappe übernimmt den Vorsitz.)

Wahrscheinlich war der aus der letzten Legislaturperiode schon bekannte Talentschuppen der CDU-Fraktion noch vom gewaltigen Aderlass vor zweieinhalb Jahren geschwächt. Aber jetzt gibt es im Vergleich zur letzten Le

gislaturperiode noch eine Steigerung in Sachen Schwerpunktsetzung durch Unzuständigkeit. Es gibt diesen Schwerpunkt der Integration, von dem die Rede war. Wieder ist niemand aus der CDU zuständig. Das verwundert nicht. Aber es kommt noch viel besser: Es ist überhaupt niemand zuständig und das ist dann die Krönung einer vielleicht subtilen Strategie der Schwerpunktsetzung durch Unzuständigkeit.

(Beifall bei der GAL)

Man macht die Strukturen kaputt, man schafft das Amt der Ausländerbeauftragten ab, wahrscheinlich hat sich auch der entwicklungspolitische Beirat im Zuge dieser Strategie einfach aufgelöst, und behauptet dann, man habe einen Schwerpunkt, wenn keiner mehr zuständig ist. Das ist wirklich bravourös, meine Damen und Herren.

Ich würde mir wünschen, wenn der Senat nicht nur in der Besetzung des Senates diese vorgeschlagene arbeitsmarktorientierte Zuwanderung zur Leitlinie auch in anderen Branchen macht, denn wir brauchen Zuwanderung auch außerhalb des Politikbusiness. Ich will mich gar nicht groß über die Quiddjequote im Senat mokieren, die viermal so groß ist wie die Ausländerquote in der hamburgischen Bevölkerung, denn eines muss man dem Senat wirklich lassen: Er ist in seiner Zusammensetzung das sichtbarste Signal dafür, dass diese Stadt auf Zuwanderung angewiesen ist, meinetwegen auch auf Bajuwaren, aber anscheinend ist diese Stadt tatsächlich auf Zuwanderung angewiesen.

Aus Gründen der Gleichbehandlung mit anderen Migranten – der Senat nimmt sich gegenüber den Migranten ja immer heraus zu sagen, es müsse auch ein Integrationswille erkennbar sein – würde ich es begrüßen, wenn der Erste Bürgermeister auch gegenüber den südländischen Zuwanderern im eigenen Senat deutlich machen würde, dass auch auf Ihrer Seite ein Integrationswille in Sachen hamburgischer Kultur erwartet wird.

(Beifall bei der GAL)

Damit meine ich in erster Linie nicht diese Residenzfrage, sondern Tugenden, welche die beiden letzten Innensenatoren nicht gehabt haben: Toleranz gegenüber Andersdenkenden, Liberalität im Rechtsstaat und einen ruhigen Kopf in kritischen Situationen, denn Hamburg ist zum Glück nicht München und das soll auch so bleiben.

(Beifall bei der GAL)

Herr Bürgermeister, es wird nicht ausreichen, wenn Sie uns die nächsten vier Jahre mit Kuschelrhetorik beglücken und parallel dazu eine knallharte schwarze Interessenpolitik fahren wollen. Ich bitte Sie, haben Sie den Mut, diese falschen Weichenstellungen in der Bildungspolitik zu ändern, in der Innenpolitik zu einem rechtsstaatlichen Kurs zurückzufinden und die Ökologie wieder in der Stadtentwicklungspolitik und der Verkehrspolitik ernst zu nehmen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort hat nun Frau Ernst.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte auch gern mit dem Wort von Herrn Maaß, mit der Kuschelrhetorik anfangen und noch einmal

zu der Rede von Herrn Schira etwas sagen, der danach leider fluchtartig den Plenarsaal verlassen hat.

Herr Schira, der Bürgermeister hat hier eine Regierungserklärung abgegeben, die doch eine Reihe von Fragen offen gelassen hat und Zweifel weckt, ob hier die richtigen Weichen gestellt werden. Dazu hat sich mein Kollege Neumann sehr deutlich geäußert.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Das habe ich aber nicht so gesehen!)

Und was macht Herr Schira? Er beleidigt erst einmal unseren Fraktionsvorsitzenden und fängt dann an, den Senat und die einzelnen Senatoren zu loben, von denen die einen ehrlicherweise mit ihrer Arbeit noch gar nicht begonnen haben und die anderen einem nicht in jedem Fall gut in Erinnerung sind. Ich möchte Sie schon ermuntern, das Wort des Bürgermeisters ernst zu nehmen: Seien Sie nicht so eine softe Truppe, sondern setzen Sie auch mal einen eigenen Akzent.

(Beifall bei der SPD und bei Claudius Lieven GAL)

Ich möchte aber auf die Regierungserklärung eingehen und noch einen etwas größeren Rückblick machen.

Herr Bürgermeister, Sie haben skizziert, was Sie für Hamburg tun wollen. In den vergangenen Jahrzehnten haben große sozialdemokratische Bürgermeister entscheidende Weichen für die Stadt gestellt. Klaus von Dohnanyi hat den Industriestandort Hamburg zur wettbewerbsfähigen Dienstleistungsmetropole weiterentwickelt. Henning Voscherau hat mit enormen Anstrengungen verantwortet, dass Hamburg in nur ganz wenigen Jahren um bis zu 140 000 Menschen wachsen konnte. Das Konzept der „Wachsenden Stadt“ hatte da seine Wurzeln. Wohnungen, Kitas, Schulen wurden gebaut, die HafenCity entwickelt, um auch die Grundlagen für das Wachstum der nächsten Jahrzehnte zu legen. Ortwin Runde hat sich um den sozialen Zusammenhalt der Stadt verdient gemacht. Große Infrastrukturprojekte wurden auf den Weg gebracht, die Elbvertiefung und die Airbuserweiterung. Daran knüpfen Sie an: Die HafenCity, den "Sprung über die Elbe", die Sicherung von Airbus in Hamburg und auch die Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens. Das finden wir alles gut und richtig und da unterstützen wir Sie auch.

(Bernd Reinert CDU: Schön!)

Aber trotzdem fragen wir, wann eigentlich der erste originäre Vorschlag, die erste Initiative dieser Regierung kommt, die Hamburg in die Zukunft führt.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Das heißt schon, dass wir uns etwas Sorgen machen. In Hamburg darf nicht nur das Begonnene fortgeführt werden. Hamburg muss in zehn, in zwanzig, in dreißig, in vierzig Jahren wettbewerbsfähig sein und sich einem internationalen Wettbewerb stellen und das bedeutet, dass heute erneut Weichen gestellt werden müssen. Heute werden die Grundlagen dafür gelegt, dass wir in dreißig, vierzig Jahren in dieser Stadt gut zusammenleben können.

Nach der Regierungserklärung habe ich große Zweifel, ob Sie das eine Thema, das hier schon mehrfach angesprochen wurde, in seiner großen Dimension richtig erfasst haben: Investitionen in die Infrastruktur in Hamburg, die heute ganz oben auf der Tagesordnung stehen, das

sind Investitionen in die Bildung und in die Kinder. Das fehlte als Schwerpunkt in Ihrer Regierungserklärung und ich glaube, dass Sie dort falsche Weichen stellen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Sie haben investiven Bedarf genannt. Sie haben ein Sonderinvestitionsprogramm angekündigt, aber es beschränkt sich auf bauliche Teile, auf Stadtplanung. Es fehlt ein Investitionsprogramm für die Kinder, für die Bildung in dieser Stadt und darauf haben Sie erneut nichts gesagt. Wir haben auch im Wahlkampf darum gestritten. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass die Qualität im Bereich Bildung verbessert werden muss, dass aber auch mehr Geld ausgegeben werden muss. Und da stellen wir mit Schrecken fest, dass es nicht nur so ist, dass Sie hier finanziell keine Anstrengung unternehmen, die Sie in anderen Bereichen bereit sind zu tun, sondern dass Sie noch nicht einmal Mittel, die bereitstehen, hier zur Anwendung bringen.

(Unruhe im Hause – Glocke)

Ich möchte gerne für Sie, Frau Ernst, für Ruhe sorgen und bitte Sie, die Aufmerksamkeit wieder auf die Rednerin zu lenken. Ich bitte Sie, auf Ihre Plätze zu gehen oder die Gespräche draußen fortzuführen. – Danke.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Die Bundesregierung schlägt ja einen anderen Kurs ein. Sie stellt den Bundesländern 4 Milliarden Euro für Ganztagsschulen zur Verfügung. Was ist in Hamburg passiert? Diese Mittel werden im Jahr 2004 überhaupt nicht abgerufen. Es werden keine neuen Ganztagsschulen in Hamburg errichtet und auch dazu haben Sie nicht gesagt, dass Sie hier zu einem Kurswechsel in der Arbeit der CDU kommen wollen.

Wir brauchen diesen qualitativen Sprung, wir brauchen Ganztagsschulen, wie sie in vielen europäischen Ländern üblich sind. Wir schaffen es nicht, den Rückstand in der Bildung aufzuholen, ohne hier auch zu investieren. Wer zukunftsfähig sein muss, muss wissen, dass eine Infrastrukturentscheidung im Bereich Bildung und Wissenschaft liegen muss.

(Wolfgang Drews CDU: Völlig unbestritten!)

Herr von Beust, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede über Gerechtigkeit philosophiert. Sie haben es als einen der zentralen Leitsätze formuliert. Ich glaube, dass Sie auch bei der Frage der Gerechtigkeit die wahre Dimension gar nicht erkannt haben. Wer heute über Gerechtigkeit redet und über Bildung schweigt, hat nicht verstanden, was soziale Gerechtigkeit in den nächsten Jahren bedeutet.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Wir haben in mehreren Reden über die Durchlässigkeit des Schulsystems gesprochen. Als wir das in der Regierungserklärung gelesen haben, haben viele gesagt, das ist doch ein SPD-Wort. Ist das jetzt ein Kurswechsel bei der CDU? Wir werden es sehen. Wenn Sie es ernst meinen, kommen Sie aber nicht daran vorbei, zentrale Entscheidungen der vergangenen zweieinhalb Jahre rückgängig zu machen. Es geht nicht, dass Kinder vom Schulbesuch zurückgestellt werden können. Es ist auch nicht richtig, dass Kinder nach der fünften Klasse gegen den Willen der Eltern vom Gymnasium geschickt werden.

Und es ist völlig unmöglich, dass Realschülerinnen und Realschüler nicht mehr über den Weg der Fachoberschule die Fachhochschulreife erreichen können. Diese drei Punkte müssen rückgängig gemacht werden, wenn Sie es mit der Durchlässigkeit in unserem Hamburger Schulsystem wirklich ernst meinen.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Wolfgang Drews CDU: Es gibt doch Fachoberschulen!)

Dann wurde wieder von der Stärkung der Hauptschule gesprochen und es wurde bedauert, dass dort so wenige Schülerinnen und Schüler sind. Versetzen Sie sich doch einfach einmal in die Lage der Eltern und der Schülerinnen und Schüler. Sie wissen doch, dass die Hauptschule bedeutet, es schwerer zu haben. Es ist doch gut, wenn Kinder sich entscheiden, von vornherein eine Schulform zu wählen, wo sie die Chance auf einen weiterführenden Bildungsabschluss haben und sich nicht in der fünften Klasse auf einen Hauptschulabschluss festlegen wollen. Das ist ein Erfolg von Schulpolitik und spiegelt sich auch in hohen Abiturientenquoten wider, die wir in Hamburg haben. Das muss doch ausgebaut werden und darf man doch nicht rückgängig machen wollen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)