Protokoll der Sitzung vom 10.03.2005

(Stefanie Strasburger CDU: Aber die führen nicht aus dem Milieu heraus!)

Dann kommen wir noch auf die Frage der Einweisung. Auch da hat das Konzept der Ballin-Stiftung gesprochen, nämlich die Ballin-Stiftung setzt auf Freiwilligkeit. Das ist wunderbar, denn warum sollen Mädchen, die gerne und freiwillig ein solches Angebot aufsuchen, nicht dort hinkommen? Es mutet ja ähnlich einer Kur an – die Fortsetzung einer Kur. Aber die Angaben der Behörden sehen ganz anders aus. Es kann nämlich wiederum in Einzelfällen natürlich durchaus zu Zwangseinweisungen kommen, auch gerade durch das Familieninterventionsteam, das die Einweisung in dieses Heim vornehmen soll. Sicherlich, und das möchte ich gar nicht leugnen, muss es manchmal zu solchen Entscheidungen kommen. Kinder, die noch nicht volljährig sind, müssen natürlich auch über das Jugendamt in eine Einrichtung gebracht werden, die nicht immer ihre Begeisterung weckt. Aber dann bitte ich Sie doch, das zu benennen. Wir können doch nicht davon ausgehen, dass, wenn im Konzept etwas von Freiwilligkeit steht, es in Wirklichkeit ganz anders gehandhabt wird.

Das Konzept und der Bericht des Jugendausschusses, die Ihnen vorliegen, halten noch so viele Widersprüche und Fragen bereit, das mir jetzt im Moment die Zeit fehlt, detailliert auf alles einzugehen. Ich will aber hier in der Kürze folgende Unklarheiten einfach noch einmal aufzählen.

Drogenabhängige Mädchen dürfen nicht in die Einrichtung, wohl aber Mädchen mit multiplem Drogenkonsum. Mädchen mit nachweislich psychischen Problemen sollen nicht in die Einrichtung, da sie dafür nicht ausgestattet ist. Hier frage ich mich allerdings, ob die Gruppe der minderjährigen sich prostituierenden Mädchen oder auch die Mädchen, die erheblich zur Selbstverletzung neigen – das sind Mädchen mit der Borderline-Krankheit – keine psychischen Probleme haben. Sie müssen doch ebenso

intensiv psychisch betreut werden. Dennoch fallen sie in die Kategorie, dort hingehen zu können. Über ein Ausschlusskriterium der niederen Intelligenz habe ich interessanterweise seitens der Behörde noch nie gehört. Ich frage Sie: Finden jetzt routinemäßig vor Vergabe von Jugendhilfeangeboten Intelligenzteste statt? Ich bin gespannt, was sich hier ergibt.

Die Nachsorge, die Frau Straßburger soeben ansprach, ist wichtig und richtig. Und genau daran hapert es zurzeit noch. Die Arbeit mit den Eltern der Mädchen wird großgeschrieben, beschränkt sich aber bei dem Konzept und verständlicherweise bei einer Distanz von 900 Kilometern weitestgehend auf Telefongespräche. Erst am Ende des Aufenthaltes sind auch Besuche der Eltern vor Ort im Allgäu möglich und in besonderen Ausnahmefällen können die Mädchen dann auch nach Hamburg reisen.

Das allerdings ist nicht das, was wir uns unter integrativen Maßnahmen vorstellen, um die Mädchen wieder gestärkt in ihren Alltag zurückzuführen. Hier ist eine ganzzeitliche Arbeit mit den Familien, wenn sie dann noch vorhanden sind, vor Ort wichtig. Das kann nicht in einer Distanz von 900 Kilometern geleistet werden.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Sie sprachen die Frage der Beschulung an. Auch das bleibt noch ein offener Punkt, denn im ersten Monat können die Mädchen nicht aus der Einrichtung heraus. So sieht es das Konzept vor, um sie erst einmal an die Einrichtung zu binden. Gleichzeitig gibt das Konzept aber vor, dass lediglich der Stoff von Hauptschule beziehungsweise vielleicht noch darunter unterrichtet wird. Mädchen, die in die Realschule gehen, müssen das nächstgelegene Dorf besuchen. Hier frage ich mich natürlich, wie das funktionieren soll. Die Einbindung in die Schule hier in Hamburg und die Zusammenarbeit mit den Lehrerinnen und Lehrern vor Ort wird gar nicht erwähnt.

Ich will Ihnen gar nicht alles schlecht reden, denn es ist natürlich auch wichtig, sich über Angebote Gedanken zu machen, wenn diese dann richtig sind. Aber mein großes Problem ist der zeitliche Ablauf und die Beteiligung von Fachexperten. Das möchte ich Ihnen auch noch einmal schildern.

Zu allen Fragen und zu allen kritischen Punkten, die ich jetzt hier angesprochen habe, hatten Fachexperten überhaupt keine Gelegenheit, Stellung zu beziehen. Während die Ballin-Stiftung ihr Konzept schon nahezu fertig entwickelt hatte, hat man dem Landesjugendhilfeausschuss beispielsweise erst im November erste Gedanken dieses Konzepts überhaupt mitgeteilt. Sofort regten sich aus dem Landesjugendhilfeausschuss erste schwere Bedenken dagegen. Im Januar waren Vertreter von BASIS e. V. vor dem Landesjugendhilfeausschuss geladen, die erhebliche Bedenken äußerten. Der Zug war jedoch schon abgefahren, weil zu dem Zeitpunkt das Haus der BallinStiftung bereits umgebaut wurde. Daher war eigentlich alles schon viel zu spät.

Es war natürlich auch viel zu spät, weil wir – wie Herr Hesse auch weiß – am 1. Februar, als sozusagen alles schon in trockenen Tüchern war, im Jugendausschuss dann die Fachdebatte darüber geführt haben. Solch ein zeitlicher Ablauf kann für die Gestaltung eines Angebotes bei weitem nicht zufriedenstellend sein. Hier hat die Behörde im Alleingang entschieden.

(Beifall bei der GAL)

Diesen Planungen können und wollen wir nicht zustimmen. Wir halten die Konzepte für wichtig, die jetzt von SPD und CDU angesprochen wurden, die eine bessere Vernetzung der vorhandenen Angebote fordern. Aus diesem Grunde stimmen wir auch der Ziffer 4 des Antrags zu.

Ich möchte abschließend noch einmal ganz deutlich sagen, dass die GAL natürlich ganz genauso wie die CDU und SPD die Notwendigkeit sieht, jedem einzelnen Mädchen, was hier mit ihren spezifischen Problemlagen angesprochen wurde, Hilfestellung zu geben und es zu therapieren.

Aber im Gegensatz zu den beiden anderen vertretenen Parteien glauben wir, dass Hamburg bereits schon ein gut ausgebautes Netz für diese Mädchen bereithält. Bevor ständig neue Angebote geschaffen werden, ist es sinnvoll, diese Einrichtungen auch finanziell so auszustatten, dass sie ihre bislang sehr gute Arbeit auch leisten können. Was passiert aber stattdessen? Einerseits stellt sich die CDU hin und sagt: Wir wollen den Mädchen helfen, wir schaffen Angebote. Was machen Sie auf der anderen Seite? Sie kürzen genau in diesen Einrichtungen, die die Angebote für diese Mädchen bereithalten.

Daher sind die Kürzungen bei BASIS e. V. und Cafe Sperrgebiet immer noch falsch.

(Beifall bei der GAL)

Wenn Sie wirklich diesen Mädchen – und ich möchte jetzt speziell noch einmal auf die Gruppe der jungen Prostituierten eingehen – helfen wollen, dann sorgen Sie dafür, dass diese Mädchen lernen, Vertrauen zu entwickeln und freiwillig eine Einrichtung aufsuchen. Die Zahlen von BASIS e. V. oder vielmehr vom Cafe Sperrgebiet geben uns Recht. Im Jahre 2003 haben sich 50 minderjährige Mädchen dorthin gewandt, während es dem FamilienInterventions-Team lediglich gelungen ist, vier Mädchen anzusprechen, von denen eine der Prostitution nachging. Ich denke, dass allein diese Zahlen zeigen, welche Einrichtungen von den Mädchen aufgesucht werden. Diese Einrichtungen müssen wir fördern und stützen. Hier kann nichts zusammengestrichen werden.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort erhält der Abgeordnete Hesse.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Frau Blömeke! Ich habe eigentlich die Hoffnung gehabt, dass auch Sie nach unserer Ausschussberatung, in der wir sehr intensiv über dieses Thema diskutiert und die heute von Ihnen vorgestellten Punkte auch angesprochen haben,

(Vizepräsidentin Dr. Verena Lappe übernimmt den Vorsitz.)

die Notwendigkeit einer Angebotserweiterung in diesem Parlament und in diesem Bereich sehen und akzeptieren. Gerade die Kollegin Hilgers hat im Ausschuss mehrfach versucht, Ihnen deutlich zu machen, warum wir Ergänzungen im Angebot der Jugendhilfe brauchen.

Wenn diese Ausschussdiskussion nicht gefruchtet hat, hätte ich zumindest gedacht – und das habe ich auch bei Ihren Kolleginnen festgestellt –, dass die gestrige wirklich

bemerkenswerte Debatte, die wir hier zu Jessica geführt haben, vielleicht zum Nachdenken angeregt hat.

(Christa Goetsch GAL: Was hat denn das damit zu tun? So ein Quatsch!)

Es ist kein Quatsch, Frau Goetsch, hören Sie bitte zu. Lassen Sie mich den Satz erst einmal aussprechen und dann werden Sie den Zusammenhang erkennen.

Diese Debatte hat deutlich gemacht, dass es hier in dieser Stadt die Notwendigkeit gibt, schnell, frühzeitig und konsequent zu agieren, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Das sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der GAL, sowohl die Fachexperten als auch die Politiker im Ausschuss.

Das ist auch genau Sinn und Zweck des von uns gestellten Antrages, weil wir erkannt haben, dass viele Mädchen in dieser Stadt zwar eine gute ambulante Betreuung erhalten –

(Unruhe im Hause – Glocke)

Entschuldigung, bitte Ruhe dahinten.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Herr Hesse, bitte.

Sie haben hier zwei Träger angesprochen – beispielsweise BASIS e. V. oder das Cafe Sperrgebiet –, tatsächlich gibt es aber immer noch ein Problem, dass viele Mädchen in die Szene abrutschen, ohne dass interveniert wird und ohne dass jemand sagt, hier ist die Notwendigkeit zu helfen und ein Angebot zu schaffen, um diese Mädchen vielleicht wieder zu stabilisieren.

(Antje Möller GAL: Wollen Sie die Mädchen schon präventiv dahin bringen?)

Ich bin der Behörde sehr dankbar, dass in diesem Schwerpunktbereich der CDU-Politik in dieser Legislaturperiode natürlich nicht – wie Sie es versucht haben darzustellen – nach dem Rasenmäherprinzip einfach über die Einrichtungen hinweggefahren und gekürzt wurde.

(Antje Möller GAL: Das ist genau das, was Sie gemacht haben!)

Es hat, wie Sie auch wissen, Frau Blömeke, sehr intensive Gespräche mit den beiden Trägern, BASIS e. V. und Cafe Sperrgebiet gegeben und die Kürzungen, die in allen Bereichen notwendig sind, sind so maßvoll gemacht worden, dass es zu keinen Leistungseinschränkungen vor Ort kommt. Das ist das wichtigste Ergebnis und war für uns auch die Voraussetzung, den dortigen Kürzungen zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Frau Blömeke, Sie haben von neun Intensivtäterinnen, die aus Ihrer Anfrage hervorgehen, gesprochen. Diese Zahl 9 stimmt. Aber es hat nie und nimmer jemand behauptet, dass genau das die Zielgruppe ist, für die diese Einrichtung in Rettenberg geschaffen wird.

Wir haben leider – auch das gibt Ihre Anfrage wieder – sowohl in Hamburg als auch im restlichen Bundesgebiet einen Anstieg bei der Mädchenkriminalität, der überdurchschnittlich hoch im Vergleich zu der Jungenkrimina

lität ist. Wir haben allein im letzten Jahr 90 Fälle gehabt, die dem Familien-Interventions-Team mit dem Hinweis gemeldet wurden, dass das Mädchen sind, bei denen interveniert und Hilfe angeboten werden muss und dieses auch durchgeführt werden soll.

Ich denke, liebe Frau Blömeke, dass wir mit der RudolfBallin-Stiftung einen Träger gefunden haben – und das hat der Kollege Schulz aus meiner Sicht soeben auch hervorragend dargestellt –, der nicht nur die örtlichen Voraussetzungen mit sich bringt, um gerade Mädchen dieser Zielgruppe, die in Gefahr sind, in die Szene abzugleiten, frühpräventiv ein Angebot anzubieten, im Verlaufe dessen man versucht, diese Mädchen zu stabilisieren, bevor sie sich in der Szene verfestigen und dort kriminell werden oder sich prostituieren müssen.

Die Rudolf-Ballin-Stiftung hat uns vor Ort alle überzeugt sowie auch die Mitarbeiter, die sehr engagiert sind und sich diesen Mädchen annehmen wollen. Der Bürgermeister hat uns überzeugt, dass er bereit ist, dort die Voraussetzungen zu schaffen.

Ich wünsche mir – und das ist noch ein ungelöstes Problem, was aber gelöst werden muss –, dass die RudolfBallin-Stiftung natürlich ihre Mitarbeiter noch sehr intensiv auf diese Mädchen und auf die neue Aufgabe, die auf sie zukommt, vorbereitet. Die Mädchen, die dort hinkommen, haben schon ein Großteil ihrer Probleme hinter sich, in ihren Familien sexuelle oder körperliche Gewalt erlebt und haben bisher ein Leben geführt, das von Diskontinuitäten und Schulabbrüchen gekennzeichnet war. Es sind wirklich bedauernswerte Mädchen. Wir wollen zumindest einen kleinen Teil dieser Mädchen mit dieser Einrichtung erreichen und damit einen ganz wichtigen Baustein beim Kampf gegen Kindeswohlgefährdung haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe eben schon dargestellt, was diese Mädchen verbindet. Auch da sind wir anderer Meinung als Sie, Frau Blömeke. Mädchengewalt, Mädchendelinquenz zeichnet sich ähnlich wie die Prostitution dahingehend aus, dass die Mädchen alle eine ähnliche Vita haben. Mit dieser Einrichtung wollen wir versuchen, langfristig – auf ein Jahr ist es ja beschränkt – diesen Mädchen wieder eine Struktur zu vermitteln. Es soll natürlich möglich sein, dass Kontakte gehalten werden, wenn sie notwendig sind, und wir wollen – das hat Frau Strasburger dargestellt – in der Nachsorge sehen, dass sie dann wieder hier in Hamburg integriert werden können. Ich möchte aber einen Punkt ganz deutlich machen, der hier eben angesprochen wurde, den Punkt der Freiwilligkeit. Auch wir sehen natürlich das Problem, dass ein zwölf-, dreizehn- oder vierzehnjähriges Mädchen nicht immer unbedingt erkennt, dass es in Gefahr ist, dass es in eine Szene abzugleiten droht, die es langfristig wirklich beeinträchtigt und seinem Leben auch im schlimmsten Fall ein Ende bereiten könnte. Viele dieser Mädchen wird man nicht mit Freiwilligkeit dazu bringen können. Man wird ihnen nicht sagen können, Rettenberg ist so schön, da werden wir dich einmal hinbringen.

Ich muss aber ganz deutlich sagen: Es kann nicht die Konsequenz sein, dass wir dann sagen, denen helfen wir nicht, weil sie es nicht freiwillig wollen. Da muss man manchmal wirklich gerade Kinder zu ihrem Glück zwingen und ihnen sagen, wir helfen dir, weil es aus unserer Sicht notwendig ist.