Protokoll der Sitzung vom 08.12.2005

Wir sehen es weiterhin als wichtig an – und auch dort sind wir einer Auffassung –, dass die Interessenlage von Familie und Beruf ein wichtiges Kriterium ist, dass aber natürlich im selben Atemzug auch die Interessenlage der Kinder eine entsprechende Bedeutung hat. Wir müssen daher eine Lösung finden, wie das eine mit dem anderen in Verbindung zu bringen ist. Manchmal kann es – das will ich an dieser Stelle explizit sagen – in sozialen Problemlagen besser für Kinder sein, wenn sie nicht in der Familie sind, auch wenn ihre Eltern zu Hause sind, sondern wenn sie sich in der Kita aufhalten. Dahin müssen wir kommen, anders geht es nicht.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Auch das Projekt Early Excellence Centres, das Sie angesprochen haben, ist ein interessanter Ansatz. Aber auch dort ist die Frage der Kosten noch nicht detailliert benannt worden. Insofern müssen wir uns sehr genau

angucken, wie wir das umsetzen können. Wir halten es in jedem Fall für einen sinnvollen Ansatz.

Zu guter Letzt noch zu einem wichtigen Punkt in der Gesamtdiskussion. Es macht nur Sinn, wenn wir zum einen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kitas mitnehmen, um sie davon zu überzeugen, was wir wollen. Zum anderen müssen wir sie aber auch entsprechend qualifizieren, um ihnen die Möglichkeit zu geben, mit den Bildungsempfehlungen das Beste für die Kinder herauszuholen. Auch dort müssten wir uns Wege überlegen, wie wir dieses ermöglichen können. Darüber möchten wir mit Ihnen im Ausschuss diskutieren.

Insofern sage ich Ihnen aus unserer Sicht ganz bewusst, dass wir weitere Entwicklungsschritte gehen wollen. Wir müssen uns aber sehr genau überlegen, in welcher Prioritätensetzung wir etwas machen, denn auch im Haushalt ist einiges endlich. Wir bitten um Überweisung des Antrags an den Familien-, Kinder- und Jugendausschuss. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält die Abgeordnete Blömeke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kausch, für mich sind benachteiligte Kinder in Hamburg keine Details. Ich denke, wir müssen noch weit darüber hinausgehen.

(Beifall bei der GAL)

Gestern konnten wir in den Medien miterleben, wie Ole von Beust das Kinderbistro in Kirchdorf-Süd besucht hat. Es waren schöne Bilder, die da entstanden: der Bürgermeister neben einem Jungen beim Kartoffelpufferessen, der Bürgermeister, wie er den Kartoffelpuffer zerteilt,

(Karl-Heinz Warnholz CDU: Der ist fleißig, der Mann!)

der Bürgermeister umringt von den Kindern, die dort für 1 Euro eine warme Mahlzeit erhalten.

(Zurufe von der CDU)

Im Moment habe ich erst einmal nur geschildert, was Ihr Bürgermeister gestern gemacht hat. Das war eine gute, medienwirksame Aktion, bei der der Bürgermeister sogar das richtige Fazit gezogen hat. Er hat nämlich gesagt, wir müssen den Kindern helfen, die zu Hause nicht die Zuwendung und Geborgenheit bekommen, die sie benötigen. Das waren die Worte Ihres Bürgermeisters und Recht hat er.

Aber ich muss langsam feststellen – vielleicht können Sie dann immer noch klatschen –, dass auf diese Worte nicht viel zu geben ist.

(Carola Veit SPD: Lippenbekenntnisse!)

Der Bürgermeister sagt das Richtige, aber er vergisst dabei zu handeln oder vielleicht kann er auch nicht handeln, weil er sich nicht durchsetzen kann.

(Carola Veit SPD: Er meint es auch gar nicht so!)

Ich nenne Ihnen als Beispiel das Personal beim Allgemeinen Sozialen Dienst. Hier ist entgegen der Ankündigung des Bürgermeisters bislang nicht eine einzige zusätzliche Stelle geschaffen worden. Im Gegenteil. Der

Finanzsenator verkündet sogar öffentlich, er denke gar nicht daran, auch nur eine zusätzliche Stelle zu schaffen.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Das kommt anders!)

Statt dessen setzt er auf Prozessoptimierung und Überwachung durch neue Task-Force-Leitungsstellen. Die "taz" schrieb daraufhin heute:

"Kasperletheater um ASD-Stellen"

und, ich denke, Recht hat sie. Ich lasse offen, wer hier der Kasperle ist.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD – Zuruf von der CDU: Sie!)

Oder der Bürgermeister sagt das Richtige, aber er handelt genau entgegengesetzt, denn mit Hilfe für benachteiligte Kinder hat das wirklich nichts zu tun, wenn die Streichung des Schülerfahrgeldes zugelassen wird und erneut damit arme Familien belastet werden.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Deswegen haben meiner Ansicht nach die Aussagen des Bürgermeisters wenig Realitätswert und können lediglich als Versuch einer schönen lyrischen Darstellung bewertet werden. Wo bleibt die Hilfe des Senats für diese Kinder? Sich stark machen für die Einrichtung eines Kinderbistros, Herr Bürgermeister, das reicht nicht. Eine warme Mahlzeit am Tag ist für die Kinder ein Gewinn, richtig, aber es hilft ihnen nicht wirklich, den Teufelskreis der Armut und der schlechten Bildungschancen zu durchbrechen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Ein Blick in die Kitas von Kirchdorf-Süd, ein Gespräch mit den Erzieherinnen und Erziehern vor Ort hätte deutlich gemacht, woran es den Kindern in diesen sozialen Brennpunkten von Anfang an fehlt. Die Kinder werden benachteiligt in Bildung, Betreuung und Erziehung und das können wir auch nicht wegdiskutieren.

(Zuruf bei der CDU: Das macht auch keiner!)

Kinder, die früher aus einem guten Grund einen Ganztagesplatz hatten, müssen jetzt mittags nach Hause gehen, weil ihre Eltern nicht berufstätig sind. Im Jahre 2004 waren das in ganz Hamburg immerhin rund 3700 Kinder. In vielen Fällen sind diese Kinder im jüngsten Alter bereits den ganzen Nachmittag alleine zu Hause. Das können wir allen Ernstes nicht gut finden. Kinder unter drei Jahren, bei denen ein Elternteil zu Hause ist, haben nicht einmal die Chance, eine Kita auch nur von innen zu sehen, und das, obwohl wir wissen, dass das frühe Lernen und die Sprachbildung bis zum vierten Lebensjahr existenziell notwendig ist. Die Schulkinder aus KirchdorfSüd, für die auch nach der Schule ein geregelter Tagesablauf und die Hausaufgabenhilfe wichtig wäre, dürfen nicht in den Hort gehen, weil das Kita-Gesetz an dieser Stelle einen Hortplatz nur für die Kinder berufstätiger Eltern vorsieht. So starten die Kinder von Geburt an in ein Leben, das für Sie nur Benachteiligungen vorsieht.

Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, sehr verehrter Herr Kausch, ich weiß wohl und es ist mir klar, dass es zwischen den Menschen nie totale Gerechtigkeit geben kann. Aber wer hier behauptet, die Kindertagesbetreuung wäre so hervorragend, und sagt, was haben wir alles geschafft, der verschließt die Augen vor der Wirklichkeit und legt sozialen Sprengstoff für die Zukunft.

Es ist Zeit, dass Sie – damit meine ich Sie von der CDUFraktion, den Bürgermeister und die Sozialsenatorin – Ihre Politik der Widersprüchlichkeiten beenden und eine klare Linie zum Wohle aller Kinder in dieser Stadt fahren. Wer sich auf der einen Seite mit der Erstellung von modernsten Bildungsplänen für die Kitas rühmt, der muss auf der anderen Seite auch dafür sorgen, dass der Zugang zur frühkindlichen Bildung für alle Kinder gegeben ist und nicht von der beruflichen Situation der Eltern abhängt.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wer darauf Wert legt, dass Kinder die deutsche Sprache bei ihrem Schuleintritt beherrschen, der muss natürlich auch dafür sorgen, dass die Sprachförderung wieder ein Kriterium für einen Ganztagesplatz wird. Wenn Sie, Herr Bürgermeister, möchten, dass jedes Kind ein warmes Mittagessen erhält, dann sorgen Sie bitte auch dafür, dass die 13 Euro Mittagessengebühr in den Kitas wieder zurückgenommen wird.

(Beifall bei der GAL und der SPD – Bernd Reinert CDU: Oh, nee!)

Damit, Herr Bürgermeister – ich spreche ihn jetzt direkt an, auch wenn er nicht da ist –, würden Sie den Kindern mehr helfen, als wenn Sie ihnen die Kartoffelpuffer zerteilen.

(Beifall bei der GAL)

Es ist also an der Zeit, Kurskorrekturen in dem KitaGesetz vorzunehmen, das sich als unsozial und ungerecht erwiesen hat. Es ist genauso an der Zeit, in der Kindertagesbetreuung neue Wege zu beschreiten. Herr Kausch, nun komme ich noch einmal auf unseren Zusatzantrag, denn was wir brauchen, ist eine Weiterentwicklung von Kitas zu Familienzentren, nicht flächendeckend, das ist gar nicht nötig, aber dort, wo nötig, nämlich in sozialen Brennpunkten. Die Familienzentren, die nach dem erfolgreichen Vorbild der englischen Early Excellence Centren arbeiten sollen, bieten eine hervorragende Förderung von Kindern und Eltern unter einem Dach. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Einbeziehung von Eltern aus sozial benachteiligten oder bildungsfernen Schichten oder auch von Familien mit Migrationshintergrund. Neben der Kinderbetreuung sollen die Familienzentren Integrations- und Sprachkurse bieten, aber auch Gesundheits-, Erziehungs- und Weiterbildungsangebote. Ich gebe zu, das ist eine sehr umfangreiche Aufgabenstellung, aber die komplexen Probleme in den sozialen Brennpunkten verlangen auch nach komplexen Antworten. Dafür ist die Weiterentwicklung der Kita zu Early Excellence Centren oder Familienzentren geradezu sinnvoll.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Wir sollten die positiven Erfahrungen aus Großbritannien sehen, so wie wir in der Schulpolitik auch in die nordischen Ländern sehen, und sie für die Kinderbetreuung in Hamburg ebenfalls nutzen. Die Familienzentren können einen starken Beitrag leisten, um die Chancen für Kinder aus benachteiligten Elternhäusern zu verbessern. Mit einer Zustimmung zu diesem Projekt können der Senat und der Bürgermeister gleich zeigen, wie ernst es ihnen wirklich mit benachteiligten Kindern ist. Aber ich bin auch erst einmal damit zufrieden, wenn wir im Fachausschuss weiter darüber diskutieren.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat Herr Schulz.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Da der Antrag der SPD und auch der Zusatzantrag der GAL an den Fachausschuss überwiesen wird, will ich nur zu einzelnen Punkten etwas sagen.

Ich finde im Wesentlichen alles richtig, was Sie da aufgeschrieben haben. Wir hätten dem Antrag deshalb heute auch zugestimmt, aber ein einziger Punkt hat mich doch etwas gewundert. Ich will es einmal so formulieren: Ich beneide Sie um die Gewissheit, dass Sie heute schon wissen, dass wir die Weiterentwicklung der Kitas nicht flächendeckend brauchen. Meine Fraktion ist da erheblich skeptischer. Aber da wir das heute in der Form nicht beschließen und uns auch völlig klar ist, dass die Umsetzung dieser Weiterentwicklung schrittweise sein und man selbstverständlich in den Gebieten anfangen wird, die es am dringendsten nötig haben, ist das kein Punkt, über den wir uns groß streiten müssen.

Zweiter Punkt, eine Bemerkung zu Herrn Kausch: Vieles an Ihrem Beitrag fand ich ausgesprochen positiv, das hat mich gefreut, in einem Punkt will ich Ihnen aber deutlich widersprechen. Ihre Wahrnehmung der Anhörung zu den Bildungsempfehlungen teile ich überhaupt nicht. Von allen Experten ist gesagt worden, dass die Empfehlungen an sich sehr gut sind und im gleichen Atemzug haben alle Experten gesagt, aber die Rahmenbedingungen, unter denen das in Hamburg umgesetzt werden soll, sind katastrophal und das wird eine erfolgreiche Umsetzung dieser Bildungsempfehlungen verhindern. Das können Sie im Protokoll von fast allen Experten nachlesen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)