Protokoll der Sitzung vom 14.09.2006

Der Verbleib der Jugendlichen nach der geschlossenen Unterbringung, ein jahrelanges, offenes Problem Ihrer Behörde, wurde nicht angegangen. Verfahren wurde nach dem Motto: Egal wohin, egal wie, nur weit weg damit, nach beinahe Polen, in die Obdachlosigkeit, alleine ins Hochhaus. Das, Frau Senatorin, ist pure Willkür, Ignoranz und Hilflosigkeit.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Dass dies die gängige Praxis der Behördenleitung im Umgang mit der geschlossenen Unterbringung und diesen Jugendlichen war, hat uns der ehemalige Staatsrat in den vielen Anhörungen im PUA deutlich gemacht. Dass die Behördenleitung bei dem Thema spitze Finger hatte, es weit von sich hielt, Frau Senatorin, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber Ihre Versäumnisse, Ihr Versagen holen Sie ein, Frau Senatorin. Gehen Sie, es reicht.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Hesse.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fange mit der GAL an, denn das geht schnell. Die GAL hat es immer noch nicht kapiert, worüber wir uns hier unterhalten. Die GAL hat noch nicht gelernt, dass die Konzepte "Menschen statt Mauern" oder "Jugendliche sind Experten ihres Lebens" längst gescheitert sind.

(Beifall bei der CDU – Michael Neumann SPD: Das haben Sie gerade im Radio erzählt und das war schon schlecht!)

Wir haben von Frau Blömeke Plattitüden gehört. Wir haben gehört, dass es Einzelfälle gibt, an denen sie die Gesamtkonzeption festgemacht hat. All das, liebe Frau Blömeke, passt nicht. Ihre veralteten Konzepte will in dieser Stadt wirklich niemand mehr. Die SPD ist da schon einen Schritt weiter. Selbst in der Jugendhilfe, Frau Blömeke, denkt man mittlerweile um. Auch Sie werden irgendwann erkannt haben, dass Sie auf dem falschen Weg sind. Irgendwann werden Sie vielleicht einmal sagen, vielleicht wollen wir doch eine geschlossene Unterbringung und spätestens dann nehme ich Sie auch ernst und werde mit Ihnen darüber diskutieren. Ich nutze die Zeit jetzt lieber, mit der SPD zu sprechen.

(Beifall bei der CDU – Michael Neumann SPD: Das ist eine harte Strafe! Fragt sich nur, für wen?)

Lieber Herr Kollege Böwer! Sie sind durchaus dafür bekannt, auch wenn Sie in der letzten Reihe sitzen, dass Sie Kampagnen machen können. Sie waren in der KAMPA, aber es gibt einen Unterschied, ob man für die SPD im Wahlkampf irgendwelche Wahllügen verbreiten

(Oh-Rufe bei der SPD)

und unter das Volk streuen muss, oder lieber Kollege Böwer, ob man sich mit Jugendpolitik beschäftigt, die eine gewisse Ernsthaftigkeit voraussetzt und auch will, dass man sich mit Einzelheiten auseinandersetzt und das tun Sie hier nicht.

(Beifall bei der CDU)

Wer ernst genommen werden will, lieber Kollege Böwer, darf nicht Unwahrheiten sagen, darf nicht die Tatsachen verdrehen, und das tun Sie leider immer wieder.

(Ingo Egloff SPD: Welche denn?)

Welche denn? Die Antwort kann ich jetzt schon geben. Gestern und auch in den Medien haben Sie verbreitet, dass der Fall Manuel – Frau Blömeke ist vorhin auch darauf eingegangen – ein Fall des FIT sei. Das FIT hätte die Verantwortlichkeit gehabt, dort einzuschreiten. Wir wissen mittlerweile alle – Frau Strasburger hat es vorhin deutlich gemacht –, dass bei dem Fall Manuel die Erziehungsberechtigung und das Sorgerecht bei der Mutter lag. Die Mutter hat entschieden, die Mutter war die ganze Zeit kooperationsfähig mit allen Trägern. Sie behaupten das Gegenteil und das ist eine Lüge, Herr Kollege Böwer, das ist Kampagne pur und hat nichts mit seriöser Jugendpolitik zu tun.

(Beifall bei der CDU – Glocke)

Herr Abgeordneter, darf ich auf eine sorgfältige Sprachführung hinweisen.

(Dr. Mathias Petersen SPD: Das fällt ihm schwer!)

Ich werde mich bemühen, auch wenn es schwerfällt. Wir wollen – und das sagt der Kollege Böwer – keine Einzelfälle diskutieren, wir wollen Strukturen diskutieren. Das hat er gestern auch gesagt. Wo sind denn Ihre Strukturen? Wo sind denn Ihre Antworten? Kommen Sie doch mal aus der Deckung raus. Sie von der Opposition haben gar kein Konzept. Sie wissen gar nicht, wie es weitergeht. Sie kritisieren nur und schmeißen mit Schlamm.

(Beifall bei der CDU – Ingo Egloff SPD: Alles Kappes!)

Lieber Kollege Böwer, ich diskutiere gerne mit Ihnen über Strukturen, aber dann müssen Sie sich auch den jetzigen Strukturen stellen. Hören Sie endlich auf, irgendwelche Unwahrheiten zu behaupten, die tatsächlich nicht tragfähig sind.

(Dr. Mathias Petersen SPD: Was? Belegen Sie das!)

Kommen wir zum Erfolg der Geschlossenen Unterbringung Feuerbergstraße. Das war auch ein Konzept von Ihnen. Auch dazu möchte ich Ihnen mitteilen – das steht auch in der Schriftlichen Kleinen Anfrage –, dass insgesamt 17 Minderjährige nach ihrem Aufenthalt einen positiven Verlauf gehabt haben. Acht Minderjährige sind durch neue Tatvorwürfe aufgefallen. Das sind äußerst schwierige Jugendliche, Herr Böwer, das wissen Sie. Wir bezeichnen das wirklich als einen Erfolg. Suggerieren Sie nicht den Leuten, dass Sie etwas anderes hätten machen können, dass Sie diesen Jungs anders geholfen hätten. Sie haben sie verschickt. Sie haben sie auf Reisen geschickt. Zu Ihrer Zeit haben Sie sie aus Hamburg weggeschickt. Das war Ihre Verantwortlichkeit.

(Beifall bei der CDU)

Herr Böwer, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD: Kommen Sie endlich raus aus dem Schlamm. Hören Sie auf mit Dreck zu schmeißen, denn Sie werden niemanden von uns und niemanden von der Regierung treffen. Sie werden weder die Bürgermeisterin treffen noch die Fraktionen noch die geschlossene Unterbringung, denn beide gibt es zu Recht in dieser Stadt. Beide werden auch bleiben. Das wollen wir als CDU, das wollen die Bürger auf der Straße und das wissen Sie. Deswegen laufen Ihre Vorstellungen auch ins Leere. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Maaß.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Da die heutigen Senatoren und die zuständige Senatorin schweigen, muss auch ich einmal ins Archiv greifen, um das Zitat eines Senators anzuführen. Es war der damalige Zweite Bürgermeister, Ronald Schill, der von dieser Stelle am 17. April 2002 an die Adresse der Sozialdemokraten und der GAL sinngemäß rief: Ihnen klebt das Blut der Opfer unverhinderter Gewalttaten an den Händen. Am Ende dieser Rede, an die wir uns, glaube ich, alle noch gut erinnern, verzeichnete das Protokoll anhaltenden Beifall der Fraktionen der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP.

(Dr. Mathias Petersen SPD: Unerhört! – Michael Neumann SPD: Dafür müssen Sie sich heute noch schämen!)

Meine Damen und Herren von der CDU. Sie haben sich von dieser widerlichen Behauptung nie distanziert. Sie haben sich nie entschuldigt für Ihren Applaus zu dieser, aus meiner Sicht wahnsinnigen Rede und diesen geschmacklosen Vorwurf. Dabei wäre es spätestens heute an der Zeit, sich zu entschuldigen, denn ansonsten muss ich feststellen, dass dieser Vorwurf heute auf Sie zurückfällt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD – Olaf Ohlsen CDU: Zum Thema!)

Sicherlich, Frau Strasburger, sind die Fälle Manuel und Sascha, die in den Zeitungen erörtert werden, Einzelfälle. Klar. Der Fall Dabelstein war auch ein Einzelfall mit dem Unterschied, dass Sie damals den Kopf der zuständigen Senatorin gefordert haben und heute applaudieren Sie Ihrer zuständigen Senatorin. Das ist doch ein markanter Unterschied, den Sie vielleicht einmal erklären sollten.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Der Erste Bürgermeister hat zu seiner Zeit als Oppositionsführer so getan, als ob man einfach nur eine geschlossene Unterbringung einrichten müsse und schon sei Hamburg sicher.

In Wahrheit müssen wir heute feststellen, dass der Erste Bürgermeister an seinen eigenen Ansprüchen scheitert. Wie kann es angehen, dass ein fünfzehnjähriger Jugendlicher, der mehrfach straffällig geworden ist und dem von Fachleuten äußerst dringender Hilfebedarf bescheinigt wird, aus der geschlossenen Unterbringung entlassen und der Obdachlosigkeit anheimgegeben wird, ohne Unterbringung und ohne Betreuung?

(Klaus-Peter Hesse CDU: Das sagt ein Jurist!)

Ist es wirklich überraschend, wenn dieser Jugendliche erneut straffällig wird und ein Opfer schwer verletzt? Wie kann es eigentlich angehen, dass ein anderer Jugendlicher, ebenfalls hochproblematisch, ebenfalls mit festgestelltem dringenden Hilfebedarf, aus der geschlossenen Unterbringung entlassen und für über 2000 Euro mit dem Taxi quer durch die Republik chauffiert wird, um ihn anschließend allein in einer Wohnung in einem sozialen Brennpunkt zu lassen?

Meine Damen und Herren! Sie sprachen die Abenteuerreisen an. Der Unterschied ist sicherlich, dass früher, so wurde mir gesagt, die Abenteuerreisen hauptsächlich auf Booten durchgeführt wurden. Sie machen das offenbar mit einem Taxi; das ist deutlich teurer, aber nicht wirklich besser.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Diese beiden Fälle stehen für eine Vielzahl von Fällen, sie stehen für das Versagen des Systems der geschlossenen Unterbringung. Die Rückfallquoten sind schon angeführt worden. Das geschlossene Heim wurde immer wieder als die vermeintliche Lösung präsentiert und es wäre ja auch wirklich schön, wenn es so einfach ginge: Wegsperren, Schlüssel umdrehen und fertig. Aber so einfach ist es eben nicht und das müssen Sie heute feststellen. Ihr angebliches Allheilmittel der geschlossenen Unterbringung ist eigentlich nichts weiter als ein Bluff. Es ist der Versuch, der Öffentlichkeit wirksames Handeln vorzutäuschen. In Wirklichkeit operiert die geschlossene Unterbringung aber an der Realität vorbei, sie simuliert nur eine Problembehebung. Das Problem der oftmals auch psychisch gestörten straffälligen Jugendlichen lässt sich eben nicht mit einem einzigen zentralen Zaubermittel lösen, auch wenn Ronald Schill und Herr von Beust das immer wieder in der Vergangenheit propagiert haben.

Die Politik schuldet der Öffentlichkeit, dass wirklich alle Anstrengungen unternommen werden, um diese Jugendlichen wieder auf den richtigen Weg zu bringen und damit auch Straftaten zu verhindern. Genau das geschieht derzeit nicht und das ist das Hauptproblem, denn diese Jugendlichen brauchen etwas, das ihnen oftmals in ihrem bisherigen Leben gefehlt hat, nämlich Kontinuität, eine langfristige enge Bindung. Was wir in den gerade zitierten Fällen erlebt haben, ist in einem Fall staatliche Vernachlässigung und im anderen Fall ein Wanderzirkus von Einrichtung zu Einrichtung, jedenfalls keine Kontinuität. Diese Jugendlichen brauchen intensive persönliche Betreuung, auch intensive Zuwendung, Dinge, die sie zu Hause oft niemals erfahren haben. Und was wir hier erlebt haben, ist, dass Jugendliche oftmals sich selbst überlassen bleiben. Wenn man so verfährt und dafür 800 Euro am Tag in der geschlossenen Unterbringung ausgibt, dann müssen Sie sich nicht wundern, wenn heute in Hamburg solche Dinge geschehen und das ist Ihr Versagen, Frau Senatorin Schnieber-Jastram.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort bekommt Frau Senatorin Schnieber-Jastram.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In den vergangenen Tagen sind zum wiederholten Mal, und zwar täglich und auch heute wieder, unglaublich viele Behauptungen und Vorwürfe zum Handeln meiner Behörde be

züglich mehrerer schwer erziehbarer Jugendlicher gemacht worden. Das alles ist passiert auf der Basis von Teilkenntnissen und schnellen Urteilen über die geschlossene Unterbringung. Das Familieninterventionsteam und natürlich auch ich als zuständige Senatorin wurden hier verurteilt.

Nun wurde ich natürlich mehrfach gefragt, ob Politik nicht aus ihren Fehlern lernen müsse.

(Michael Neumann SPD: Sie müssen was lernen!)

Das ist wieder Ihre Arroganz, Herr Neumann, dass Sie glauben, Sie müssten nie dazulernen.