Protokoll der Sitzung vom 27.09.2006

als Kinder aus wohlsituierten Familien. Ich möchte darauf hinweisen, dass das nicht allein ein Problem der sozialen Gerechtigkeit oder der Einzelfallgerechtigkeit irgendwelchen Kindern gegenüber ist, sondern ein ganz massives gesellschaftliches Problem. Wir reden hier nämlich von denjenigen Erkrankungen, bei denen völlig klar ist, dass sie in einer Art und Weise die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen und damit dann auch mit Folgekosten verbunden sind, die einer Stadt wie Hamburg, die sich weiter zum Wissensstandort ausbauen möchte und ihre Stellung im Vergleich zu anderen Großstädten zumindest halten, wenn nicht sogar ausbauen will, auf gar keinen Fall recht sein kann. Wir reden hier von Kindern und Jugendlichen, die massiv von Essstörungen betroffen sind. Damit sind bei den Mädchen vor allem Essstörungen wie Magersucht gemeint, bei den Jungen geht es häufiger um Übergewicht. Wir reden von Kindern, die ganz massiv von Bewegungsmangel betroffen sind mit all den Folgen, die das hat, und wir reden davon, dass diese Kinder in einem Umfeld aufwachsen, in dem Bewegung teilweise überhaupt nicht möglich ist. Deshalb ist soziale Stadtteilentwicklung für diese Kinder so besonders wichtig.

Ich möchte nur – da werden mir viele zustimmen können, die dort in den letzten Tagen einmal spazieren gegangen sind – einen ganz aktuellen Entwicklungsraum nennen, wo man die Chance gehabt hätte, an Kinder und Jugendliche zu denken, und das ist die HafenCity. Wenn Sie sich die HafenCity angucken, wird völlig klar, dass dort an Kinder, Jugendliche, an Familien und an die Bewegungsräume von Kindern und Jugendlichen überhaupt nicht gedacht wurde.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Dieser Stadtteil ist ausgerichtet auf Verkehr, auf Wirtschaft und gut situierte alleinstehende Menschen und nicht auf die Bedürfnisse von Familien, auf die Bedürfnisse von Kindern, die auch Räume als Erfahrungsräume brauchen, um das Selbstwertgefühl zu stärken. Diese Kinder sind nicht nur gesundheitlich im klassischen Sinne benachteiligt, sondern haben auch ein viel höheres Maß an psychischen Erkrankungen. Das Selbstwertgefühl dieser Kinder ist deutlich niedriger und man wird nur in den ersten Jahren an sie herankommen; das ist das Entscheidende. Der Survey umfasst Kinder zwischen null und 17, aber wenn Sie in den ersten sechs Jahren alles irgendwie nur laufen lassen, dann haben Sie einen Großteil dieser Kinder verloren. Deshalb ist es wichtig, diesen Kindern nicht mit Tourismus und irgendwelchen großen Entwicklungspolitiken zu kommen, die vielleicht erst in Jahren greifen, sondern diese Kinder brauchen jetzt Hilfe, sie brauchen einen Kindergartenanspruch, wenn möglich ab dem ersten Lebensjahr, und der muss kostenlos und möglichst auch sozusagen ernährungs- und bewegungspolitisch dem aktuellen Sachstand angemessen sein. Das bedeutet eben eine vollwertige Ernährung, das bedeutet überhaupt erst einmal warme Mahlzeiten am Tag, das bedeutet die Möglichkeit zu toben und sich sportlich zu bewegen. Alles, was Sie in dem Bereich gemacht haben, ist bisher definitiv sehr kontraproduktiv gewesen.

Ein Letztes vielleicht noch zu dieser Gruppe: Es hat eine aktuelle Umfrage der Psychotherapeutenkammer bei 48 privaten Versicherungen gegeben, ob diese Versicherungen Menschen versichern würden, die psychisch krank sind. 40 Versicherungen der privaten Krankenversicherungen haben sofort gesagt, dass sie das auf gar keinen

Fall tun würden, acht haben entweder gar nicht oder ausreichend reagiert. Wenn Sie sich überlegen, dass unsere sozialen Sicherungssysteme darauf aufgebaut sind, dass man eigentlich Glück gehabt haben muss, wo man aufgewachsen ist, weil man sonst ein höheres Risiko einer psychischen Erkrankung und damit dann das Risiko hat, zum Beispiel in der privaten Krankenversicherung gar nicht erst versichert zu werden, und das in der aktuellen Gesundheitsdebatte, da muss Ihnen doch klar werden, welcher sozialpolitische Sprengstoff darin steckt, wenn Sie in diese Kinder und Jugendlichen nicht investieren, und zwar wirklich vom ersten Tag an und auch über einen kontinuierlichen Zeitraum.

Diese Kinder und Jugendlichen dürfen Sie nicht aus dem Blick verlieren, wenn sie eingeschult werden oder in den Kindergarten kommen. Es ist absolut entscheidend, dass auf den allgemeinen gesundheitlichen Zustand dieser Bevölkerungsgruppe ganz besonders geachtet wird. Es gibt eine Art und Weise des Zusammenhangs zwischen Armut und Gesundheit, der einer so reichen Stadt wie Hamburg nicht würdig ist.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält Senator Dr. Freytag.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine Opposition, der nicht Neues mehr einfällt, ist aus Sicht des Senats eine gute Opposition. Wir haben eine gute Opposition.

(vereinzelter Beifall bei der CDU – Michael Neumann SPD: Das langweilt sogar die CDU!)

Alle paar Monate kommen Sie mit denselben Themen mit einer etwas anderen Überschrift und versuchen, einen absurden Gegensatz zwischen sogenannten Leuchtturmprojekten und den Stadtteilen zu konstruieren.

Ich sage Ihnen eines: Wir haben sehr viele Leuchtturmprojekte in der Stadt. Ich sage Ihnen: Jedes dieser Leuchtturmprojekte ist gut für die Stadt. Eines unserer größten Leuchtturmprojekte ist der Sprung über die Elbe, die Entwicklung des Hamburger Südens, Wilhelmsburg, Veddel. 178 Millionen Euro hat die Hamburgische Bürgerschaft vor Kurzem für die Internationale Bauausstellung und die Internationale Gartenschau bewilligt. Das sind nicht nur Ausstellungen, das sind Gestaltungsmittel, um die Lebensqualität im Hamburger Süden völlig neu zu gestalten.

(Doris Mandel SPD: Das hat aber mit dem Jung- fernstieg sehr wenig zu tun!)

Wir finden, dass es ein sehr gutes Leuchtturmprojekt ist, in das wir sehr viel Geld hineingeben, was durch private Investitionen noch deutlich gesteigert wird. Ich finde es ein sehr gutes Leuchtturmprojekt, wenn wir im Stadtteil Jenfeld auf der Konversionsfläche, der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne, ein großes, familienfreundliches Wohngebiet bauen,

(Michael Neumann SPD: Und der Schule die Oberstufe wegnehmen! Keine schulische Perspek- tive! Das freut die Familien!)

60 Prozent Wohnen, 20 Prozent Grün, 20 Prozent wohnortnahes Gewerbe. Auch das ist ein schönes Leucht

turmprojekt, zu dem wir stehen, und zwar in einem Stadtteil, den Sie vergessen haben und nicht wir.

(Beifall bei der CDU)

Ich finde es wirklich drollig, dass Sie sich hier hinstellen, Sie, die die Wurzeln für manche Entwicklungen in den Stadtteilen gelegt haben. Wer hat denn in der Sechziger- und Siebzigerjahren die Großsiedlungen gebaut? Das war doch nicht dieser Senat. Das haben Sie gemacht, das waren sozialdemokratische Senate. Wir müssen jetzt die Reparaturen durchführen.

(Beifall bei der CDU)

Ich nenne ein weiteres Leuchtturmprojekt: Die Veddel liegt uns besonders am Herzen. Die Veddel wird sehr nachhaltig aufgewertet, indem wir zum Beispiel in freiwerdende Wohnungen von SAGA/GWG Studenten ansiedeln können. 300 Studenten sind in kürzester Zeit Neubürger auf der Veddel geworden. Das hat zur Folge, dass dort neue Gewerbebetriebe entstehen, dass dort neue Nachfrage entsteht. Das hat zur Folge, dass die Veddel, genau wie Wilhelmsburg, zum In-Viertel werden wird. Der Trendforscher, den Herr Quast eben zitiert hat, hat uns bestätigt, dass Wilhelmsburg Szeneviertel sein wird. Wilhelmsburg muss man nur entwickeln, man muss Geld in die Hand nehmen, man muss Ideen haben. Die haben wir nicht nur mit den großen Projekten der internationalen Ausstellungen, sondern wir haben sie auch jetzt mit ganz konkreten Maßnahmen wie der Ansiedlung auf der Veddel.

Die Ballinstadt, der Ballinpark, den wir dort mit großem Investitionsaufwand bauen, ist ein nachhaltiger Aufwertungserfolg für die Veddel. Der Park, der dort im Zusammenhang mit den Auswandererhallen entsteht, ist nicht nur ein Magnet für internationale Gäste, er schafft auch Lebensqualität auf der Veddel. Sie haben doch für diesen Stadtteil gar nichts getan, wir machen das jetzt.

(Beifall bei der CDU)

Ich finde es besonders absurd, wenn Sie erfolgreiche, große Projekte wie die HafenCity hier diffamieren und diese benutzen wollen, um sie in einen Gegensatz mit anderen Stadtteilen zu setzen. In der HafenCity werden 5 Milliarden Euro private Gelder investiert.

(Michael Neumann SPD: Bis hin zum Geld von Herrn Osmani!)

Das schafft Wirtschaftskraft, das schafft Arbeitsplätze und das schafft die Einnahmen für die Stadt, die wir brauchen, um soziale Dienstleistungen bezahlen zu können. Wir brauchen solche Projekte, sie sind gut für die Stadt.

(Beifall bei der CDU)

Sie sind gut für die Schwachen. Für die Schwachen müssen wir mehr tun. Das tun wir auch.

(Jörg Lühmann GAL: Wo denn? Wo denn?)

Die Stadtentwicklung lebt nicht von der HafenCity, sie lebt von den Projekten, die ich Ihnen genannt habe. Der Kollege Roock hat sehr eindrucksvoll gesagt, was wir in den Stadtteilen alles tun. Das sind nur die staatlichen Maßnahmen. Für mich ist wichtig, dass wir auch den Investitionsbereich in den Stadtteilen auf den Weg bringen. Sozialdemokratische Städte verkaufen ihre staatlichen Wohnungsgesellschaften, wir nicht. Wir haben SAGA/

GWG, die 250 Millionen Euro in die Stadtteile investiert, die Sie als vergessen bezeichnen.

(Beifall bei der CDU – Ingo Egloff SPD: Da haben Sie aber Glück, dass Sie die von uns übernehmen konnten!)

Das wird Ihnen nicht gelingen. Sie sind verantwortlich. Für Fehlentwicklungen, die es in unserer Stadt gibt, die in den Sechziger-, Siebzigerjahren gelegt worden sind, tragen Sie die Verantwortung. Daraus werden wir Sie nicht entlassen.

Wir werden ganz konkrete Maßnahmen, wie ich sie geschildert habe, unternehmen, weil ich glaube, dass die Menschen auch wollen, dass wir vor Ort in den Quartieren etwas ganz Konkretes machen.

Ich nenne Ihnen einmal die Quartiere, in denen wir alleine in den Sanierungsgebieten nach dem Baugesetzbuch tätig sind: Große Bergstraße, Nobistor, Fuhlsbüttler Straße, südliches Reiherstieg-Viertel, Berta-Kröger-Platz, Phoenix-Viertel – in der aktiven Stadtteilentwicklung: Essener Straße, Hohenhorst, St. Georg. Dort wird gezielt investiert. Ich tue das mit großer Überzeugung und wir sind auch nur diejenigen, die den Rahmen setzen. Die Privaten, die in diesen Stadtteilen neue Häuser und Wohnungen bauen, sind ein ganz wichtiger Faktor. Wir als Stadt müssen den Rahmen dafür setzen und genau das tun wir.

Beim Stadtumbau West, einem großen Programm, das in der ganzen Bundesrepublik aufgelegt wird, ist Hamburg mit Wilhelmsburg Pilotstadt in der Kategorie Stadtteil im Strukturwandel. Hierbei werden in Wilhelmsburg 7 Millionen Euro investiert – auch ein Leuchtturm, zu dem ich mit großer Überzeugung stehe.

(Michael Neumann SPD: Warum leben dann 51 000 Kinder unter der Armutsgrenze? Sie haben noch nichts über Menschen gesagt! Sie reden nur über Gebäude!)

Unsere Wohnungsbauinitiative, die wir gemeinsam mit den Wohnungsbauverbänden auf den Weg gebracht haben, wird schnell neue Wohnungen in Bereichen schaffen, die für uns wichtig sind, beispielsweise in der Legienstraße in Billstedt-Horn, am Vogelhüttenberg, in der Dierksstraße in Wilhelmsburg, in Neu-Allermöhe-West. Das sind alles Stadtteile, die wir deutlich nach vorne bringen wollen. Das geht nur mit konkreten Maßnahmen. Billstedt-Horn liegt uns besonders am Herzen. Dort werden wir im Rahmen der aktiven Stadtteilentwicklung in einem Bereich mit 100 000 Einwohnern ein Sonderprogramm auflegen.

(Michael Neumann SPD: 110 000 Einwohner!)

Das haben wir hier vorgestellt. Auch dort wird sehr gezielt Stadtentwicklung betrieben. Für die soziale Wohnraumförderung insgesamt geben die Stadt und die Wohnungsbaukreditanstalt jedes Jahr 318 Millionen Euro aus.

(Michael Neumann SPD: Warum leben dann die Menschen trotzdem in Armut? Woran liegt das denn, Herr Freytag?)

Das sind gezielte, gute Investitionen in allen Stadtteilen. Ich will Ihnen abschließend ein Beispiel nennen: Die Lenzsiedlung in Eimsbüttel. Die Lenzsiedlung war immer ein schwieriger Stadtteil.

(Jan Quast SPD: Was hat die denn damit zu tun?)

3000 Menschen aus 40 Nationalitäten wohnen dort. Diese Lenzsiedlung hat in den letzten drei Jahren durch aktive Stadtteil- und Quartiersentwicklung zusammen mit den Trägern vor Ort verschiedene Preise bekommen. Sie hat 2004 den Preis Soziale Stadt bekommen. Ich zitiere einmal, was die Laudatoren gesagt haben:

"Die Mischform des Projektes aus Quartiersentwicklung, Anwohneraktivierung, Konfliktschlichtung und Bildung ist beispielhaft."

2005 hat der Stadtteil vom Bundesfamilienministerium den Preis Netzwerk Nachbarschaft bekommen, wo es heißt:

"Die gelungene Integration von ausländischen Mitbürgern ist dort besonders beispielhaft."

In diesem Jahr gab es einen großen Wettbewerb: Das Land der Ideen. Ausgewählter Ort im Land der Ideen wird jeden Tag ein anderes Projekt. Das Hauptprojekt hier in Hamburg ist die Lenzsiedlung. Der Preis ist vor Kurzem verliehen worden.