Lassen Sie uns gemeinsam für eine bessere Schule kämpfen, eine bessere Schule, die gerechter und leistungsstärker ist, eine Schule, die unseren Kindern das gibt, was sie brauchen und verdienen: Alle Chancen dieser Welt. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird an allen Ecken über die Schulreform diskutiert, über Statistiken, über Umfragen, über Geld und Macht, oben und unten, Schulkrieg oder Schulfrieden und manchmal frage ich mich, wie eigentlich die Diskussion so abstrakt sein kann, wo es doch um etwas ganz Konkretes geht, nämlich um die Kinder, um die Schülerinnen und Schüler.
Da ist dieses kleine Mädchen, fünf Jahre alt, nennen wir sie Leonie. Leonie kann schon längst selbst lesen, es gibt auch sonst kaum etwas, was sie nicht versteht und wenn sie mit ihrer Mutter über ein Bonbon verhandelt, dann ist sie so hartnäckig und erfindungsreich, dass wir alle froh sind, nicht mit ihr Koalitionsverhandlungen führen zu müssen. Leonie ist ein besonders kluges, schnelles Kind.
Sie wird vielleicht in einer unserer Begabung entfaltenden Schmetterlingsschulen zur Schule gehen, in kleineren Klassen individuell gefördert und gefordert. Sie bekommt ihrem Lerntempo entsprechende Aufgaben, vielleicht auch jahrgangsübergreifend, wo sie mehr und schneller lernen darf und in spannenden Projekten beweisen kann, was in ihr steckt. Sie lernt ab der ersten Klasse Englisch
und ein Jahr früher als bisher neue Fächer wie Naturwissenschaft, Technik und Gesellschaft und das alles in ihrem Tempo. Sie wird nicht gebremst und dabei kann sie sich sechs Jahre lang in ihrer vertrauten Lerngruppe entwickeln, auch, wenn sie will, schneller. Und das ist auch wichtig für ihre Entwicklung. Wenn sie nach der sechsten Klasse auf eine Stadtteilschule oder ein Gymnasium geht, dann nimmt sie viel mehr für ihr weiteres Leben mit als das bisher der Fall ist. Es ist die Erfahrung, dass ihre Klugheit sie nicht von den anderen trennt, sondern die anderen von ihrer Klugheit profitieren. Leonie braucht die bestmögliche Förderung in der Primarschule, weil wir auch als Stadt Leonie brauchen.
Da ist dann der Junge, nennen wir ihn Fatih, in der zweiten Klasse. Fatih ist oft ein bisschen in sich gekehrt, aber die anderen Kinder mögen ihn, weil er zum Beispiel im Klassenrat so gut vermitteln kann. Und als sie einmal in der Klasse über Berufe sprechen, da sagt er, ich werde Schauspieler und wenn das nicht klappt, dann werde ich Lehrer, das ist ja so etwas Ähnliches. Fatih wird in drei Jahren ins Gymnasium oder in die Stadtteilschule gehen.
Ich weiß gar nicht, Frau Veit, warum Sie sich so aufregen, Sie sind mit in unserem Bündnis. Es ist doch eine tolle Sache, machen Sie mit, seien Sie engagiert dabei.
Möglicherweise wird Fatih dann in der Theater-AG dabei sein oder im Abitur das neue Prüfungsfach Darstellendes Spiel absolvieren. Vielleicht aber führt ihn die schulische Berufsorientierung auch auf einen anderen Pfad. Auf jeden Fall wird er zu der ersten Generation der Einwandererkinder gehören, die erlebt, dass das Versprechen unserer Gesellschaft auch für sie gilt, nämlich: Wenn du dich richtig anstrengst, kannst du vieles erreichen von dem, was du dir wünschst. Und wenn es um soziale Chancenverteilung geht, muss er sich nicht nach der vierten Klasse wieder hinten anstellen. Fatih braucht die bestmögliche Förderung der Primarschule, weil wir als Stadt Fatih brauchen.
Und schließlich der Junge in der dritten Klasse, nennen wir ihn Boris. Boris hat schon viel erlebt in
seinem kurzen Leben, aber nicht nur Schönes. Trotzdem ist er ein lebhaftes und besonders liebenswertes Kind, in Mathe richtig gut und er hat sogar die Hauptrolle im neuen Schulmusical. Aber er kann nicht richtig lesen und schreiben, da blockiert er. Seine Lehrerin sagt, für ihn ist die Primarschule eine große Chance. Wenn ich ihn schon im nächsten Jahr an eine andere Schule abgebe, denken die doch, der kann ja nichts. Dabei kann er ganz viel und wenn ich ihn zwei Jahre länger behalten darf, dann wird er soweit sein. Boris wäre früher auf die Hauptschule gekommen, jetzt wird er erfahren, dass er nicht nur an dem gemessen wird, was er noch nicht kann, sondern dass er die Zeit bekommt, seine Stärken zu entwickeln und an seinen Schwächen zu arbeiten. Boris braucht die bestmögliche Förderung in der Primarschule, auch weil wir als Stadt Boris brauchen.
Meine Damen und Herren! Die Leonies und die Boris und die Fatihs, das sind Namen, die ausgedacht sind, aber diese Kinder gibt es in unserer Stadt. Es sind nur drei von den kleinen Hamburgerinnen und Hamburgern und für jedes Kind tragen wir die gemeinsame Verantwortung in unserer Stadtgesellschaft. Wir tragen die Verantwortung dafür, dass diese Kinder so gefördert werden, dass wir ihrem Vorteil, verschieden zu sein, gerecht werden und verstehen, dass wir sie für die Zukunft dieser Stadt entsprechend ausbilden.
Wir tragen die Verantwortung dafür, dass den Kindern mit der Schule ein geschützter Raum geboten wird, in dem sie ohne Brüche und Demütigungen ihre Talente entwickeln können. Wir schenken ihnen damit nicht nur zwei Jahre mehr Zeit, sondern Zeit für Kontinuität, Verlässlichkeit und für mehr Leistungsentwicklung. Und wir tragen die Verantwortung dafür, dass Fatih dabei die gleichen Chancen bekommt wie Leonie, aber auch, dass Leonie keine schlechteren Chancen bekommt, nur weil Fatih bessere hat.
Meine Damen und Herren! Wir modernisieren unser Schulsystem, damit es leistungsstärker und gerechter wird, wie mein Vorredner schon sagte. Das neue System aus Primarschule, Stadtteilschule und Gymnasium ist übersichtlich, gerecht und hat für jedes Kind das passende Angebot. Das Gesamtpaket aus kleineren Klassen, mehr Lehrern, besserer Fortbildung, längerem gemeinsamen Lernen ist erziehungswissenschaftlich fundiert. Wir gehen kein Risiko ein. Mit diesem Gesamtpaket schaffen wir endlich einen Durchbruch in die schulische Moderne und wir schaffen endlich den Anschluss an Europa. Wir machen endlich Schluss mit einem System, das Bildungsverlierer produziert und Talente vergeudet, die wir doch so dringend für unsere Stadt brauchen.
Meine Damen und Herren! Dieses Thema ist uns allen zu wichtig, als dass es noch um strategische Geländegewinne einer einzelnen Partei gehen könnte. Die gemeinsame Vorlage der gesamten Bürgerschaft für den Volksentscheid zeigt, dass es uns um Tausende von Kindern in Hamburg geht. Und es geht uns um die Frage, ob wir in unserer Gesellschaft, in unserer Stadt, in einer veränderten Welt mit neuen Herausforderungen in der Lage sind, eine Schule der Zukunft 2.0 zu schaffen. Nahezu alle Verbände und Institutionen, die sich in dieser Stadt für das Gemeinwohl engagieren, legen sich ins Zeug, damit die Schulreform kommt. Das sind die Gewerkschaften, das ist die Diakonie, die Patriotische Gesellschaft, die Handwerkskammer, die Türkische Gemeinde, die Alevitische Gemeinde, die verschiedenen Kammern, Schüler/-innen, Lehrer, Eltern. Das ist die Caritas, die AWO und – ich betone es mit Blick auf die Berichterstattung der letzten Tage – das sind Verbände, die aus unmittelbarer Betroffenheit heraus fachlich und seriös argumentieren. Es gibt ein so breites Bündnis in Hamburg wie noch nie, das den Durchbruch zu einer leistungsstärkeren und gerechteren Schule schaffen wird. Wir haben sie jetzt zum Greifen nah und dürfen diese Chance nicht verstreichen lassen.
Gleichzeitig wissen wir auch, dass bis zum Volksentscheid noch ein gutes Stück Überzeugungsarbeit vor uns liegt.
Viele Hamburger Eltern haben immer noch das Gefühl, es gehe zu sehr um Statistiken und viel zu wenig um unsere Kinder. Deshalb kann ich Sie nur bitten – Sie kennen alle die Geschichten um Boris und Fatih und Leonie aus Ihrem Bekanntenkreis –, in die Stadt zu gehen und diese Geschichten zu erzählen. Erklären Sie den Menschen die Schulreform, dass es nicht um etwas Abstraktes, sondern um etwas sehr Konkretes geht, um die Kinder unserer Stadt; jedes von ihnen ist ein Unikat. Und erklären Sie, dass wir nicht noch einmal zehn oder zwanzig Jahre warten dürfen, denn diese Kinder können nicht noch einmal zehn oder zwanzig Jahre länger warten; es ist an der Zeit. – Vielen Dank.
Nach Paragraf 22, Absatz 3 haben jetzt die Fraktionen jeweils die Chance, noch einen Redner zu benennen. Ich habe bis jetzt Herrn Rabe und Frau Heyenn auf der Rednerliste. Herr Rabe, Sie bekommen das Wort.
wer wünscht sich die nicht. Sie ist dringend notwendig, Frau Goetsch hat das eben richtig deutlich gemacht, und ich ergänze noch einmal. Die PISA-E-Studie zeigt, dass ein Viertel unserer 15-jährigen Schülerinnen und Schüler so schlecht lesen, schreiben und rechnen können wie Kinder der vierten Klasse. Ein Jahr später werden sie die Schule verlassen – praktisch chancenlos. Ein Viertel eines Jahrgangs, das sind 3500 junge Menschen jedes Jahr.
Wir wissen aus allen Studien auch noch etwas. Sie versagen in der Schule schlicht deshalb, weil sie aus dem falschen Elternhaus kommen. Wenn man das entwickeln würde, was sie tatsächlich in ihrem Kopf haben, könnten sie auch genauso gut auf der Gewinnerseite stehen. Sie würden auf der Gewinnerseite stehen, würden sie als Eltern Pastoren oder Ärzte haben oder aus Sasel oder Volksdorf kommen, das sagen alle Statistiken. Diese Benachteiligung, die man den Lehrerinnen und Lehrern nicht ankreiden kann, die aber ein Problem unserer Gesellschaft insgesamt ist, auf das die Schule als System ebenso keine Antwort hat, ist ein Skandal, den wir dringend beenden müssen, und wir geben jedem die Hand, der sich ernsthaft dieser Aufgabe annimmt.
Erstens: Unsere Wirtschaft braucht alle Menschen, um Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Fortschritt sicherzustellen. Unsere Wirtschaft braucht alle und das heißt, sie müssen auch alle Ingenieurin und Ingenieur, Wissenschaftlerin, Pastor, Bürgermeister, Rechtsanwalt und was noch alles werden können und nicht neue Arbeitslose.
Zweitens: Wir brauchen auch als Gesellschaft alle Menschen, Menschen, die sich engagieren und Verantwortung übernehmen, Menschen, die Familien gründen, Kinder erziehen, Menschen, die bereit sind, sich zu beteiligen. Wir brauchen sie alle und können uns keine 75 Prozent-Gesellschaft leisten.
Drittens: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sagen, dass es noch einen weiteren Grund gibt, etwas dagegen zu tun. Es ist schlicht in höchstem Maße ungerecht, wenn Menschen aufgrund ihrer Herkunft benachteiligt werden. Diese Ungerechtigkeit wird auch die Werte und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zersetzen, wenn wir nichts tun und deshalb müssen wir jetzt beginnen.
Die Schulreformen führen nach vielen Nachbesserungen insgesamt in die richtige Richtung. Die Primarschule ist in dem riesigen Reformpaket sicher der umstrittenste Teil und deswegen will ich darauf noch einmal gesondert eingehen. Sie hat – das haben wir uns zwei Jahre lang immer wieder gesagt – Chancen und Risiken. Zu den Chancen: Zwei Jahre längeres gemeinsames Lernen ist zweifellos ein Vorteil. Wir wissen aus allen Studien, dass gemeinsames Lernen in Verbindung mit dem richtigen Unterricht sowohl den schwächeren als auch den stärkeren Schülern nützt. Und es ist schlicht eine Legende, wenn immer wieder behauptet wird, dass leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler durch gemeinsames Lernen behindert würden, das Gegenteil ist wahr. Gemeinsames Lernen nützt den stärkeren und den schwächeren Schülern.
Wer aber redlich überzeugen will, muss auch sagen, dass es ein Risiko gibt. Das Risiko ist schlicht, dass wir die gesamte Schullandschaft umkrempeln und zwar in einem Ausmaß, das noch kein Bundesland jemals ausprobiert hat. Viele erfolgreiche und auch weniger erfolgreiche Schulen können so nicht weiterarbeiten. Viele Grundschulen werden fusioniert und machen mit zwei Standorten in Zukunft als eine Schule weiter. Fast alle Kollegien werden vermutlich die nächsten drei Jahre mühsam umgebaut. Das alles bringt sehr viele Reibungsverluste, Probleme und Nachteile.
Wenn es gut gemacht wird, überwiegen dabei die Chancen. Der erste Entwurf des Schulgesetzes hatte unserer Meinung nach mehr Risiken als Chancen. Er war deshalb nicht gut gemacht, weil die Ideen zwar gut waren, aber die Umsetzung, die Pläne, die Konzepte, die Taten, die Eckpunkte einfach aus unserer Sicht nicht tragfähig waren, um die guten Ideen auch umzusetzen. Deshalb haben wir gemeinsam mit der Regierung darüber gesprochen, wie das gelingen kann. Was wir in dem Zusammenhang nach dem Volksbegehren geändert haben, so dass eine neue Situation entstanden ist, war erstens, dass es kleinere Klassen gibt, sehr kleine Klassen, zweitens das Elternwahlrecht bleibt und drittens, dass schon im Schulgesetz steht, dass die Lehrer eine bestimmte Qualifikation haben müssen, die Räume ausreichen sollen und es Qualitätstests geben wird. Die Oberstufen der Stadtteilschulen sollen in Zukunft die Stadtteilschulen mit einer Perspektive versehen. Natürlich ist jetzt auch Schluss mit dem Büchergeld und das Tempo ist ein bisschen langsamer geworden, weil wir auch mit Augenmaß sehen müssen, was geht und was nicht. Wir werden diese Primarschule in zwei Stufen einführen. Wir haben als SPD gesagt, das sind Rahmenbedingungen, unter denen die Primarschule gut werden kann.
Liebe Frau Goetsch, es wird Ihre Aufgabe, die Risiken zu verringern und die Chancen auszubauen. Wir werden sorgfältig darauf achten, denn wir wollen gemeinsam mit Ihnen, dass diese Reformen dann auch gelingen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die GAL hat ihr Thema "Eine bessere Schule für unsere Kinder!" genannt. Die Frage ist, warum wir eigentlich eine bessere Schule in Hamburg brauchen. Herr Rabe hat sehr ausführlich darauf hingewiesen, dass das jetzige System nicht gut ist, nicht für die Eltern, nicht für die Kinder und auch nicht für die Lehrer. Und es ist absolut nicht gut genug, um Kinder und Jugendlichen eine Chance fürs spätere Leben zu geben.
Die Fakten sind bekannt, einige hat Herr Rabe genannt. Ich füge noch den hohen Anteil an Jugendlichen hinzu, die die Schule ohne Schulabschluss verlassen, den unglaublich hohen Anteil von Jugendlichen, die nach der Schule im Übergangssystem von teilqualifizierenden und nicht qualifizierenden Orten – kann man fast schon sagen – landen, wo man im Grunde schon die Langzeitarbeitslosigkeit auf Hartz IV vorbereitet.