Protokoll der Sitzung vom 01.07.2010

Der Justizsenator hat sehr deutlich gemacht, dass wir in diesem Land mit einem Rechtssystem leben, das eine Garantie dafür bietet, dass keiner eine Chance hat – sei er mit staatlichem Gewaltmonopol ausgestattet oder Privatperson –, Gewalt auszuüben, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Es gibt keine Schutzräume für irgendjemanden, nicht für Polizisten und nicht für Gewalttäter. Sie, Herr Hackbusch, stellen das permanent infrage. Ihre Kollegen behaupten im Innenausschuss immer wieder, es gäbe haufenweise Anzeigen, aber wenig Verurteilungen

(Christiane Schneider DIE LINKE: Gar kei- ne!)

und da müsse etwas sein, wenn es so wenige Verurteilungen gebe. Tatsächlich, Frau Schneider, sollte dies ein Anlass für Sie sein festzustellen, dass hier ein Haufen an unberechtigten, unbewiesenen Anschuldigungen vorliegt und dass die Polizei in unserem Rechtsstaat hervorragend arbeitet, aber diesen Mut haben Sie nicht.

(Beifall bei der CDU)

Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Herr Voet van Vormizeele, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Artus?

– Nein, ich habe nur fünf Minuten Redezeit und da muss ich mich ein bisschen beeilen.

Sich als Meister der Phrasen über andere zu äußern, ist immer gut. Herr Dr. Dressel, Sie sprachen von den vielen Maßnahmen, die die SPD vorgeschlagen hat, und kamen besonders auf das von Ihnen geforderte Waffen- und Alkoholverbot zu sprechen. Das ist eine von den Maßnahmen, die mich tief beeindrucken. Der Gewaltausbruch, den wir letzten Samstag in Neuwiedenthal erlebt haben, war verboten, liebe Kollegen von der SPD. Trotzdem gibt es Menschen in dieser Stadt, die bereit sind, illegale Taten zu begehen. Das ist schade und wir würden uns freuen, wenn es anders wäre.

(Andy Grote SPD: Schon mal was von Prä- vention gehört?)

Aber die Realität ist doch, dass wir bei dieser Problemlage nicht vorankommen, indem wir weitere Verbote aussprechen, sondern nur dann, wenn wir analysieren, woran es liegt. Da kommen wir dann auch zu der Frage des Respekts und zu der Frage, was das Elternhaus tut und was Gesellschaft in der Bildung getan hat.

(Michael Neumann SPD: Zehn Jahre CDU-Bildungspolitik!)

(Christiane Schneider)

Ich sage Ihnen ganz offen, mir fehlen da an einigen Stellen Bekenntnisse, auch bei Ihnen, Herr Neumann, der Sie über Jahrzehnte hinweg ganz persönlich die Bildungspolitik in dieser Stadt mitverantwortet haben, wo die Menschen nicht mehr in der Lage waren, ihre Kinder zu erziehen.

(Beifall bei der CDU – Michael Neumann SPD: Was haben Sie in zehn Jahren ge- macht? Nichts!)

Sie haben bewusst und zielgerichtet daran gearbeitet, dass wir die Frage nach dem Respekt vor dem staatlichen Gewaltmonopol immer weniger häufig stellen. Dieser Respekt ist ein elementarer Bestandteil dessen, was wir brauchen. Wer das nicht frühzeitig im Elternhaus und in der Schule vermittelt, der begeht die Fehler, an denen wir heute arbeiten. Wenn Sie sich jetzt verweigern und glauben, Sie könnten diese Probleme mit einem Waffen- oder Schnapsverbot lösen, dann haben Sie sich aus der Kompetenz zur Lösung dieser Probleme ausgeschlossen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort bekommt Herr Dr. Dressel.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe vorhin Ihren Koalitionsvertrag zitiert

(Viviane Spethmann CDU: Wir sind so dank- bar!)

und es ist schon ein bisschen bizarr, dass wir als Opposition Sie gelegentlich an Ihre eigene Zielsetzung erinnern müssen. In Ihrem Koalitionsvertrag steht etwas von einer Entwaffnungsstrategie, von Waffenverbot und Aufklärungskampagne. Niemand behauptet, wir könnten ein Waffenverbot machen und dann sei alles gut. Sie haben hier aber viel von gesellschaftlicher Grenzsetzung gesprochen und davon, dass eine Gemeinschaft sagt, dass wir bestimmte Sachen in unserer Stadt nicht haben wollen, und da ist ein Waffenverbot schon ein entscheidender Baustein. Interessanterweise sind Sie selber auch zu der Einsicht gekommen und haben Waffen auf dem Kiez verboten, überall stehen da entsprechende Schilder. Wenn sie das, was Sie eben gesagt haben, konsequent zu Ende denken, dann müssten Sie die Schilder eigentlich wieder abbauen,

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Nee!)

weil das dann Quatsch wäre. Messen Sie sich doch einmal an den von Ihnen selber aufgestellten Zielen, statt sich jetzt von ihnen verabschieden zu wollen. Das ist das Gegenteil von überzeugender Politik.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben eine interessante Bandbreite in dieser Diskussion: sehr seminarlastige Äußerungen des Justizsenators, staatsphilosophisch und allgemein, und Herrn Warnholz mit der genau entgegengesetzten Positionierung.

(Olaf Ohlsen CDU: Im Gegensatz zu Ihnen hat er nicht rumgeschwallert!)

Das stellt die Bandbreite schwarz-grüner Innenpolitik wieder einmal sehr beeindruckend unter Beweis.

Zwei Punkte möchte ich abschließend noch ansprechen. Herr Warnholz, zunächst an Ihre Adresse. Sie sind Vorsitzender des Innenausschusses und ich bin Schriftführer. Wir hatten in der letzten Sitzung einen Antrag auf der Tagesordnung, bei dem es um Gewalt gegen Polizeibeamte ging und wo auch das Thema, das Sie gerade angesprochen haben, nämlich Strafverschärfung bei Übergriffen auf Polizeibeamte, behandelt wurde.

(Viviane Spethmann CDU: Sprechen Sie mal mit den Kollegen auf Bundesebene!)

Nee, nee, nichts auf Bundesebene. Das ist interessant, Frau Spethmann, dass Sie das sagen.

Es geht hier um die Änderung des Strafgesetzbuches, die Heraufsetzung des Strafrahmens von zwei auf drei Jahre. Das ist keine Sache, die nur das ferne Berlin betrifft, sondern da geht es ganz konkret darum, wie dieser Senat sich im Bundesrat verhält. Bisher haben wir von Ihnen viele verbale Plattitüden zu diesem Thema gehört. Viele Tausend Polizeibeamte in der Stadt warten auf ein klares Signal dieses Senats und natürlich darauf, ob er es schafft, dass einer solchen Vorlage die Zustimmung erteilt wird. Was ist passiert? Sie haben die Zustimmung verweigert, Sie haben sich enthalten. So sieht die Realität bei diesem Thema aus.

(Beifall bei der SPD)

Nach den ganzen Plattitüden, die Sie heute abgeliefert haben, zu sagen – Frau Möller, damit komme ich noch einmal zu Ihnen –, wir würden einen Gemischtwarenladen oder Krämerladen vorschlagen …

(Antje Möller GAL: Kramladen!)

Wir haben die ganzen Jahre über konkrete Konzepte vorgelegt, Sie können das in der Parlamentsdatenbank alles noch einmal nachlesen. Wir haben Vorschläge gemacht und arbeiten entlang der Einzelfälle die Mangelpunkte des Handlungskonzepts auf, bei denen noch mehr Konsequenz erforderlich ist. Wir haben zu allen Punkten konkrete Vorschläge gemacht. Das ist der Kramladen, den Sie meinen. Ich bin sicher: Die Stadt erwartet keine neuen Plattitüden, sondern konkrete Antworten und wir haben sie geliefert. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

(Kai Voet van Vormizeele)

Das Wort bekommt Herr Hackbusch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte eines noch einmal deutlich klarstellen, nicht, dass das jemand in den falschen Hals bekommt oder in irgendeiner Form falsch versteht. Mit meinem Zwischenruf habe ich gemeint, dass Herr Voet van Vormizeele jetzt etwas zum Abschaum sagen wird. Ich habe auch gehofft, dass er etwas dazu sagen würde und das hat mir in Ihrer Darstellung auch durchaus gefehlt. Die Äußerung von Herrn Lenders über Unterschicht und Abschaum bezieht sich nicht nur auf Straftäter, sondern betrifft einen ganzen Stadtteil und die Menschen, die dort leben. Ich fühle mich davon natürlich besonders betroffen, weil ich in Neuwiedenthal aufgewachsen und zur Schule gegangen bin und die Situation dort kenne. Schon damals sind ähnliche Sprüche über diesen Stadtteil gemacht worden. Ich finde, wir haben die Aufgabe, gerade solche Stadtteile zu verteidigen, ihnen derartige Beschimpfungen nicht zuzumuten und sie in gewisser Weise davor zu schützen. Für CDU und SPD wäre es ein Leichtes gewesen, das zurückzunehmen

(Michael Neumann SPD: Wir?)

und Herrn Lenders an dieser Stelle zu kritisieren. Ich finde es nicht so schick, dass das nicht passiert ist.

(Beifall bei der LINKEN – Michael Neumann SPD: Sozialdemokraten sagen so etwas nicht und denken so etwas nicht!)

Ich weiß, aber Herr Dressel und Herr Lenders sitzen gern zusammen und von daher hätte ich auch von ihm gern diese Worte gehört.

(Michael Neumann SPD: Ich hätte gestern in der Bundesversammlung auch anderes von Ihnen erwartet, haben Sie auch nicht ge- macht! Sie schießen sich immer weiter ins Abseits!)

Wir können auch über alles Mögliche andere reden, was in dieser Welt geschieht.

Herr van Vormizeele, Sie müssen uns das noch einmal mit der von uns angeblich verurteilten strukturellen Gewalt erklären. Wir haben in unseren Reihen alle nicht verstanden, was Sie damit meinen. Uns geht es darum, dass Vorwürfe verfolgt werden, wenn sie erhoben werden. Sie wissen, dass es im amerikanischen Raum bei staatlichen Organen eine böse Entwicklung gegeben hat. Über die Jahre haben sich dort – das ist von verschiedenen unabhängigen Kommissionen bestätigt – Verhältnisse bei der Polizei entwickelt, die dramatisch schlecht für die Gesellschaft waren, inklusive Rassismus und Ähnlichem. Ich will nicht sagen, dass die Situation bei uns gegenwärtig so

ist, aber wir sollten aufpassen und an diesen Punkten kritisch sein. Dieses Verhalten, das Frau Schneider im Zusammenhang mit dem Video dargestellt hat, ist – unabhängig von der Situation – ein Impetus, der der Polizei nicht ansteht. Das darf nicht passieren

(Beifall bei der LINKEN)

und das muss man auch kritisieren. Sie würden die Polizei stärken, wenn Sie ein solches Verhalten kritisieren, denn es gehört doch dazu, dass sie sich in einem demokratischen Bereich aufhalten soll.

Ein letzter Punkt noch, Herr van Vormizeele. Ich will gar nicht auf Ihren Hinweis im Zusammenhang mit den Eltern eingehen. Es ist eine entscheidende Aufgabe, die Frage zu lösen, wie wir diese Jugendlichen auffangen können. Wir wissen – darüber herrscht hier Einvernehmen –, dass die Familienstrukturen in den letzten Jahren sehr viel schwächer geworden sind. Wir mögen das bedauern, aber wir müssen das mit staatlichen Mitteln ausgleichen, weil uns gar nichts anderes übrig bleibt, auch wenn wir wissen, dass dieser Ausgleich schlechter sein wird als familiäre Strukturen. Es ist eine wichtige Aufgabe, das staatliche Handeln in diesem Bereich zu planen, um stärkend eingreifen zu können. Das sollten wir einvernehmlich tun und da nützt ein allgemeiner Appell recht wenig. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Frau Möller.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Dr. Dressel, vielleicht noch ein paar Bemerkungen. Ich habe nicht gesagt, Sie würden hier einen Kramladen von Vorschlägen vortragen, sondern ich habe gesagt, Sie machen diese Debatte zu einem Kramladen. Sie greifen in alle Töpfe, die Ihnen zum Thema Innenpolitik einfallen, und bringen sie mit ein, wo wir eigentlich mit dem Versuch einer Analyse verschiedener, völlig unterschiedlicher Vorfälle und schrecklicher Gewalttaten begonnen haben. Beide Senatoren haben sich erlaubt, nicht nur mit den manchmal etwas platten politischen Aussagen zu kommen, sondern haben tatsächlich eine Art Seminar-Charakter entstehen lassen. Ich finde das schlicht und einfach richtig.