Der Paragraf 12 im Schulgesetz verankert diesen Rechtsanspruch für Kinder nach der UN-Behindertenrechtskonvention. Wir hatten das Schulgesetz bereits im Oktober 2009 verabschiedet, wenn ich daran erinnern darf, und dieses Schuljahr ist das erste Schuljahr, in dem dieser Rechtsanspruch auch praktisch greift, allerdings erst – der Kollege von Frankenberg hat es gerade ausgeführt – seit einigen Wochen. Es hat dazu geführt, dass sich die Situation tatsächlich verbessert hat, dass der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an allgemeinbildenden Schulen deutlich gestiegen ist und wir eine ganze Reihe neuer Standorte haben, an denen Integration stattfindet. Es ist erst einmal ein erfreuli
cher Schritt, dass das Recht, das die UN-Konvention gelegt hat und das wir im Schulgesetz verankert haben, auch tatsächlich in der Praxis zu greifen beginnt.
Es ist aber deutlich zu früh, schon nach einigen Wochen des Schuljahres den Stab über dem Weg, den wir eingeschlagen haben, zu brechen. Uns ist auch klar, das haben wir immer gesagt, dass wir nicht von vornherein mit einem Fingerschnippen den Stein der Weisen haben und das gesamte Schulsystem von dem bisherigen Weg der Trennung von einem Tag auf den anderen in ein inklusives Schulsystem umwandeln können. Das ist ein Weg, der längere Zeit braucht, der langsam aufwachsen muss und den wir begleiten müssen. Die SPD hatte in dem Antrag, über den heute der Bericht vorliegt, ein Aktionsprogramm gefordert. Wenn Sie jetzt monieren, Herr Rabe, dass die Schulbehörde für die Ausarbeitung dieses Aktionsprogramms eine sehr umfangreiche Projektgruppe mit vielen Einzelaufgaben eingesetzt hat, an denen auch sehr viele Akteure aus den Behörden, aber auch aus dem Bereich außerhalb der Behörden, aus dem Bereich der Integrations- und Inklusionsverbände beteiligt sind, dann verstehe ich nicht ganz, worin die Kritik liegt. Das Thema hat es verdient und es ist dem Thema angemessen, dass es in einem ausführlichen, gründlichen und soliden Prozess vorbereitet wird.
Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Wir sind hier ganz unter uns, aber trotzdem ist es entschieden zu laut im Plenum.
So ist das, ganz spät am Abend gibt es ein bisschen Aufmerksamkeitsdefizite, das passt ja auch zum Thema.
(Andy Grote SPD: Das ist wie in der Schule! – Dirk Kienscherf SPD: Das liegt aber auch ein bisschen am Lehrer! – Michael Neumann SPD: Da muss man sich ein bisschen an- strengen als Lehrer!)
Sie haben ein Aktionsprogramm gefordert und das ist auf dem Weg. Wir haben auch im Ausschuss schon gesagt, dass wir, sobald im Herbst die Berichte dieser Projektgruppe vorliegen – natürlich mit programmatischen Aussagen dazu, wie das Thema Inklusion in der Zukunft umgesetzt werden soll –, die Beratungen im Ausschuss fortsetzen werden und dann im Detail darüber diskutieren, ob Ihr Weg oder unser Weg der bessere ist. Ehrlich gesagt, sehe ich keine so große Differenz in den Ansätzen.
Das Einzige, weswegen wir auch im Ausschuss gesagt haben, dass wir Ihren Antrag ablehnen, ist die Tatsache, dass Sie gesagt haben, man müsse von vornherein an Standorten eine Quote festlegen und diese erfüllen. Wenn aber ein Wahlrecht gegeben ist und die Eltern entscheiden können, ob sie ihr Kind an einer allgemeinbildenden Schule oder an einer der noch vorhandenen Sonder- und Förderschulen anmelden, dann können wir nicht gleichzeitig festlegen, dass es so und so viele Schulen geben muss, an denen Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf im allgemeinen Bereich angemeldet werden. Das geht schlicht nicht. Entweder ist es ein Wahlrecht oder wir legen par ordre du mufti etwas fest. Wir haben uns für den Weg des Wahlrechts entschieden.
Wie der Kollege von Frankenberg schon erläutert hat, ist aber letzten Endes das, was in der Praxis passiert ist, relativ deckungsgleich mit dem, was Sie an Zielzahlen in Ihrem Antrag genannt haben. Deswegen ist aus unserer Sicht – das hatten wir im Ausschuss schon ausführlich dargestellt – das, was Sie beantragt haben, entweder erst einmal erledigt oder bereits auf einen guten Weg gebracht. Wir können die Beratungen im Herbst im Schulausschuss fortsetzen, wenn die Ergebnisse der Projektgruppe vorliegen, und dann weiterhin darüber beraten. Der gute Weg ist eingeschlagen.
Eines noch abschließend. Wir haben auch die Aufgabe, ein Gesamtkonzept zu entwickeln, wie Inklusion und Integration in allen Hamburger allgemeinbildenden Schulen fortgesetzt werden kann. Da ist es auf Dauer nicht sinnvoll, drei unterschiedliche Wege, die aus der Sondersituation der Vergangenheit entstanden sind, parallel fortzuführen. Ziel muss es sein, eine einheitliche allgemeinbildende Schule zu haben, die einen Platz für alle Kinder, ob mit oder ohne Behinderung, anbietet. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass behinderte Schülerinnen und Schüler in allgemeinbildende Schulen gehen. Fast alle unsere europäischen Nachbarn zeigen, dass dies möglich ist und dass es besser ist. So werden in Schweden, Italien und anderen europäischen Staaten nur 5 Prozent der behinderten Kinder segregiert, in Deutschland sind es dagegen 85 Prozent.
Deutschland und auch Hamburg beschreiten seit Jahren mit der Aussonderung von Behinderten in Sonderschulen einen traurigen und ineffizienten Sonderweg. Professor Klaus Klemm hat dazu kürzlich die Studie mit dem bezeichnenden Titel "Son
derweg Förderschulen: Hoher Einsatz, wenig Perspektiven" vorgelegt. Von Professor Hans Wocken stammt der Spruch, dass Sonderschulen heute Schulen für Kinder aus Hartz-IV-Familien sind. In Sonderschulen sind tatsächlich ganz bestimmte soziale Gruppen überrepräsentiert: Jungen, Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder aus kinderreichen Familien und Kinder aus Familien, wo mindestens ein Elternteil arbeitslos ist. Das sieht ganz stark nach sozialer Auslese aus und hat wenig mit Behindertenpolitik zu tun.
Die UN-Behindertenrechtskonvention von 2008 hat nun die Schulbehörde und uns alle auf Trab gebracht. Dort heißt es im Schulgesetz in Paragraf 24, dass Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderungen vom allgemeinen Schulsystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderungen vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden dürfen.
Die UN-Behindertenkonvention verbietet Sonderschulen und es gibt das uneingeschränkte Elternwahlrecht. Der schwarz-grüne Senat hat in Paragraf 12 des Schulgesetzes versucht, das anzupassen. Es heißt dort, dass behinderte Kinder und Jugendliche das Recht haben, allgemeinbildende Schulen zu besuchen. Dieses Recht wird dann allerdings später in Paragraf 19 wieder eingeschränkt, wo es heißt, dass Sonderschulen weiterbestehen dürfen und die Förderung zeitweilig in gesonderten Lerngruppen erfolgen könne. Bei der Festlegung des Lernorts sind die Wünsche der Sorgeberechtigten zu berücksichtigen.
Nun hatten wir zu diesem Thema eine Anhörung und Kritiker bezeichnen diese Regelung wie folgt: Behinderte müssen noch immer um ihre Rechte betteln, sie sind immer noch Menschen mit eingeschränkten Rechten. Es werden ihnen ihre Rechte vorenthalten, die ihnen zustehen. Das Ziel in Hamburg muss es natürlich sein, die Streichung aller Passagen hinzubekommen, die die Einschränkung der Rechte der Behinderten vorsehen. Langfristig muss es natürlich ein uneingeschränktes Elternwahlrecht geben, sodass Eltern ihre behinderten Kinder und Jugendlichen in die nächstgelegene Schule schicken dürfen. Sonderschulen müssten à la longue verschwinden.
Als erstes ist mit den Sonderschulen zu beginnen, die die Förderschwerpunkte Lernen und Sprache haben. Schon in KESS 1 und 2 hat jede Klasse eine halbe Stelle Sonderpädagogik als Grundversorgung zu bekommen. Damit soll auch für die Prävention gesorgt werden. Jeder Sonderschulabsolvent muss ein Lehrangebot bekommen, es muss eine Nahtlosigkeitsregelung geben, alle Jugendlichen müssen nahtlos in eine Ausbildung übergehen. Dazu könnten voll qualifizierte Berufsfach
schulen nach Art des Berufsbildungswerkes dienen. Wir haben ein sehr gutes Konzept für den Übergang Schule und Beruf, da bekommen wir etwas hin. Und vor allen Dingen muss der Senat nach dieser Tagung im Herbst erklären, in welchem Zeitraum er das europäische Normalmaß einer Inklusionsquote von 80 Prozent erreichen will. Man kann nicht alles auf einmal umsetzen, aber wir müssen Gas geben, um Anschluss an das europäische Niveau zu finden.
Bevor ich Senatorin Goetsch das Wort erteile, weise ich noch einmal darauf hin, dass es im Plenum entschieden zu laut ist, und ich benenne jetzt vielleicht doch einmal diese Wandsbeker Zusammenballung da hinten. Vielleicht könnten die Gespräche einfach draußen weitergeführt werden, dann können wir die restlichen Debatten fortführen. Ich habe noch mehr Wortmeldungen und dann geht das auch alles seinen Gang.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist zwar spät und ich habe auch schon ewig nicht mehr so spät in der Bürgerschaft reden dürfen, aber das Thema ist ernst. Ich möchte Herrn Rabe – ich weiß gar nicht, wo er ist – sagen, dass nichts in Vergessenheit gerät. Im Gegenteil, im Oktober vor einem Jahr haben wir das schon im Schulgesetz gehabt. Wir haben das große Glück gehabt, dass die UN-Konvention uns tatsächlich Beine gemacht hat und insofern haben wir mit der Umsetzung sofort angefangen. Im Ziel sind wir uns einig, das ist bereits mehrfach gesagt worden.
Ich will nur auf eines hinweisen: Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten das Ganze ohne die Beteiligung der Betroffenen gemacht, was dann hier für ein Geschreie losgegangen wäre. Wenn wir das ohne Eltern, ohne Behindertenverbände, ohne die Sonderschulkollegen, ohne die Sonderschulverbände, ohne die Eltern für Integration und wer alles in diesem Bereich sehr aktiv ist gemacht hätten, hätte es unheimlichen Stress gegeben. Insofern ist es genau richtig, dass wir vor allem diese verschiedenen Gruppen zusammenbringen. Es gab wirklich große Gräben, wenn man sich überlegt, wie sich in den letzten 20 Jahren die Seiten bekämpft haben und wie wir jetzt Schritt für Schritt diese zusammenbringen. Herr Buß nickt, wir kennen das aus der Praxis, weil wir da Erfahrungen gesammelt haben.
So sehr wir zu Zeiten von IR- und I-Klassen gelebt haben, die damals richtig waren und die meine Vorgängerin Raab auch gegen große Widerstände eingeführt hat – damals war Hamburg federfüh
rend –, sind wir inzwischen aber an einem Punkt, wo wir feststellen müssen, dass nicht alle Integrationsplätze besetzt sind und dass Kinder mit Krankheiten zu I-Kindern definiert werden, die es gar nicht sind. Da passieren sehr befremdliche Sachen und wir haben die Aufgabe, auch dies vernünftig in ein Gesamtkonzept hineinzubringen, um das Recht auf eine Beschulung in der allgemeinbildenden Schule zu erreichen.
Wo stehen wir jetzt? Neben der ganzen Arbeit in den Arbeitsgruppen, wo uns die UN-Konvention vorschreibt, die Zivilgesellschaft und die entsprechenden Verbände mit einzubeziehen, haben wir jetzt damit begonnen. Es geht sukzessive aufwärts und wir haben ein ganz erfreuliches Ergebnis, ich hätte nicht damit gerechnet. Es sind jetzt 750 Schülerinnen, 330 in der ersten Klasse, 420 in der fünften. Es sind alle Schulformen dabei und, Herr Rabe, Sie sind da auf einem ganz falschen Dampfer. Es sind nicht Sonderschulkollegen, die ausgeliehen sind. Wir haben 60 Stellen aus dem sonderpädagogischen Bereich in den Integrationsstandorten. Wir haben eine zusätzliche systematische Anschubfinanzierung für Standorte, die noch nie mit sonderpädagogischem Förderbedarf befasst waren, das sind noch einmal zehn Stellen. Wir haben für das spezielle Thema Schüler mit autistischen Verhaltensweisen eine Extrastelle am Johannes-Brahms-Gymnasium eingerichtet. Da gab es nämlich bisher gar nichts, die sind vollkommen hintenüber gekippt und deshalb ist es gut, dass inzwischen auch Gymnasien Integrationsstandorte sind. Und es kommen noch einmal 15 Stellen pädagogisch-therapeutisches Personal dazu; das zu der Frage, wo die Kollegen sind.
Sie können sich doch lebhaft vorstellen, dass natürlich, wo wir jetzt so viele neue Standorte haben, die Zahl von Kollegen in den Förderschulen und Sprachheilschulen zurückgeht, weil das wie das Prinzip der kommunizierenden Röhren funktioniert und diese Kollegen dann in die Regelschule gehen. Wir haben also diese Entlastungseffekte und in den anderen Sonderschulen ein Drittel weniger Kinder, was zeigt, dass die Elternwünsche umgesetzt werden. Es ist, Frau Heyenn, nicht so, dass die Elternwünsche nicht berücksichtigt würden. In der Regel besuchen die Schüler und Schülerinnen ihre Erstgrundschule, das heißt, dass die Eltern gesagt haben, ich will an diesen Standort in meinem Stadtteil und dann müssen sie eben nicht die Kinder durch die ganze Stadt fahren.
Das Landesinstitut macht nicht nur die ganze Fortbildung, sondern begleitet die Kollegen, die diese Tätigkeit noch nicht mit Sonderschulkollegen gemacht haben. Es ist ein pragmatisches Vorgehen, ein realistischer Zeitplan und eine große Aufgabe. Wir haben inhaltlich keine Widersprüche und müssen natürlich sehen, dass wir das vorantreiben. Das Ziel Inklusion ist vor Augen, ich hoffe, dass wir es so schnell als möglich erreichen. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will die Zeit gar nicht so lang ausnutzen, ich möchte auch nach Hause.
Fraktionsübergreifend sind wir alle froh, dass das von ganz vielen angenommen wird, die förderungsbedürftige Kinder haben. Aber in einem Punkt müssen wir noch einmal nachhaken. Bei Ihrem Konzept, das jetzt durchgeführt wird, steht immer die Diagnostizierung von sonderpädagogischen Förderbedarfen im Fokus und dabei bemerkt offensichtlich gar keiner, dass dies doch bereits ein grundsätzlicher Widerspruch zum Ansatz der Inklusion ist, denn es geht gerade darum, keine Etiketten in dieser Art zu verteilen, sondern jede Schülerin und jeden Schüler als gleichwertigen Teil der Gesamtgruppe zu verstehen.
Sie wollen erst die individuelle Diagnose des Förderbedarfs setzen, damit dann eine stundenmäßige Zuweisung an die jeweilige Schule kommen kann. Und das ist der grundlegende Punkt, der die Behindertenverbände, die Elternverbände und dergleichen mehr auf die Palme bringt.
Dass der Mitteleinsatz dem Kinde folgt, sehen wir kritisch, weil eine Systemressource in einem inklusiv ausgebildeten Schulsystem im Prinzip an jede Schule gehört. Der Mitteleinsatz – was Frau Senatorin immer so als diese Rucksack-Geschichte bezeichnet hat – ist etwas, was für spezielle Behinderungen funktioniert. Diejenigen, die sehbehindert und hörbehindert sind, kann man nicht einfach durch einen Sonderpädagogen mit einer anderen Spezialisierung betreuen lassen, das ist klar. Aber wenn wir wirklich dorthin kommen wollen, ein Regelschulsystem zu haben, an dem alle Schüler teilnehmen können, dann brauchen wir Systemressourcen an allen Schulen. Dahin wollen wir kommen und insofern werden wir Ihren Weg kritisch begleiten.
Es geht nicht um verfrühte Kritik, so wie Sie gesagt haben, sondern um den grundsätzlichen Ansatz dieser Diagnostik. Das ist etwas, was man vielleicht aus finanzpolitischen Gründen macht, aber nicht, wenn man wirklich Kinder im Blick hat. Da verteilt man nicht einfach so knappe Ressourcen. Sie haben bestimmt die Ressourcen aus der letzten Anfrage gesehen, was da zugeteilt wird. 2,97 WAZ kommen letzten Endes beim Kind an.
Frau Rugbarth, Sie wollen also an alle Schulen Zivildienstleistende, Therapeuten und Physiotherapeuten geben und dann abwarten, ob ein Kind kommt, das sie braucht. Das ist fachlicher Unsinn, den Sie verbreiten mit dem Deckmäntelchen, das sei Inklusion; das ist einfach falsch. Sie müssen wenigstens differenzieren, dass wir in Deutschland ein unsägliches System haben, in dem Kinder mit Lernbehinderungen stigmatisiert werden. Ein solches System gibt es in der ganzen Welt nicht noch einmal. Das ist natürlich die Frage der sukzessiven Auflösung der Förderschulen. Aber wenn Sie alles in einen Topf werfen, wird das den Kindern nicht gerecht.