Protokoll der Sitzung vom 19.01.2011

Ich erzähle Ihnen nichts Neues. Wir wissen seit dreieinhalb Jahren, dass diese Fragen auf dem Tisch liegen. Seit dreieinhalb Jahren ist die Stadtteilschule beschlossene Sache. Es war dreieinhalb Jahre Zeit, etwas umzusetzen,

(Michael Gwosdz GAL: Zweieinhalb!)

und dreieinhalb Jahre haben Sie das nicht getan. Hätten nicht engagierte Kollegien selbst Ideen entwickelt, wäre der Start völlig missglückt.

Wenn wir die Stadtteilschule erfolgreich auf den Weg bringen wollen, dann kann es so nicht weitergehen. Damit die Stadtteilschule ein Erfolgsmodell wird, ist etwas anderes nötig: eine neue Regierung und ein Bürgermeister Olaf Scholz. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Gwosdz.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Rabe, ich bin schwer beeindruckt, dass Olaf Scholz die Lösung aller Probleme ist.

(Heiterkeit bei der CDU)

Dadurch, dass wir die Bürgerschaft vorzeitig aufgelöst haben, haben wir keinen Zeitsprung gemacht. Wir haben die Bürgerschaft aufgelöst, aber wir haben die Legislaturperiode nicht rückwirkend auf dreieinhalb Jahre verlängert. Also, wenn überhaupt, dann hatten wir zweieinhalb Jahre Zeit.

(Ties Rabe SPD: Die CDU hätte schon an- fangen können!)

Da Sie immer so viel Wert auf Zahlen legen, möchte ich das doch kurz klarstellen. Wir haben in den letzten zweieinhalb Jahren durchaus nicht versäumt, an der Stadtteilschule zu arbeiten, sondern CDU und GAL haben gemeinsam in diesen zweieinhalb Jahren, aufbauend auf den Empfehlungen der Enquete-Kommission, wichtige Schritte durchgeführt und umgesetzt. 2009 wurde das Rahmenkonzept für die Stadtteilschule verabschiedet. Die Stadtteilschule ist im Schulgesetz implementiert. 2010 wurde über die wesentliche Frage der Kooperation von Berufsschulen und Stadtteilschulen ausführlich diskutiert. Berufs- und Stadtteilschulen haben in unterschiedlichsten Runden und Workshops zueinander gefunden und Kooperationen vereinbart. Dankenswerterweise hat der Senat am Dienstag eine Drucksache verabschiedet, die die Grundlage der Berufsorientierung festschreibt, aber die Kooperationen sind bereits vorbereitet. Sie wissen auch, dass die Stadtteilschule – und das ist wichtig – Jahr für Jahr aufwächst. Wir sind im laufenden Schuljahr mit der siebten Klasse und den Rahmenplänen gestartet und rechtzeitig zum Schuljahr 2011/2012 wird auch die Berufsorientierung implementiert werden. Es kann also über

haupt nicht die Rede davon sein, dass die Stadtteilschule vernachlässigt wurde. Sie wurde mit derselben Energie und mit demselben Aufwand wie alle anderen Schulformen in Hamburg begleitet.

Umso ärgerlicher ist es dann allerdings, dass der Restsenat jetzt, wo wir eigentlich deutlich machen sollten, dass die Stadtteilschule tatsächlich eine Schule ist, auf der Schülerinnen und Schüler dieselben guten Chancen wie auf dem Gymnasium haben, seine Handlungshoheit nutzt und jedem Elternteil, das sein Kind auf der Stadtteilschule anmelden möchte, mit der Wiedereinführung der Gymnasialempfehlung dokumentiert, dass es doch eine Zweiklassengesellschaft gibt. Deswegen ist das, was Dora Heyenn einleitend gesagt hat, für den Stellenwert der Stadtteilschule, ihre Chancen und ihre Zukunft durchaus eine ganz zentrale Aussage. In der Einschätzung zur weiteren Schullaufbahn soll es künftig heißen:

"Die Schülerin/der Schüler wird voraussichtlich dem Lerntempo und den Anforderungen des achtjährigen Gymnasiums gewachsen sein."

An dieser Stelle kann man ein Ja ankreuzen. Wenn dieses Kreuz fehlt, dann heißt das ganz klar, dass dieses Kind den Anforderungen des Gymnasiums nicht gerecht werden wird. Es ist nicht fürs Gymnasium geeignet und deswegen bleibt noch die Stadtteilschule. In dieser Form bekommt das jedes Elternteil jedes Viertklässlers dieser Tage schwarz auf weiß dokumentiert. Damit erweist man der Stadtteilschule einen Bärendienst, wie es auch die Elternkammer gerade festgestellt hat.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Damit sind wir genau bei dem Punkt, Marino Freistedt. Sie haben gesagt, wir müssten den Glauben der Eltern an diese Schulform stärken. Aber genau diesen Glauben, dass die Stadtteilschule tatsächlich eine gleichwertige Schule ist, unterminiert und erschüttert man mit einer solchen Gymnasialempfehlung dieses alten Typs.

Eines ist für mich noch wichtiger. Wir haben uns sehr lange schulpolitisch gestritten, aber wir haben einen Konsens erzielt. Wir haben uns auf den Schulfrieden geeinigt und einen Konsens darüber erzielt, wie wir den gemeinsam verlorenen Volksentscheid umzusetzen haben. Wir waren uns in den Gesprächen immer einig und haben – und das fand ich sehr beeindruckend – in den Verhandlungen mit "Wir wollen lernen!" gemeinsam durchgesetzt, dass die Gymnasialempfehlung alten Typs abgeschafft wird. Alle, die daran beteiligt waren, wissen, wie sehr "Wir wollen lernen!" darauf beharrt hat, dass diese Empfehlung Bestandteil ihres Erfolgs beim Volksentscheid wird. Wir haben sie davon überzeugt, dass das nicht der Fall sein wird, und mit der Änderung des Paragrafen 42 Absatz 4 einen besseren, richtigeren Weg eingeschlagen.

(Ties Rabe)

Letzten Endes hat das offensichtlich auch die Volksinitiative erkannt, denn die angekündigte Verfassungsklage gegen diese Änderung ist nicht erfolgt.

Man kann auch nicht sagen, dass das nur eine Frage der Auslegung des Paragrafen 42 wäre. Man darf nicht vergessen, dass wir den Antrag im August mit einer Begründung eingebracht haben. Zur Erinnerung möchte ich diese Begründung noch einmal vorlesen. Da heißt es – das war ein historisch interessanter Moment –sowohl in dem Antrag der SPD und der LINKEN als auch in dem Antrag der CDU und der GAL:

"Auf eine Grundschulempfehlung alten Typs wird verzichtet, da für sie keine fachliche Fundierung existiert."

Das ist eigentlich eine ganz klare Aussage. Die Grundschulempfehlung alten Typs, die Gymnasialempfehlung, also zu sagen, ein Kind ist für das Gymnasium geeignet oder nicht, haben wir gemeinsam abgeschafft. Dass das jetzt wieder aufgerollt wird, ist ein Skandal, und dass eine Partei den Kommunismus einführen will, ist kein Argument dafür, pädagogischen Unfug wieder in Kraft zu setzen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Frau Heyenn hat das Wort.

Ich nehme mit Erstaunen zur Kenntnis, dass sowohl die CDU als auch die SPD sich von dem entfernen, was Herr Gwosdz gerade vorgetragen hat, dass wir nämlich als Begründung für unseren Beschluss, den Paragraf 42 Absatz 4 so zu fassen, wie er jetzt gefasst ist, gesagt haben, die Grundschulempfehlung alten Typs solle es nicht mehr geben. Wir haben eine neue Grundschulempfehlung, die so gerade nicht gewollt war, und Sie sagen jetzt, dass es nicht so gemeint war. Herr Freistedt, wenn ich nach dem Wahlkampf einmal ganz viel Zeit habe,

(Klaus-Peter Hesse CDU: Die werden Sie haben!)

dann werde ich Ihnen alle Reden pro Primarschule bündeln und mit roten Schleifen versehen zuschicken. Das hörte sich völlig anders an als das, was Sie eben gesagt haben.

(Beifall bei der LINKEN und der GAL)

Symptomatisch ist, wenn Sie sagen, die Eltern bräuchten keine Angst zu haben, ihre Kinder auf die Stadtteilschule zu schicken, aber die Eltern haben Angst, dass ihre Kinder auf eine Restschule kommen. Herr Rabe, die Anmeldezahlen entscheiden darüber, ob die Stadtteilschule ein Erfolg wird oder nicht. Wenn sie von Anfang an zu wenig Anmeldezahlen haben, dann ist das schon krepiert,

dann haben wir ein Riesenproblem in dieser Stadt sowohl für die Gymnasien als auch für die Stadtteilschulen und für die Schüler insgesamt.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass es bei den Grundschulempfehlungen alten Typs keine reine Gymnasialempfehlung gab. Es wurden entweder Haupt-, Real- oder Gesamtschule empfohlen, oder Gymnasium oder Gesamtschule, weil an beiden Schulformen Abitur gemacht werden konnte. Jetzt haben wir es genau andersherum. Mit dieser Auslegung geht die Behörde weit hinter die alte Schulempfehlung zurück. Das ist ein Rollback in der Pädagogik, das durch nichts zu toppen ist.

(Beifall bei der LINKEN und der GAL)

Deshalb unterstützen wir die Elternkammer, die sagt, dass die Eltern den Einschätzbogen nicht abgeben sollen, weil sonst Gefahr besteht, dass Kinder, die keine Gymnasialempfehlung bekommen haben, von bestimmten Gymnasien erst gar nicht angenommen werden. Wir fordern die Eltern auf, auf diesem Ankreuzbogen bei beiden Ankreuzmöglichkeiten ein Kreuz zu setzen.

(Glocke)

Meine Damen und Herren! Darf ich um Ruhe bitten.

Herr Senator Wersich – er ist nicht da –, Sie haben als Auslaufsenator die Auslegung des Schulgesetzes absolut überdehnt. Wir fordern Sie noch einmal auf: Ziehen Sie das zurück, sonst wird die Stadtteilschule eine Restschule.

(Beifall bei der LINKEN und der GAL)

Das Wort hat Herr Heinemann.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Der ist jetzt wie- der Schulpolitiker!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Frau Heyenn, so viele Krokodilstränen, wie Sie heute vergossen haben, hat man hier schon lange nicht mehr gesehen.

Ich war dabei – und ich glaube, Sie auch –, als in der Gesamtschule Winterhude die erfolglose Initiative "Eine Schule für alle" gegründet wurde. Da man wusste, dass man das Gymnasium nicht abschaffen kann, wollte man das Gymnasium zur Schule für alle machen und alle anderen Schulformen bewusst kaputt reden. Genau das ist heute Ihr einziges Ziel. Sie wollen versuchen, den Eltern Angst vor der Stadtteilschule zu machen, die Stadtteilschule von Anfang an kaputt zu reden und das Gymnasium zur Schule für alle zu machen. Da

(Michael Gwosdz)

ist es schon mehr als scheinheilig, was Sie hier veranstalten.

(Beifall bei der CDU)

Es ist übrigens auch ein Widerspruch, wenn Sie sagen, es könne passieren, dass Schüler an bestimmten Gymnasien nicht angenommen werden, und gleichzeitig das Überlaufen der Gymnasien befürchten. Da müssen Sie sich schon entscheiden, welche Argumentation Sie fortsetzen wollen.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Sie müssen den Volksentscheid umsetzen!)

Es war schon lustig, als wir mit Ihnen zu diesem Thema zusammensaßen und Sie einen Einschätzungsbogen vorlegten, in dem es zwar um diverse Kompetenzen ging, in dem der Begriff "Einschätzung zur Schullaufbahn" aber gar nicht zu finden war. Als wir fragten, wo denn die Einschätzung zur Schullaufbahn sei, wie Paragraf 42 sie vorsieht, sagten Sie uns, die werde mündlich gegeben.

Es gibt da aus meiner Sicht zwei Möglichkeiten: Entweder die Schule berät und steht dazu – dann muss das auch dokumentiert werden, weil auch die nicht anwesenden Elternteile einen Anspruch darauf haben, das Ergebnis der Beratung zu erfahren, und weil Beratung überprüfbar bleiben muss – oder die Schule macht künftig gar keine Beratung mehr zur Wahl der Schullaufbahn. Letzteres kann man wollen,

(Dora Heyenn DIE LINKE: Das hat nie einer gesagt! Das ist Blödsinn!)

wenn man die Profile der beiden Schulformen nivellieren möchte, weil man sowieso die Schule für alle oder die Einheitsschule bevorzugt, aber genau das wollen wir nicht. Wir wollen die Beratung der Eltern und die muss auch entsprechend dokumentiert werden.