Protokoll der Sitzung vom 14.06.2012

alle anderen bieten kein Nachmittagsangebot an oder sind Schulen mit GBS. Es wird gesagt, dass im Sommer 2013 von 204 Grundschulen 197 als Ganztagsschulen fungieren werden. Das ist nicht richtig, weil nur 12 Prozent der Grundschulen dann gebundene Ganztagsschulen sein werden. Über 150 Schulen werden freiwillige Angebote für den Nachmittag bereithalten, sprich GBS.

(Katja Suding FDP: Dann kann man es doch auch festschreiben!)

Das Recht auf den Halbtagsschulbesuch ist dadurch in keiner Weise angegriffen. Im Moment

nehmen im Durchschnitt 45 Prozent der Kinder an den Schulen mit GBS-Angebot an zwei, drei Nachmittagsangeboten teil; die Zahlen dazu liegen vor. An einigen Schulen nehmen dieses Angebot 10 Prozent der Kinder wahr, an anderen 76 Prozent. Also die Eltern müssen ihre Kinder nicht in ein Nachmittagsangebot geben.

Die FDP verweist mit ihrem Antrag darauf, dass der Elternwille in Gefahr sei, weil es kein Recht auf Halbtagsbeschulung gebe. Sie beruft sich auf Paragraph 6 Absatz 2 des Grundgesetzes. Dort steht – ich zitiere –:

"Pflege und Erziehung sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft."

Wohlgemerkt ist von Pflege und Erziehung die Rede und nicht von Bildung. In Ihrer Fraktion sind Anwälte. Ich kann Frau von Berg nur unterstützen, Sie versuchen, uns auf eine falsche Fährte zu locken. Dieser Artikel des Grundgesetzes steht in klarem Zusammenhang mit Artikel 7 Absatz 1, der besagt:

"Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates."

Da ist die Schulpflicht belegt. Diese Schulpflicht ist nicht im Grundgesetz ausdrücklich belegt, sondern steht unter Länderhoheit. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu deutlich gesagt, dass diese Regelung einzig und allein den Eltern das Recht einräumt, den Besuch des Religionsunterrichts so zu klären, wie sie es gern möchten. Aber im Umkehrschluss schützt sie nicht die freie Verfügung der Eltern über den Schulbesuch ihrer Kinder vor landesrechtlichen Eingriffen. Die Schulpflicht bezieht sich auf die Schulanmeldepflicht, die Schulwahl und die Teilnahmepflicht. Nur bei Ganztagsschulen ist auch der Nachmittagsunterricht verpflichtend.

(Robert Heinemann CDU: Was wollen Sie denn nun? Wollen Sie Ganztagsschulen oder nicht?)

In Hamburg haben wir einen ganz kleinen Anteil an Ganztagsschulen. In Ihrem FDP-Antrag steht, dass Sie es regional ausgewogen haben wollen, um einen Halbtagsschulbesuch sicherzustellen. Können Sie uns bitte erklären, was das bedeutet? Heißt das, in jedem Schulkreis oder in jedem Bezirk?

(Robert Heinemann CDU: In zumutbarer Entfernung zum Wohnort!)

Das ist noch viel schlimmer, in zumutbarer Entfernung zum Wohnort. Was heißt das denn, sind das 5 oder 10 Kilometer? Das sind reine Gummibandformulierungen und ich weiß, wer sich über diese Gummibandformulierungen freut: die Anwälte.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels)

(Glocke)

Frau Heyenn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heinemann?

Nein, ich möchte den Gedanken zu Ende bringen.

Wenn wir das zu Ende denken und sich immer mehr Eltern für einen Ganztagsschulbesuch aussprechen, dann werden wir irgendwann nicht mehr in der Lage sein, regional ausgewogen in Wohnortnähe etwas anzubieten. Bei der Diskussion zum SEPL ist klar gesagt worden, dass Schulen geschlossen werden, wenn sie nicht ausreichend angewählt werden. Insofern möchte ich an die SPD appellieren, dass Paragraph 13 Absatz 3 des Schulgesetzes reicht. Und ich finde, genau wie Frau von Berg, dass Sie wirklich keine Angst vor Herrn Scheuerl haben müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat nun Herr Senator Rabe.

(André Trepoll CDU: Jetzt kommt der Angst- hase – der Angstrabe!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entwicklung im Ganztagsschulbereich zeigt vor allem, dass es allein im Grundschulbereich für 10 000 Kinder keine Nachmittagsangebote gibt, obwohl die Eltern es dringend wünschen. Sie müssen sich mit Schlüsseln, Nachbarn, Freunden und Sportvereinen bemühen, ihr Leben irgendwie so zu organisieren, dass es für diese Kinder nachmittags eine Betreuung gibt. Die Stadt hat darauf bislang keine Antwort gefunden. Das ist ein Skandal, den wir mit dem neuen Ganztagsschulangebot beenden wollen.

(Beifall bei der SPD)

Die 10 000 fehlenden Plätze sind immerhin schon der Vorgängerregierung aufgefallen, und diese hat Vorschläge gemacht, wie man das in den Griff bekommen kann. Richtigerweise hat man den Ansatz verfolgt, dass die nachmittäglichen Horte unter dem Dach der Schule mit der Schule zusammen ein erweitertes Angebot machen könnten. Wenn es aber um die Frage geht, wie hochwertig dieses Angebot ist, dann müssen alle Wählerinnen und Wähler in Hamburg und alle, die im Parlament sitzen, schlicht wissen, dass es zwei verschiedene Vorschläge gab. Es gab den Vorschlag der CDU und der Grünen, der schon bei einigen Schulen verwirklicht worden ist. Und es gibt jetzt den Vorschlag der neuen Regierung, wie die künftigen Ganztagsangebote aussehen sollen. Ich will deut

lich machen, worin der Unterschied besteht; wenige Punkte genügen. Die alte Regierung wollte 85 Millionen Euro ausgeben. Wir sind der Ansicht, dass man mit diesem Geld eine ordentliche Qualität nicht sicherstellen kann. Unser Programm sieht vor, insgesamt über 120 Millionen Euro für diesen wichtigen Bereich zur Verfügung zu stellen. Das ist der zentrale Unterschied zwischen Ihrer und unserer Ganztagsschule.

(Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen auch sagen, was wir mit dem zusätzlichen Geld machen. Wir haben allein die Ausstattung mit Pädagogen gegenüber dem Modell von CDU und Grünen um über 20 Prozent verbessert. Darüber hinaus haben wir ermöglicht, dass die Lehrer am Vormittag und die Erzieher am Nachmittag miteinander sprechen. Das alte Modell sah vor, dass die einen um 13 Uhr nach Hause gehen und die anderen um 13 Uhr kommen, und man konnte sich nur mit Zetteln oder über den Schulleiter austauschen. Wir finanzieren sogenannte Übergangszeiten. Ich will auch darauf hinweisen, dass wir, anders als der Vorgängersenat, daran gedacht haben, auch beim Mobiliar zu verbessern.

Herr Heinemann, Ihre Ausführungen zu den Kantinen habe ich mit Spannung zur Kenntnis genommen. Für die Kantinen Geld auszugeben, war in dem früheren Modell gar nicht vorgesehen, während wir zum ersten Mal überhaupt festgelegt haben, Geld für Kantinen bereitzustellen. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Ganztagsschule.

(Beifall bei der SPD)

Zum Thema Gebühren sei im Nebensatz gesagt, dass wir möchten, dass alle einen Platz haben, auch die, die nicht so viel Geld haben. Ihr Modell hat damals vorgesehen, dass, wer nicht Hartz IV bekommt, immer den gleichen Gebührensatz bezahlt, auch eine alleinerziehende Mutter, die halbtags bei Aldi beschäftigt ist. Wir haben eine soziale Gebührenstaffel eingeführt, weil wir die Türen weit aufreißen wollen.

Und wir haben auch die Teilnehmerquoten anders kalkuliert. Sie haben sehr leise darauf hingewiesen, dass Sie mit 40 Prozent gerechnet hatten. Dass das niemals hinkommen konnte, war allen klar, und deswegen haben wir 20 Prozent mehr daraus gemacht, am Ende sogar 25 Prozent, wenn man genau kopfrechnet. 50 Prozent Teilnahmequote ist durchfinanziert. Das sind die Fortschritte, die wir mit unserem Ganztagsschulprogramm verbinden und an die vorher leider nicht gedacht worden ist.

(Beifall bei der SPD)

Zu den Kantinen will ich nur sagen, dass ich mir wünsche, dass alle Kinder ordentlich zu essen bekommen. Selbstverständlich wünsche ich mir über

(Dora Heyenn)

all Kantinen. Wir haben mit viel Kraft ein Kantinenausbauprogramm begonnen. Herr Heinemann, auch wenn das ein bisschen fies war, ich habe Ihnen das extra erläutert. Da sowieso alle Schulen Kantinen bekommen sollen, haben wir dort, wo es ging, den Bau sofort beginnen lassen, selbst wenn die Schule vielleicht erst ein Jahr später zur Ganztagsschule wird, denn wir müssen 130 Schulen ausstatten, eine gewaltige Zahl. Hamburg hat 20 Jahre gebraucht, um 50 Ganztagsschulen im Grundschulbereich einzurichten, und wir haben uns vorgenommen, in vier Jahren 130 zu schaffen. Dass man da hin und wieder eine Kantine vorzieht, ist doch nur sinnvoll, wenn man das Ziel hat, möglichst viele Schulen mit Kantinen auszustatten.

An dieser Stelle möchte ich mir einen Hinweis nicht verkneifen. Drei meiner Kinder sind durch Hamburgs Schulen gegangen. Sie haben alle Schulen besucht, die zur Ganztagsschule eingerichtet worden sind unter Vorgängersenaten: mal waren sie schwarz, mal waren sie gelb, mal waren sie schwarz-grün.

(Finn-Ole Ritter FDP: Die Schulen?)

In allen Fällen waren diese Schulen bestenfalls mit einer Kantine als Aufwärmküche ausgestattet. In einem Fall kam diese Kantine sogar erst fünf Jahre, nachdem die Schule zur Ganztagsschule gemacht wurde. Das ist wahrlich kein Vorbild. Nun tun Sie so, als sei eine Kantine, wenn sie ein Jahr zu spät kommt, ein Sakrileg und vorher wäre immer alles pünktlich gewesen. Ganz im Gegenteil, wir haben an Tempo deutlich zugelegt und machen das wesentlich besser als die Vorgängerregierung.

(Beifall bei der SPD)

Damit komme ich zum Schluss und zu dem eigentlichen Debattenthema, der Frage, ob das Angebot freiwillig sein soll oder nicht. Ich habe von Anfang an sehr klar gemacht, dass ich überhaupt nichts von Zwangsmissionierung halte. Ganz im Gegenteil, ich setze auf die freiwillige Teilnahme. Ich habe mich dazu durchaus mit dem einen oder anderen gekabbelt. Die Hamburger Handelskammer sagt, dass es ausschließlich gebundene Ganztagsschulen geben müsse, wo der Nachmittagsunterricht Pflicht sei. Ich habe Herrn Melsheimer gesagt, dass ich es gut finde, wenn er die Ganztagsschule unterstützt, ich aber von solcher Zwangsmissionierung nichts halte. Die Bertelsmann Stiftung ist eben zitiert worden. Sie hat mich als KMK-Präsidenten öffentlich angegriffen, warum ich nicht für die voll gebundene, verpflichtende Ganztagsschule sei. Ich habe geantwortet, dass ich die Stiftung schätze und mich freue, wenn sie mit Geld unser Schulsystem unterstützt, aber viel von Freiwilligkeit halte. Das habe ich landauf, landab gepredigt. Und es ist klug, weil wir so viele Eltern haben, die sowieso teilnehmen wollen und man diesen Zwang gar nicht braucht.

140 der künftigen Ganztagsgrundschulen – ich bin dankbar, dass Frau von Berg und Frau Heyenn darauf hingewiesen haben – werden ein freiwilliges Angebot haben und vermutlich 50 ein gebundenes. Deswegen ist die Frage von Frau von Berg und Frau Heyenn berechtigt: Wenn wir das sowieso vorhaben, warum ändern wir dann das Schulgesetz?

(Dora Heyenn DIE LINKE: Richtig! Gute Idee!)

Ich will Ihnen die Frage ganz offen beantworten. Das Schulgesetz weist an dieser Stelle eine – darf ich es so formulieren? – demagogische Lücke auf. Hier gibt es die Möglichkeit, so zu tun, als ob wir einen fiesen Masterplan hätten und subversiv eine andere Schulwelt einführen wollen, obwohl wir immer das Gegenteil sagen und auch anders handeln.

(Dr. Till Steffen GAL: Armer Hase!)

Hier ist mir jedes Mittel recht, um in der Öffentlichkeit Klarheit darüber zu schaffen, was wir wirklich vorhaben. Wir wollen diese doppelte Lücke schließen, die demagogische Lücke, die bisher das Schulgesetz geliefert hat, aber auch die Lücke, dass wir vielen Eltern diese Angebote machen wollen.

Diese zusätzlichen Angebote sind freiwillig, Zwangsmissionierung gibt es nicht. Aber es gibt auch kein Wegkneifen, das sage ich in diese Richtung, wo die Ganztagsschule keineswegs, Herr Heinemann, wie Sie sagen, gewollt wird, ganz im Gegenteil. Lesen Sie sich die E-Mails Ihres Fraktionskollegen durch und Sie werden feststellen, dass der Geist der CSU aus Bayern der Fünfzigerjahre noch virulent vorhanden ist. Diesen Unsinn machen wir nicht mit. Ganztagsangebote soll es für alle geben, die das wollen. Dafür stehen wir. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Herr Senator, ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie nahezu das Doppelte der den Abgeordneten zur Verfügung stehenden Redezeit in Anspruch genommen haben. – Das Wort hat nun Herr Scheuerl.

Sehr geehrte Präsidentin, liebe Abgeordnete! Ich bin mit dem Anliegen der Freiwilligkeit von Ganztagsangeboten letzte Woche in einer Presseerklärung von Frau Heyenn in die Ära des 19. Jahrhunderts gerückt worden

(Dora Heyenn DIE LINKE: Richtig! Da gehö- ren Sie auch hin!)

und gerade eben in die Vor-Ära von Franz Josef Strauß befördert worden.