Protokoll der Sitzung vom 13.02.2013

Und die Antwort ist erschreckend klar: Er hat nichts getan.

Meine Damen und Herren! In diesem Fall wäre eine Dauerobservation eines der gefährlichsten Gewaltverbrecher Hamburgs nicht nur angeraten, sondern dringend notwendig gewesen.

(Beifall bei der CDU)

Die rechtlichen Voraussetzungen dazu geben uns die Polizeigesetze in Hamburg. Und bei den entlassenen Sicherungsverwahrten, die damals in Jenfeld und jetzt in Moorburg untergebracht sind, wird dies bereits monatelang praktiziert. Aber in diesem Fall hat die Innenbehörde nicht gehandelt und die Justizbehörde offensichtlich nicht darauf gedrungen. Das Wort wird in der Politik oft benutzt, aber in diesem Fall kann man von einem wirklichen Skandal sprechen.

(Beifall bei der CDU)

Die Senatoren Schiedek und Neumann müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie durch Unterlassung politische Beihilfe zu diesem Verbrechen geleistet haben.

(Dirk Kienscherf SPD: Also jetzt hört es langsam auf hier! Das ist ja unglaublich!)

(Heike Sudmann)

Meine Anfrage an den Senat hat es bewiesen: Die Justizsenatorin war noch nicht einmal informiert, dass einer der gefährlichsten Gewaltverbrecher Hamburgs ohne diese Auflagen durch unsere Stadt spaziert. Er hätte polizeilich überwacht werden müssen. So hätte man dieses Verbrechen verhindern können.

Dass dies geht, zeigt der Fall des entlassenen Sicherungsverwahrten in Moorburg. Er wird bereits über einen langen Zeitraum dauernd observiert. Und genau das ist der Unterschied, um den wir uns Sorgen machen. Das Bundesverfassungsgericht hat im November über eine Verfassungsbeschwerde eines entlassenen Sicherungsverwahrten gegen seine Dauerobservation entschieden. Ich will Sie nicht mit den vielen interessanten Details dieser Verfassungsbeschwerde behelligen, aber kurz zusammengefasst lautet das Urteil: Die Bundesländer könnten das so machen, allerdings nur für einen gewissen Zeitrahmen. Dies ist ein schwerwiegender Grundrechtseingriff, und das Verfassungsgericht spricht dann davon, dass es sich bei diesem Tatbestand um eine neue Form einer polizeilichen Maßnahme, die bisher nicht vom Landesgesetzgeber eigens erfasst worden ist, handelt. Aufgrund der weitreichenden Folgen bedarf es einer ausdrücklichen, detaillierten Ermächtigungsgrundlage. Es liegt daher in der Verantwortung des Gesetzgebers, also uns, hierauf zu reagieren oder in Kauf zu nehmen, dass solche Maßnahmen von den Gerichten auf Dauer als von der Rechtslage nicht gedeckt angesehen werden.

Meine Damen und Herren! Das war der Warnschuss vor unseren Bug, abgefeuert vom Verfassungsgericht. Wir müssen handeln, auch hier in Hamburg. Und ich denke, es besteht auch weitestgehend Einvernehmen in diesem Hause, dass wir eine solche polizeiliche Möglichkeit der Überwachung zur Gefahrenabwehr in Hamburg weiter brauchen. Wie schnell es dazu kommen kann, dass wir darauf angewiesen sind, hat die Presseberichterstattung der letzten Tage gezeigt. Der entlassene Sicherungsverwahrte in Moorburg hat über seine Anwältin Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Polizisten, die ihn überwachen, eingelegt. Auch wenn das bestimmt keinen Erfolg haben wird, zeigt dies, dass er sich mit der Überwachung nicht mehr einverstanden zeigt und beginnt, sich dagegen zu wehren. Der nächste Schritt wird sicherlich eine erneute gerichtliche Überprüfung der Maßnahme sein, und das unter dem Aspekt des Urteils des Bundesverfassungsgerichts.

Herr Neumann, ich bin mir einig mit Ihnen, wir haben es besprochen, dass es nicht darum geht, schlafende Hunde zu wecken, aber wir müssen uns unserer Verantwortung stellen und tätig werden.

Meine Damen und Herren! Wir sind es dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen in unserer Stadt

schuldig, nun zügig und entschieden zu handeln. Folgen Sie unserem Antrag, und wir können damit beginnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich berufe hiermit den Ältestenrat auf Antrag ein.

Unterbrechung: 19.57 Uhr

Wiederbeginn: 20.04 Uhr

Meine Herren und Damen, wir setzen die Sitzung fort. Bitte nehmen Sie Platz.

Die Debatte um Tagesordnungspunkt 57 wird fortgesetzt und ich erteile Herrn Trepoll für seine unparlamentarische Äußerung einen Ordnungsruf.

Herr Tabbert, Sie haben jetzt das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Trepoll, ich hatte mich eigentlich darauf eingestellt, dass wir dieses Thema sachlich ansprechen.

(Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP: Warum ha- ben Sie sich denn dann gemeldet?)

Unserer Ansicht nach ist der Innenausschuss der geeignete Ort, an dem wir weiterdiskutieren können.

Was Sie sich gerade geleistet haben, ist genau das, was man bei diesem Thema nicht tun sollte. Mir und meiner Fraktion ist der Vorfall, den Sie beschrieben haben, sicher genauso nahegegangen. Darauf so zu reagieren, dass Sie dem Senat die Schuld in die Schuhe schieben, ist der Sache schon deswegen nicht angemessen, weil das nicht zu dem Antrag passt, den Sie vorgelegt haben. Ich lese Ihnen das noch einmal vor:

"[…] zu prüfen, ob in Hamburg eine Gesetzeslücke hinsichtlich der dauerhaften Observation von ehemals Sicherheitsverwahrten besteht".

In dem Fall, den Sie gerade beschrieben haben, ging es gar nicht um einen ehemals Sicherungsverwahrten. Das heißt, dass Ihr eigener Antrag überhaupt nicht geeignet gewesen wäre, um diesen Fall in den Griff zu bekommen. Was Sie vorgelegt haben, sollten Sie sich noch einmal genauer anschauen, so wie Sie sich anschauen sollten, was Sie dort feststellen oder fordern, denn Sie schreiben:

"Auch in Hamburg wird die polizeiliche Generalklausel angewendet, […]"

Nach den Kenntnissen, die mir vorliegen, wird hier Paragraf 9 des Gesetzes über die Datenverarbei

(André Trepoll)

tung bei der Polizei angewendet und nicht die polizeiliche Generalklausel.

(André Trepoll CDU: Da ist ein Verweis!)

Aber ich will nicht zu sehr in die Tiefe gehen. Hier ist eine sachliche Fachdebatte angemessen, und ich rege an, dass wir diese im Innenausschuss führen. Meine Fraktion möchte, dass der Antrag dorthin überwiesen wird. Ich hoffe, dass sich die Gemüter wieder beruhigen und wir das in der angemessenen Sachlichkeit dort behandeln. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Müller, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir GRÜNE haben für den Kern des Antrags eine gewisse Sympathie, also darüber nachzudenken, ob man für so eine lange polizeiliche Überwachung nicht eine ordentliche Rechtsgrundlage braucht. Den Anstoß der Richter in Karlsruhe nehmen wir hiermit auf, und wir sollten uns das im Ausschuss näher vor Augen führen.

(Präsidentin Carola Veit übernimmt den Vor- sitz.)

Ich habe den Exkurs des Kollegen Trepoll zu diesem Fall auch nicht verstanden. Der Fall ist sicher sehr tragisch und hat uns alle nachdenklich gemacht; nichtsdestotrotz hat er nichts mit diesem Antrag zu tun. Es geht hier um ehemalige Sicherungsverwahrte, und wir müssen uns Gedanken machen, wie das in Zukunft auf eine sichere Rechtsgrundlage zu stellen ist. Damit möchte ich es für meine Fraktion bewenden lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort bekommt Frau von Treuenfels.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch wir hatten uns auf einen etwas anderen Antrag vorbereitet, weswegen ich meine Papiere am Platz gelassen habe. Damit diese Debatte nicht so lang wird: Wir stimmen diesem Antrag zu. Herr Trepoll hat einen Ordnungsruf bekommen, deswegen will ich mich dazu nicht weiter äußern. Wir sind auch der Auffassung, dass wir eine Ermächtigungsgrundlage brauchen. Lassen Sie mich noch erwähnen, dass das nicht nur zum Schutze der Allgemeinheit ist, sondern auch zum Schutze der Sicherungsverwahrten, denn die Observation ist für sie ein starker Grundrechtseingriff, und auch sie müssen sicher sein, auf welcher Ermächtigungsgrundlage das geschieht. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Frau Schneider, Sie haben das Wort.

Meine Damen und Herren! Ich hingegen habe meine Papiere mitgebracht. Wir unterstützen die Überweisung des Antrags an den Fachausschuss in der Erwartung, dass dort eine wirklich sachliche Debatte geführt werden kann. In der Tat hat das Bundesverfassungsgericht auf das Problem einer Gesetzeslücke hingewiesen. Das höchste Gericht hält es für sehr fraglich, ob eine lang andauernde Observation eines ehemaligen Sicherungsverwahrten tatsächlich auf die unbestimmte polizeiliche Generalklausel gestützt werden kann.

Wenn der in Moorburg lebende ehemalige Sicherungsverwahrte Jens B. sich in seiner Unterkunft aufhält, haben die ihn observierenden Polizeibeamten die Tür seiner Wohnung stets im Blick. Wenn er Fahrrad fährt, fahren sie hinterher, wenn er in die Buchhandlung geht, sind sie dabei, wenn er sich im Jobcenter meldet, ebenso, und wenn er beim Arzt ist, sitzen sie im Wartezimmer. Die dauernde Observation, Frau von Treuenfels hat es gesagt, stellt einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar, so das Bundesverfassungsgericht. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde sichern jeder Person einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem sie ihre Individualität entwickeln und wahren kann. Das gilt für Menschen, die schwere Straftaten verbüßt haben, ebenso wie für alle anderen Menschen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei beschränkt sich die vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützte Privatsphäre, so das Gericht, auch nicht auf den häuslichen Bereich. Wer außerhalb des eigenen Zimmers praktisch ununterbrochen durch die Polizei begleitet wird, dem ist die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Leben zu führen, weitestgehend genommen. Um ihn herum sind neue Mauern errichtet. Deshalb ist es mehr als zweifelhaft, ob die polizeiliche Generalklausel im Polizeirecht diesen schweren und über einen langen Zeitraum andauernden Grundrechtseingriff tragen kann. Für eine solche Form polizeilicher Maßnahmen ist die Generalklausel nicht geschaffen worden und sie taugt dazu auf Dauer nicht. Übrigens und überdies liegt es auch im Interesse des Opferschutzes, dass die Bevölkerung an klaren, konkreten Regelungen festmachen kann, wann die Polizei handeln muss und wann nicht. Trotzdem muss unseres Erachtens sehr sorgfältig diskutiert werden, ob wir als Gesetzgeber eine Ermächtigung für lang andauernde Observationen ehemaliger Sicherungsverwahrter wollen und wenn ja, wie sie beschaffen sein sollte.

(Urs Tabbert)

Erstens greift die ständige offene Observation nicht nur in die Grundrechte ehemaliger Sicherungsverwahrter ein, sondern sie erschwert ihre Wiedereingliederung extrem. Den polizeibegleitenden Gang zum Jobcenter kann sich der Betroffene schenken. Sind seine Aussichten, eine Arbeit zu finden, sowieso schon niedrig, so sinken sie, wenn er in Polizeibegleitung kommt, unter null.

Zweitens sollten auch die härtesten Hardliner darauf verzichten, die Illusion zu verbreiten, dass allein die Rundumbewachung und Observation Sicherheit schafft. Sicherheit vor Rückfall schafft am Ende nur die erfolgreiche Wiedereingliederung. Deshalb sind die unterstützenden Maßnahmen einschließlich therapeutischer Angebote, die den Betroffenen helfen, den Weg zurück in ein Leben in Freiheit zu finden, das Entscheidende.

(Beifall bei der LINKEN)