Protokoll der Sitzung vom 19.05.2011

(Viviane Spethmann)

rechtspolitische Thema der Sicherungsverwahrung ist also schon seit einiger Zeit in der Diskussion. Gestern befasste sich die Justizministerkonferenz damit und man muss feststellen, dass Hamburg vor großen Aufgaben steht.

Wie Sie wissen, steht die FDP der Sicherungsverwahrung seit Jahren kritisch gegenüber.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Danke schön.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Meine eigene Fraktion hat nicht geklatscht, daher danke ich Ihnen.

(Andy Grote SPD: Denen war das zu neu!)

Das hat zuletzt die Bundesjustizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, bei der Einbringung des Gesetzes zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung Ende Oktober 2010 im Bundestag deutlich gemacht – ich zitiere –:

"Sicherungsverwahrung […] muss letztes Mittel der Kriminalpolitik sein, also Ultima Ratio bleiben."

Dies unterscheidet uns Liberale sicherlich auch von der SPD.

(Beifall bei der FDP und Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Da sind sie. Man muss nur eine Pause machen.

Wir Liberalen haben als Rechtsstaatspartei stets die Flickschusterei bei den Regelungen der Sicherungsverwahrung, die zu einer stetigen Ausweitung ihres Anwendungsbereichs geführt hat, kritisiert. Es ist kein taugliches Mittel, auf wirklich schreckliche Gewalt und Sexualverbrechen zu reagieren, indem man eine unbefristete Sicherungsverwahrung einführt, die dann auch nachträglich angeordnet werden kann. Die Folge sind Regelungen, die nicht in die Gesamtsystematik passen und, wie wir nun wissen, verfassungswidrig sind.

Meine Damen und Herren! Die CDU/FDP-Bundesregierung hat mit einer Neuordnung der gesetzlichen Regelungen zur Sicherungsverwahrung bereits reagiert. Diese sind seit Beginn des Jahres in Kraft. Es war richtig, hier besonnen und mit Bedacht zu handeln und keine Schnellschüsse zu produzieren.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt sind vor allem die Länder am Zug. Wir sind für den Vollzug der Sicherungsverwahrung zuständig und das Bundesverfassungsgericht hat uns klare Vorgaben ins Stammbuch geschrieben: Frühe und intensive therapeutische Behandlung schon in der Strafhaft, Behandlungsuntersuchung, auf deren Ergebnis der Vollzugsplan mit einer realistischen Entlassungsperspektive zu erstellen ist, gezielte Motivationsarbeit mit den Sicherungsver

wahrten, Anpassung des Vollzugs in der Sicherungsverwahrung an das Alltagsleben der Sicherungsverwahrten, so weit keine Sicherheitsbelange entgegenstehen.

Diese Vorgaben stellen uns in Hamburg vor schwierige finanzielle Herausforderungen – insbesondere da wir seit gestern wissen, dass der Bund sich voraussichtlich nicht an den Kosten beteiligen wird –, denn ohne mehr Personal für verbesserte Therapieangebote und gegebenenfalls den Umbau beziehungsweise Neubau von Anstalten wird es nicht gehen. Es wird also Mehrausgaben geben und diese Mehrausgaben sollten durch Einsparungen durch den Abbau von Haftplätzen in Hamburg kompensiert werden.

(Beifall bei der FDP)

Sehr geehrte Frau Senatorin, Ihre Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts war: Sicherheit geht vor. Die Sicherheit der Bevölkerung muss in der Tat gewährleistet sein, so weit gehen wir Liberale mit. Aber haben wir bisher wirklich genug unternommen, um das zu gewährleisten?

Meine Damen und Herren! Bis Ende 2013 bleibt Zeit, die gesetzlichen Regelungen zum Vollzug der Sicherungsverwahrung anzupassen. Diese Zeit muss konsequent genutzt werden. Bund und Länder müssen hier an einem Strang ziehen und sofort mit den Planungen beginnen. Hamburg hängt leider hinterher. Zwei Bundesländer, Bayern und Sachsen-Anhalt, haben bereits ein Ausführungsgesetz für das sogenannte Therapieunterbringungsgesetz vorgelegt. Die FDP-Fraktion ist gespannt, wann es in Hamburg so weit ist, denn schließlich haben auch wir sogenannte Altfälle.

Bei der Frage des Baus beziehungsweise Umbaus von Anstalten muss Hamburg das Rad nicht neu erfinden. Sollten Sie, Frau Senatorin, zu der Erkenntnis kommen, dass die Voraussetzung des Trennungsgebots bei den 31 Plätzen in Fuhlsbüttel nicht erfüllt ist, dann fordern wir Liberale Sie auf, statt des Baus einer eigenen Anstalt für Sicherungsverwahrte in Hamburg mit Niedersachsen beziehungsweise Schleswig-Holstein über eine gemeinsame Lösung nachzudenken. In anderen Ländern hat sich dieser Ansatz bereits bewährt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat nun Frau Senatorin Schiedek.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit seiner Entscheidung von vor zwei Wochen hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber nicht weniger als die grundlegende Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung aufgegeben. Umso beachtlicher ist es, dass sich bereits Stun

(Carl-Edgar Jarchow)

den später manch einer und manch eine auch aus diesem Haus mit Vorschlägen und Forderungen überboten hat. Das wird weder dem sehr umfassenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerecht, noch helfen Schnellschüsse, die dann gerichtlich wieder kassiert werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich selbst komme gerade von der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder, die gestern und heute in Halle getagt haben und sich natürlich auch intensiv mit den Auswirkungen des Urteils beschäftigt haben. Wir wollen uns von Anfang an an der Vorbereitung des vom Bundesgesetzgeber zu erarbeitenden Gesetzentwurfs beteiligen. Wir erwarten aber andererseits auch vom Bund, dass er sich seinerseits über eine angemessene Aufteilung der erheblichen Mehrkosten Gedanken macht, die mit der Neugestaltung der Sicherungsverwahrung verbunden sein werden.

(Beifall bei der SPD)

Die Länder haben einheitlich klar Stellung bezogen und ihre Vorstellungen für eine Neuregelung der Sicherungsverwahrung formuliert. Nun liegt es an der Bundesregierung, einen Vorschlag für ein in sich schlüssiges Regelungswerk zu machen, das den Anforderungen der Entscheidung gerecht wird. Dazu gehören auch Leitlinien für die künftige Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung. Als Hamburger Senat werden wir daran natürlich konstruktiv mitarbeiten. Für uns steht dabei die Sicherheit der Bevölkerung an erster Stelle.

(Beifall bei der SPD)

Und genau in diesem Punkt hat der Richterspruch aus Karlsruhe Klarheit geschaffen. Hochgefährliche und psychisch gestörte Straftäter können weiterhin in Sicherungsverwahrung bleiben. Ob diese Voraussetzungen bei den derzeit in Sicherungsverwahrung untergebrachten Personen vorliegen, werden nun die Gerichte aufgrund einer entsprechenden Begutachtung zu prüfen haben. Keiner wird von heute auf morgen entlassen werden. Sollten die Gerichte im Einzelfall eine Entlassung anordnen, werden wir für eine geeignete und gut strukturierte Einrichtung zur Anschlussbetreuung sorgen. Und sofern das erforderlich ist, werden wir ergänzend auch durch polizeiliche Maßnahmen Sicherheit schaffen. Auch hier ist es das oberste Ziel des Senats, den weitestgehenden Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten.

(Beifall bei der SPD)

Die elektronische Aufenthaltsüberwachung kann einen Beitrag zu mehr Sicherheit leisten. Deshalb werden wir die elektronische Fußfessel in Hamburg einführen, sobald die rechtlichen und technischen Voraussetzungen vorliegen. Das wird bundesweit zum Jahreswechsel der Fall sein. Der Senat wird die Bürgerschaft hierzu in Kürze mit einem

Staatsvertrag befassen, der uns eine Teilnahme an einer länderübergreifenden Lösung, die hier absolut sinnvoll ist, ermöglicht. Klar ist allerdings auch, dass die Fußfessel nur ein zusätzliches Mittel sein kann. Eine geschlossene Unterbringung werden wir damit nicht ersetzen können.

Meine Damen und Herren! Natürlich warten wir nicht auf den Bundesgesetzgeber, sondern wir schauen uns derzeit auch sehr genau an, ob die Vollzugspraxis in Hamburg den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Tut sie nicht!)

Das betrifft die bauliche Situation der vom Vorgängersenat geschaffenen Abteilung in Fuhlsbüttel, die personelle Ausstattung und die Angebote für die Untergebrachten. Dabei sind wir nicht allein. In der vergangenen Woche hat der Strafvollzugsausschuss der Länder hier in Hamburg getagt und sich intensiv mit den Konsequenzen der Entscheidung befasst. Auch er wird an den Grundlagen für die gesetzliche Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung intensiv beteiligt sein. Sie können sich sicher sein, dass wir die Vorgaben aus Karlsruhe und Straßburg sehr ernst nehmen und umsetzen werden. Dabei hängt einiges davon ab, wie am Ende das Gesamtkonzept aussieht. Wir können deshalb weder die Hände in den Schoß legen, noch können wir heute mit letzter Gewissheit und in allen Einzelheiten sagen, wie der Vollzug künftig ausgestaltet sein wird.

Da hat sich in der Tat in den letzten drei Jahren bereits einiges getan. Die zuständige Behörde hat kontinuierlich an der Weiterentwicklung des Sicherungsverwahrungsvollzugs gearbeitet und im Rahmen einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe war Hamburg an einem Kriterienkatalog zur Neuausrichtung der Sicherungsverwahrung beteiligt.

(Beifall bei Antje Möller GAL)

Die Ende letzten Jahres vorgelegten Empfehlungen sind in Fuhlsbüttel weitgehend umgesetzt, aber ob das ausreicht, wird sich erst zeigen. Überrascht bin ich allerdings schon, wenn gerade diejenigen, die noch bis vor Kurzem selbst in der Verantwortung standen, jetzt am lautesten nach Verbesserungen schreien.

(Beifall bei der SPD)

Die Neukonstruktion der Sicherungsverwahrung ist eine schwierige Aufgabe, die uns noch einige Zeit begleiten wird, und ich würde mich sehr freuen, wenn wir dabei im Interesse der Menschen in unserer Stadt gemeinsam an einem Strang ziehen. Wir werden als Hamburger Senat alles dafür tun, dass die Sicherheit der Bevölkerung dabei nicht zu kurz kommt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

(Senatorin Jana Schiedek)

Frau Schneider, Sie haben das Wort.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin, Frau Senatorin! Es fällt mir auf, dass die SPD jetzt hauptsächlich über Maßnahmen hinsichtlich der Entlassung der Sicherheitsverwahrten spricht. Als Allererstes müssen wir aber die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in Hamburg umsetzen und das ist Folgendes: Das Bundesverfassungsgericht verlangt Maßnahmen, die die Gefährlichkeit der Täter verringern, und zwar schon in der Strafhaft und dann natürlich erst recht in der Sicherungsverwahrung. Da habe ich Ihnen den Zustand geschildert und der ist wirklich beschämend, wenn die zwölf Sicherungsverwahrten, die in der JVA sitzen – also nicht die in der therapeutischen Anstalt –, keinerlei therapeutische Betreuung und Unterstützung haben. Sie hatten sie zum Teil über einen Zeitraum von mehreren Monaten oder auch von zwei bis drei Jahren in der Vergangenheit, aber wenn man vier bis neun Jahre in Sicherungsverwahrung sitzt und vorher vielleicht noch sieben Jahre in Haft, dann sind drei bis vier Jahre zur Delinquenzaufarbeitung natürlich nicht viel. Und dabei handelt es sich nicht um Maßnahmen, die zielgerichtet darauf sind, die Gefährlichkeit von Tätern zu verringern und ihnen zu helfen, ihre schweren sozialen Defizite aufzuarbeiten.

Die zweite Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts ist, dass die Perspektive der Wiedererlangung der Freiheit die Praxis bestimmen muss. Ich skizziere das jetzt nur einmal anhand von solchen Randbereichen, wie die untergebracht sind. Ich habe nachgefragt und erfahren – das wussten wir auch schon vorher –, dass die Zellen ungefähr doppelt so groß sind wie die der Häftlinge in Strafhaft, und das ist auch ein echter Fortschritt. Wenn in Strafhaft die Durchschnittszelle 8,7 Quadratmeter groß ist, dann ist es natürlich gut, wenn die Sicherungsverwahrten 16,7 Quadratmeter haben, aber der Maßstab 8,7 Quadratmeter ist doch wenig. Das Abstandsgebot kann doch nicht so verwirklicht werden, dass es den Strafhaftgefangenen richtig schlecht geht und die Sicherungsverwahrten, was die Größe der Zelle angeht, halbwegs menschlich untergebracht sind.

Dann habe ich zum Beispiel gefragt, welche Gegenstände den Sicherungsverwahrten erlaubt sind, die den Strafhaftgefangenen nicht erlaubt sind. Da gibt es gar nichts. Ich habe eine lange Liste bekommen, das fängt mit Abreißkalender an und endet bei Z, was alles erlaubt ist, aber ob jetzt das Leben der Sicherungsverwahrten dem Leben in Freiheit zumindest nahekommt – obwohl, wenn Mauern drum herum sind, kommt es dem nie so richtig nahe –, darauf gibt es überhaupt keine Antwort. Das ist doch nicht in Ordnung.