Der Senat muss nun schnell ein Gesamtkonzept zur Neuausrichtung nicht nur des Vollzugs der Sicherungsverwahrung, sondern auch und gerade des vorhergehenden Strafvollzugs ausarbeiten, ein Konzept, das sich an der Entlassung in ein Leben ohne Straftaten orientiert und die Schaffung und den Ausbau von Nachsorge- und Übergangseinrichtungen beinhaltet. Auch hier sieht es nicht gut aus.
Die Bürgerschaft muss das Hamburgische Strafvollzugsgesetz novellieren, um der Forderung des Gerichts nach Beachtung des Abstandsgebots im Gesetz nachzukommen. Die lapidaren Formulie
rungen im Strafvollzugsgesetz, wonach für die Sicherungsverwahrung im Übrigen die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe gelten, sind nach Auffassung des Gerichts unzureichend, weil sie der Justizverwaltung zu weite Ermessensspielräume lassen. Und die Bürgerschaft muss die notwendigen Gelder zur Umsetzung eines hoffentlich ausreichenden Gesamtkonzepts bereitstellen.
Wir als Politikerinnen und Politiker, aber auch die verantwortlichen Institutionen der Zivilgesellschaft – ich spreche jetzt auch die Presse und die anderen Medien an, aber auch die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände –, dürfen nicht zulassen, dass Ängste und Hysterie in der Bevölkerung geschürt werden, wenn die viel zu lange eingesperrten Menschen hoffentlich so schnell wie möglich in die Freiheit entlassen werden.
Ich komme zum Schluss. Wir sind verpflichtet, auch die Menschenrechte von Straftätern, die schwer gefehlt haben, zu schützen. – Schönen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Thema, das die LINKE zur Debatte angemeldet hat, ist etwas polemisch zugespitzt und wurde auch recht einseitig beleuchtet.
Es wird suggeriert, dass es erforderlich sei, auf die Selbstverständlichkeit, dass wir Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu befolgen haben, hinzuweisen.
Ich kann Sie aber sicherheitshalber beruhigen. Wir haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gelesen und werden uns selbstverständlich an seine Vorgaben halten.
Worum geht es genau? Es geht um nicht weniger als eine grundlegende Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung. Dafür hat der Gesetzgeber nunmehr zwei Jahre Zeit. Die Sicherungsverwahrung ist derzeit zum einen im Strafgesetzbuch, das ist bekanntlich Bundesrecht, geregelt, zum anderen im noch relativ neuen Therapieunterbringungsgesetz. Die Sicherungsverwahrung findet im Justizvollzug und im Maßregelvollzug statt. Zurzeit befinden sich insgesamt 20 Personen in Sicherungsverwahrung im Justizvollzug, darunter neun sogenannte Altfälle. Das sind Fälle, in denen die ursprünglich auf zehn Jahre begrenzte Sicherungsverwahrung nach der entsprechenden Änderung
des Strafgesetzbuchs verlängert wurde. Genau das hat das Bundesverfassungsgericht kritisiert. Bei lediglich vier Personen, drei im Justizvollzug und einer im Maßregelvollzug, muss die Strafvollstreckungskammer bis zum Ende des Jahres über die Fortdauer entscheiden.
Meine Damen und Herren! Dies ist die Dimension, über die wir uns unterhalten, wichtig genug, aber kein Anlass zu voreiligem Aktionismus oder gar Hektik. Die Bevölkerung kann in jedem Fall beruhigt sein. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lässt nämlich die Möglichkeit zu, dass bei diesen Altfällen eine Entlassung nach dem 31. Dezember nicht automatisch erfolgen muss. Dies betrifft genau die Fälle, in denen die hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- und Sexualstraftaten besteht und der Untergebrachte an einer psychischen Störung im Sinne des Therapieunterbringungsgesetzes leidet. Durch diese Vorgaben stellt das Bundesverfassungsgericht meiner Ansicht nach auch klar, dass der grundsätzliche Ansatz, den das Therapieunterbringungsgesetz verfolgt, jedenfalls verfassungsrechtlichen Bestand hat. Gleichzeitig kann man aber auch nicht automatisch davon ausgehen, dass die gesamten Kriterien, die hier für eventuelle Verlängerungen dieser Altfälle nach dem 31. Dezember, also Ende des Jahres, genannt sind, nicht deckungsgleich mit den Kriterien des Therapieunterbringungsgesetzes sein müssen, wie es, wenn ich das richtig verstanden habe, der ehemalige Innen- und Justizsenator Vahldieck einmal suggeriert hat. Insofern stehen wir vor dem Problem und der Herausforderung, dass wir bis zu einer Änderung der Gesetzeslage – an der, wie Sie richtig gesagt haben, zum einen der Bund beteiligt ist, was die Änderung auch der entsprechenden Vorschriften des Strafgesetzbuchs angeht, als auch eben die Länder, was die Umsetzung des Vollzugs angeht – eine Zwischenlösung für den betroffenen Personenkreis finden müssen.
Wir müssen, insofern stimme ich Ihnen zu, sinnvolle Therapieangebote gerade auch für diese Altfälle organisieren, zum Beispiel über die forensische Ambulanz im UKE, aber auch bis hin zu Maßnahmen wie der elektronischen Fußfessel. Seitens der SPD besteht der Wille, diese in Hamburg einzuführen, sobald die Voraussetzungen dafür vorliegen.
Meine Damen und Herren! Seien Sie sich dessen gewiss, dass für die SPD die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung an erster Stelle stehen. Im Zweifel werden wir, bis eine gesetzliche Neuregelung erfolgt ist, keinen Aufwand scheuen, um gefährliche bisherige Sicherungsverwahrte, die nach der neuen Rechtsprechung zu entlassen sind, auch polizeilich engmaschig zu überwachen. Dabei wissen
wir natürlich, dass das kein Königsweg und keine dauerhafte Lösung sein kann. Genau deswegen ist es richtig, dass wir uns jetzt zügig daranmachen, in den vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Bahnen eine gesetzliche Neuregelung zu schaffen und dabei auch als Freie und Hansestadt Hamburg mitzuwirken.
Das Verfassungsgericht hat den Bundesgesetzgeber aufgefordert, den Rahmen zu schaffen, aber wir als Freie und Hansestadt Hamburg müssen für die Ausgestaltung des Vollzugs vor Ort im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sorgen. Dabei kann es zum Beispiel sinnvoll sein, weil eine sehr komplexe Neuregelung erforderlich ist, dass wir im Nordverbund kooperieren.
Dagegen kann in diesem Haus niemand etwas haben und ich lade alle dazu ein, sich konstruktiv an dieser Debatte zu beteiligen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich fange ganz bewusst mit den Opfern an, denn es stört mich an dieser Diskussion und insbesondere an dem Urteil, dass nur aus Tätersicht argumentiert wird. Da stellt sich die Frage, wo das Opfer bleibt. Wer kümmert sich um seine Rechte? Wer kümmert sich um das lebenslange Trauma, das die Opfer durch diese Täter, um die es geht, erlitten haben? Es sind nicht irgendwelche Täter. Wer sorgt sich um die Sicherheit der Opfer und deren Gefühle, wenn diese Menschen wieder entlassen werden. Darauf geht das Bundesverfassungsgericht leider so gut wie gar nicht ein. Ich glaube, ich bin hier eher dafür bekannt, Rechtsprechung nicht zu kritisieren; wir haben hier aber eine Tendenz in der Rechtsprechung, vor der ich wirklich ein bisschen verwundert stehe, wenn ich sehe, wie stark der Schwerpunkt auf die Sicht der Täter gelegt worden ist und zu welchen Maßnahmen der Gesetzgeber und die Verwaltung verpflichtet worden sind. Wir werden hier leider Geld ausgeben müssen, und ich sage bewusst leider, weil wir nicht parallel dazu verpflichtet worden sind, auch für die Opfer Geld auszugeben.
Das Gericht hat die nachträgliche Sicherungsverwahrung faktisch abgeschafft. Das heißt, wir müssen aus Sicht der Polizei und aus Sicht der Bürger Lösungen finden, um mit den möglichen Gefährdungen umzugehen, die es durchaus gibt, und mit den entsprechenden Ängsten. Für Sie, Frau Schneider, ist Resozialisierung das Nonplusultra und das mag im Strafvollzug im Allgemeinen richtig sein. Aber warum sitzen diese Menschen so lange in Sicherungsverwahrung? Weil immer noch attestiert wird, dass von ihnen eine gewaltige Sicherheitsgefährdung ausgeht. Und wir müssen uns Gedanken darüber machen, womit wir rechnen können. Findet hier Resozialisierung statt? Aus meiner Sicht sind das die ganz wenigen Fälle, wo eine Resozialisierung kaum noch möglich ist; natürlich sollte das versucht werden, aber es wird nicht immer gelingen.
Die Entscheidung bietet den Ländern nur wenig Zeit. Wir haben acht Monate, in denen wir einiges umsetzen können. Deswegen hat die CDU gestern einen Antrag eingereicht, der heute dem Parlament zugeleitet worden ist und mit dem wir den Senat in neun Punkten zum schnellen Handeln auffordern. Wir werden auch eine Selbstbefassung im Rechtsausschuss beantragen, um möglichst schnell – Sie haben eben, Herr Tabbert, vom gemeinschaftlichen Handeln gesprochen – mit Ihnen ins Gespräch zu kommen und konstruktiv mitzuarbeiten.
Es lohnt nicht, für die wenigen Sicherungsverwahrten in Hamburg eine eigene Anstalt zu bauen, und auch ich denke, eine länderübergreifende Anstalt macht Sinn. Man sollte vielleicht auch darüber nachdenken, ob die elektronische Fußfessel ein sinnvolles Mittel ist. Ich weiß aber nicht, ob sich jemand davon abhalten lässt, eine Straftat zu begehen, wenn er eine Fußfessel am Fuß hat; es könnte sein, dass er die Straftat trotzdem begeht. Aber prüfen sollte man es.
Wir müssen die Opfer begleiten, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Deswegen fordere ich bei dieser Debatte immer dazu auf – und da möchte ich auch Sie bitten, Frau Schneider –, an die Opfer und die Ängste der Menschen zu denken. Ich hoffe, dass zum Beispiel die Opfer der vier Sicherungsverwahrten, die in diesem Jahr zur Entlassung anstehen, informiert werden. Die haben grausame Taten erlitten, die ich hier nicht im Einzelnen beschreiben möchte. Ich habe mir die Urteile angesehen und wenn Sie das lesen, wird Ihnen wirklich nur noch schlecht, solche Taten sind dabei. Und diese Opfer müssen informiert werden, sie müssen begleitet werden und es muss für Sicherheit gesorgt werden. Ich glaube, das ist der wichtige Punkt in dieser Frage.
Diejenigen, die tatsächlich zu entlassen sind und die möglicherweise nicht als psychisch gestört gelten, müssen irgendwie überwacht werden, weil von ihnen möglicherweise trotz allem eine Gefährdung ausgeht und wir keine Möglichkeit haben, sie festzuhalten. Für diese Menschen müssen wir eine polizeiliche Überwachung schaffen, so leid es uns tut. Auch dazu muss der Senat ein Konzept erarbeiten, in welcher Art und Weise wir die polizeiliche Überwachung leisten können. Auch deswegen ist schnelles Handeln erforderlich; langsam ein Urteil zu lesen, Herr Tabbert, reicht nicht aus. Hier muss der Senat aktiv werden, und zwar ganz schnell. Insoweit hoffen wir, dass die Selbstbefassung im Rechtsausschuss von Ihnen allen unterstützt wird und wir dann die weiteren Schritte einleiten können. – Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Redebeiträge der beiden großen Fraktionen haben deutlich gemacht, warum die Karlsruher Richter ein wegweisendes Urteil gesprochen haben. Hier ging es nämlich um einen Zielkonflikt zwischen der Freiheit und der Sicherheit für die Gemeinschaft. Und die Richter, die schon einmal über diese Frage geurteilt hatten, waren sichtbar verärgert darüber, wie der Gesetzgeber in Deutschland die Sicherungsverwahrung in den letzten Jahren gehandhabt hat, und haben sie deswegen komplett für verfassungswidrig erklärt. Ich glaube, das ist noch nicht so richtig deutlich geworden.
Sie ist komplett für verfassungswidrig erklärt worden und ich glaube, da macht es momentan auch gar keinen Sinn, Frau Kollegin Spethmann, jetzt schon wieder die Opfer gegen die Täter auszuspielen. Wir haben hier ein wegweisendes Urteil und ich sage Ihnen eines: Wenn es brenzlig wird, dann sieht man genau hin, wie wir mit der Freiheit in diesem Land umgehen. Und die Richter haben sehr genau hingesehen und nicht nur den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt, sondern weit darüber hinaus gesagt, so geht es nicht in Deutschland. Aber sie haben trotzdem eine kluge Abwägung vollzogen und Fristen gesetzt, bis wann gehandelt werden muss. Die eine Frist ist schon genannt worden, bis Ende des Jahres gilt die Frist für die nachträgliche Sicherheitsverwahrung. Und wir haben insgesamt zwei Jahre Zeit, um für die gesamte Sicherungsverwahrung in diesem Land ein neues Konzept auf den Weg zu bringen.
Und da die Richter dem Gesetzgeber nicht trauen, haben sie in das Urteil genau hineingeschrieben, wie ein solches Konzept auszusehen hat. Sie wissen natürlich, dass der Spruch "Hauptsache wegsperren, und zwar für immer" offenbar der Leitspruch vieler ist, mit diesem Problem umzugehen. Deswegen haben sie gesagt, die Sicherungsverwahrung ist das letzte Mittel, das für die Sicherheit der Gemeinschaft eingesetzt werden kann. Die Therapie darf nicht erst beginnen, wenn die Sicherungsverwahrung angeordnet ist, sondern muss schon im Strafvollzug beginnen. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung muss in deutlichem Abstand zum Strafvollzug vollzogen werden und es bedarf noch mehr Anstrengungen für die Entlassungsvorbereitung.
Das alles zeigt, dass wir einiges vor uns haben. In Hamburg hatte sich die schwarz-grüne Koalition in den letzten Jahren bereits auf den Weg gemacht, die Sozialtherapie auszubauen und zu stärken; darauf kann die neue Senatorin aufbauen. Es war Konsens, als wir regierten, dass das ein wichtiger Pfeiler für die Entlassungsvorbereitung ist. Aber wir haben der neuen Regierung sogar ein Konzept für die Entlassungsvorbereitung überlassen, das von Experten ausgearbeitet wurde. Das kann sofort umgesetzt werden. Sie sind also in ein Amt gerutscht, in dem Sie sofort handeln können. Und genau das ist auch nötig. Es darf keine Zeit verloren gehen. Die Gerichte müssen gut ausgestattet sein, um jetzt die Überprüfung der vier Personen übernehmen zu können, damit gegebenenfalls bis Ende des Jahres eine Entlassungsvorbereitung auf den Weg gebracht werden kann.
Frau Senatorin, wenn ich die Presseerklärung zum Thema Justizministerkonferenz lese, kann ich Ihnen nur raten, sich nicht schon jetzt in einem Streit mit dem Bund über die Kosten zu verzetteln, sondern erst einmal ein Konzept zu entwickeln; dann kann man über die Kosten reden. Ich glaube, das ist der richtige Weg, denn sonst verstecken Sie sich hinter dem, was auch immer die Bundesregierung macht oder nicht macht, und handeln nicht in Hamburg. Das ist nicht im Sinne der Sicherungsverwahrten und auch nicht im Sinne der Stadt. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Schon seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg vom 17. Dezember 2009 wissen wir, dass die Sicherungsverwahrung in Deutschland neu geordnet werden muss. Deshalb war auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 nicht überraschend. Das schwierige