Protokoll der Sitzung vom 27.11.2013

Vielen Dank, Herr Dr. Dressel. – Herr Dr. Steffen hat das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich die Geringschätzung, die Herr Duwe für die Bezirksversammlungen ausgedrückt hat, ausdrücklich nicht teile. Und ich glaube, es ist richtig, sich noch einmal genau anzuschauen, wie die Bezirksversammlungen in Hamburg funktionieren. Es ist zwar richtig, sie verfassungsrechtlich als Verwaltungsausschüsse einzuordnen, aber das gilt für sämtliche Kommunalparlamente in Deutschland auch, verfassungsrechtlich sind es auch Verwaltungsausschüsse. Und auch die Deputationen sind Verwaltungsausschüsse. Es gibt sehr viele verschiedene solcher Verwaltungsausschüsse, und dieser Hinweis hilft nicht wirklich weiter.

Wenn man es sich genau anschaut, sind einerseits die Bezirke mit den Vertretungen seit der vorletzten Wahlperiode in der Verfassung ausdrücklich verankert. Sie haben also ausdrücklich eine bestimmte Rolle vom hamburgischen Verfassungsgeber zugewiesen bekommen. Es gibt natürlich auch klare Regelungen im Bezirksverwaltungsgesetz. Dieses ist einen ganz anderen Weg gegangen, als er etwa für unsere Bürgerschaft gilt. Es ist nicht so wie bei der Bürgerschaft, in der der Senat für bestimmte Fragen, Gesetze und Haushaltsbeschlüsse sich an die Bürgerschaft wenden muss. Ansonsten reagiert er auf Ersuchen oder lässt es sein. Die Bezirksversammlungen dagegen können in allen Fragen, für die das Bezirksamt zuständig ist, bindende Beschlüsse fassen. Das heißt, die Bezirksversammlung ist potenziell ein ziemlich mächtiges Gremium. Es muss sich aber diese Macht bei jeder Frage neu nehmen und jedes Mal neu erarbeiten. Das Bezirksamt arbeitet sozusagen immer voran und die Bezirksversammlung muss immer sagen, in welche Richtung sie es weiterentwickelt haben möchte. Das wiederum setzt eine sehr hohe Leistungsfähigkeit der Bezirksversammlungen voraus.

Wenn es um die Frage der Funktionsfähigkeit geht, dann kann man natürlich sagen, dass man über alles gesprochen habe und dass das Gremium funktioniere. Das kann man als persönlichen Anspruch so haben. Ich finde, die Bezirksversammlung sollte diesem Anspruch gerecht werden, in den grundsätzlichen und wichtigen Fragen tatsächlich dem Bezirksamt zu sagen, wo es lang geht. Das kann nur gelingen – und das wissen alle, die schon einmal in der Bezirkspolitik waren –, wenn es eine gewisse Konstanz gibt. Das muss auf Bezirksebene nicht zwingend mit Koalitionen sein, aber eine gewisse Konstanz bei bestimmten inhaltlichen Fragen ist notwendig, damit man kontinuierlich an einer bestimmten Frage mit einer bestimmten Hal

(Dr. Andreas Dressel)

tung arbeiten kann und damit das Bezirksamt weiß, so funktioniert es. Bei der anderen Variante wird es in der Bezirksversammlung eher schwierig werden.

Und da, wo es nicht gelingt, ist es nicht so, dass das Bezirksamt wartet, bis die Mehrheitsbildung abgeschlossen ist, sondern dann hat das Bezirksamt freie Hand. So ist die Konstruktion im Bezirksverwaltungsgesetz, so ist sie letztlich auch bei den allermeisten Gemeindeordnungen. Die Verwaltung hat immer dann freie Hand, wenn die kommunale Politik gerade einmal nicht weiß, wo es hingehen soll. Es ist doch kein Demokratiegewinn, wenn die Verwaltung, die dann keine direkte Legitimation vor Ort hat, freie Hand hat und keinerlei Einfluss der Wählerinnen und Wähler erfolgt.

(Vizepräsidentin Kersten Artus übernimmt den Vorsitz.)

Auch der Hinweis auf die anderen Flächenländer ist nicht wirklich hilfreich. In vielen Bundesländern führt das nämlich dazu, dass es über die Wahlperioden hinweg sehr große Koalitionen gibt, die unabhängig vom konkreten Wahlergebnis schon einmal entscheiden, wer dann wann welchen Dezernentenposten bekommen darf. Das heißt, der Einfluss der Wählerinnen und Wähler geht dann auch zurück. Ich möchte eine Situation haben, bei der es auf die einzelne Wahl ankommt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Dass in dem Sinne sehr wohl eine Funktionsstörung eintritt, dass tatsächlich eine klare Meinungsbildung durch die Bezirksversammlung nicht mehr möglich ist, weil es eben für diese Konstanz einer Vorbereitung in Ausschüssen bedarf und Mehrheiten im Plenum eben in den Ausschüssen abgebildet werden müssen, damit die Ausschüsse repräsentativ sein können, das hat auch das Hamburgische Verfassungsgericht nicht in Abrede gestellt. Es wäre in dem Sinne eine Funktionsstörung, dass es eben nicht mehr die Demokratie in der Bezirksversammlung ist, die dann tatsächlich sagt, wo es langgeht; die kann es schon geben, aber im Gesamtsinne. Und dass irgendwo noch eine demokratische Legitimation entstehen könne, sei eben nicht gegeben, weil der Senat durch Einzelweisungsevokation jederzeit eingreifen könne.

Das ist ein Punkt, wo ich es legitim finde, als Verfassungsgeber zu sagen, es gibt zwar dieses Evokationsrecht, wir sind uns aber einig – und das ergibt sich aus der Drucksache –, dass das nur in ganz besonderen Ausnahmefällen wirklich zur Anwendung kommen soll. Das ist übrigens auch die Verfassungspraxis. Deswegen ist es legitim und nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern wir bringen das zum Ausdruck, was wir uns in den letzten Jahren intensiv erarbeitet haben, dass eben die Evokation nur dann eingreifen soll, wenn es wirklich nicht anders geht oder eine Frage berührt ist,

die nicht nur einen Bezirk, sondern mehrere Bezirke betrifft und wo die einzelnen Bezirke mitmachen müssen – also nur im totalen Ausnahmefall. Mit der Abschaffung des Evokationsrechts gäbe es zwar tatsächlich nicht mehr diese Möglichkeit zu intervenieren, aber das führt noch nicht zur Funktionsfähigkeit der Bezirksversammlungen. Das ist auch ein Trugschluss. Dann wäre tatsächlich wieder die Verwaltung vor Ort mit größeren Möglichkeiten versehen und damit letztendlich die demokratische Legitimation eingeschränkt.

Ich begrüße sehr, dass wir diesen Konsens hier haben. Ich begrüße auch, dass wir in der Verbindlichkeit des Wahlrechtskompromisses bleiben. Ich halte es für eine sehr große Errungenschaft, dass wir es geschafft haben, von diesem Hin und Her wegzukommen, dass eben die jeweilige Mehrheit in der Bürgerschaft sagt, jetzt ändere sie das zu ihren Gunsten. Auch die Kritikerinnen und Kritiker von "Mehr Demokratie" sollen meinetwegen sagen, das interessiere sie jetzt nicht mehr für ihre eigene Position, aber was die Pointierung ihrer Kritik betrifft, sollten sie überlegen, ob dies dann angemessen ist. Ich halte es für eine große Errungenschaft, dass man nicht etwa bei einer Frage, die demnächst einmal auftaucht, sagt, das habe im Ergebnis nicht gepasst und das ändere man jetzt mit der Mehrheit, die man gerade zur Verfügung habe. Das lohnt sich bei Wahlrechtsfragen nicht, weil Mehrheiten sich ändern, und ein Wahlrecht sollte eine gewisse Konstanz haben.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und ver- einzelt bei der CDU)

Ich persönlich teile nicht das Argument, dass man dann die NPD aus den Bezirksversammlungen heraushalte. Ein solches Wahlrecht sollte über möglichst viele Wahlperioden hinweg Geltung beanspruchen können. Der Blick auf eine einzelne Partei, von der man glaubt, sie bliebe dann unter einer bestimmten Hürde, das ist der falsche Ratgeber, weil sie genauso gut deutlich mehr haben könnte oder demnächst so wenig, dass es nicht mehr darauf ankommt. Genauso wenig ist es ratsam, sich von der Hoffnung leiten zu lassen, dass bestimmte Mehrheitsverhältnisse in anderer Weise herauskommen. Auch das kann sich schnell als Trugschluss erweisen. Ich glaube schon, dass wir insgesamt mit diesem Vorschlag etwas entwickelt haben, das sich in der Konsequenz unserer verfassungspolitischen Bemühungen bewegt, in der Konsequenz, dass die Bezirke immer mehr Kompetenzen bekommen sollen, sodass eben auch dieser Zugriff der Bezirksversammlungen immer mehr Gehalt bekommt. Das hat sich über mehrere Wahlperioden immer weiter in diese Richtung entwickelt. Ich möchte nicht, dass es einen Grund gibt, dass das wieder in die entgegengesetzte Richtung entwickelt wird, und deswegen sollten wir hier diese klare und auch nicht abwegige Konsequenz ziehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und ver- einzelt bei der CDU)

Herr Bläsing hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Um keine Missverständnisse im Raum stehen zu lassen: Aus FDP-Sicht machen die Bezirksversammlungen natürlich eine wertvolle und wichtige Arbeit, daran gibt es nichts zu deuteln.

(Beifall bei der FDP)

Es werden beispielsweise Bebauungspläne verabschiedet oder ein Bezirksamtsleiter oder eine Bezirksamtsleiterin gewählt; insofern werden dort wichtige Sachen gemacht. Allerdings, und die Feststellung ist schon richtig, haben viele Kreistage oder Stadträte deutlich mehr Entscheidungskompetenz als unsere Bezirksversammlungen; ich nenne nur das Stichwort Untere Verkehrsbehörde. Insofern sollten wir darüber tatsächlich weiter nachdenken.

(Dr. Roland Heintze CDU: Dann sollten Sie vielleicht auch zustimmen!)

Zu dem Argument, dass bei der Bundestagswahl auch noch Anpassungen gemacht wurden: Das ist richtig, allerdings ist eine Änderung bei der Prozenthürde noch einmal eine deutliche Veränderung der Geschäftsgrundlage. Ich bitte das an der Stelle doch zu berücksichtigen.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte auch noch einmal auf Herrn Müller eingehen. Herr Müller, es ist so geändert worden, dass wir nun deutlich mehr und deutlich kleinere Wahlkreise haben, und man muss nicht Mathematik studieren, damit einem klar ist, dass man deutlich mehr Prozente braucht, um über diese Wahlkreise dann doch den Einzug in die Bezirksversammlung zu generieren.

(Farid Müller GRÜNE: Das stimmt nicht!)

Wenn es nach CDU und SPD ginge, dann hätte quasi jeder Ortsverband oder jeder Distrikt seinen eigenen kleinen Wahlkreis, am besten nur mit drei Leuten, die da gewählt werden. Das ist die Debatte, die ich in Hamburg-Nord beispielsweise erlebt habe.

(Barbara Duden SPD: Machen Sie jetzt doch die Rede von Herrn Duwe nicht noch schlim- mer!)

Herr Dr. Dressel, Sie müssen zugeben, dass es schon eine ziemliche Verrenkung ist, wenn man bisher noch nicht einmal die Prozenthürde für die Bürgerschaftswahl in der Verfassung stehen hatte, dann, um das jetzt alles irgendwie glattzuziehen,

beides, also auch die Bezirksversammlungshürde, in die Verfassung hineinzuschreiben. Das ist eine Verrenkung, und letztendlich ist es tatsächlich eine Frage des Sollens. Es ist auch eine Frage der Haltung, und wir vertreten nun einmal die Haltung, dass es an der Stelle richtig ist, im Sinne des Verfassungsgerichts zu argumentieren und uns entsprechend materiell danach zu richten und das nicht formal durch diese Hintertür wieder auszuhebeln.

(Beifall bei der FDP)

Herr Golke, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Dressel, ich will einmal vorwegschicken, dass Sie völlig recht haben, wenn Sie sagen, das dürften Sie. Ich unterstütze gerne auch Frau Schneider in der Frage, dass Dürfen und Sollen unterschiedliche Dinge sind, aber ich habe hier keine Zweifel, dass das im Rahmen des rechtlich Möglichen ist. Alles das, was kommt, wird auf die eine oder andere Weise möglicherweise auch unser Verfassungsgericht beschäftigen, und danach sind wir alle klüger – das einmal vorausgeschickt.

Ich bleibe einmal beim Verfassungsgericht, weil Ihr Argument im Wesentlichen war, das Verfassungsgericht habe die 3-Prozent-Sperrklausel im Wahlgesetz mit der Begründung abgeschafft, so wichtig sei die Stellung dieser Bezirksversammlungen in der gesamthamburgischen Verfassung und Politik nicht. Und es hat, völlig richtig zitiert, auch darauf verwiesen, dass es bestimmte Senatsinstrumente zur Aufsicht, Kontrolle und Regelung in den Bezirken gibt. Das ist nicht nur das Evokationsrecht, das tatsächlich nur die Bauleitplanung betrifft, sondern eben auch die Fach- und Rechtsaufsicht. Da frage ich Sie dann doch an dieser Stelle: Was soll denn das Verfassungsgericht anderes entscheiden? Soll das Verfassungsgericht aufgrund einer Wahlprüfungsbeschwerde mit der Formulierung darin, man halte die 3-Prozent-Klausel im Bezirk Eimsbüttel zu den Bezirksversammlungswahlen für nicht mit der Verfassung vereinbar, sagen, der Wahlprüfung sei stattzugeben, aber im Obiter Dictum dann schreiben, die Alternativen, die die Verfassung bereitstelle, seien so schlimm, dass man mit diesem Urteil gleichzeitig die gesamte Hamburgische Verfassung und die Einheitsgemeinde außer Kraft setze?

Die Hamburgische Verfassung ist auch nicht grundgesetzwidrig, aber – und deswegen freue ich mich über diese Diskussion – wir führen aufgrund dieser Sperrklausel eine Debatte über die Stellung und Bedeutung der Bezirksversammlungen, und das sollten wir in diesem Parlament häufiger machen. Da gibt es, wie wir gemerkt haben, unterschiedliche Meinungen und unterschiedliche Nuan

(Dr. Till Steffen)

cen auch in dieser Antragsgemeinschaft zur Änderung der Verfassung, und es ist schöner Moment, sich darüber Gedanken zu machen.

Ich bin ganz bei Ihnen, wenn Sie sagen, wir müssten die Bezirksversammlungen stärken. Es ist richtig, dass Berlin mit den Bezirksverordnetenversammlungen auch keine vollen Kommunalparlamente hat. Aber zum Beispiel ist dort eine Evokation oder eine Heranziehung von Aufgaben durch den Berliner Senat nicht so einfach möglich, wie das in Hamburg geht, sondern das muss im Zweifel in Rückkopplung und im Einvernehmen mit dem Bezirk passieren. Da gibt es durchaus komplizierte Verfahren, die in Berlin benannt werden und die gleichzeitig die Rechte des Bezirks wahren sollen, aber auch die gesamtstädtische Berliner Position sichten.

Wir können uns bei Gelegenheit gerne einmal genauer angucken, ob das nicht ein Modell für Hamburg wäre. Aber festzuhalten bleibt für mich, dass es ein deutlicher Punkt ist, der dafür spricht, die Bezirksversammlung weiter zu stärken – und zwar gerade deswegen, wenn man gemäß Ihrer Argumentation eine Sperrklausel einführt – und dann dazu zu kommen, dass wir als Parlament auch Macht an die Bezirksversammlungen abgeben.

Ich möchte doch noch etwas zum Verfahren sagen. Es ist schon etwas befremdlich,

(Dirk Kienscherf SPD: Ambitioniert heißt das!)

und es hat mich auch durchaus irritiert, wie das hier ablaufen soll. Ich mache einmal einen etwas größeren Bogen beim Verfahren, denn wir haben die Verfassung oder das Wahlgesetz schon gelegentlich geändert.

Beim Wahlrecht ab 16 gab es eine andere Zweidrittelantragsgemeinschaft. Ursprünglich war es ein Antrag der GRÜNEN mit einer ganz kurzen Drucksachennummer vom Anfang der Wahlperiode, der lange im Verfassungsausschuss behandelt wurde. Es gab Expertenanhörungen und mehrere Ausschusssitzungen, in denen darüber beraten wurde, und dann hat ihn das Parlament bekommen. Das Parlament hat darüber debattiert und er ist in zwei Lesungen an unterschiedlichen Terminen beschlossen worden.

Gleiches Verfahren – da war es dann ein CDU-Antrag – bei der Verlängerung der Wahlperiode: Überweisung an den Verfassungsausschuss, Beratung, Expertenanhörung, Beratung, Austausch, Antragsgemeinschaft.

(Karl-Heinz Warnholz CDU: Genug beraten, komm!)

Herr Warnholz, Sie können doch auch noch reden, wenn Sie wollen.

Das Parlament hat darüber debattiert und es in zwei Lesungen an zwei verschiedenen Terminen beschlossen.

Was machen wir jetzt?

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist jetzt das andere Extrem!)

Drei Fraktionen haben mehr oder weniger im Geheimen untereinander ausgemacht, diese Verfassungsänderung zu beschließen.

(Glocke)