Protokoll der Sitzung vom 30.09.2015

Schulen in Hamburg werden bereits Konzepte zur Förderung umgesetzt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ziel ist es, die Begabtenförderung als feste Aufgabe verlässlich sicherzustellen. Die schuleigenen Oberstufen haben hinreichend Gestaltungsräume zur Förderung der leistungsstarken Schülerinnen und Schüler. Dabei verbleiben die Schülerinnen und Schüler in ihren sozialen Bezügen. Dies ist für ihre Persönlichkeitsförderung und soziale Entwicklung richtig.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Einrichtung Hamburger Leistungszentren an einigen Schulen wird von uns nicht als notwendig und sinnvoll erachtet. Leistungszentren würden die soziale Separation verstärken und Restklassen schaffen. Daher lehnen wir Ihren Antrag und die Überweisung an den Schulausschuss ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Nun bekommt Frau Prien von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Jürgens, jetzt bin ich aber echt baff. Es gibt viele Gründe, den Antrag der AfD abzulehnen, aber in Ihrer Rede war nun wirklich kein einziger dabei.

(Beifall bei der AfD – Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Allerdings! und Beifall)

Das würde nämlich voraussetzen, dass Sie differenzieren würden zwischen Hochbegabten einerseits und leistungsstarken Schülern andererseits, und um diese zweite Gruppe, nämlich die leistungsstarken Schüler, geht es heute. So habe ich jedenfalls Ihren Antrag verstanden, Herr Professor Kruse. Dass für diese leistungsstarken Schüler tatsächlich Handlungsbedarf besteht, darüber sind sich alle einig. Die Kultusministerkonferenz hat auch unter Beteiligung unseres Schulsenators im Juni dieses Jahres eine Förderstrategie für leistungsstarke Schüler beschlossen und – Sie kennen es bestimmt, Frau Jürgens – ein umfassendes Konzept vorgelegt, wie man sich künftig eine Förderung leistungsstarker Schüler vorstellen kann.

Warum ist das nötig geworden, meine Damen und Herren? Es ist deshalb nötig geworden, weil man nach den ersten PISA-Tests und den bildungspolitischen Konsequenzen, die man daraus gezogen hat, den Fokus sehr stark auf die leistungsschwachen Schüler ausgerichtet hat und eben nicht auf die leistungsstarken Schüler. Das hat dazu geführt, wie wir feststellen können, dass sich zwar der Bildungszugang aus sozial schwachen Schichten in den letzten 10 bis 15 Jahren erheblich verbessert hat und dass auch die leistungsschwachen Schü

(Dr. Jörn Kruse)

ler deutlich besser geworden sind, auch in Hamburg, aber leider ist es eben so, dass wir bei den PISA- und vergleichbaren Testungen nach wie vor im Bereich der leistungsstarken Schüler so gut wie überhaupt keine Entwicklung haben. Das ist der Grund, warum es Sinn macht, über solche Förderstrategien zu sprechen, und wir auch mit eigenen Anträgen in der nächsten Zeit versuchen werden, eine Debatte darüber in Hamburg voranzubringen.

Ich denke nur, Herr Professor Kruse, erst im Alter von 15 oder 16 Jahren anzusetzen und nur an einzelnen Oberstufen, das ist wieder so eine Art von Schulstrukturdebatte, die wir eigentlich nicht brauchen. Wir müssen darüber sprechen, wie wir wirksam Kinder und Schülerinnen und Schüler während ihrer gesamten Lernbiografie entsprechend ihren besonderen Stärken und vor allem auch die leistungsstarken Kindern besser fördern. Dafür brauchen wir Lehrer, die das überhaupt erkennen und die diese Kinder dann auch tatsächlich entsprechend ihrer Begabung sehr früh fördern können. Wir brauchen so etwas, was man im Fachsprachgebrauch Enrichment-Programme nennt. Da müssen wir also schauen, was man diesen Schülerinnen und Schülern außerhalb des gewöhnlichen Unterrichts an zusätzlichen Aufgaben anbieten kann. Und dann muss man schauen, was man im Hinblick auf die individuelle Geschwindigkeit von Kindern machen kann. Es gibt Kinder, die gehören eben früher eingeschult als andere, und es gibt Kinder, die können eine Klasse überspringen, und dann kann man sicherlich auch darüber nachdenken, ob man an einzelnen Schulen einzelne Klassen – allerdings dann auch sehr viel früher – einrichtet, wo man Hochleistungsschüler vielleicht gemeinsam mit hochbegabten Schülern, aber auch mit anderen Schülern zusammen unterrichtet.

Es gibt da sehr viel zu tun, insofern bin ich für die Anregung schon dankbar, aber dieser Antrag hat einfach nicht genügend Substanz, um auf seiner Grundlage tatsächlich in eine notwendige – und das gestehe ich Ihnen gern zu – Debatte einsteigen zu können. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)

Das Wort bekommt nun Frau Dr. von Berg von der GRÜNEN Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Als ich den Antrag der AfD gelesen habe, habe ich gedacht, die Kolleginnen und Kollegen der AfD-Fraktion haben offensichtlich die schul- und bildungspolitischen Diskussionen der letzten Jahre und Jahrzehnte entweder nicht verfolgt, nicht verstanden oder einfach vergessen.

(Dirk Nockemann AfD: Wir sehen aber das Ergebnis, und das ist schrecklich!)

Offensichtlich haben Sie auch die PISA-Ergebnisse nicht gelesen oder nicht verstanden, ich weiß es nicht. Die Statistiken zur Bildungsgerechtigkeit und Bildungsbeteiligung haben Sie überhaupt vollständig ignoriert. Ich erinnere nur daran, wie hoch die Chance eines Arbeiterkindes vor 20 Jahren war, einmal auf ein Gymnasium zu gehen, Abitur zu machen und zu studieren. Da sind wir Gott sei Dank doch ein ganzes Stück weiter, und zwar aufgrund der Aufhebung der Dreigliedrigkeit. Vor allen Dingen, und das nehme ich Ihnen wirklich hier in Hamburg sehr übel, haben Sie offensichtlich die KESS- und LAU-Studien total ignoriert. Wir hatten vor zwei Wochen eine ganz ähnliche Debatte. Da ist deutlich geworden, dass die Bildungsbeteiligung in Hamburg gestiegen ist, die Bildungsgerechtigkeit gestiegen ist und gleichzeitig die Leistungsspitze, und das ist die, auf die Ihr Antrag zielt, sogar ausgeweitet wurde, meine Damen und Herren, denn der Hamburger Weg ist der richtige.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wenn Ihr Antrag Wirklichkeit werden würde, dann hätten wir eine neue Dreigliedrigkeit. Wenn Ihr Antrag Wirklichkeit werden würde, dann hätten wir Restschulen. Wenn Ihr Antrag Wirklichkeit werden würde, dann müsste eine ganze Reihe Schülerinnen und Schüler ihr Gymnasium, weil das ein Leistungszentrum ist, nach der 10. Klasse verlassen, obwohl sie den Sprung in die Oberstufe geschafft haben. Meine Damen und Herren, wollen wir das für Hamburger Schülerinnen und Schüler? Ich will das jedenfalls nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Sabine Boeddinghaus DIE LINKE)

Die Ziele guter Schulpolitik sind Bildungsgerechtigkeit und eine breite Bildungsbeteiligung, und ja, zu den Zielen gehört auch eine hohe Leistungsfähigkeit. Zu der bekennen auch wir GRÜNEN uns. Wir sind weit davon entfernt, immer in diese Kuschelpädagogikecke gestellt zu werden. Aber hohe Leistungsfähigkeit oder die Ausweitung der Leistungsspitze erreichen wir nicht, indem wir immer weiter differenzieren und Leistungszentren, Eliteschulen und so weiter bilden. Die erreichen wir, indem wir die innere Schulentwicklung vorantreiben und nicht weiter die äußere Schulentwicklung. Meine Damen und Herren, diesen Weg ist Hamburg schon vor vielen Jahren gegangen. Der Hamburger Weg ist der richtige, und deswegen lehnen wir den Antrag sowohl in der Überweisung als auch in der Sache ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das Wort bekommt nun Frau Boeddinghaus von der Fraktion DIE LINKE.

(Karin Prien)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe AfD, Ihr Antrag zeigt deutlich, dass Sie keinen blassen Schimmer von Schul- und Bildungspolitik im 21. Jahrhundert haben und überhaupt keine Kenntnisse von der Hamburger Situation hier vor Ort.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Es reicht eigentlich schon, wenn man die ersten beiden Absätze Ihres Antrags liest, in denen Sie beklagen, dass durch eine höhere Bildungsbeteiligung und eine höhere Abiturquote das Gymnasium zur Regelschule geworden sei. Eigentlich müssten Sie doch ehrlicherweise sagen, Sie möchten das Gymnasium wieder zu einer Eliteschule machen. Dann sollten Sie einen entsprechenden Antrag stellen, dass Sie von vornherein Zugangsbeschränkungen fürs Gymnasium wollen. Dann haben wir hier eine veritable Debatte, das können wir haben, aber so durch die Hintertür zu versuchen, jetzt noch einen neuen Zweig zu eröffnen, ist unlauter und wird unserer Diskussion und den unterschiedlichen Schülerschaften und vielen Kulturen in Hamburg überhaupt nicht gerecht. Daher lehnen wir diesen Antrag entschieden ab.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Wir kritisieren hingegen, dass sogar noch viel mehr im Grunde die Chance auf einen hohen Bildungsabschluss, auf das Abitur, haben müssen. Der Bildungsbericht in Hamburg 2014 hat festgestellt, dass nur 39 Prozent der Jugendlichen aus einem sogenannten schwierigen sozialen Umfeld das Abitur erworben haben und 34 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Da müssen wir ansetzen, da müssen wir noch viel mehr Unterstützung und Förderung in den Schulen anbieten, damit die Bildungsgerechtigkeit und die gleichen Bildungschancen Wirklichkeit werden. Das ist im Grunde der Punkt.

(Beifall bei der LINKEN)

Was ich wirklich noch einmal deutlich sagen möchte: Wir haben hier eine Jahrhundertreform in Hamburg, die Inklusion. Die Inklusion nimmt zu Recht die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Fokus. Da gibt es auch noch sehr viel zu tun, aber wenn man Inklusion zu Ende denkt und wenn man eine inklusive Schule wirklich entwickeln möchte, dann hat man alle Kinder im Blick, und dann sind das wirklich auch alle von den Hochbegabten über die Leistungsstarken und die ganz normal Lernenden, die auch andere Dinge im Kopf haben, bis hin zu den Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Und diese inklusive Schule entwickelt einen Unterricht, der all diese Kinder mit ihren Bedürfnissen, ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten im Blick hat. Aber das Schöne ist,

dass wir diese Schulen schon seit über 32 Jahren in Hamburg hatten. Das waren nämlich die 36 integrativ arbeitenden Schulen, und ich kann Ihnen versichern, dass gerade da auch die Kinder, die sehr schnell gelernt haben, zu ihrem Recht gekommen sind, und daher sollten wir auf diesem Weg weitermachen. Deswegen appelliere ich auch an den Senat, dass er hier anknüpft und die Inklusion wirklich so ausstattet, dass die Lehrerinnen und Lehrer die Rahmenbedingungen vorfinden an den Schulen und die Qualifikation haben, dass Inklusion im Sinne aller Kinder dann wirklich zu einem Erfolg führt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun bekommt Frau von Treuenfels von der FDP-Fraktion das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist schon fast alles gesagt, nur noch nicht von uns. Dem kann ich nur einiges hinzufügen. Mich wundert wirklich auch, dass die SPD sich plötzlich zur Hochbegabtenförderung bekennt. Da musste man sie ziemlich lange, wie jeder hier im Saal weiß, zum Jagen tragen. Das haben wir immerhin mit den GRÜNEN zusammen damals sehr gut durchgebracht. Bis Sie da einsichtsfähig waren, das hat Monate gedauert, und umgesetzt ist wirklich nur die Hälfte von dem, was Sie hier erzählt haben. Dass wir nicht über Hochbegabung reden, sondern über Leistung und leistungsstarke Kinder, zeigt deutlich, dass Sie das Thema Hochbegabung eigentlich immer noch nicht ganz verstanden haben, aber das soll hier gerade nicht das Thema sein. Dass Sie die Leistungselite wieder fördern wollen, da rennen Sie bei allen offene Türen ein. Der eine nennt es so, der andere nennt es inklusive Beschulung für alle, denn die wollen eigentlich auch alle fördern.

Wir sind der Auffassung, dass es sehr wichtig ist, dass das Hamburger Niveau nicht weiter nach unten nivelliert wird. Wir haben dazu auch schon Vorschläge gemacht, wechselweise immer mal wieder mit der CDU. Wir würden da gern innerhalb des Schulsystems etwas ändern, aber Sie wollen wieder so eine Art Strukturreform anstoßen, und davon hat Hamburg wirklich unter Schwarz-Grün und vielleicht unter der SPD – na ja, das kann man der SPD nun gerade mal nicht vorwerfen – schon zu viel gehabt. Das dürfen wir auch nicht wieder tun mit den Schulen, die haben nämlich echt genug andere Sorgen, als irgendwelche Leistungszentren zu entwickeln. Professor Kruse, selbst wenn die Idee, die Leistung wieder zu fördern, eine gute ist, finde ich Ihren Antrag ein bisschen erstaunlich aufgebaut, weil ich überhaupt nicht verstanden habe, wie Sie das wirklich einrichten wollen. Wenn wir das jetzt im Schulausschuss hätten, wäre mir die Idee auch viel zu unkonkret. Das ist das Erste.

Frau von Berg, ich finde auch Ihre Rolle irgendwie erstaunlich, dass Sie plötzlich die Hamburger Bildungsgerechtigkeit und das Hamburger Schulsystem derart loben. In diesem halben Jahr, das Sie nun dabei sind, kann sich nicht so viel geändert haben. Früher haben Sie sehr viel kritisiert, heute finden Sie alles toll.

Es ist wie immer, jeder spricht nach seiner Fasson. Für uns ist wichtig, dass sich das Niveau wieder ändern muss, es muss angehoben werden. Dafür müssen wir die Bildungspläne ändern, dafür müssen wir die Begabtenförderung stärken; und es müssen natürlich konkrete Forderungen wie Rechtschreibung und ähnliche Dinge, die wir schon ewig fordern, wieder vorangebracht werden. Wir müssen nämlich von der Grundschule an beginnen und nicht erst oben im Gymnasium. Das sehe ich auch so. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Ich sehe jetzt keine weiteren Wortmeldungen. Damit kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 21/1606 in der Neufassung an den Schulausschuss zu? – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist diese Überweisung abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung in der Sache.

Wer möchte sich dem AfD-Antrag anschließen? – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 47, Drucksache 21/1621, Antrag der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN: Zügig Erstaufnahmeeinrichtungen und Folgeunterkünfte für Flüchtlinge schaffen.

[Antrag der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN: Zügig Erstaufnahmeeinrichtungen und Folgeunterkünfte für Flüchtlinge schaffen – Drs 21/1621 –]

[Antrag der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN: Gesetz zur Sicherung der Flüchtlingsunterbringung in Einrichtungen – Drs 21/1753 –]

Hierzu liegt Ihnen ein als Drucksache 21/1753 ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN vor.

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Herr Dr. Dressel von der SPD-Fraktion, Sie bekommen es.