Protokoll der Sitzung vom 31.03.2016

Genau das fordern Sie nicht, denn Sie wollen lediglich eine Ausweitung auf die Fläche.

Ich habe Ihren Antrag gelesen und Ihrem Debattenbeitrag zugehört. Sie beziehen sich auf die Expertenkommission, die sich, gut zusammengesetzt, in die Diskussion und auf Lösungssuche begeben hat. Sie haben sich einen Punkt herausgezogen, der im Ergebnis der Kommission tatsächlich nicht vorkommt. Was Sie nicht vorgetragen haben: Die Kommission hat deutlich gesagt, es sei notwendig, dass es ausreichend Wohnraum,

(Karin Prien CDU: Genau!)

die nötige Infrastruktur für Bildung, für Versorgung jeder Art und auch für Chancen auf dem Arbeitsmarkt geben müsse. Sie hat mitnichten an irgendeiner Stelle gesagt, man solle den Königsteiner Schlüssel dahingehend verändern, dass man die Fläche mit einbezieht. Das ist aber die einzige substanzielle Forderung in Ihrem Antrag, und das ist aus unserer Sicht völlig unzureichend.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Natürlich könnte man sich die Zahl der von Hamburg aufgenommenen Geflüchteten dahingehend schönreden, dass man sagt, es wäre alles anders, wenn es nach dem Königsteiner Schlüssel gegangen wäre. De facto ist das aber falsch, und das wissen Sie genauso gut wie alle anderen, die sich mit der Zuwanderung beschäftigen und auch damit, warum aus Bayern ein Kontingent aufgenom

(Martina Friederichs)

men worden ist. Das ist eine selbstverständliche Solidarität zwischen den Bundesländern,

(Beifall bei der SPD)

die wir an anderer Stelle auch erwartet hätten. Hätte sich nämlich zum Beispiel die Hauptflüchtlingsroute über die skandinavischen Länder Richtung Deutschland bewegt, hätte ich gern gehört, wie Sie argumentiert hätten, wenn wir als Hamburg darum gebeten hätten, dass ein Teil der Flüchtlinge auch in anderen Bundesländer aufgenommen wird. Ihre Argumentation bezüglich der Notwendigkeit des Königsteiner Schlüssels teilen wir so also nicht.

(André Trepoll CDU: Wie ist denn Ihre Posi- tion?)

Die Position ist ganz einfach, Herr Trepoll: Eine Änderung ist notwendig, aber sie muss transparent sein.

(Heiterkeit bei der CDU)

Ich verstehe nicht, warum Sie darüber lachen. Diese Änderung muss sich auf das beziehen – ich wiederhole gern noch einmal, was ich zu Anfang meiner Rede gesagt habe –, was es an Möglichkeiten der Integration für die Flüchtlinge in den jeweiligen Bundesländern gibt. Diese Möglichkeit von Integration, Bildung und Unterbringung kann sich mitnichten nur auf die Fläche beziehen.

(Karin Prien CDU: Das sagt doch keiner!)

Das sagen Sie in Ihrem Antrag, vielleicht lesen Sie Ihren ersten Punkt noch einmal. Außerdem hätten Sie in Ihrer Rede die Chance gehabt zu erwähnen, was die Expertenkommission als Mindestgrundlage und Mindestkriterium angeführt hat.

(Dennis Gladiator CDU: Sie haben es nicht verstanden, Frau Möller!)

Vielleicht haben Sie nicht verstanden, was die Expertenkommission eigentlich vorschlägt, nämlich eine Verteilung entsprechend der Chancen,

(Karin Prien CDU: Richtig!)

die man den Flüchtlingen geben möchte und die in den Bundesländern sehr unterschiedlich verteilt sind. Dabei ist mitnichten die Fläche das erste Kriterium, sondern das, was wir an Angebot an Integrationsleistungen machen können.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Als Nächste erhält das Wort Christiane Schneider von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Prien, vielleicht wäre es besser gewesen, Sie hätten auf Ihren Bundesinnenminister gehört, der vor nicht allzu

langer Zeit in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" noch den Ausruf getan hat:

"Hände weg vom Königsteiner Schlüssel!"

Er hat gesagt – ich zitiere weiter –:

"Das führt nicht zu einem Ergebnis, sondern nur zu Unfrieden zwischen den Ländern."

Natürlich ist absehbar, dass ein Hamburger Vorstoß, wie Sie ihn fordern, einen kaum schlichtbaren Streit zwischen den Bundesländern hervorrufen würde. Ich nehme an, dass Sie Ihren Vorstoß mit den CDU-Kolleginnen und -Kollegen, vor allem in den Flächenländern, nicht abgestimmt haben.

Wir werden Ihren Antrag ablehnen, und zwar im Wesentlichen aus zwei Gründen. Einer dieser Gründe ist grundsätzlicher Art. Ich möchte ihn vor dem Hintergrund nennen, obwohl ich weiß, dass er in der Debatte vielleicht von Ihnen nicht verstanden wird, aber ich möchte ihn trotzdem vor dem Hintergrund nennen, dass auch über die Wohnsitzauflage im Moment geredet wird, und sie wird auch geplant. Unsere grundlegende Ablehnung begründen wir mit dem unveräußerlichen Menschenrecht auf Freizügigkeit, das wir ernst nehmen. Jeder habe das Recht, heißt es in Artikel 13 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich wissen wir, dass es dieses Recht für geflüchtete Menschen nicht gibt und dass die Umsetzung dieses Rechts auf Freizügigkeit ein langer Prozess ist. Aber dennoch messen wir Anträge daran, ob sie eine Verbesserung im Sinne dieses Rechts enthalten oder nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihr Antrag zielt lediglich auf eine andere Verteilung der Asylbewerber und Geduldeten auf die Bundesländer.

(Zuruf von Dirk Nockemann AfD)

Ihr Antrag zielt darauf, die Zahl der Geflüchteten in Hamburg zu reduzieren.

Zweitens: Dieser Grund ist schon mehrfach angesprochen worden, dem können wir uns im Wesentlichen auch anschließen; man könnte erwarten, dass Sie, wenn Sie schon über eine neue Verteilung der Geflüchteten nachdenken, die Frage bestmöglicher Bedingungen für Integration ins Zentrum stellen, aber das spielt, obwohl Sie kleine Andeutungen in Ihrer Rede gemacht haben, in dem Antrag überhaupt keine Rolle. Wenn Sie schon die Fläche berücksichtigt sehen wollen, warum dann nicht die Struktur und Situation des Arbeitsmarktes. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist – neben dem Wohnungsmarkt – eine zentrale Bedingung für gelingende Integration. Sollten nicht auch die Bedingungen im Bildungsbereich von der Kita über die

(Antje Möller)

Schule, über Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten bis zur Hochschule, Berücksichtigung finden? Auch die Infrastrukturausstattung sowie das eventuelle bürgerschaftliche Engagement in den Regionen sind Größen, die eine Rolle spielen sollten.

Das Gutachten, das für die Robert Bosch Stiftung veröffentlicht wurde – Sie haben es angesprochen, andere haben es angesprochen –, spricht sich durchaus für einen neuen Verteilungsmechanismus zwischen den Bundesländern aus, hebt aber eben auch sehr stark auf die von mir genannten und auch von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern schon zum Teil genannten Faktoren ab.

Eine Studie der Bertelsmann Stiftung von 2015 befasst sich ausführlicher mit der Arbeitsintegration. Sie hebt zum Beispiel hervor, wie wichtig und notwendig Hilfe und Vernetzung der Geflüchteten für die aktive Vermittlung in den Arbeitsmarkt sind. Besonders bedenkenswert sei in diesem Zusammenhang – so die Bertelsmann Stiftung –, dass Arbeitsstellen vor allem durch Netzwerke gefunden werden. Der Aufbau von Netzwerken sei der Königsweg – immer noch die Stiftung – nicht nur zur sozialen Integration – ich zitiere –:

"[…], sondern auch zur Arbeitsintegration, vor allem, wenn in diesen Netzwerken auch die Arbeitsgesellschaft vertreten ist. Das Engagement von Kirchengemeinden, Vereinen, vielen Einzelpersonen und spontan gebildeten Fördergruppen kann dann nicht nur in karitativer Hilfe, sondern in wirklicher Sozialund Arbeitsintegration realisiert werden."

Es ist bekannt, und das wird in dem Gutachten für die Robert Bosch Stiftung recht ausführlich und anschaulich ausgeführt, dass es anerkannte Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die ihren Wohnsitz frei wählen dürfen, in Ballungsräume zieht, vor allem auf der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten. Diese und die meisten anderen Bedingungen für gelingende Integration sind eben am ehesten in Großstädten und vor allem in wohlhabenden Großstädten wie Hamburg vorzufinden. Aufgrund der langjährigen – und da komme ich zu den früheren CDU-Senaten – generellen Versäumnisse beim sozialen Wohnungsbau mangelt es hier allerdings an bezahlbarem Wohnraum. Das ist eins der großen Probleme in Hamburg. Der bezahlbare Wohnraum ist in vielen Gegenden Ostdeutschlands sehr viel leichter zu finden, in Gebieten, aus denen nämlich seit 1989 zahllose Menschen mangels Arbeitsmöglichkeiten weggezogen sind und in denen erhebliche Wohnungsleerstände zu verzeichnen sind, leider aber oft auch besonders hohe Zahlen von Gewalttaten gegen Geflüchtete und ihre Unterkünfte. Dort sind also die Bedingungen für gelingende Integration in nur sehr geringem Maße gegeben.

Sie sehen also, liebe Frau Prien und werte Kolleginnen und Kollegen der CDU, das Thema ist sehr komplex. Ihr Ansatz dagegen ist sehr einfach. Ihren Versuch finde ich deshalb populistisch, weil Sie in Hamburg damit werben, Geflüchtete loszuwerden, während Ihre Kolleginnen und Kollegen andernorts überhaupt nicht bereit sind, sie aufzunehmen. Das sollten Sie der Volksinitiative auch sagen, wenn Sie schon eine ihrer Forderungen im Antrag aufnehmen. Alles Weitere können wir dann im Innenausschuss beraten. – Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Dann erhält als Nächste das Wort Jennyfer Dutschke von der FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Flächenknappheit in einem Stadtstaat bei der Unterbringung von Flüchtlingen ist ein Problem. Die Unterbringungspolitik des Senats zeigt das deutlich. Ich nenne als Stichwort das Hantieren mit Rechtsgrundlagen, um überhaupt Unterkünfte oder künftig Wohnungen zu schaffen.

(Dirk Kienscherf SPD: Wir tun wenigstens etwas!)

Wir haben als FDP-Fraktion daher im Rahmen unseres Gesamtkonzepts Flüchtlingsunterbringung im Februar 2016 einen realitätstauglichen Verteilungsschlüssel für Bund und Länder gefordert. Unser Vorschlag ist konkreter als der Vorstoß der CDU. Wir haben zur Kompensation der Flächenengpässe in Metropolen finanzielle Ausgleiche vorgeschlagen. Das könnte wie folgt aussehen: Die nach dem Königsteiner Schlüssel zugewiesene Personenzahl wird dann zwar pro Platz finanziell vollends übernommen, gerade im Hinblick auf die Kosten für die Schaffung von Unterkünften, aber die Schutzsuchenden selbst sollen nach einem Schlüssel verteilt werden, der neben dem Steueraufkommen und der Bevölkerungszahl die Fläche eines Bundeslandes berücksichtigt. Das kann ein Vorstoß sein wie das von Frau Friederichs angestoßene Mehrfaktorenmodell. Man muss dazu sagen, dass das aber auch diese vier Aspekte, die Sie genannt haben, in einem gewissen Schlüssel von 4:4 zu 1:1 berücksichtigt. Das ist wissenschaftlich sehr gut hergeleitet im Sachverständigenrat. Man müsste es durchrechnen, ob das überhaupt auf Deutschland und die Bundesländer übertragbar ist. Dieser Schlüssel ist nämlich europäisch gedacht, wie man in europäischen Ländern Flüchtlinge nach einem Schlüssel aufteilen könnte, der diese Aspekte berücksichtigt; insofern bin ich gespannt, was Sie da irgendwann einmal für Forschungsergebnisse vorweisen.

Der Vorstoß der CDU ist wesentlich weniger konkret als unserer, er ist weniger detailliert. Er hat

(Christiane Schneider)

aber dieselbe Intention im Blick, und das ist der wesentliche Punkt, nämlich, dass man einen Beitrag zur Lösung der Unterbringungskrise in Hamburg leistet. Wichtig ist doch, dass dieser Verteilungsmechanismus eine Anpassung an die Realität findet. Auch im Hinblick auf die Kooperation mit den angrenzenden Ländern haben wir wesentlich klarere Vorschläge in unserem Gesamtkonzept gemacht, es liegt noch im Ausschuss. Dennoch teilen wir die Kernbotschaft dieses Antrags, nämlich, dass der Königsteiner Schlüssel für die Verteilung von Flüchtlingen einfach überholt ist und dem Platzproblem in Stadtstaaten wie Hamburg gerade nicht gerecht wird. Wir brauchen einen Schlüssel, der diesem Umstand Rechnung trägt. Dafür sollten wir uns gerade als Stadtstaat einsetzen.