Es wäre gut, wenn wir diese Diskussion nicht ideologisch und ohne Schärfe führten. Es gilt die Stadtteilschulen zu stärken und nicht schlechtzureden. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, Herr Abaci, wir sind uns einig darüber, dass die Stadt
derzeit nichts weniger gebrauchen kann als eine ideologisch geführte Einheitsschuldebatte. Das ist wirklich das Allerletzte, was wir zum jetzigen Zeitpunkt brauchen.
Frau Boeddinghaus, Ihnen und Ihren Freunden bei den Gewerkschaften, die genau damit jetzt wieder anfangen wollen, muss man sagen: Sie tun den Kindern, den Jugendlichen, den Schülerinnen und Schülern in dieser Stadt einen Tort an, wenn Sie jetzt diese Debatte beginnen. Wir jedenfalls werden nicht mit einstimmen, und wir werden auch nicht einstimmen in die Forderung derjenigen, die nostalgisch zurückwollen in das dreigliedrige Schulsystem, das es in dieser Form in Hamburg übrigens nie gegeben hat und schon gar nicht mehr gab Mitte des letzten Jahrzehnts,
als das Hamburger Schulsystem ein mehrgliedriges, aber kein dreigliedriges war, Frau von Treuenfels. Wir hatten schon lange Gesamtschulen, wir hatten Haupt- und Realschulen schon längst zusammengelegt. Wir hatten kein klassisch dreigliedriges System. Deshalb gibt es keinen einfachen Weg zurück.
Man kann Verhältnisse nicht einfach vom bayerischen Land in die hamburgische Stadt übertragen, aber man kann mehrere Dinge aus Bayern lernen. Das eine ist, dass es Schulen guttut, wenn es Kontinuität gibt. Und man kann lernen, dass es Schulen sehr guttut, wenn man nicht jeden Schulversuch gleich flächendeckend einführt, sondern wenn man sich Zeit lässt und genau beobachtet, was nützt und was nicht nützt, und wenn man sich vor allem einem schulpolitischen Aktionismus versagt, der nur Unruhe in die Schulen bringt und den Lehrerinnen und Lehrern keine Möglichkeit gibt, das, was sie tun, vernünftig zu entwickeln.
Das Zwei-Säulen-System, Frau Boeddinghaus, ist ein historischer Kompromiss. Wenn Sie den wirklich zur Disposition stellen wollen, werden Sie erleben, wie in Hamburg wieder Eltern auf die Straße gehen. Eines kann ich Ihnen versprechen: Wenn es dazu kommt, werden wir an der Seite der Männer und Frauen, der Eltern und der Schüler stehen, die sich für ein leistungsstarkes Gymnasium und für eine Stadtteilschule in dieser Stadt einsetzen werden.
Das ändert aber, Herr Senator Rabe, nichts an der Tatsache, dass wir ehrlich sein müssen, was die Stadtteilschule angeht. Wir fordern Sie seit mehreren Jahren auf, einen realistischen Blick auf diese Schulform zu werfen und sich anzuschauen, wo die Stärken liegen, aber wo eben auch die Schwächen liegen. Sie verweigern sich dieser Bestandsaufnahme seit Jahren und das ist falsch. Das bringt die Stadtteilschulen nicht weiter. Frau von Treuenfels, die Stadtteilschule ist nicht gescheitert. Frau Suding versteht offensichtlich nicht so viel davon. Die Stadtteilschule ist nicht gescheitert, aber wenn wir jetzt nicht an die Schwächen der Stadtteilschule rangehen, dann wird die Stadtteilschule scheitern, und das darf in unserer Stadt nicht passieren.
Was ist zu tun? Vieles. Keiner von uns hat ein Patentrezept und es gibt nicht für jede Schule den einen Weg. Auch das ist übrigens richtig. Es gibt diesen einen Weg nicht, sondern jede Schule in jedem Stadtteil in ihrer Besonderheit muss man gesondert anschauen. Aber Tatsache ist, dass die schnelle und flächendeckende Einführung der Inklusion retrospektiv betrachtet ein Fehler gewesen ist. An diesem Punkt werden wir Korrekturen anbringen müssen. Das ist seit mehreren Jahren unsere Auffassung und dabei bleiben wir auch.
Nein, das haben wir so nicht eingeführt, Frau von Treuenfels, und das wissen Sie auch. Bitte bleiben Sie bei der Wahrheit.
(Beifall bei der CDU – Michael Kruse FDP: Sie haben nur die guten Teile der Stadtteil- schulen eingeführt!)
Wichtig ist, dass wir zu diesem für viele Stadtteilschulen kritischen Zeitpunkt darauf achten, dass bei der gerechten Verteilung der IVK-Klassen auf die Stadt ernst gemacht wird. Es ist nicht gut, wenn Stadtteilschulen in ohnehin sozial belasteten Stadtteilen auch noch eine höhere Zahl an IVK-Klassen leisten müssen als Stadtteilschulen und Gymnasien in anderen Stadtteilen. Da muss endlich mehr Gerechtigkeit ins System, und da, Herr Senator Rabe, gibt es noch eine Menge zu tun. Da sind Sie noch nicht dort, wo Sie angeblich selbst sein wollen.
Wir müssen auch beim Thema Binnendifferenzierung und äußere Differenzierung ehrlich sein. Binnendifferenzierung ist kein Zauberwort. Das kann gut sein, wenn es gut gemacht ist. Das will ich gar nicht bestreiten und ich weiß, dass es Hamburger Schulen gibt, die ein solches System fahren und das ordentlich machen. Es gibt aber genug andere, die es nicht können und die es nicht gut machen, und diese wären mit äußerer Differenzierung deutlich besser bedient. Ansonsten halte ich mich
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Eines möchte ich vorwegschicken: Es gibt nicht die Stadtteilschule.
(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Wenn Sie das sagen!)
Zur Sachlage, warum man immer wieder hervorheben muss, dass es nicht die Stadtteilschule gibt: Die Stadtteilschulen haben sich gegründet aus 68 unterschiedlichen Schulen mit unterschiedlichen Geschichten, sieben sind neu gegründet worden, und nun haben wir 58 Stadtteilschulen in dieser Stadt. Es sind Stadtteilschulen darunter, die in einem sozial hoch belasteten Gebiet liegen, dort kommen die Kinder in die fünfte Klasse und von denen erreicht keines die Mindeststandards in Mathematik. Dort haben etwa 80 Prozent der Kinder Migrationshintergrund, dort wird kein Deutsch gesprochen in der Familie. Sehr viele sind im Leistungsbezug Bildungs- und Teilhabepaket. Keines dieser Kinder hat eine Gymnasialempfehlung.
Dann gibt es aber Stadtteilschulen, wo sehr viele Kinder aus sozial gut gestellten Familien kommen, wo zu Hause viel Hilfe geleistet wird, wo viele eine Gymnasialempfehlung haben, viele den Mindeststandard in Mathematik erreichen und so weiter und so fort. Diese Bandbreite haben wir.
Dann gibt es natürlich Stadtteilschulen, wo 35 Prozent der Kinder einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben – 35 Prozent. An anderen Stadtteilschulen haben 4 Prozent der Kinder einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Es gibt Stadtteilschulen, wo 180 Kinder und Jugendliche in IVK und Basisklassen sind. Andere Stadtteilschulen haben keine von diesen Kindern.
So sieht es im Moment in der Schullandschaft aus. Deswegen noch einmal: Es gibt nicht die Stadtteilschule. Deswegen gibt es auch nicht die Krise. Wir sind gut beraten, dies im Kopf zu behalten.
Die Stadtteilschulen gehen mit dieser Herausforderung, der sie sich stellen müssen, sehr unterschiedlich um. Da wird teilweise binnendifferenziert, teilweise äußerlich differenziert. Das ist, wenn sie erfolgreich arbeiten, alles in Ordnung.
leisten sie hervorragende Arbeit. Es sind leistungsstarke Schulen. Wir haben nicht nur leistungsstarke Gymnasien, ich habe da sehr genau hingehört, wir haben auch leistungsstarke Stadtteilschulen.
Die Schulabbrecherquote ist gesenkt worden, die Abiturientenquote gesteigert. Was wir auf keinen Fall brauchen in dieser Stadt, ist ein Schlechtreden der Stadtteilschulen. Was wir nicht brauchen, ist ein Reduzieren der Stadtteilschulen auf den ersten und mittleren Schulabschluss. Was wir nicht brauchen, sind Patentrezepte, und was wir auf gar keinen Fall brauchen in dieser Stadt, ist eine hektische Aufkündigung des Schulfriedens. Im Sinne der Schulen und vor allen Dingen der Kinder brauchen wir Ruhe in unseren Schulen.
Wir sollten gemeinsam mit den Stadtteilschulleitungen darüber reden, wie wir die Schulen noch besser machen können. Wir sollten gemeinsam darüber nachdenken, wie wir die Kooperation, die Lernprozesse untereinander verbessern können, ob und wie die Schülerströme gesteuert werden sollen, ob und wie wir das Anmeldeverfahren und die Grundschulempfehlung überarbeiten sollten, und wir sollten auch überlegen, ob es in der BSB eventuell einen Thinktank dafür gibt, dass tatsächlich diese Prozesse gut gesteuert werden, alles gemeinsam mit den Stadtteilschulleitungen. Das ist unsere Lösung für die Lage, die wir in der Stadt haben.
Wir in der Koalition stehen ohne Wenn und Aber zu den Stadtteilschulen. Wir stehen zu den Stadtteilschulen als einem Ort, wo Bildungsgerechtigkeit und Leistung gemeinsam gelingen. Sie auch? – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Abaci, mir erschien Ihre Rede wie das berühmte Pfeifen im Walde. Es hat jedenfalls nicht die Eltern erreicht, die es seit Jahren erreichen müsste, damit die Stadtteilschulen wirklich den Zuspruch bekommen, den sie bräuchten. Wir haben Probleme und es ist nicht in Ordnung, die Überbringer und Überbringerinnen dieser Botschaft zu geißeln, sondern wir müssen offen und ehrlich über die Probleme
sprechen. Das klang hier schon an. Deswegen ist klar, dass wir als LINKE sagen: Nicht die Stadtteilschulen sind in einer Krise, sondern das System ist in einer Krise.