Protokoll der Sitzung vom 06.12.2017

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Grunwaldt, das war jetzt vielleicht leidenschaftlich, aber …

(Franziska Grunwaldt CDU: Und besser!)

Nein, das würde ich jetzt nicht sagen wollen. Das war nicht besser. Aber die Wertung will ich mir hier nicht herausnehmen.

Aber Sie wissen zumindest, dass wir uns im Sozialausschuss gern und ausführlich und stundenlang und mit sehr viel Leidenschaft – genau – mit dem Thema beschäftigen, nämlich dem großen Thema: Was kann man eigentlich tun gegen den hamburgischen Fachkräftemangel auf der einen Seite und wie kann man denjenigen, die noch relativ neu in diesem Land sind, helfen, in die Erwerbstätigkeit zu kommen? Wie kann man Schule und Ausbildung koordinieren und zusammenbinden? Was ist eigentlich die Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit dabei, was ist die Aufgabe der Arbeitsagentur, was ist die Aufgabe des Jobcenters?

Was wir hier bei diesem Antrag der FDP bemängeln, den man inhaltlich an sehr vielen Stellen natürlich unterstützen kann, ist, dass Sie sich schlicht und einfach nur ein Segment herausgreifen und damit das mögliche Potenzial der Geflüchteten noch verengen, die in Ausbildung gehen können, indem Sie nämlich mehrfach darauf hinweisen, dass Sie anerkannte Geflüchtete in die duale Ausbildung bringen wollen. Das Ausländerrecht und tatsächlich auch das große Netzwerk, das es in Hamburg inzwischen gibt, sind doch da schon viel weiter. Ich meine – wenn ich Sie einmal persönlich ansprechen darf –, Sie sind im Eingabenausschuss. Sie wissen, in wie vielen Fällen wir die ausländerrechtliche Möglichkeit zugunsten der Geflüchteten, aber natürlich auch zugunsten der Betriebe, nutzen können, dass nämlich auch aus einer Duldung heraus eine Ausbildung begonnen werden kann, mit der Perspektive, nach der erfolgreichen Ausbildung dann auch weiter in dem Betrieb zu arbeiten. Das ist eine mindestens so wichtige Strategie wie die, an der wir auch immer wieder nachstellen und nachjustieren, um die Jobcenter, die Arbeitsagentur und die Bundesagentur dazu zu bringen, ihre einzelnen Komponenten besser zu koordinieren, damit diejenigen, die in der Förderung und in der Qualifizierung sind, nicht immer wieder in einen Wartemodus verfallen. Das ist ein wichtiges Element. Eigentlich habe ich schon drei Bausteine genannt. Und Sie mit Ihrem Antrag gehen zurück zu einem Status von Geflüchteten, der überhaupt nicht mehr relevant ist, sondern Sie verengen den Markt an der Stelle noch einmal, und das finde ich völlig unzureichend.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Jennyfer Dutschke FDP)

Man muss schlicht und einfach sagen: Es führen viele Wege in die Ausbildung. Zum Glück führen viele Wege in die Ausbildung. Einen Weg davon hat Herr Schwieger ausführlich beschrieben; das will ich nicht noch einmal aufgreifen. Aber es gibt einen Weg, den wir vielleicht noch nicht so betrachtet haben, zu dem Frau Grunwaldt gesagt hat, da muss noch viel mehr passieren. Frau Dutschke, Sie wissen ja auch, wie wir zu dem Thema diskutiert haben. Das ist etwas, was die Kammern eigentlich machen können, an welcher Stelle die Be

(Franziska Grunwaldt)

triebe unterstützt werden können, wie man noch Betriebe werben kann,

(Zuruf von Jennyfer Dutschke FDP)

wie man bei der zunehmenden Bürokratie Abhilfe schafft, die ja aufgrund dieser vielen Schnittstellen zwischen Ausländerrecht und SGB II immer wieder entstehen. Auch da gibt es schon sehr viel. Die Handelskammer selbst bietet Kompetenzfeststellungsverfahren im Bereich Gastronomie und Logistik an, der TÜV NORD macht Schweißerfachbriefe, Weiterbildungen. Es gibt große Märkte der Möglichkeiten. Es ist nun einmal so, dass es keinen vollkommen geraden, kurzen Weg gibt, mit dem man eine große Zahl von Geflüchteten oder anderen, die sich zum Glück noch für eine Ausbildung interessieren, schnell in eine Ausbildung bekommt, sondern der Markt auf der Seite derjenigen, die einen Ausbildungsplatz suchen, genauso aber auch auf der Seite derjenigen, die einen Ausbildungsplatz anbieten, ist einfach groß und weit. Ich bin sehr froh, dass es hier sehr viele verschiedene Möglichkeiten gibt, und ich bin auch sehr dafür, dass wir zum richtigen Zeitpunkt auch im Sozialausschuss noch einmal ausführlich über das Thema wieder reden.

Ihr Antrag verengt schlicht und einfach das Spektrum an Menschen, denen wir den Ausbildungsplatz ermöglichen wollen, und deshalb ist auch hier die Überweisung nicht der richtige Weg.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Möller. – Es erhält das Wort Frau Dr. Ensslen von der Fraktion DIE LINKE.

Meine Damen und Herren! Auch ich möchte mich einreihen in die Beiträge "Na ja, nicht ganz falsch, aber eben auch nicht ganz richtig". Ja, auch wir schauen kritisch auf das Projekt W.I.R in Hamburg. Auch wir meinen: Viel zu wenige Geflüchtete werden erreicht, noch viel weniger werden erfolgreich in Ausbildung oder Arbeit gebracht. Und immerhin, die FDP wünscht Förderprogramme für Qualifizierung. Diese Forderung sollten wir uns näher anschauen. Bei den Sprachkursen – und zwar eben nicht gerade nur oberhalb von B2 – neben einer Ausbildung oder einem Job sieht es tatsächlich sehr schlecht aus. Hier muss unbedingt Unterstützung bei der Finanzierung her.

(Beifall bei der LINKEN)

Ansonsten gibt es ja bereits Programme, wie etwa das Stipendienprogramm der BASFI. Darüber können Berufsanerkennungsverfahren und Qualifizierungen finanziert werden. Was genau soll also noch gefördert werden? Das können wir uns im Sozialausschuss gern noch einmal anschauen.

Und genau hier enden eben auch unsere Gemeinsamkeiten mit der FDP. Unser Ansatz ist ein anderer. Unser Menschenbild ist ein anderes. Wir sehen Geflüchtete nicht unter dem Blickwinkel des Fachkräftepotenzials, sondern als Menschen, die eigene Vorstellungen von ihrem Leben hier in Deutschland haben, die Neigungen, Fähigkeiten und Berufswünsche haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Stellen wir uns doch einmal Geflüchtete vor, die Musikerinnen, Historikerinnen, Archäologinnen werden wollen, also Berufe, in denen kein Fachkräftemangel herrscht. Wie sähe da wohl der Einsatz der FDP aus?

Uns ist es wichtig, dass Geflüchtete eine individuelle Berufsberatung erhalten. Es muss ganzheitlich geschaut werden, was an Bildungs- und Ausbildungsabschlüssen da ist, welche Sprachkenntnisse vorhanden sind, wie die aktuelle Lebenssituation, wie die Perspektive ist. Erst wenn das alles auf dem Tisch liegt, können konkrete Wege gefunden werden. Das kann eine Ausbildung sein, eine Qualifikation oder eine direkte Vermittlung in einen Job. Da sollten auch erst einmal die Jobcenter und die anderen Stellen ihre Arbeit besser machen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Reine Nützlichkeitserwägungen lehnen wir ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Es steht den Unternehmen und Betrieben selbstverständlich frei, für sich und die bei ihnen ausgeübten Berufe zu werben. Das wird ja auch schon getan. Aber was soll denn bitte schön der Senat dabei tun? Ausgerechnet die FDP, die doch gern so wenig Staat wie möglich haben möchte, ruft hier nach dem Senat. Mir scheint, dass hinter diesem Ruf eher der Wunsch nach staatlichem Druck auf Geflüchtete steht. Dem sind sie aber seitens der Jobcenter schon mehr als genug ausgesetzt. Für uns gilt daher: Programme und Anwerbung dürfen die Menschen nicht in eine Richtung drängen, die gerade opportun ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Vielen Dank, Frau Dr. Ensslen. – Es erhält das Wort Professor Kruse von der AfD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die FDP hat einen Antrag vorgelegt, der zunächst einmal in den ersten beiden Absätzen ein gravierendes Problem zutreffend beschreibt. Wir haben in der Tat einen dramatischen Fachkräftemangel, der die wirtschaftliche Entwicklung von prosperierenden Regionen und Städten – wie Hamburg zum Bei

(Antje Möller)

spiel – erheblich behindert, wie Unternehmen immer wieder sagen, schreiben und beklagen. In den nächsten Abschnitten des Antrags geht es dann um Migranten, die unpräzise und pauschalisierend als Flüchtlinge bezeichnet werden, was für die meisten wohl nicht zutrifft. Dann habe ich den Eindruck, dass die Verfasser von der FDP in den letzten zwei Jahren keine von all den vielen Studien, Artikeln und Erfahrungsberichten zur Kenntnis genommen haben, die über die Qualifikation von Migranten und ihre Eignung für den Arbeitsmarkt geschrieben worden sind. Sehr häufig fehlt es danach an einfachen Lese- und Schreibfähigkeiten, an elementaren deutschen Sprachkenntnissen, elementaren Rechenfähigkeiten und an simplem technischen und kaufmännischen Verständnis ebenso, abgesehen überhaupt noch an Bewusstsein, dass man in Deutschland eine Ausbildung braucht, wenn man hier auf Dauer prosperierend leben will. Weil Sie dies nicht wissen oder jedenfalls nicht zu wissen vorgeben, ist auch das Petitum im Ansatz naiv. Da Sie aber allerbeste moralische Absichten haben, will ich jetzt einmal für Sie ein Petitum formulieren, wie es hätte lauten können.

(Jennyfer Dutschke FDP: Schreiben Sie doch selbst einen Antrag!)

Vier Punkte. Erstens: Jeder der genannten Mangelberufe definiert durch einschlägige Unternehmen und Ausbilder für ihren Bereich absolute Minimalanforderungen, die vor Aufnahme einer Hilfstätigkeit oder dem Beginn einer Ausbildung unbedingt vorhanden sein müssen, damit es überhaupt Sinn macht und nicht alle gleichermaßen frustriert sind. Lesen, Schreiben, Rechnen auf Elementarniveau sowie einfache Deutschkenntnisse dürften das Minimum sein.

Zweitens: Alle Minimalanforderungen werden operationalisiert, damit sie einfach und nicht diskriminierend prüfbar sind. Es wird eine Bewertungsfunktion und ein Grenzwert definiert.

Drittens: Alle Migranten mit Bleibeperspektive, die das wollen, werden auf diese Weise geprüft. Geeignete Migranten werden einschlägigen Unternehmen, insbesondere Handwerksbetrieben, zu einem Bewerbungsgespräch vermittelt.

Viertens: Bei Migranten, die knapp unter dem Grenzwert abschneiden, wird ein kurzfristiger Qualifizierungsbedarf definiert und unter Einsatz von finanziellen Anreizen wird dieser mithilfe des Staates umgesetzt.

Auch wenn ich den etwas naiven FDP-Antrag zugrunde lege und dieser verschaffte gegenüber dem, was wir schon haben, auch nur fünf Migranten einen regulären Job, dann hätte sich der Antrag schon gelohnt. Da der FDP-Antrag vor besten moralischen Absichten überquillt, stimmt die AfD ihm zu.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Professor Kruse. – Es hat sich gemeldet die fraktionslose Abgeordnete Frau Güçlü. Sie bekommen das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nachdem die FDP uns hier erzählt hat, was die Wirtschaft braucht, und nachdem uns dann der Vertreter der AfD erzählt hat, an was es alles mangelt und was Flüchtlinge und Migranten an Defiziten mitbringen,

(Dirk Nockemann AfD: Spätestens in sechs Wochen sehen Sie das auch so!)

werde ich einmal versuchen, das Ganze ein bisschen zu versachlichen.

Ich glaube, die Intention der FDP-Fraktion ist gut gedacht – aber schlecht recherchiert, muss ich leider sagen, Frau Nicolaysen, denn ich denke, dass das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, tatsächlich schon zumindest theoretisch existiert. Aber die reale Situation ist leider die – und das müssen sich, glaube ich, die Regierungsfraktionen auch anhören –, dass es in der Praxis nicht wirklich so funktioniert, wie es auf dem Papier geschrieben steht, und dass wir nur sehr, sehr langsam vorankommen. Von einer wirklichen Arbeitsmarktintegration oder Integration in Ausbildung kann nicht die Rede sein. Das ist noch viel zu punktuell und zu minimal, auch wenn die Zielsetzung richtig ist. Wir sind eigentlich immer noch in dem Stadium, wo wir registrieren, und auch das W.I.R-Projekt macht eine reine Registrierung und versucht weiterzuvermitteln, versucht, die Leute in irgendeiner Form an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Aber eine große Strategie, der große Wurf ist es wirklich nicht.

Ich glaube, wir müssen uns auch von der Illusion verabschieden, dass es sehr schnell geht. Wir müssen hier auch anders handeln. Wir können nicht glauben, dass gerade bei den Flüchtlingen das gelingt, was wir selbst bei den länger hier lebenden Migranten noch nicht wirklich geschafft haben: dass sie diesen ganzen Dschungel von Maßnahmen, Jobcenter und SGB II und alles, was es an Möglichkeiten und Gesetzen gibt, überblicken und sich gar in diesem Dschungel wirklich zurechtfinden. Ich glaube, das funktioniert nicht und das wird auch bei den Flüchtlingen nicht funktionieren.

Es ist klar, dass wir natürlich entlang unserer Wirtschaftsinteressen schauen, da, wo wir Bedarfe haben, die Menschen auch dahingehend zu steuern. Das ist auch nicht falsch. Deswegen fürchte ich, dass viele letztendlich in der Pflege landen werden oder bei den 400 Stellen, die wir im Bereich der Stadtreinigung schaffen werden. Trotzdem meine ich, ist es wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen und sich zu fragen: Was wollen eigentlich

(Dr. Jörn Kruse)

die Flüchtlinge? Sie können vielleicht die deutsche Sprache nicht, aber sie haben durchaus Dinge gemacht und sie haben durchaus auch etwas gelernt, auch wenn es nicht im Rahmen einer dualen Ausbildung war. Dass wir darauf den Blick ein bisschen stärker konzentrieren, ist mehr als geboten.

Vielleicht braucht es auch mehr Brückensysteme, also nicht nur das Vertrauen in ein Regelsystem, das es richten wird, in dem sich selbst Bio-Deutsche, sage ich einmal in Anführungsstrichen, oft schwer zurechtfinden. Vielleicht müssen wir zwischen dem Regelsystem mehr Brücken bauen in Form von Projekten und können dann eher Schritte vorwärts machen. Aber so, wie es in der Theorie im Moment steht, funktioniert es nicht, auch wenn es das schon gibt, liebe FDP-Fraktion. – Danke.

Vielen Dank, Frau Güçlü. – Dann hat erneut Frau Nicolaysen von der FDP-Fraktion das Wort gewünscht.

Lieber Herr Kollege Schwieger, erst einmal muss ich etwas richtigstellen. Die FDP war im Jahr 2013 schon in der Bürgerschaft. Nur, um das einmal gesagt zu haben.

Übrigens denke ich, die SPD und die GRÜNEN müssen sich doch fragen, warum ihre Anwerbestrategien und Konzepte gar nicht so erfolgreich sind. Da müssen Sie doch ein bisschen analytisch hinterher sein und vielleicht eine Kurskorrektur oder Verbesserungen machen. Die Zeit brennt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)