Protokoll der Sitzung vom 30.05.2018

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das Wort hat nun der Abgeordnete Celik für die Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrter Präsident, sehr geehrte Hamburgerinnen und Hamburger! Organspende und Organtransplantation retten Leben. Das ist ein wichtiges gesellschaftliches Thema, über welches viel zu selten gesprochen wird. Daher ist es auch gut, dass wir uns heute hier in der Bürgerschaft mit diesem Thema beschäftigen.

Wir haben in Hamburg, aber auch bundesweit eine widersprüchliche Entwicklung.

(Präsidentin Carola Veit übernimmt den Vor- sitz.)

Einerseits besitzen immer mehr Menschen einen Organspendeausweis und gleichzeitig geht aber die Zahl der erfolgten Organspenden in Hamburg, aber auch bundesweit kontinuierlich zurück. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat gerade wieder bekannt gegeben, dass der Anteil von Besitzern eines Organspendeausweises von 22 Prozent im Jahr 2012 auf 36 Prozent im Jahr 2018 gestiegen ist. Also ist das grundlegende Problem nicht die Organspendebereitschaft, sondern die Tatsache, dass in den Krankenhäusern das Potenzial viel zu wenig abgerufen wird und die Krankenhäuser ihren Versorgungsauftrag nicht in ausreichendem Maße erfüllen. Das hat der Senat richtig erkannt und diesen Gesetzentwurf hier vorgelegt, was wir inhaltlich überwiegend richtig und gut finden, und wir werden diesem Gesetzentwurf auch zustimmen.

Wir finden aber, dass es in diesem Gesetzentwurf zwei kritische Punkte gibt. Einmal – das wurde auch von Frau Stöver genannt – hatten wir in der Vergangenheit Unregelmäßigkeiten und auch Skandale, was Organtransplantationen angeht. Dadurch gibt es auch in der Bevölkerung einen enormen Vertrauensverlust. Deshalb fordern wir, dass es für öffentliche Kontrolle und mehr Transparenz größere Anstrengungen geben muss. Im Gesetzentwurf steht zum Beispiel, dass auch Vertreterinnen und Vertreter der Behörde anlassbezogen an den Transplantationskonferenzen teilnehmen können. Wir hätten es besser gefunden, wenn Vertreterinnen und Vertreter der Behörde auch an diesen Konferenzen regelmäßig teilgenommen hätten.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Zweiten sagen Sie, eine Aufgabe des Transplantationsbeauftragten solle auch sein, das gesamte Krankenhauspersonal hinsichtlich Organspenden zu motivieren und zu sensibilisieren. Auch im Ausschuss wurde zum Beispiel gesagt, ein Grund dafür, dass die Bereitschaft zur Organspende nicht ausreichend vorhanden ist, sei, dass selten intensive Gespräche mit Angehörigen geführt würden und häufiger Prüfungen erfolgen müssten. Das ist wohl in der Vergangenheit nicht in ausreichendem Maße geschehen. Was aber Senat und Regierungsfraktionen auch nicht im Blick haben, ist, dass es zwischen Versorgungssicherheit und Personalausstattung einen engen unmittelbaren Zusammenhang gibt. Aber wenn man sich jetzt in den Krankenhäusern anguckt, dass viele Ärzte und viele Pflegekräfte überlastet sind und dass sie kaum noch in der Lage sind, Versorgungssicherheit sicherzustellen, muss man natürlich auch gucken, dass eine gute Personalausstattung in den Krankenhäusern vorhanden ist, damit die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann.

(Beifall bei Sabine Boeddinghaus DIE LIN- KE)

Deshalb muss das in Zukunft viel stärker in den Blick genommen werden. Übrigens muss auch eine gesetzliche Personalbemessung für alle Hamburger Krankenhäuser beschlossen werden, wie es auch die Volksinitiative gegen den Pflegenotstand zurzeit fordert. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Dutschke bekommt das Wort für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Zahl der Organspenden ist rückläufig, nicht nur in Hamburg, sondern auch überall in der Bundesrepublik; die Vorredner sind darauf eingegangen. Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende ist keine einfache Entscheidung und insbesondere für diejenigen, die gerade einen geliebten Menschen verloren haben, ist es schwer, sich damit auseinanderzusetzen, ob dem Angehörigen die Organe entnommen werden sollen oder nicht.

Jemanden genau in dieser Trauer anzusprechen und auf die lebensbejahenden Möglichkeiten einer Organspende aufmerksam zu machen, erfordert viel Einfühlungsvermögen und ausreichend Zeit. Daher begrüßen wir, dass Transplantationsbeauftragte in Krankenhäusern zukünftig potenzielle Spender identifizieren und auf die Angehörigen zugehen und auch die entsprechende Zeit für diese Aufgabe bekommen. Deshalb stimmen wir dem Gesetzentwurf auch zu und ich hoffe, dass wir mit

(Christiane Blömeke)

dieser Reform dazu beitragen, dass die Zahl der Organspenden steigt.

(Beifall bei der FDP)

Trotzdem gibt es noch viel zu tun und das bedeutet auch, dass wir uns mit den Kosten, die mit einer Organentnahme einhergehen, auseinandersetzen. Doch vor allem brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Debatte über Organspende, denn nur Aufklärungsarbeit und Transparenz können die Spendebereitschaft erhöhen und das durch die Skandale verloren gegangene Vertrauen wieder herstellen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Herr Feineis bekommt nun das Wort für die AfD-Fraktion.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurden schon viele Richtigkeiten gesagt und wir sind auch der Meinung, dass das der richtige Weg ist, wobei es einige kritische Punkte gibt bezüglich Finanzierung, um nur eines zu nennen.

Ich will darauf hinweisen, dass es seit 2006 in Baden-Württemberg diese Transplantationsbeauftragten gibt. Aber die Organspende hat diesbezüglich keine nennenswerte Erhöhung gefunden, sondern nur elf Organspender pro eine Million Bürger. Das heißt für uns, dass es nicht nur darum gehen kann, Organisatorisches zu klären, sondern es bedarf wirklich einer neuen Diskussion, um der Bevölkerung das Misstrauen zu nehmen. Das ist, denke ich, das Wichtigste: nicht nur das Organisatorische zu klären, sondern auch eine neue Sichtweise in die Bevölkerung hineinzubringen. Wir sind für diesen Gesetzentwurf, wir stimmen diesem zu. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Herr Dr. Flocken bekommt das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr verehrte Volksvertreter! Das Vertrauen des Volkes in die Organisation der Organspende ist geschwunden und schwindet weiter. Unregelmäßigkeiten auf der Empfängerseite sind ein bekannter Grund. Misstrauen in das System auf der Spenderseite will ich erläutern.

Das Konzept des Hirntodes wurde vor 65 Jahren im Gefolge der Erfindung der Herz-Lungen-Maschine ersonnen, wodurch Patienten für lange Zeit im Koma überleben können. Am Dogma Hirntod gleich Tod des Individuums wird von Bundesregierung und Bundesärztekammer gegen den Rat mancher wissenschaftlicher Institutionen halsstarrig festgehalten, obwohl es eine auch für Laien er

kennbare Zwecklüge ist. Der gesunde Menschenverstand sieht: Wer als Kind wachsen kann, wer seine Körpertemperatur regulieren kann, wer eine Schwangerschaft austragen kann, ist nicht tot. Ohne Hirntod gleich Individualtoddogma keine Organtransplantation mehr, sagen Sie. Nein, das stimmt nicht. Es gibt eine Alternative, und zwar den Menschen reinen Wein einzuschenken und zum Beispiel Folgendes zu sagen: Heute haben wir die Möglichkeit, dass ein Lebenszustand herrscht, den man irreversibles Koma oder Leben mit stark reduzierten Funktionen oder Möglichkeiten oder Leben mit maximaler intensivmedizinischer Abhängigkeit nennen könnte oder vielleicht fällt jemandem von Ihnen ein besserer Ausdruck ein. Jeder kann heute im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte eine rechtskräftige Patientenverfügung zeichnen. Er kann zum Beispiel verfügen, dass im vorgenannten Zustand eine Lebensverlängerung nach den medizinischen Möglichkeiten durchgeführt wird. Er kann auch verfügen, dass die Beatmung schlicht ausgeschaltet wird. Er könnte genauso verfügen, dass unter Narkose eine mehrfache Organentnahme zum Zwecke der Transplantation durchgeführt wird. Also mein Vorschlag ist: Mut zur Wahrheit. Der wird honoriert werden von den Menschen, mehr jedenfalls als eine Erhöhung des Drucks und eine Verstärkung der Propaganda. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Das Wort bekommt Frau Senatorin Prüfer-Storcks.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Am 2. Juni, in drei Tagen, ist wieder der Tag der Organspende. Das ist alljährlich der Tag einer ernüchternden Bilanz. Aber in diesem Jahr werden wir einen ganz besonderen Tiefpunkt erreichen. Wir werden verkünden müssen, dass wir bei der Anzahl der Organspenden in Deutschland den niedrigsten Stand seit 20 Jahren erreicht haben. Das ist für die über 10 000 Menschen, die in Deutschland auf der Warteliste stehen und auf ein Spenderorgan warten, alles andere als Statistik. Das ist für diese Menschen eine Überlebensfrage.

Zwar spenden die Hamburgerinnen und Hamburger mehr Organe als der Bundesdurchschnitt, aber auch wir sind von dieser negativen Entwicklung betroffen. Die Zahl ist schon genannt worden; wir haben ganze 24 Organspender im letzten Jahr gehabt. Das ist ein Rückgang um ein gutes Drittel gegenüber dem Vorjahr. Es ist höchste Zeit, dass wir alle Kräfte mobilisieren, um diesen Negativtrend aufzuhalten und umzukehren.

(Beifall bei der SPD und bei Farid Müller GRÜNE)

Es ist tatsächlich so, dass es nicht unbedingt die mangelnde Spendebereitschaft der Deutschen ist.

(Jennyfer Dutschke)

84 Prozent sind grundsätzlich bereit, Organe zu spenden, 36 Prozent haben inzwischen einen Organspendeausweis. Das ist eine Steigerung von 50 Prozent in sechs Jahren.

Der Deutsche Ärztetag hat sich im Mai 2018 ganz klar für eine Widerspruchslösung in Deutschland ausgesprochen. Ich sage auch ganz klar: Ich unterstütze das, auch ich wäre für eine Widerspruchslösung.

(Beifall bei Doris Müller SPD)

Aber das können wir nicht in der Hamburgischen Bürgerschaft beschließen. Dazu müsste der Deutsche Bundestag erneut eine so ernsthafte, seriöse Debatte führen, wie das schon vor Jahren bei der Entscheidungslösung getan wurde. Ich würde mich sehr freuen, wenn das der Fall wäre, denn wir haben aus 18 europäischen Ländern die Erfahrung, dass dort mit den Widerspruchslösungen deutlich mehr Leben gerettet werden kann.

Aber wir sind auch gerade vor dem Hintergrund einer solchen Debatte ganz besonders in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass im Alltag unserer Krankenhausstationen die Organspenden, die heute schon möglich wären, dann auch tatsächlich realisiert werden. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation geht von jährlich 1 500 potenziellen Organspendern in den Hamburger Krankenhäusern aus. Wenn davon 36 Prozent einen Organspendeausweis haben, dann hätten das ja 500 realisierte Organspenden sein können. Es sind aber ganze 24 realisiert worden. Diese riesige Lücke müssen wir schließen und das wollen wir mit unserem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir stärken die Transplantationsbeauftragten, damit sie dafür sorgen können, dass diesem wichtigen Thema in den Krankenhäusern mehr Aufmerksamkeit zukommt. Die 22 Entnahmekrankenhäuser müssen in Zukunft mindestens einen, die größeren zwei Transplantationsbeauftragte benennen und müssen sie in Relation zu den Intensivbetten nach einem festen Schlüssel von allen anderen Aufgaben freistellen. Ihre Kompetenzen werden gestärkt. Ich bin froh, dass die neue Bundesregierung auch einem weiteren Vorschlag von Hamburg nachkommen wird, nämlich den Entnahmekrankenhäusern die Organentnahme auch besser zu vergüten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist schon die Rede gewesen von Skandalen im Transplantationsgeschehen. Wir finden, dass es wirklich transparent zugehen muss. Diese Transparenz muss auch schon gewährleistet sein, wenn es nicht um ein staatsanwaltschaftliches Verfahren geht. Deshalb setzen wir als erstes Bundesland das Zeichen, dass wir diese Transparenz wollen und dass wir uns als Aufsichtsbehörde das Recht

herausnehmen, an allen Transplantationskonferenzen auch teilzunehmen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir wollen auch Transparenz darüber, warum Krankenhäuser mögliche Organentnahmen nicht realisieren. Deshalb werden wir uns Bericht erstatten lassen über potenzielle Spender und über realisierte Organentnahmen und über die Frage, warum es nicht zu einer Organentnahme gekommen ist. Das werden wir auch veröffentlichen, denn wir wollen diese Daten nicht alleine haben. Ich glaube, dass alle diese Maßnahmen gut ineinandergreifen werden, und ich freue mich, dass wir durch den vorliegenden Antrag Unterstützung durch die Bürgerschaft bekommen. Wir werden alles tun, damit noch mehr Hamburgerinnen und Hamburger einen Organspendeausweis mit sich tragen, um ihren Willen zu dokumentieren und ihre Angehörigen mit diesen Fragen nicht zu belasten. Deshalb freue ich mich auch über die parteiübergreifende Unterstützung für unseren Gesetzentwurf und vielleicht auch für diesen Antrag. Ich glaube, es ist wichtig, dass die Hamburgerinnen und Hamburger sehen, dass bei diesen Fragen alle in der Bürgerschaft an einem Strang ziehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen sehe ich jetzt nicht. Dann kommen wir zur Abstimmung.

Ich frage Sie, wer der Empfehlung des Gesundheitsausschusses folgen möchte und das Hamburgische Gesetz zur Ausführung des Transplantationsgesetzes aus Drucksache 21/11902 beschließen möchte. – Wer nicht? – Gibt es Enthaltungen? – Dann ist das bei einer Gegenstimme so beschlossen.

Es bedarf einer zweiten Lesung.

(Der Senat gibt seine Zustimmung zu erken- nen.)