Protokoll der Sitzung vom 13.04.2000

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

Dieser Tage führt Herr Rüttgers erneut mit ausländerfeindlichen Parolen Wahlkampf, Herr Thomas. Sie und die eben Zitierten machen damit aber nichts anderes, als Herrn Stoiber zu folgen, der unter dem Beifall der Delegierten auf dem CDU-Bundesparteitag forderte, die Lufthoheit über den Stammtischen zu erhalten oder wiederzuerlangen. Uns bleibt also, meine sehr verehrten Damen und Herren, als Landesparlament, diesem Treiben, weil die Mehrheiten so sind, stillschweigend zuzusehen, etwas dagegen zu unternehmen oder es zumindest zu versuchen.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesrepublik hat sich zwar mit Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention 1992 verpflichtet, bei allen staatlichen Handlungen gegenüber Kindern, also auch gegenüber ausländischen Kindern, vorrangig das Kindeswohl zu beachten, hat aber bei der Ratifizierung der Konvention einen schriftlichen Vorbehalt erklärt, der lautet, „die Konvention fände keine unmittelbar innerstaatliche Anwendung und beschränke nicht das Recht der BRD, Gesetze und Verordnungen über die Einreise oder den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern zu erlassen.“

1992 hatten wir bekanntlich leider eine CDU-geführte Bundesregierung. Wäre es also nicht jetzt an der Zeit, die rot-grüne Bundesregierung aufzufordern, diesen Vorbehalt zurückzunehmen, und wäre es denn nicht wichtig, dass diese Aufforderung aus unserem Bundesland kommt?

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es sind immer „nur“ Einzelfälle, besser gesagt Einzelschicksale, die uns in unserem Land auf die Situation der Flüchtlingskinder aufmerksam machen. In Deutschland gibt es zur Zeit circa 220.000 minderjährige Flüchtlinge, darunter 5.000 bis 10.000 so genannte unbegleitete Minderjährige. Ihre kinderspezifischen Fluchtursachen sind:

Krieg und Bürgerkrieg, bei denen viele auch zum Waffendienst gezwungen werden,

Verfolgung wegen politischer Tätigkeit oder als Familienangehöriger politisch Verfolgter,

Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe

und zunehmend auch geschlechtsspezifische Verfolgung bei Kindern.

Viele dieser Flüchtlingskinder müssen nicht nur mit diesen Erfahrungen leben, die sie auf der Flucht gesammelt haben, sondern sie leben auch in der ständigen Angst vor Abschiebungen, mit Orientierungslosigkeit, mit psychischen Störungen. Sie leben als Kinder ohne Kindheit. Säbelrasseln, meine sehr verehrten Damen und Herren? Nein, ich glaube, wir sind aufgefordert zum Handeln. Was nützt eine Aktuelle Stunde des Landtages zum Thema „Jugend und Zukunft“, in der wir auch die latente Ausländerfeindlichkeit unserer Jugendlichen beklagen, und gleichzeitig nichts unternehmen wollen,

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

um Kindern und Jugendlichen, die nur ein Problem haben, nämlich nicht deutsch zu sein, keine Zukunft zu geben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, als Vorsitzender eines Jugendhilfeausschusses muss ich mich bei allen Entscheidungen von einem Grundsatz leiten lassen – dem Kindeswohl. Ich würde mir wünschen, dass dieser Grundsatz für alle gilt, für alle Kinder und für alle Politiker. Ich bitte Sie daher dringend um Zustimmung zu unserem Antrag.

Zum Abschluss lassen Sie mich noch aus einem Brief zitieren, den die Bundesbeauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen an den Innenminister des Landes gerichtet hat. Dort heißt es: „Sehr geehrter Herr Minister,“ es geht um die Abschiebung einer

(Angelika Gramkow, PDS: Familie.)

armenischen Familie mit Kindern, „Sie werden vor diesem Hintergrund sicherlich verstehen, dass mich das Vorgehen der Regierung von Mecklenburg-Vorpommern, die von einer SPD-PDS-Koalition getragen wird, im Falle der Familie X überrascht.“ – Danke schön.

(Beifall bei der PDS und Rudolf Borchert, SPD)

Das Wort hat jetzt der Innenminister. Bitte sehr, Herr Dr. Timm.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Herr Schädel, ich erkenne in Ihrem persönlichen Engagement für Ausländer und insbesondere auch für Frau Koleba und ihren Sohn Denni ein außerordentlich starkes persönliches, menschliches Engagement. Aber ich muss Ihnen sagen, wenn Sie den anderen, die sich auch mit diesem Fall und im Übrigen mit Ausländerfragen beschäftigen, Leichtfertigkeit bei ihren Entscheidungen unterstellen, mir und allen anderen, die sich damit befasst haben, dann bin ich ein wenig erschüttert über diese Intoleranz Andersdenkenden und Andershandelnden gegenüber, die sich wahrlich diese Aufgabe nicht leicht machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der CDU – Zuruf von Monty Schädel, PDS)

Das muss ich Ihnen in aller Klarheit sagen. Befasst haben sich mit diesem konkreten Fall, hinter diesem Antrag stehe ja nicht nur ich selbst, mein Staatssekretär, die Beamten meines Hauses, die Ausländerbehörde in Neubrandenburg – das Bundesamt zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hätte ich vielleicht gleich zuerst nennen müssen –, die Härtefallkommission und viele

andere Institutionen, die getragen werden von Mitarbeitern, die in dieser Arbeit stehen und jeden Einzelfall auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen und anderer Daten, die für Entscheidungen notwendig sind,

(Monty Schädel, PDS: Es geht nicht um den Einzelfall.)

wahrlich nicht leichtfertig entscheiden. Dazu sind sie da.

Sie haben, Herr Schädel, zum Eingang Ihrer Rede gesagt, dass hier andere, gemeint war ja auch ich, leichtfertig mit diesen Dingen umgehen.

(Zuruf von Monty Schädel, PDS)

Wahrlich nicht, wahrlich nicht. Und ich will Ihnen sagen, dass wir in der Innenministerkonferenz jedes Mal insbesondere über die Frage sprechen, wie es in dem ehemaligen jugoslawischen Gebiet, zuletzt im Kosovo, davor in Bosnien, weitergehen soll und wie man die Flüchtlingsprobleme, die jetzt die Bundesrepublik Deutschland insgesamt und ihre Bundesländer zu tragen hat, bewältigt.

(Monty Schädel, PDS: Herr Innenminister, wir sprechen nicht über Denni, wir sprechen über alle anderen genauso.)

Jedes Mal haben wir uns damit befasst und sehr oft, Herr Schädel, mit Hans Koschnik, der uns aus seiner Arbeit von da unten sehr authentisch berichtet hat, und wahrlich auch nicht leichtfertig. Hans Koschnik hat Folgendes gesagt: Die Bosnier, die hier leben, werden für den Aufbau da unten dringend gebraucht. Und nur in drei Fällen oder bei drei Gruppen sollten die Innenminister darauf achten, dass der Einzelfall insbesondere unter humanitären Gesichtspunkten so behandelt wird, dass eine Rückführung verzögert werden sollte oder auch ausgesetzt werden sollte. Und diese drei Fälle will ich Ihnen nennen:

erstens bei traumatisierten Personen, die in Lagern dort unten gewesen sind und schwere Traumata davongetragen haben,

zweitens bei Kindern, die elternlos sind und sich bei uns aufhalten, und

drittens bei pflegebedürftigen Personen, die hier in Pflegeheimen sind und deswegen nicht zurückgeführt werden können.

Das sind die drei Personengruppen, um die sich die Innenminister jeweils sehr intensive Gedanken gemacht haben, und zwar gemeinsam mit Hans Koschnik.

Sie haben zu Recht erwähnt, dass sich die Härtefallkommission des Landes Mecklenburg-Vorpommern, die übrigens auch durch mich persönlich sehr deutlich und sehr stark unterstützt wurde, bei ihrer Einrichtung damit befasst hat und sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht hat, aber eben entscheiden musste, dass auf Grundlage der geltenden rechtlichen Bestimmungen und des Ausschöpfens aller rechtlichen Möglichkeiten kaum noch Möglichkeiten bestehen, diese Mutter mit ihrem Kind hier zu behalten. Der Strohhalm, der von der Härtefallkommission gesehen wurde, ist ja erwähnt worden und noch ist die Mutter mit ihrem Sohn in Neubrandenburg oder jedenfalls in Mecklenburg-Vorpommern. Und ich persönlich, das will ich Ihnen wenigstens an dieser Stelle auch noch einmal deutlich sagen, Herr Schädel, habe mit

Ihnen bereits seit August 1999 schriftlich, persönlich und in anderen Gremien diese Dinge erörtert. Herr Staatssekretär Bosch hat das gemacht,

(Zuruf von Heike Lorenz, PDS)

die Beamten meines Hauses und viele andere haben sich damit befasst, auch Landtagsabgeordnete. Und ich sage Ihnen von der PDS, wir machen im Einzelfall das, was wir machen können. Nur wenn ein Einzelfall benutzt wird, um ein Problem zu thematisieren, das letztlich dem Einzelfall schadet, dann können wir nichts mehr machen. Ich bitte Sie einfach in Zukunft, bei Einzelfällen diese Dinge möglichst so zu behandeln, dass man damit auch einzelfallbezogen umgehen kann. Deutlicher will ich es an dieser Stelle nicht sagen,

(Angelika Gramkow, PDS: Das stimmt. Still- halten, Herr Innenminister, muss das sein?)

aber ich muss als Innenminister die Gesetze des Bundes und des Landes beachten und Sie brauchen das zu ihrer Antragsformulierung möglicherweise nicht, das müssen Sie entscheiden.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Heike Lorenz, PDS: Sie haben sie doch beachtet. Das ist jetzt aber ungerecht.)

Aber ich sage Ihnen, die Gewaltenteilung in Mecklenburg-Vorpommern schützt auch einen Landesminister davor, gesetzeswidrige Beschlüsse des Landtages zu vollziehen. Das werde ich nicht tun, das sage ich Ihnen in aller Klarheit, das werde ich nicht tun.

(Angelika Gramkow, PDS: Das ist also gesetzeswidrig nach Ihrer Sicht.)

Ich will auch noch einmal aus Paragraph 54 des Ausländergesetzes zitieren.

(Monty Schädel, PDS: Das haben wir heute schon dreimal gehört.)

Ja, ich will es noch einmal tun, denn das ist genau der Paragraph, Herr Schädel, auf den Sie sich stützen.

(Monty Schädel, PDS: Ja, natürlich.)

Seit einem halben Jahr diskutieren wir darüber.

(Monty Schädel, PDS: Nein, wir haben über den Einzelfall diskutiert.)