Protokoll der Sitzung vom 12.07.2000

Dagegen wird wohl niemand etwas vorbringen können.

(Harry Glawe, CDU: Denken Sie mal an Ihre Wahlkampfversprechen!)

Das war eine Forderung, die auch von den Gewerkschaften erhoben wurde, der Rechnung getragen worden ist.

(Harry Glawe, CDU: Jaja.)

Durch die Finanzierung der Beiträge für Kindererziehungszeiten und zur Erstattung einigungsbedingter Leistungen sind rund 25 Milliarden DM aus den Steuermitteln korrigiert worden. Der Beitragssatz konnte so von 20,3 auf 19,3 Prozent gesenkt werden. Das ist ein arbeitsmarktpolitisch wirksamer Faktor gewesen.

(Harry Glawe, CDU: Oje, oje!)

Die Schwankungsreserve zur Rentenversicherung wurde 1999 um 8 Milliarden DM erhöht. Durch die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ist – sicher nicht in dem Maße, wie wir es uns erhofft haben – doch eine Steigerung der Beitragszahler durch neue Arbeitsverhältnisse erreicht worden. Gegen Widerstände wurden auch die Scheinselbständigen in die Rentenversicherung einbezogen. Auch das ist ein weiterer Aspekt, der sich positiv für die Beitragszahler ausgewirkt hat.

Die jetzige Generation erwirbt Rentenansprüche mit Beitragsleistungen von 19,3 Prozent. Ich halte es – da würde ich Ihnen zustimmen – nicht für vertretbar, heute für die Berufsanfänger ab dem Jahr 2025 mit einem Beitragssatz von 24 Prozent zu kalkulieren. Ich würde es für sehr gut halten, wenn im Zuge der Gespräche die einmal ausgesprochenen 22 Prozent eingehalten werden könnten.

Aber das setzt Verhandlungsbereitschaft, den Willen zum Konsens auf allen Seiten voraus, und für einige der CDUMitglieder in diesem Landtag scheint das ja ein gangbarer Weg zu sein, wenn ich Herrn Glawe in dieser Richtung interpretieren darf.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Wir sind ja auch nicht Lafontaine.)

Ein Beitragssatz von 24 Prozent oder mehr wäre zu erwarten gewesen bei der Fortsetzung der Rentenpolitik der früheren Bundesregierung. Einnahmenstärkung – sicher, die wirkungsvolle Konsolidierung der Rentenfinanzen muss auf diese Weise in erster Linie versucht werden zu erreichen. Allein durch die Stärkung der Einnahmenseite wird es aber nicht gelingen, eine nachhaltige Zukunftsfestigkeit der Rentenversicherung zu erreichen. Das kann nur durch die in Rede stehende Strukturreform der Renten geschehen, die diesen Namen „Strukturreform“ auch verdient. Aufgabe einer Reform für den Bereich der Alterssicherung muss meines Erachtens die weitgehende Sicherung des Lebensstandards sein und daran muss sich jedes Rentenreformkonzept messen lassen.

Es konnte so nicht weitergehen wie in der vergangenen Regierung, die die Alterslast künftigen Generationen einseitig über die gesetzliche Rentenversicherung aufbürden wollte. Die heutigen Beitragszahler müssen durch den Aufbau einer zusätzlichen kapitalgedeckten Altersvorsorge dazu beitragen, dass der Beitragssatz im Umlageverfahren für künftige Beitragszahler bezahlbar bleibt.

Wenn man Wissenschaftler befragt, wie sie sich ein modernes zukunftsfähiges Alterssicherungssystem vorstellen, kommt immer wieder die Aussage, man muss den Anteil der kapitalgedeckten Eigenvorsorge an der Alterssicherung erhöhen, um einen ausgewogenen Risikomix zu bekommen, um eine Finanzierung auch für die, die keine private Vorsorge treffen können, sichern zu können. Jedem muss bewusst sein, dass die Reform der Alterssicherung eine historische Aufgabe ist, zu der der Konsens der großen Parteien eingefordert und angestrebt werden muss.

(Zuruf von Annegrit Koburger, PDS)

Das ist nicht das Ende einer solidarischen Rentenversicherung, wie hier von der linken Seite immer ein bisschen apostrophiert wird, sondern es muss ein modernes Fundament für die Anforderungen in den künftigen Jahren geschaffen werden. Und das ist nur möglich, wenn jede Generation ihren Beitrag dazu erbringt, die Rentner durch die Einführung eines Ausgleichsfaktors nicht betroffen werden. Ihr Beitrag zur Stabilisierung des Systems besteht künftig darin, dass der Anstieg sich in dem Umfang verlangsamt, in dem den Aktiven der Einstieg in die Eigenvorsorge zugemutet wird. Damit folgt das Konzept der Philosophie einer Nettoanpassung. Für mich ist nicht verständlich, warum das nach zwei Jahren nicht eine Grundlage für die Beteiligung an der Diskussion seitens der CDU-Bundestagsfraktion ist.

Auch das Thema, Kinder stärker zu berücksichtigen, ist in dem Ansatz, den die SPD vorgelegt hat, enthalten.

(Harry Glawe, CDU: Jaja. Ich hab’s vorgetragen: 1,67 Mark. – Dr. Ulrich Born, CDU: 1,67 Mark.)

Zu Einzelheiten ist vielleicht später in einer Diskussion noch was zu sagen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Müller von der PDS-Fraktion. Bitte sehr, Frau Müller.

Werter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zehn Jahre nach der Zusammenführung der beiden deutschen Staaten haben wir gewiss sehr viele Themen, an denen noch viel zu arbeiten ist in Zukunft, in der Gegenwart. Und bei dem Thema Rente, bin ich der festen Überzeugung, haben wir nicht nur Gegenwart und Zukunft zu bedenken, sondern auch die Vergangenheit.

Und ich höre es sehr wohl, Herr Glawe und Herr Rehberg, wenn Sie trotz Ihrer gleichen Bausteine im Computer gleiche Redekonzepte haben,

(Heiterkeit bei Annegrit Koburger, PDS)

dass Sie für soziale Gerechtigkeit eintreten, vor allen Dingen bei der Rente.

(Harry Glawe, CDU: Das ist Ihnen ja verloren gegangen. Sie sind ja nicht mehr sozial.)

Aber ich muss doch feststellen, wenn wir sehen, in welcher Art und Weise Rentenreform gemacht wurde, dass ein enormer Reformstau besteht. Und den hat nicht die SPD verursacht,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Doch!)

denn in den vergangenen zehn Jahren wäre sehr viel Zeit gewesen, bestimmte Dinge zu bedenken.

(Harry Glawe, CDU: Ah, die SPD hat viele Wahlversprechen gemacht.)

Und deswegen muss ich...

Ich meine jetzt Ost zehn Jahre.

... eingehen auf die Dinge, die Sie nach massivem Protest, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, versucht haben bei Überführungslücken bereits zu glätten, zu kitten, aber ich muss auch eingehen auf die Dinge, die in der Zwischenzeit passiert sind und die bei der Rentenreform, so, wie sie jetzt vor uns liegt, in keiner Art und Weise Betrachtung finden oder nur in Abstrichen oder in einer Art und Weise, mit der die PDS-Fraktion nicht mitgehen kann.

Es gibt, wie gesagt, nach wie vor Überführungslücken. Und es ist nun mal so, dass Werktätige in der DDR davon ausgehen mussten, dass sie mit dem Versicherungssystem der DDR für ihre Rente im Alter gearbeitet hatten und auch Anspruch hatten. Natürlich gab es in der DDR Rentenversicherungssysteme, Zusatzsysteme, die es in der BRD nicht gab. Diese auf eine Art und Weise zu überführen, dass Anspruchsanwartschaften erhalten bleiben, war eigentlich Sinn und Zweck auch der Einigungsverhandlungen zwischen BRD und DDR.

Überführungslücken hat es in vielen Ecken gegeben. Es wurden nachgewiesenermaßen mit den Rentenüberleitungsgesetzen, mit den Änderungen der Rentenüberleitungsgesetze auch manche Lücken schon geschlossen. Aber es ist manche Lücke nach wie vor vorhanden und es hat sich auch neues Unrecht eingeschlichen.

Wer sind diejenigen, die bei uns in den neuen Bundesländern immer noch betroffen sind von Rentenunrecht? Das sind einmal diejenigen, die bei der Deutschen Post gearbeitet haben beziehungsweise bei der Deutschen

Reichsbahn. Sie hatten eine Art und Weise, in Renten einzuzahlen, die es, wie gesagt, in der BRD nicht gab. Trotzdem haben sie Anwartschaften erhoben und sie kämpfen inzwischen ganz verbittert um ihre Renten und um ihre Anwartschaften, auf die sie ein Anrecht haben. Und ich bitte Sie, meine Damen und Herren, nicht so lange zu warten, bis sich bei den heutigen Rentnern ihre Anwartschaft biologisch erledigt hat. Das ist unfair, das ist inhuman und dafür können wir nicht stehen.

Auf die gleiche Art und Weise bestehen Überführungslücken nach wie vor bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der so genannten staatsnahen Ämter und Behörden.

(Wolfgang Riemann, CDU: Logisch, Stasi-Rente erhöhen.)

Meine Damen und Herren, staatsnah arbeitende Menschen haben gearbeitet für die DDR und im Sinne ihrer. Und Rentenstrafrecht ist eigentlich eine Sache, die nicht sein darf. Selbst die Verbände VDK und BRH, die nun wahrhaftig nicht in dem „Verruf“ stehen, PDS-geleitet und -geführt zu sein, haben sich als Bundesverbände dafür ausgesprochen, Rentengerechtigkeit auch gegenüber den Personen, die da gearbeitet haben, walten zu lassen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Und da sollte man doch mal anfangen nachzudenken, inwieweit man hier in diesem Staat, der sich als zivilisiert und humanistisch bezeichnet, Rente als Strafrecht walten lässt.

(Harry Glawe, CDU: Und was machen Sie mit den Opfern?)

Meine Damen und Herren, das hat es in Deutschland nur ein einziges Mal gegeben, und zwar im faschistischen Deutschland gegenüber Juden. Und das ist eine Angelegenheit, die können wir als PDS-Fraktion nicht mittragen.

(Unruhe bei Abgeordneten der CDU – Dr. Berndt Seite, CDU: Das ist ja unerhört. – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Weitere Überführungslücken: Sonderpflegegeldempfängerinnen und -empfänger und Blindengeldempfänger der DDR haben nach wir vor das Problem, dass sie für ihre Arbeitsjahre vom 01.01.1972 an bis zum 31.12.1991 – ich bitte das zu beachten –, also zwei Jahre nach der Einigung, keine Renten angerechnet bekommen.

(Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Die Begründung ist ganz einfach, dass da keine Beiträge gezahlt wurden von den Arbeitnehmern,

(Wolfgang Riemann, CDU: Und das Land kürzt das Blindengeld. – Zuruf von Georg Nolte, CDU)

nur von den Arbeitgebern, und demzufolge keine Rente berechnet werden kann.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Wolfgang Riemann, CDU: Das ist die Wahrheit. Das ist die Wahrheit.)