Protokoll der Sitzung vom 20.04.2005

(Wolfgang Riemann, CDU: Es sind immer noch Fraktionen, keine Parteien!)

Von den Fraktionen, Herr Riemann, Entschuldigung, das bitte ich zu korrigieren. Die Koalitionsfraktionen haben einen Antrag vorgelegt und dieser findet meine volle Unterstützung. Ich denke, er wird für die Gesundheit der Frauen im Land gute Impulse geben. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Danke schön, Frau Ministerin.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der CDU die Abgeordnete Frau Schlupp. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

(Beifall Wolfgang Riemann, CDU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem uns vorliegenden Antrag bitten die Koalitionsfraktionen die Landesregierung „die Gesundheitsberichterstattung in Mecklenburg-Vorpommern in Zukunft umfassend geschlechtsspezifisch zu gestalten“. Das hört sich vernünftig an, zumal heutzutage wohl niemand ernsthaft bestreiten wird, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede beispielsweise bei Krankheitsrisiken oder Erkrankungshäufigkeiten bei bestimmten Krankheitsbildern gibt. Warum aber muss die Landesregierung erst gebeten werden, die Gesundheitsberichterstattung entsprechend zu gestalten? Doch der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail; in diesem Fall ganz konkret in der Begründung und vielleicht im Wörtchen „umfassend“.

So sollen die Auswirkungen der unterschiedlichen Lebenssituationen von Frauen und Männern analysiert werden, eine Mammutaufgabe, da ja schon die Lebenssituationen von Frauen an sich sehr differenziert sind. So spannt sich der Bogen von einer kinderlosen Hausfrau bis zur alleinerziehenden berufstätigen Mutter mit drei oder mehr Kindern, von der 14-jährigen Mutter bis zur Rentnerin ohne jede Familie. Aber selbst innerhalb einer so definierten homogenen Gruppe kommt es über das Einkommen, die genossene Erziehung oder die Qualifikation zu großen Unterschieden. Um also Lebenssituationen abzubilden, müssen große Mengen an personenbezogenen

Daten erhoben werden. Und dann stellt sich die Frage: Ist eine solche Datenerhebung datenschutzrechtlich gedeckt? Und wenn ja, wer soll die Daten erheben? Denkbar wäre, dass die Ärzte das übernehmen.

(Beifall Wolfgang Riemann, CDU)

Um aber Daten in vergleichbarer Qualität zu erhalten, müsste die Erfassung auf gesonderten Vordrucken erfolgen. Doch die Ärzte klagen ohnehin schon über die überbordende Bürokratie, die ihnen immer weniger Zeit für die Patienten lässt. Würde dieser Aufwand allerdings vergütet, käme man wahrscheinlich zu einer Einigung. Aber wer soll die Kosten tragen? Die Krankenkassen und letztendlich die Beitragszahler? In Anbetracht der teilweise erheblichen Wartezeiten beim Arztbesuch können die Patienten natürlich auch selbst entsprechende Fragbögen ausfüllen. Sollten sie das freiwillig tun oder müssten sie es tun? Bei der Freiwilligkeit wiederum besteht die Gefahr, dass die Daten nicht mehr repräsentativ sind. Und wer wertet die Fragebögen dann aus? Wer bezahlt die Auswertung? Und was ist mit denjenigen, die, weil sie keinen Krankenschein zum Nachweis für den Arbeitgeber brauchen, auf einen Arztbesuch verzichten oder nur im äußersten Notfall einen Arzt aufsuchen? Die tauchen in keiner Statistik auf. Ist also die Gesundheitsberichterstattung das geeignete Instrument oder wäre eine Studie mit definierten und deshalb repräsentativen Testpersonen, die auch bereit sind, umfassend über ihre Lebensumstände zu berichten, das Mittel der Wahl?

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren von SPD und PDS, Sie beziehen sich in Ihrer Begründung unter anderem auf die Gesundheitsberichterstattung aus Brandenburg. Die allerdings wird den Ansprüchen, die Sie in Ihrem Antrag und in der Begründung definiert haben, nicht gerecht. Die dort aufgeführten statistischen Daten lassen sich sicher recht unproblematisch erheben. Sie lassen allerdings keine Rückschlüsse zu, unter welchen auch nur einigermaßen konkret definierten Lebensumständen bei Frauen oder Männern welche gesundheitlichen Probleme oder Risiken gehäuft auftreten, denn sie lassen sich nicht verknüpfen. Auch erschließt sich mir nicht, welche wirklich neuen Erkenntnisse sich aus diesem Datenmaterial ableiten lassen, und das, obwohl auch dieser Bericht bereits ziemlich umfangreich ist.

Wenn mit den bei uns erhobenen Daten die Gesundheitswirtschaft in Mecklenburg Vorpommern weiterentwickelt werden soll, müssten die Daten weiter spezifiziert werden. Wenn ich unterstelle, dass sich Ihr Ansinnen auch auf Gesundheitsangebote erstreckt, die aus eigener Tasche bezahlt werden müssen, sind die für Mecklenburg-Vorpommern insgesamt erhobenen Daten wiederum nicht repräsentativ. Und was würden wir mit den Ergebnissen machen? Die gesetzlich geregelten Versicherungsleistungen unterliegen Bundesrecht. Auf Bundesebene ist wiederum eine Situationsbeschreibung aus MecklenburgVorpommern nicht aussagekräftig, also kann nur die Landesregierung die Ergebnisse in ihre Gesundheitspolitik einbinden. Und wenn dadurch Kosten entstehen, ist die Landesregierung dann auch bereit und in der Lage, das Geld zur Verfügung zu stellen?

Sie sehen, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Antrag bedarf erheblicher Konkretisierungen. Ich erwarte in den nächsten Redebeiträgen konkrete Antworten auf die aufgeworfenen Fragen. In der vorliegenden Form des

Antrages fehlen konkrete Aussagen, welche Daten in welcher Breite und Tiefe mit welcher konkreten Zielrichtung und welchen Instrumenten erhoben werden sollen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Zuruf von Angelika Peters, SPD)

Ein weiterer Bericht nur um des Berichtens willen und mit allgemeinen Handlungsempfehlungen, steht mit seinem Aufwand in keinem Verhältnis zum zu erwartenden Nutzen und wird von uns keine Zustimmung erhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Danke schön, Frau Schlupp.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der PDS der Abgeordnete Herr Koplin. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

(Heiterkeit bei Rainer Prachtl, CDU: Aber jetzt mal was zu den Männern sagen, Herr Koplin!)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Geschlechtsspezifische Gesundheitsberichterstattung umfasst ja selbstverständlich, Herr Prachtl, das Geschlecht der Männer und der Frauen.

(Zuruf von Angelika Peters, SPD)

Wir haben von der Sozialministerin gehört, dass in dem in Erarbeitung befindlichen Bericht von 245 Indikatoren – 225 sagte sie – 145 bereits nach Geschlechtern getrennt analysiert sind. Das ist gut zu wissen. Ich denke, insgesamt besteht das Problem bundesweit darin, dass wir in der Sozialberichterstattung – und insofern ist es eine Überlegung wert – die geschlechtsspezifische Berichterstattung auf die Sozialberichte ausdehnen. Aber die Fraktionen der SPD und PDS haben sich erst einmal entschlossen, diesen einen Schritt zu gehen und die Intentionen, die Frau Monegel hier vorgetragen hat und die wir voll und ganz teilen als PDS-Fraktion, zum Tragen zu bringen.

Die WHO hat 1986 in ihrer Charta fixiert, dass Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitsförderung zusammenhängen. Frau Schlupp, Sie haben wirklich viele ernsthafte Fragen aufgeworfen. Auf einige kann ich nur eingehen, andere müssen noch weiter durchdacht werden. Das muss man einfach so sagen. Sie haben das immer wieder mit einem Blick auf die Ökonomisierung der Gesundheit getan – wer kann das bezahlen, wie soll das finanziell geregelt und strukturiert werden –, …

(Wolfgang Riemann, CDU: Das war aber nur ein Teilaspekt der Rede.)

Ja, ja, das will ich wohl zugestehen.

… bis dahin sich in Details zu äußern über das Wie der Berichterstattung und wie es zustande kommen soll. Ich denke, wir sollten die Zuständigkeiten nicht zwischen Exekutive und Legislative verwischen. Es geht uns erst einmal darum, die politische Richtung deutlich zu machen. Da gibt es bei allem Hervorhebenswerten, was Frau Monegel und die Sozialministerin bereits sagten, noch vieles, was noch nicht so gut ist und berücksichtigt werden muss.

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Ich möchte meinen Redebeitrag insofern umstellen und mich noch einmal zu Anregungen für den Bericht des Jahres 2005 äußern, der womöglich dem nächsten Landtag

vorgelegt wird. Die geschlechtsneutrale Berichterstattung, die es in vielen Bereichen gibt, auch teilweise noch in der Gesundheitsberichterstattung, hat ihre Ursachen, Frau Schlupp, in der Ökonomisierung der Gesundheit. Das, denke ich, ist ein Manko. Von daher kann und muss die Veränderung nur von der Politik ausgehen. Die Berücksichtigung der Frauengesundheit ist insofern kein emotionales, kein fachlich-technisches und kein feministisches Thema, sondern eigentlich der erste wesentliche Schritt, um geschlechtsspezifische Medizin zum Tragen zu bringen.

Die Anregungen, die ich geben möchte, beziehen sich auf vier Punkte. Wir brauchen, denke ich, als Politikerinnen und Politiker Informationen über gesundheitliche Belastungen und Ressourcen, also eine Risikoberichterstattung. Darauf haben Sie, Frau Schlupp, ja bereits Bezug genommen. Sie haben gefragt, wenn ich Sie richtig verstanden habe: Was wollt ihr denn eigentlich mit den Berichten erreichen? Unter Risikoberichterstattung fasse ich solche Gedanken wie: Welches Krankheitspanorama haben wir insgesamt im Land? Ursache und Wirkung, also nicht allein die Tabellen und die Statistiken, sondern gibt es Ursache-Wirkung-Zusammenhänge, die sich darstellen lassen? In einigen Bereichen wird das nicht möglich sein, da muss man das benennen, und in anderen Bereichen lässt sich das bis hin zu Erfahrungen über die Wirksamkeit von Präventionsprojekten darlegen.

Es gibt eine Menge von Modellprojekten und Präventionsanstrengungen in vielen Vereinen, Verbänden und Institutionen, die sich mit Gesundheitspolitik befassen. Wir werten das zu wenig aus und ich fasse mir auch an die eigene Nase. Wir machen aus den Daten und Fakten, die wir von der Landesregierung oder auch von der Bundesebene vorgelegt bekommen, noch zu wenig. Die Spezifizierung, die wir hier erreichen wollen, ist notwendig und richtig. Zugleich möchte ich daran appellieren, dass wir mehr aus den Dingen machen, die uns vorliegen.

Zweitens brauchen wir Informationen über Umfang, Art und Verteilung von Erkrankungen, die traditionelle Krankheitsberichterstattung. Hier geht es um die geschlechts-, regions-, arbeits- und schichtungsspezifische Erfassung von Erkrankungen und Todesursachen. Wir haben mehrfach an verschiedenen Stellen zum Beispiel über Zusammenhänge von Armut und Gesundheit gesprochen. So etwas muss sich natürlich in einem Gesundheitsbericht wiederfinden, wenn wir Politik wirkungsvoll gestalten und gegensteuern wollen. Wenn wir etwas tun wollen, damit die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes einen besseren Gesundheitsstatus aufweisen, dann müssen wir wissen, wo wir ansetzen können.

(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD)

Drittens brauchen wir Informationen über die Ausstattung und Leistung einschließlich der Finanzierung der gesundheitsbezogenen Institutionen, eine so genannte Versorgungsberichterstattung.

Viertens. Wir brauchen Informationen über Gründe, Verlauf und Ergebnisse von Initiativen zur Verbesserung von Prävention und Krankenversorgungen. Ich habe das vorhin schon einmal angerissen, das wäre eine Politikberichterstattung. Sie würde faktisch den Kreis wieder schließen und über das, was wir bislang in der Gesundheitsberichterstattung erleben, hinausgehen. So weit meine Anregungen.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Es liegt an uns, die Gesundheitsberichterstattung zu einem wirksameren Instrument der politischen Gestaltung zu machen. Ich hoffe, dass wir uns darin einig sind. Frau Schlupp, viele Fragen, die Sie aufgeworfen haben, kann ich so auch noch nicht beantworten. Darüber müssen wir beim nächsten Gesundheitsbericht, dem ich mit Interesse entgegensehe, diskutieren. – Schönen Dank.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Vielen Dank, Herr Koplin.

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD …

(Torsten Koplin, PDS: Nein, nein! Frau Dr. Seemann wollen wir noch hören.)

Ich bitte um Entschuldigung, das war auf der Rednerkarte nicht vermerkt, obwohl die Anmeldung der Fraktion der SPD vorlag. Deshalb können wir die Aussprache noch nicht schließen und ich erteile Frau Dr. Seemann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte gleich vorneweg sagen, dass ich mich über den Antrag der Koalitionsfraktionen sehr gefreut habe, weil wir damit auch im Gesundheitsbereich das Gender-Mainstreaming-Prinzip, das von der Europäischen Gemeinschaft politisch initiiert, unterstützt, vorangetrieben und auch zwingend gefordert wird, umsetzen. Der EG-Vertrag regelte 1993 in Artikel 152 die Aktivitäten zum Thema Gesundheitswesen auf europäischer Ebene. Dort wurde festgelegt, dass künftig regelmäßig über die gesundheitliche Lage in der EG berichtet werden muss. 1997 erschien der zweite Bericht mit dem Thema „Frauen und Gesundheit“.

Diese Bestandaufnahme, meine Damen und Herren, bezog sich auf 191 Millionen Frauen, die damals in der Europäischen Gemeinschaft lebten. Das entspricht etwa 51 Prozent der Bevölkerung. Hierdurch – und das ist, denke ich, auch Vorbild für die geschlechterdifferenzierten Gesundheitsberichterstattungen in den einzelnen Ländern – wurden konkrete Probleme aufgedeckt und Schlussfolgerungen für die Gesundheitsprävention gezogen, da sich bislang vor allen Dingen Gesundheitsberichte auf die gesundheitliche Situation von Männern bezogen hatten.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, es geht bei der Anwendung des Gender-MainstreamingAnsatzes in der Gesundheitspolitik nicht darum, die Gesundheit der Frauen stärker in den Vordergrund zu rücken als die der Männer, so, wie ich das hier bei einigen Zwischenrufen fälschlicherweise vernommen habe. Es ist vielmehr so, dass die gesundheitlichen Probleme von Frauen und Männern aus biologischen, gesellschaftlichen und sonstigen Gründen getrennt zu erfassen und auszuwerten sind.

Und damit möchte ich auch noch einmal auf die Frage des Warum zurückkommen. Warum brauchen wir eine geschlechterdifferenzierte Gesundheitsberichterstattung? Weil es, das könnte man banal sagen, da werden

sicherlich einige lächeln, zwei Geschlechter gibt. Diese beiden Geschlechter haben unterschiedliche Lebensbedingungen, die wir auch gesondert wahrnehmen müssen. Gesundheit wird auch durch gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Bedingungen bestimmt und die sind nun einmal für Männer und Frauen verschieden. Das Robert-Koch-Institut Berlin hat die Vorteile dieser Betrachtungsweise für Frauen und Männer wie folgt konkretisiert: