Protokoll der Sitzung vom 20.04.2005

Gucken wir uns jetzt einmal andere Länder an wie Finnland, Frankreich, Schweden und auch die USA. Dort haben wir eine hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen und gleichzeitig viele Kinder. Wir haben dort also die Situation, dass gerade auch hochgebildete Frauen viele Kinder bekommen. Wo liegt aus meiner Sicht das Problem in Deutschland? Das Problem liegt in dem Spagat zwischen Beruf und Familie, vor allem der Mütter, da das tradierte Rollenbild in der Gesellschaft und auch privat nach wie vor vorherrscht.

Im Gegensatz zu Ländern wie den USA, in denen kein so stark ausgebautes Kinderbetreuungssystem besteht, haben wir in Deutschland die Situation, dass die Berufstätigkeit von Müttern nicht als selbstverständlich und ökonomisch sowie auch gesamtgesellschaftlich sinnvoll gesehen wird, sondern Mütter haben mit der Stigmatisierung zu leben, dass sie bei Berufstätigkeit als „Rabenmütter“ bezeichnet werden. Darauf ist übrigens auch Ursula von der Leyen eingegangen, die aus meiner Sicht sehr vernünftige Ansichten zur Familienpolitik hat. Frauen werden als Rabenmütter stigmatisiert und faktisch vor die Alternative gestellt, ob sie als Heimchen am Herd bestehen sollen oder sich dem Druck aussetzen sollen, in der Gesellschaft Familie und Beruf miteinander zu verbinden. Dabei wissen wir ganz genau, es gibt genug Untersuchungen, dass die Berufstätigkeit von Müttern überhaupt keine Nachteile für Kinder hat,

(Beifall Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

sondern im Gegenteil, die Berufstätigkeit von Müttern fördert zum großen Teil auch die Entwicklung von Kindern.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Was ist zu tun, wenn wir eine zukunftsfähige oder zukunftsorientierte Familienpolitik umsetzen wollen? Meines Erachtens brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Familienpolitik – und so wird es auch auf Bundesebene versucht anzugehen –, weg von der Schwerpunktsetzung auf direkte finanzielle Transferleistungen, hin zu einer Infrastruktur, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Elternteile zulässt.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Im Prinzip hat Frau Gramkow darauf auch schon hingewiesen. Deshalb ist nach meiner Ansicht die Voraussetzung für eine zukunftsorientierte Familienpolitik eine nachhaltige Gleichstellungspolitik,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

in der von der Politik zentrale Vorgaben und Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die Entscheidung für Kinder positiv beeinflussen. Das heißt, Männern muss die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ebenso möglich gemacht werden, wie für Frauen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie möglich sein soll. Hierzu brauchen wir eine gute Kinderbetreuung, meine sehr geehrten Damen und Herren, und die haben wir in Mecklenburg-Vorpommern, auch wenn wir zwischen den Kommunen unterschiedliche Elternbeiträge haben. Darauf muss man auch einmal hinweisen, dass das auf kommunaler Ebene geregelt wird. Wir müssen vor allen Dingen die Opportunitätskosten senken, wie Rürup das in seinem Gutachten deutlich gemacht hat. Das heißt, man muss darüber nachdenken, ob man nicht eine relativ gut bezahlte Elternzeit wie in Schweden einführt, und vielleicht überlegen, ob man nicht dann auch für die Männer einen verbindlichen Monat in der Erziehungszeit mit einbaut. Wir brauchen Steuerentlastungen und wir brauchen Anreize für Väter.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Angelika Gramkow, PDS)

Frau Fiedler-Wilhelm, wissen Sie, in Schweden hat es zumindest dazu geführt, dass mehr Väter sich an der Elternzeit beteiligen. Und vor allen Dingen wissen Sie, das Interessante daran ist, nicht nur die Frau wird zum Risiko für einen Unternehmer, wenn sie Kinder bekommt, sondern da Männer noch länger Kinder zeugen können, werden sie genauso für den Unternehmer zum Risiko, so dass wirklich vielleicht einmal die Qualifikation ausschlaggebend für Einstellungen und auch für Beförderungen gemacht wird.

Neben Maßnahmen in der Politik brauchen wir Maßnahmen in der Wirtschaft. Das heißt, wir brauchen eine familienbewusste – und ich sage ausdrücklich, eine familienbewusste und nicht eine familienfreundliche – Unternehmenskultur. Kinder dürfen nicht als Störfall gesehen werden,

(Torsten Renz, CDU: Wie wollen Sie das erreichen, Frau Seemann?)

sondern – dazu komme ich gleich – Kinder müssen zur Unternehmensstrategie werden. Das muss Auswirkungen haben auf die Personalplanung und Entwicklung. Herr Schlotmann ist vorhin schon auf die Konferenz neulich eingegangen. Da wurden von Unternehmern Beispiele vorgestellt, wie man eine vernünftige familienbewusste Personalplanung und -entwicklung machen kann. Wir brauchen eine vernünftige Arbeitsorganisation, flexible Arbeitszeiten, Familienunterstützung, das heißt, auch Unternehmen müssten daran Interesse haben, dass Kinderbetreuung und Dienstleistungen für Frauen, für Männer, die in ihren Unternehmen eingestellt sind, vorgehalten werden. Es muss endlich dazu kommen, dass die sozialen Kompetenzen, die in Familienphasen erworben werden, auch positiv anerkannt werden für Tätigkeiten in Unternehmen.

Ich gebe Ihnen Recht, Herr Renz, die Verantwortung liegt auch in der Gesellschaft insgesamt, aber auch bei jedem Einzelnen.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Das heißt, Kinder müssen auch akzeptiert werden.

(Harry Glawe, CDU: Sehr richtig, Frau Kollegin, sehr richtig.)

Wenn ich mir überlege, dass ich in meinem Wahlkreis einen Fall hatte, dass der Kinderlärm in einem Wohngebiet nicht akzeptiert wurde, weder in den Wohnungen noch vor den Häusern, so dass Familien mit Kindern weggezogen sind, dann, denke ich, liegt das auch zum Teil an jedem Einzelnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung hat im Zusammenhang mit Förderung von Familien, mit Förderung von Vereinbarkeit von Familie und Beruf einiges auf den Weg gebracht. Durch das ASP wurden Maßnahmen unterstützt. Dazu gehört das Programm „Modulare Qualifizierung in der Elternzeit“. Dieses Programm erfährt eine große Nachfrage und ist ein Erfolg. Wir haben zum Teil Wiedereingliederungen nach der Elternzeit über das Programm von über 70 Prozent. Bedauerlicherweise wird das so gar nicht in den Medien kommuniziert.

Wir haben Kinderbetreuung in den Randzeiten. Es hat die Tagung mit der Vereinigung der Unternehmensverbände gegeben und am 19. Mai wird es ein Gespräch von Vertretern der Landesregierung, dem Landesfrauenrat und der Vereinigung der Unternehmensverbände geben, um gemeinsam zu vereinbaren, was machen wir auf Landesebene und was muss aus Sicht der Wirtschaft passieren, um zu einer familienbewussteren Entwicklung hier in Mecklenburg-Vorpommern zu kommen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Vielen Dank, Frau Dr. Seemann.

Das Wort hat jetzt noch einmal der Abgeordnete Herr Renz von der CDU-Fraktion.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich muss Sie schon bewundern, welchen Mut Sie haben, ein Thema auf die Tagesordnung zu setzen, bei dem Sie im Prinzip kaum Erfolge aufzuweisen haben.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Das ist nämlich die Realität. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, in das Archiv des Landtages zu gehen und das Stichwort „Familie“ einzugeben, meine sehr geehrten Damen und Herren. Und Sie werden gar nicht glauben, wie groß die Anzahl der Treffer war: im Bereich der SPD null.

(Volker Schlotmann, SPD: Wir sind eben aktiv. – Heiterkeit bei den Abgeordneten)

Keine Anzeige im Landesarchiv, wenn es um konkrete Maßnahmen, konkrete Anträge von SPD-Politik geht.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Sie haben es noch nicht begriffen: Familienpolitik ist Querschnittsaufgabe!)

Das muss man mal klar und deutlich benennen, wenn Sie sich hier schon feiern lassen wollen. Generell würde ich kritisch anmerken, dass sehr wenig zum Thema Familienpolitik durch den Landtag oder durch die Landtage auf den Weg gebracht wurde.

(Reinhard Dankert, SPD: Sie machen Anträge und wir bearbeiten sie.)

1991 gab es zwei Anträge zur Enquetekommission, einmal beantragt von der F.D.P. und einmal von der SPD.

(Volker Schlotmann, SPD: Das sind Ihre Lösungen, Ihre Alternativen. – Zurufe von Rudolf Borchert, SPD, und Heinz Müller, SPD)

Die sind im Sande verlaufen. 1994 hatten wir einen CDU-F.D.P.-Antrag, der den Wortlaut „Verbindung von Familie und Berufstätigkeit, Wiedereingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt“ hatte,

(Zurufe von Volker Schlotmann, SPD, und Dr. Margret Seemann, SPD)

im Prinzip das Thema, was wir heute hier zehn Jahre später debattieren. Dann habe ich weiter emsig gesucht, Frau Dr. Seemann, und einen weiteren Antrag gefunden von CDU und SPD, die letzte Aktivität anscheinend von Ihrer Seite, und zwar in der 2. Legislaturperiode, ein Familienbericht.

(Volker Schlotmann, SPD: Sagen Sie mal, misst die CDU ihre Aktivitäten an der Anzahl der Anträge?)

Dieser Familienbericht, Herr Schlotmann, ist 1997 veröffentlicht worden und in diesem Familienbericht steht Folgendes, ich zitiere: „Im Jahr 2000 ist ein Dritter Familienbericht geplant,“

(Volker Schlotmann, SPD: Ein bisschen mehr Mühe hätten Sie sich geben können.)

„der neben der Situationsdarstellung der Familie dann auch wieder die familienergänzenden und unterstützenden Maßnahmen sowie Schwerpunkte der zukünftigen Familienpolitik beinhalten wird.“ Meine Damen und Herren, 2000! Wir haben jetzt 2005. Ich frage Sie: Was haben Sie als Koalitionäre seit 1998 konkret im Bereich der Familienpolitik getan?

(Angelika Gramkow, PDS: Zum Beispiel ein neues Schulgesetz vorgelegt, was Sie abgelehnt haben!)

Ich habe den Eindruck, sehr wenig. Bitte ersparen Sie es uns auch, vielleicht wahlkampfstrategisch hier 2006 einen Familienbericht auf die Tagesordnung zu setzen, den Sie dann per Antrag ankündigen. Sie sind im Verzug seit 2000!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und ich sage es einfach an dieser Stelle: Wir werden das Thema Familie in den nächsten Sitzungen wieder auf die Tagesordnung setzen. Wir als Arbeitskreis Soziales arbeiten an dem Thema und werden auch in der nächsten Landtagssitzung wiederum konkrete Maßnahmen hier auf den Tisch legen.

(Barbara Borchardt, PDS: Da sind wir gespannt auf Ihre Ergebnisse!)

Die Diskussion von Herrn Schlotmann ist schon erstaunlich. Dazu hätte ich eigentlich nichts gesagt, aber da Frau Dr. Seemann diesen Part noch einmal aufgegriffen hat, die Probleme der Demographie in den höchsten Tönen ausbreitete, sage ich Ihnen, auch da haben wir einen konkreten Antrag:

(Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Donnerstagabend, Bildung einer Enquetekommission zum Thema Demographie. Dann können Sie die Bedeu

tung dieser Thematik einfach noch mal auf die Tagesordnung bringen.