Protokoll der Sitzung vom 26.05.2005

Natürlich ist es ein wichtiges Thema der Zukunft, mit dem wir uns auch in Mecklenburg-Vorpommern auseinander setzen müssen und bei dem, denke ich, immer alle Parteien in die gleiche Richtung gehen müssen. Es gibt beispielsweise eine Studie der Bertelsmann-Stiftung und

des Kuratoriums Deutsche Altershilfe, die zu dem Ergebnis kommt, dass wir, wenn wir im Bereich der Pflege nicht umsteuern, bis zum Jahr 2050 einen weiteren Bedarf an Pflegeplätzen in einer Größenordnung von 800.000 zusätzlichen Pflegeplätzen in der Bundesrepublik Deutschland haben werden.

Was das angesichts unserer demographischen Situation für Kosten bedeutet, brauche ich hier keinem zu erklären. Deswegen ist eine Novellierung des Heimgesetzes dringend geboten. Es müssen alternative Wohn- und Betreuungskonzepte entwickelt werden, die es ermöglichen, mehr Menschen im ambulanten Bereich unterzubringen. Jeder, der vom Fach ist, kennt die Situation der Wohngruppenkonzepte. Da muss man heute ganz genau aufpassen, dass das Thema Mietvertrag vom Betreuungsvertrag getrennt ist, dass sich die Leute ihre Sozialstation selbst aussuchen dürfen und so weiter und so fort. Denn wenn das nicht erfüllt ist, ist man mit diesen Betreuungsformen im Heimgesetz – und das bedeutet, eine Mindestbauverordnung ist einzuhalten, die Heimpersonalverordnung ist einzuhalten – an dem Punkt, dass diese Wohn- und Betreuungsformen letztendlich nicht mehr zu finanzieren sind. Sie kosten ein Vielfaches von dem, was heute eine Heimunterbringung kostet. Deswegen bedarf es dringender Veränderungen auch im Bereich des Heimgesetzes. Diese Veränderungen waren eigentlich für den Herbst dieses Jahres vorgesehen. Da gab es entsprechende Referentenentwürfe, die schon relativ weit anberaten waren und die natürlich jetzt in der Schublade bleiben, weil wir uns erst einmal mit den Wahlen beschäftigen.

Und dann geht es ja nicht nur um das Thema Bürokratieabbau. Wir haben eine ganze Reihe von anderen wesentlichen Dingen, die man auch mit in Angriff nehmen sollte, wenn man sich dazu entschließt, das SGB XI zu verändern.

Ich will ein paar Beispiele bringen. Fangen wir an mit dem Begriff der Pflegebedürftigkeit: Der Begriff der Pflegebedürftigkeit heute im SGB XI ist sehr somatisch internistischer Natur, das heißt, geistige und psychische Beeinträchtigungen werden nicht hinreichend berücksichtigt. Besonders deutlich bemerkbar sind die Leistungsdefizite bei demenziell erkrankten Menschen. Hier bedarf es dringend einer Verbesserung, um diesem Personenkreis eine adäquate Leistung gewähren zu können.

Ich habe das Thema schon angesprochen, wenn man heute das SGB XI verändert, dann ist es meines Erachtens unabdingbar erforderlich, dass man eine Dynamisierung der Pflegeleistungen einbaut. Es kann nicht sein, dass dann wieder zehn oder über zehn Jahre ins Land gehen müssen und die Leistungen nicht angepasst werden.

Ein weiterer Punkt ist für mich die Frage der Feststellung von Pflegebedürftigkeit. Meines Erachtens ist es wichtig, dass im Rahmen dieser Feststellungsverfahren der tatsächliche Hilfebedarf eines Menschen festgestellt wird und dabei auch rehabilitative Elemente berücksichtigt werden. Wir müssen dazu kommen, dass den Grundsätzen „Prävention vor Rehabilitation“ und „Rehabilitation vor Pflege“ Rechnung getragen wird, das heißt, dass solche Verfahren bei uns Lebensrealität in der Pflege werden. Das ist eine Sache, die unbedingt realisiert werden muss.

Ein weiterer Punkt, den ich für sehr wichtig halte, ist die Einführung eines Entlassungs- und Überleitungsmanage

ments aus dem Krankenhaus. Auch da gibt es heute keine klaren Regelungen. Wir sind heute im DRG-System, das heißt, es gibt Fallpauschalen, die dazu führen, dass Menschen immer eher aus dem Krankenhaus entlassen werden. Davon sind …

(Harry Glawe, CDU: Die meisten gehen ja gar nicht zum Hausarzt, die gehen gleich zum Pflegedienst.)

Herr Glawe, Sie können hier gleich im Rahmen Ihrer Möglichkeiten Ihre Ausführungen machen, aber lassen Sie mich jetzt einfach meine Rede ordentlich zu Ende bringen

(Beifall Torsten Koplin, PDS – Harry Glawe, CDU: Ja.)

und dann können Sie gern an dieser Stelle Ihre Weisheiten verbreiten.

(Harry Glawe, CDU: Sie haben noch nicht zum Thema geredet.)

Das heißt, auch hier gibt es nach meinem Dafürhalten, wenn man schon zu Gesetzesänderungen kommt, Handlungsbedarf. Also man darf nicht nur das Thema Bürokratieabbau ins Auge fassen, sondern wenn man das SGB XI ändert und das Heimgesetz, dann muss man sich die komplette Palette vornehmen.

Ein weiterer Punkt, den ich Ihnen in diesem Zusammenhang nennen möchte, ist ein eigenständiger Leistungsanspruch der Tagespflege.

(Harry Glawe, CDU: Ja, unbestritten, Herr Kollege.)

Auch heute ist es so, dass Tagespflege nicht in hinreichendem Umfang in Anspruch genommen wird, weil diese Tagespflegeinanspruchnahme auf andere Leistungen des SGB XI angerechnet wird. Das wäre also ein weiterer Punkt.

(Harry Glawe, CDU: Das ist unbestritten, Herr Heydorn, dass es so sein muss. Da sind wir uns völlig einig.)

Noch ein Punkt ist die Stärkung von bürgerschaftlichem Engagement. Wenn man sich einmal ansieht, wie die Anzahl unserer älteren Menschen auch hier im Lande zunimmt und wie gerade der Anteil der Hochbetagten steigt, dann wird man sich darüber Gedanken machen müssen, wie man neben professionellen Strukturen letztendlich Menschen dazu bewegt, sich auf der Grundlage des Ehrenamtes im Bereich der Pflege zu engagieren und zu nützlichen Dingen zu kommen. Da muss man zusehen, dass auf der kommunalen Ebene gute Konzepte entwickelt werden.

Ich könnte diesen Forderungskatalog weiter fortsetzen. Er ist im Grunde genommen immer noch nicht abgeschlossen.

(Rainer Prachtl, CDU: Sie sollten mal zum Thema reden.)

Ja, Moment, ich rede zum Thema.

(Rainer Prachtl, CDU: Sie reden zum Ehren- amt, vom Fundament unserer Demokratie.)

Das ist nicht wahr. Moment, Moment, Herr Prachtl! Ich sage Folgendes noch mal: Meine These ist, wenn man das Heimgesetz und das SGB XI aufmachen muss, um Veränderungen vorzunehmen, die gegebenenfalls das

Thema Bürokratieabbau zum Ziel haben, dann bin ich bei Ihnen. Nur darauf sollte man sich nicht reduzieren. Ich zeige Ihnen nur auf, wo ich noch Veränderungsbedarf sehe und wo ich sage,

(Beate Schlupp, CDU: Machen Sie einen Änderungsantrag!)

das muss man dann gleich mitmachen, damit man zu ordentlichen Dingen kommt.

(Harry Glawe, CDU: Lassen Sie uns das im Ausschuss bearbeiten, dann können wir auch weiterreden.)

Und deswegen kann ich Ihnen nur sagen, meine Damen und Herren von der CDU, wenn man einmal losspringt, dann sollte man nicht zu kurz springen, sondern die Dinge komplett in Angriff nehmen, die erforderlich sind, um zu vernünftigen Verhältnissen im Bereich der Pflege zu kommen.

(Rainer Prachtl, CDU: Dann landen wir hinter Seehofer. – Zurufe von Harry Glawe, CDU, und Beate Schlupp, CDU)

Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Danke schön, Herr Abgeordneter Heydorn.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der PDS der Abgeordnete Herr Koplin. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

(Unruhe bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, würden Sie die Debatte vielleicht danach oder draußen weiterführen?! Danke schön.

Herr Koplin, bitte schön, Sie haben das Wort.

Es sind ja wichtige Dinge, die da zur Sprache kommen, weil Sie vermuten, und ich denke, völlig zu Unrecht vermuten, wir würden jetzt hier in Tiefschlaf fallen angesichts der Bundeswahlen.

(Harry Glawe, CDU: Ja, Sie dürfen das, Herr Koplin. – Beate Schlupp, CDU: So hat sich das angehört.)

Ach so, dann machen Sie hier sozusagen Unterschiede. Ich denke, das ist nicht angebracht.

Ich möchte Ihnen gern Folgendes sagen: In Auseinandersetzung mit dem Antrag wollte ich mich über Internetrecherchen nicht nur belesen und schauen, wie die Situation ist, um zu einer Empfehlung für meine Fraktion zu kommen, sondern ich habe mich in einigen Heimen auch noch mal umgeschaut und mich unter anderem nach der Frage der Bürokratie erkundigt. Mir ist bestätigt worden, dass es belastend ist für die Pflegerinnen, für das Leitungspersonal, für diejenigen, die damit umgehen. Eine solche Antwort habe ich erwartet, weil es sehr wohl viel Mühe macht, alles zu dokumentieren und die entsprechenden Dinge bereitzuhalten. Gleichwohl ist mir gesagt worden, es ist immer ein Abwägungsprozess, denn die Dokumentation der Pflege ist immer auch eine Sicherheit für die zu Pflegenden, und um die geht es letztendlich. Da

muss man sich den Antrag, den Sie gestellt haben, schon genau anschauen. Mir ist im Übrigen nicht bestätigt worden, das hätte mich auch verwundert, dass das Pflegepersonal vier bis fünf Stunden am Tag faktisch am Computer oder vor dem Karteikasten sitzen würde.

(Harry Glawe, CDU: Da haben Sie nicht nachgefragt, Herr Koplin. Das ist Ihr Problem.)

Ja, nachzufragen ist kein Problem, es ist einfach, sich schlau zu machen. Sie haben statistisches Material bemüht.

(Harry Glawe, CDU: Das scheinen Sie bis heute ja gar nicht gewusst zu haben.)

Ich will das nicht kommentieren, weil das auch nachlesbar ist, was Sie gesagt haben. Ich stelle es einfach nur in Frage. Das ist aber insofern nicht der Punkt.

Der Grundansatz des Antrages ist durchaus bedenkenswert und Bürokratieabbau, sagen die Expertinnen und Experten, ist gerade in der Pflege notwendig. Nun ergibt sich aber die Frage, ob Ihr Antrag hilfreich ist, um dem Problem Herr zu werden und eine Gegenentwicklung einzuleiten. Hilft Ihr Antrag? Ich denke, insofern auch die Empfehlung an die PDS-Fraktion, die sich genauso wie die SPD entschieden hat: Wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen, weil er leider in der Sache nicht hilfreich ist.

Ich möchte ein paar Punkte noch mal beleuchten. Sie haben zum Beispiel eine bessere Zusammenarbeit der Prüfinstanzen gefordert. Das ist korrekt, das ist im Übrigen gesetzlich fixiert und hat hier schon eine Rolle gespielt. Es geht letztlich um ein Vollzugsproblem. Dem Gesetzgeber aufzutragen, dass er ein Gesetz einhalten muss, das wäre völlig obsolet, weil es ein grundgesetzlicher Auftrag ist, dass alle Behörden auf der Grundlage von Gesetzen zu handeln haben. Also müssten wir die Situation beleuchten und hinterfragen. Das übrigens, Herr Heydorn hat darauf Bezug genommen, haben wir im Sozialausschuss getan, und zwar nicht nur in Auseinandersetzung mit dem Bericht des medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen, sondern auch im vergangenen Jahr in einer Sitzung, wo wir ausdrücklich dem MDK unseres Landes empfohlen haben, sich mit anderen noch mal hinzusetzen und die Frage der Verschlankung und Standardisierung von Abfragen, die in Heimen getätigt werden, auf die Tagesordnung zu nehmen. Das wird gemacht und fließt ein in die Arbeit des runden Tisches, der hier schon Erwähnung fand.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)