Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

was sie dann erwidern soll, können Sie mir vielleicht auch zuhören. Nachher sagen Sie wieder, Sie haben nichts verstanden.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sie haben mir nicht zu erzählen, was ich hier zu machen habe, Frau Borchardt!)

Ich bitte Sie nur um Aufmerksamkeit.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Gehen Sie vom Pult weg! Es reicht jetzt!)

Ich bitte Sie nur um Aufmerksamkeit.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das gibts ja wohl nicht! – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Das ist beim Jugendarrest in der Praxis eben nicht der Fall. Untersuchungen zeigen, dass die Rückfallquote beim Vollzug des Jugendarrestes bei etwa 70 Prozent liegt. Bei zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafen liegt sie hingegen – in Anführungszeichen – nur bei 60 Prozent. Das ist zwar beides relativ hoch, es zeigt aber, dass der Jugendarrest das Rückfallrisiko eher erhöht als verringert.

Wofür brauchen wir dann den Jugendarrest? Mir fällt jedenfalls kein Grund ein.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist schade.)

Das haben wir in einer anderen Debatte hier schon einmal zum Ausdruck gebracht. Aber Fakt ist, wenn man einen Jugendarrest hat – und wir haben ihn leider nun mal –, muss man seinen Vollzug auch in einem speziellen Gesetz regeln. Das gebietet schon die Wesentlichkeitstheorie im Verfassungsrecht. Und lediglich unter diesem Aspekt begrüßen wir, dass ein derartiger Gesetzentwurf nun vorliegt.

Die bisherige Praxis, den Jugendarrestvollzug über wenige Normen des Jugendgerichtsgesetzes und die Jugendarrestvollzugsordnung zu regeln, war schon lange nicht mehr zeit- und vor allem nicht verfassungsgemäß. Nordrhein-Westfalen ist hier bereits 2012 tätig geworden und hat einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet. Bei uns hat es etwas länger gedauert. In jedem Fall war der Schritt aber überfällig.

Meine Damen und Herren, kommen wir nun zum Gesetz selbst.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wird auch Zeit.)

Wenn man sich den Entwurf anschaut, fällt einem sofort die Ähnlichkeit zu anderen Gesetzen auf, die wir hier in dieser Legislatur behandelt haben. Ich denke da an das Strafvollzugsgesetz und das Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz. Immer drängt sich der Eindruck auf, da liegt in irgendeiner Schublade im Justizministerium ein Mustergesetzentwurf „Vollzug“ und dieser wird dann lediglich in Feinheiten angepasst. Dass das den tatsächlichen Ansprüchen nicht gerecht werden kann, versteht sich eigentlich von selbst.

Wie schon bei der Sicherungsverwahrung geht es auch beim Jugendarrest nicht um den Vollzug von Strafen. Das Jugendgerichtsgesetz sagt hier ganz deutlich, dass ein Jugendarrest dann verhängt werden soll, wenn eine Strafe noch nicht geboten ist. Arrest soll also nicht bestrafen. Dafür ist der Jugendstrafvollzug da. Ich hoffe, da sind wir uns einig.

Beim Jugendarrest geht es lediglich um die Erziehung von Jugendlichen, also um einen pädagogischen Nutzen. Und es tut mir Leid, die Festschreibung in Paragraf 4 Absatz 1 kommt nach meiner Überzeugung sehr alibimäßig daher. Hier und nur hier ist festgeschrieben, dass der Vollzug erzieherisch zu gestalten ist. Nur erkennt man im Rest des Gesetzes davon nicht viel. Eine klare Trennung von Strafe und Erziehung erfolgt leider nicht. Dabei ist sie doch insbesondere in unserem Land deutlich herauszustellen, denn schließlich werden die Arrestierten in der Jugendvollzugsanstalt Neustrelitz untergebracht, also nicht nur vollzugsnah, wie man so schön sagt, sondern mittendrin. Der von der Regierung hier heute vorgelegte Gesetzentwurf trägt zu einer notwendi

gen Differenzierung von Strafe und Arrest nicht unbedingt bei. Das muss ich ganz deutlich sagen.

Meine Damen, meine Herren, wir sind hier in der Ersten Lesung und die Ausschussanhörung steht erst noch bevor. Trotzdem möchte ich auf ein paar weitere Probleme hinweisen. Mir ist zum Beispiel nicht klar, wie eine Uniformierung der Arrestanten ihrer Erziehung dienen soll. Nach Paragraf 12 sollen sie nämlich Anstaltskleidung tragen. Die Gründe, warum die Jugendlichen Straftaten begangen haben, sind sehr vielfältig und müssen individuell genau analysiert werden. Deshalb wird richtigerweise ein Arrestplan für jeden Arrestanten erarbeitet. Die Anstaltskleidung sorgt jedoch für eine Gleichmachung der Insassen und konterkariert diese Individualisierung.

Nach Paragraf 14 sind eigene Hör- und Rundfunkgeräte nicht zugelassen. Ich habe lange hin und her überlegt, warum das so sein soll. Man könnte diese Geräte schließlich zulassen und nur unter bestimmten Voraussetzungen Verbote aussprechen. Selbst im Strafvollzug kann eine Nutzung eigener Hör- und Rundfunkgeräte erlaubt werden. Warum werden Arrestanten schlechtergestellt als Strafgefangene? Zumal es hier um kein Fernsehverbot an sich geht, schließlich soll der Zugang zum Rundfunk ja ermöglicht werden, nur eigene Geräte sind verboten. Das sollten wir in der Ausschussanhörung vielleicht einmal klären.

Was in diesem Gesetz ebenfalls auffällt, sind bestimmte Regelausnahmekonstellationen. Das mag in der Praxis mitunter nicht extreme Auswirkungen haben, zeigt aber deutlich die Intention hinter dem Gesetz. Ich denke da etwa an den Paragrafen 16 „Schriftwechsel und Pakete“. Nach Absatz 3 kann den Arrestierten in Ausnahmefällen gestattet werden, Pakete zu empfangen. Warum gestattet man das nicht grundsätzlich und behält sich vor, unter bestimmten Voraussetzungen ein Verbot auszusprechen?

In Absatz 2 des Paragrafen 15 unter „Gesundheit und Hygiene“ ist zu lesen, dass den Arrestanten ermöglicht wird, sich mindestens eine Stunde täglich im Freien aufzuhalten. Das sind ja nur – in Anführungsstrichen – 23 Stunden täglich in geschlossenen Räumen, wenn man es ernst nimmt. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, was das mit Erziehung zu tun haben soll. Die Grenzen zum Strafvollzug sind hier nicht zu erkennen.

Zuletzt noch ein Punkt aus dem Titel „Sicherheit und Ordnung“. Paragraf 23 Absatz 1 gestattet es, die Arrestierten, ihre Sachen und die Hafträume abzusuchen oder zu durchsuchen. Was gestattet sein soll und unter welchen Bedingungen wird jedoch nicht gesagt. Nach Lust und Laune der Bediensteten? Keine Unterstellung! Ich hoffe, nicht.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Klar, wie im Rechtsstaat üblich!)

Hier gibt es, glaube ich, Aufklärungsbedarf und ganz konkrete feste Bedingungen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, ich könnte noch weitere Beispiele nennen, wo es nach meiner Ansicht klar klemmt und wo mindestens Aufklärungsbedarf besteht. Dementsprechend werden wir der Überweisung in den Europa- und Rechtsausschuss natürlich zustimmen, um dort eine genauere Befassung mit dem Gesetz zu ermöglichen. Ich hoffe, dass wir am Ende des gesamten Pro

zesses ein Gesetz verabschieden, dass dem Anspruch an den Jugendarrest, so, wie er in Paragraf 4 festgeschrieben ist, auch gerecht wird. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Frau Drese.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Frau Borchardt, Ihre Kritik am Zeitpunkt der Behandlung kann ich nicht nachvollziehen. Ich möchte mich inhaltlich an das anschließen, was Frau Kuder eben gesagt hat. Mit diesem Gesetz komplettieren wir die Gesetzgebung zum Strafvollzug hier in Mecklenburg-Vorpommern. Sie ist schon darauf eingegangen, dass es sich um einen Musterentwurf aus neun Bundesländern handelt.

Ich freue mich auf die Behandlung im Ausschuss, darüber zu debattieren, dass nicht die Arrestierten gemeinsam mit den verurteilten Jugendstraflern gemeinsam absitzen und welche Bedeutung die Kleidung für Jugendliche und ihre Identität hat. Alles Weitere, glaube ich, sollten wir der Arbeit im Ausschuss und der Zweiten Lesung hier überlassen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Die SPD stimmt für die Überweisung.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Herr Suhr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Frau Drese, über eins habe ich mich sehr gefreut: die Ankündigung der Debatte im Rechtsausschuss.

(Stefanie Drese, SPD: Ja. – Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ich auch.)

Das war ja in der Vergangenheit kein Selbstverständnis. Insofern hoffe ich da auf intensive...

(Stefanie Drese, SPD: Ach, das hat doch schon sooo einen Bart!)

Ja, aber lange Bärte, die wiederhole ich immer gerne.

(Stefanie Drese, SPD: Ja.)

Sehr geehrte Damen und Herren,

(Zuruf von Stefanie Drese, SPD)

Eingriffe in die Grundrechte von Strafgefangenen bedürfen einer formalgesetzlichen Grundlage. Das hat das Bundesverfassungsgericht vor nunmehr über 40 Jahren für den allgemeinen Strafvollzug gefordert und – na, sagen wir mal, jetzt zur Zeitschiene – 2006 auch für den Jugendstrafvollzug klargestellt. Anders als Jugendstrafvollzug ist der Jugendarrestvollzug aber bei uns rechtlich noch immer nur rudimentär geregelt. Es war also höchste Zeit, dass die Landesregierung auch hier den erforderlichen Gesetzentwurf vorlegt. Das begrüßen wir ausdrücklich,

(Stefanie Drese, SPD: Aha! – Heiterkeit bei Dr. Norbert Nieszery, SPD: Gute Rede!)

aber wir merken auch an, es hat viel zu lange gedauert. Dabei ist der Jugendarrest „die wohl mit Abstand umstrittenste Maßnahme, mit der auf das Fehlverhalten eines jungen Menschen reagiert werden kann. Als“ sogenanntes „,Zuchtmittelʻ bietet der Arrest seit Jahrzehnten Anlass zu heftigen Kontroversen – von den einen als das wirkungsloseste, wenn nicht gar schädlichste Instrument des Jugendstrafrechts gebrandmarkt, wird er von anderen unter dem Begriff des Warnschussarrestes nahezu als erzieherisches Wundermittel propagiert“.

Dies, sehr geehrte Damen und Herren, ist nicht meine Feststellung, sondern das schreibt der Jugendrichter Ruben Franzen in der „Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe“, und er führt weiter aus: „Hier prallen unterschiedliche erzieherische Grundüberzeugungen

aufeinander.“ Ich zitiere Ruben Franzen weiter: „Auf der einen Seite ein von Verantwortungszuweisung, Konsequenz und Grenzsetzung geprägtes Erziehungsideal im Sinne von Zucht, auf der anderen eine auf den Ausgleich von Benachteiligungen ausgerichtete Förderung der persönlichen Kompetenzen, um den Jugendlichen die Erfahrung positiv bewerteter Selbstwirksamkeit zu ermöglichen.“

Sehr geehrte Damen und Herren, genau um diese zentrale Frage wird es gehen. Für meine Begriffe steht über allem die Frage, darauf ist die Justizministerin schon eingegangen: Was kann der Beitrag sein, wenn ein Jugendarrest verhängt worden ist, in der inhaltlichen Ausgestaltung dieses Jugendarrestes, um anschließend Gewähr oder eine möglichst große Chance dafür zu bieten, dass Resozialisierung stattfindet, und eine möglichst große Chance zu bieten, dass ein Straftäter, ein jugendlicher Straftäter nicht mehr straffällig wird? Das ist die zentrale Frage.

Und ich habe mich darüber gefreut, Frau Kuder, obwohl ich – Sie werden das in den Ausschussberatungen sicherlich erörtern – an Ihrem Gesetzentwurf an vielen Punkten Kritik habe, aber ich habe mich darüber gefreut, dass die Interpretation, es geht auch über die durchschnittlich zwei oder maximal vier Wochen hinaus, und die Frage, wie kehrt ein Jugendlicher, der im Jugendarrest war, zurück in die Gesellschaft, welche Perspektive wird ihm geboten und auf welche Art und Weise muss er oder sie begleitet werden, von ganz besonderer Bedeutung ist, dass wir es so gestalten, dass wir jungen Menschen eine Chance geben, die sie tatsächlich wahrnehmen können.

Sehr geehrte Damen und Herren, dieser Landtag als Gesetzgeber hat sich zu entscheiden zwischen Regelungen, die eher, wenn ich das scharf formuliere, der Law-and-Order-Mentalität meist konservativer Kreise folgen oder eher einen liberalen, auf positive Entwicklung des Jugendlichen oder des jungen Erwachsenen ausgerichteten Ansatz präferieren. Wie unterschiedlich die Herangehensweise sein kann, möchte ich an einem Beispiel deutlich machen, weil Frau Kuder auch diese Passage im Gesetz ausdrücklich hier zitiert hat. Wie unterschiedlich man das in einem Gesetz regeln kann, wird deutlich, wenn man beispielsweise einen Entwurf der Landesregierung – Sie haben gesagt, das sind neun Landesregierungen, die sich da auf den Weg gemacht

haben – mit der gesetzlichen Regelung beispielsweise aus Schleswig-Holstein vergleicht.