Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

Wie ist es denn in der Vergangenheit gewesen? Örtliche Träger hatten doch gar kein Interesse daran, ambulante Leistungen anzubieten,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nee, das hätten sie auch bezahlen müssen.)

weil sie wussten, das mussten sie aus der eigenen Tasche bezahlen. Also wurde so gesteuert, dass die Leute sich möglichst in Einrichtungen befanden, dann gab es einen Haufen Geld vom Land. Dies haben wir durchbrochen.

Was wir noch durchbrochen haben, ist, dass jetzt klar geregelt wird, dass wir als der große Zahlmeister – denn

diese 82 Prozent, die gerade genannt worden sind, sind 82 Prozent von den Gesamtkosten der Sozialhilfe, die ein Landkreis hat, 82 Prozent davon werden künftig vom Land übernommen –, dann finde ich es durchaus legitim, dass der größte Zahlmeister auch sagt, das will ich nicht ohne Einfluss machen. Da werden im Sozialministerium Strukturen aufzubauen sein, die einfach fachlich darauf hinwirken, dass die Dinge wie Personenzentriertheit und Lebensumfeldorientiertheit dann auch stattfinden.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da gibts doch gar keinen Widerspruch.)

Das finde ich gut und richtig.

Und das, was Sie also quasi jetzt hier ausgegraben haben, Frau Gajek, finde ich, sind irgendein paar Kleinig- keiten.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich kann das doch mal sagen!)

Das ist die große Linie, um die es geht, und hier haben wir einen Durchbruch erzielt.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh, Mann!)

Jetzt lassen Sie mich noch drei Sätze sagen zu Herrn Koplin und seinen Vorstellungen von Inklusion. Die reine Lehre von Inklusion, die hört sich wunderbar an. Ich will jetzt mal anknüpfen an den Schlossbesitzer, den Sie gerade erwähnt haben. Also Inklusion im Schloss muss genauso möglich sein wie in einer Fünfzimmerwohnung irgendwo in der Stadt. Jetzt stellen wir uns diesen Schlossbesitzer vor, der ist als Mensch mit Behinderung in diesem Schloss und hat genug Kohle, dieses Schloss entsprechend barrierefrei herzurichten. Jetzt muss dieser Schlossbesitzer aber auch letztendlich aus dem Schloss raus. Da gibt es nur Kopfsteinpflaster. Da hat er mit seinen Beeinträchtigungen Probleme. Wer ist jetzt dafür zuständig, das Kopfsteinpflaster wegzubringen? Er kann auch kein Auto mehr fahren und muss an die nächste ÖPNV-Haltestelle. Wer ist dafür zuständig, dass der Weg barrierefrei gemacht wird? Wer finanziert das? Wer finanziert die Barrierefreiheit der entsprechenden ÖPNVHaltestelle? Wer ist derjenige, der sicherstellt, dass für diesen Schlossbesitzer regelmäßig auch ein Bus vorbeikommt, der letztendlich Niederflurtechnik hat und es ihm ermöglicht, mit seiner Behinderung problemlos in diesen Bus einsteigen zu können, vielleicht noch, wenn das Schloss in einer Ecke liegt, wo ÖPNV-Verkehr regelmäßig gar nicht mehr stattfindet?

Also wenn man über Inklusion redet, dann muss man Inklusion auch mal unter realistischen Gesichtspunkten betrachten. Ich habe den Eindruck, dabei haben Sie ein paar Schwierigkeiten.

(Vizepräsidentin Regine Lück übernimmt den Vorsitz.)

Ich kenne das aus Nordrhein-Westfalen. Ein Freund von mir ist Sonderpädagoge in Nordrhein-Westfalen. Da geht das mittlerweile so weit, dass Leute Kinder mit Beeinträchtigungen, mit starken Lernbehinderungen, auf Gymnasien anmelden und sich darüber wundern, dass die Kinder beim Lernen nicht mehr mitkommen und frustriert von den Schulen genommen werden.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist jetzt aber nicht wahr!)

Die haben zwar da, was das Thema Inklusion angeht, einen großen Schritt nach vorne gemacht und die Schulen aufgestoßen, aber was sie nicht haben, sind die Ressourcen, entsprechend der Bedarfe auf die Menschen in den Einrichtungen eingehen zu können. Wenn wir beide mal durch Neubrandenburg gehen und gucken uns die Kitas und die Schulgebäude unter Inklusionsgesichtspunkten an, dass jede dieser Einrichtungen barrierefrei hergestellt werden müsste, da müssen Sie auch die Frage beantworten, wer letztendlich das Geld dafür zur Verfügung stellt.

Ich finde es ziemlich – wie soll ich sagen? –, ziemlich daneben, mit Inklusionsvorstellungen loszuziehen und immer so zu tun, als sei die Herstellung solcher Verhältnisse für uns in Mecklenburg-Vorpommern in einem realistischen Rahmen möglich. Das sehe ich nicht so. Also ich sehe nicht die Möglichkeit, dass wir die Barrieren für jeden, der von einer Behinderung betroffen ist, wegbringen und überall die Möglichkeiten aufstoßen, dass letztendlich alles geht. Das wird meines Erachtens nicht funktionieren.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Wir als SPDFraktion werden selbstverständlich der Überweisung zu- stimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Ich schließe die Aussprache.

Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 6/4468 zur federführenden Beratung an den Sozialausschuss sowie zur Mitberatung an den Innenausschuss und an den Finanzausschuss zu überweisen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Überweisungsvorschlag mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 12: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Landesrichtergesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Drucksache 6/4469.

Gesetzentwurf der Landesregierung Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Landesrichtergesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Erste Lesung) – Drucksache 6/4469 –

Das Wort zur Einbringung hat die Justizministerin Frau Kuder.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf soll die Novellierung des Landesrichtergesetzes in Bezug auf die Beteiligungsrechte umgesetzt werden, so, wie wir es uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben.

Bisher sieht unser Landesrichtergesetz eine Beteiligung des Richterrates nur in allgemeinen und sozialen Ange

legenheiten vor. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die notwendigen Änderungen vorgenommen, um die Beteiligungsrechte von Richterinnen und Richtern und Staatsanwältinnen und Staatsanwälten an die Regelungen des Personalvertretungsgesetzes anzupassen. Dabei wird ein gleiches Niveau angestrebt, soweit nicht spezifische Erfordernisse bei einzelnen Berufsgruppen abweichende Regelungen verlangen. Diese Beteiligungsrechte werden eigenständig im Landesrichtergesetz ge- regelt.

Die bewährte Gremienstruktur der richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Beteiligung wird beibehalten und das im Personalvertretungsrecht bewährte Instrument der Einigungsstelle wird durch eigenständige Regelungen aufgenommen. Die grundsätzliche Anpassung des Landesrichtergesetzes an das Personalvertretungsgesetz des Landes findet ihre Grenze in dem aus dem Artikel 97 Grundgesetz und dem Deutschen Richtergesetz resultierenden besonderen Status von Richterinnen und Richtern.

Andererseits ergeben sich verfassungsrechtliche Grenzen richterlicher und staatsanwaltschaftlicher Beteiligungsrechte aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, wonach das Demokratieprinzip verlangt, dass die Letztentscheidung eines dem Parlament verantwortlichen Verwaltungsträgers gesichert ist. Wegen der engen Zuordnung der Staatsanwaltschaft zur dritten Gewalt als Organ der Rechtspflege und als Strafverfolgungs- und Anklagebehörde werden die Beteiligungsrechte der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte im Landesrichtergesetz entsprechend denen der Richterschaft geregelt.

Im Rahmen der Vorbereitung des Gesetzentwurfes habe ich eine Expertenkommission eingesetzt. Die Mitglieder waren je zur Hälfte durch die Richter- und Staatsanwaltsvertretungen und durch das Justizministerium benannt worden. Dabei handelte es sich um Experten des Landes, des Bundes und aus anderen Bundesländern, die ihre Kenntnisse im Dienstrecht und im Personalvertretungsrecht, aber auch ihre ganz praktischen Erfahrungen aus der Justizverwaltung und einer gelebten Beteiligungskultur eingebracht haben. Dieser Kommission ist es gelungen, nicht nur ein Eckpunktepapier zu erarbeiten, sondern auch einen einstimmig beschlossenen Gesetzentwurf vorzulegen. Dafür gebührt der Kommission besonderer Dank.

Natürlich konnten wir diesen Kommissionsentwurf nicht in allen Punkten übernehmen. Zum einen gibt es relevante Strukturunterschiede zwischen der Justiz in unserem Land und in Niedersachsen, an dessen Landesrichtergesetz sich der Kommissionsentwurf orientiert. Zum anderen galt es, das von der Kommission gefundene Ergebnis mit den Einschätzungen der Praxis in den Gerichten und Staatsanwaltschaften abzugleichen, denn eines, denke ich, ist klar: Gesetzliche Regelungen zu Beteiligungstatbeständen, die Gremienstruktur und das Verfahren können nur dann mit Leben erfüllt werden, wenn sie auf beiden Seiten, also bei den Vertretungen und Vertretenen einerseits und den Dienststellen, Behörden und Gerichtsleitungen andererseits auf größtmögliche Akzeptanz stoßen.

Der Ihnen jetzt vorliegende Gesetzentwurf stellt einen ausgewogenen Kompromiss zwischen diesen beiden Seiten dar, wobei der Entwurf der Expertenkommission

zu einem weit überwiegenden Teil übernommen wurde. Wesentliche Neuerungen sind:

Erstens. Die Beteiligungstatbestände werden auch auf personelle und organisatorische Maßnahmen ausgedehnt.

Zweitens. Wie im Personalvertretungsrecht wird zwischen Mitbestimmung und Mitwirkung unterschieden.

Drittens. Es werden institutionalisierte Beteiligungsgespräche eingeführt, durch die frühzeitige konsensuale Lösungen bei beteiligungsbedürftigen Maßnahmen ermöglicht werden sollen, in diesem Fall unter Verzicht auf die Einhaltung der teilweise starren und zeitaufwendigen Verfahrensschritte des formellen Beteiligungsverfahrens.

Viertens. Die erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren in Richtervertretungsangelegenheiten werden bei einem Verwaltungsgericht, hier Greifswald, konzentriert.

Und fünftens. Die Richterdienstgerichte werden der Verwaltungsgerichtsbarkeit angegliedert.

Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die Beteiligung der Richterinnen und Richter und der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte des Landes deutlich verbessert. Gleichzeitig sind die Praktikabilität der Neuerungen und eine größtmögliche Akzeptanz sichergestellt. – Ich bitte um Ihre Unterstützung.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Wolfgang Waldmüller, CDU)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Borchardt von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor uns liegt nun das angekündigte Landesrichtergesetz. Wie die Justizministerin in ihrer Einbringungsrede bereits ausführlich begründet hat, geht es im Wesentlichen um die Neuregelung der Beteiligungsrechte der Richter und Staatsanwälte beziehungsweise um die Angleichung an das Personalvertretungsgesetz. Dass diese Novellierung unbedingt erforderlich ist, stellte der Rechts- und Europaausschuss bereits in der letzten Wahlperiode fest.

Zur Erinnerung: Als wir hier im Landtag Ende der letzten Legislaturperiode das Besoldungsrecht geändert haben, wurden auch die Paragrafen 3 und 6 des Landesrichtergesetzes angefasst. Dabei ging es unter anderem um die Geltung des Beamtenrechts im Richtergesetz. Einige haben sich damals gefragt, was das denn mit Besoldung zu tun hat. Diese Frage haben sich viele gestellt, ohne dass die Regierung darauf eine klare Antwort geben konnte. Böse Zungen behaupteten, es ginge lediglich darum, dem Justizministerium mehr Einfluss zu verschaffen und die Unabhängigkeit der Richter zu schwächen. Es handelte sich nämlich um Regelungen, die mit dem eigentlichen Anliegen des Gesetzentwurfs, also der Schaffung landeseigener besoldungs- und versorgungsrechtlicher Gesetze, absolut gar nichts zu tun hatten und haben. Aber mit der Änderung des Paragrafen 3 des

Landesrichtergesetzes wurde damals die Möglichkeit eröffnet, auf Stellenausschreibungen in bestimmten Fällen zu verzichten. Das betraf Stellen, die durch Umsetzung, Abordnung, Versetzung ohne Beförderungsgewinn sowie durch Übertritt oder Übernahme von Beamten anderer Dienstherren besetzt werden konnten. Somit ist es dem Justizministerium erst jetzt möglich, herausgehobene Stellen in der Justiz ohne Stellenausschreibung im Wege der Versetzung zu besetzen. Damit könnten also genehme Ministerialbeamte durch das Justizministerium problemlos in Führungspositionen der Justiz gebracht werden ohne Beteiligung der Richtervertretungen.

Meine Damen und Herren, diese Probleme wurden damals auch von uns hier im Landtag anerkannt. In einer gemeinsamen Entschließung, die der Rechts- und Europaausschuss formulierte und der Landtag dann so beschlossen hat, wurde festgeschrieben, ich zitiere: „Der Europa- und Rechtsausschuss empfiehlt für die Zukunft, entsprechende Beteiligungsrechte für Richter- und Staatsanwaltsvertretungen in Mecklenburg-Vorpommern zu schaffen. Dieses sollte im Zusammenhang mit einer grundlegenden Modernisierung des Landesrichtergesetzes geschehen. Der Europa- und Rechtsausschuss stellt fest, dass das Landesrichtergesetz in Mecklenburg-Vorpommern nur schwach ausgeprägte Mitwirkungsrechte kennt und hinter dem Stand anderer Bundesländer deutlich zurückbleibt.“ Zitatende.

Nebenbei bemerkt, ich bin meinem Kollegen Armin Jäger von der CDU-Fraktion der letzten Wahlperiode heute noch dankbar, dass er in der Koalition für diese Entschließung geworben hat. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, da ging es um die Sache und eine entsprechende Lösung. Es gab einmal eine Kultur in diesem Hohen Hause, die ich manchmal sehr vermisse.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es liegt in der Natur der Sache, dass wir nun gemeinsam entscheiden müssen, ob der vorliegende Gesetzentwurf dem festgeschriebenen Anspruch gerecht wird. Zunächst möchte ich anerkennend feststellen, dass das Justizministerium den Arbeitsprozess unter Einbeziehung von Experten gestaltet hat. Das hätten wir uns an anderer Stelle auch gewünscht, daraus haben wir nie einen Hehl gemacht. Darüber hinaus liegt die Brisanz dieses Themas auch in dem verfassungsrechtlichen Status der Richter und Staatsanwälte. Keine Angst, ich möchte an dieser Stelle kein Grundsatzreferat zur Bedeutung der Gewaltenteilung halten! Ich denke, diese Bedeutung ist Ihnen bewusst und bedarf keiner näheren Erläuterung. Die Frage, die wir uns aber stellen müssen, ist, inwieweit unsere Regelungen – auch die des Landesrichtergesetzes – dieser Bedeutung gerecht werden.

Artikel 92 Grundgesetz sagt, die Rechtsprechung ist den Richtern anvertraut. Damit sind nicht nur die Richtersprüche im Gerichtssaal gemeint, sondern die Hoheit über die Rechtsprechung als dritte Gewalt im Ganzen, oder, anders gesagt, die konsequente Selbstverwaltung der Justiz, die auf europäischer Ebene schon lange gefordert wird, aber in Deutschland und auch in MecklenburgVorpommern nicht gewollt ist. Das hat die Debatte in der 5. Wahlperiode gezeigt. Genau das ist ein grundsätzliches Problem der dritten Gewalt. Sie existiert nicht gleichberechtigt neben der Legislative und der Exekutive, sondern ist lediglich ein Wurmfortsatz der Exekutive – leider! –, und insofern ist das ganze Thema nicht ganz ohne.

Man kann sehr wohl fragen, wie unabhängig eine Justiz ist, in der die Exekutive Einfluss auf Verplanung und Beförderung von Richtern hat. Es ist nahe liegend, dass Richterinnen und Richter mit Karrierehoffnungen in einem solchen System kaum der Regierung unliebsame Entscheidungen treffen werden. Niemand beißt die Hand, die einen füttert!