(Heinz Müller, SPD: In einer Einbringungsrede begründet man eigentlich den eigenen Antrag. – Torsten Renz, CDU: Ja.)
„Der wahre Zustand des Bildungswesens wird ebenfalls verborgen. So negiert die Landesregierung die gravierenden Einschnitte für die Förderung von Kindern mit Teilleistungsschwächen und Förderbedarfen im gemeinsamen Unterricht. Hier sank die Zuweisung für den reinen Unterricht, die individuelle Förderung um mindestens zwei Drittel der Stunden. Momentan erhalten die Kinder, die im gemeinsamen Unterricht lernen, durchschnittlich 0,6 Stunden. Das sind 27 Minuten wöchentlich oder, wie in vielen Fällen geschehen, keine einzige Minute. Um die minimalste mögliche Förderung von einer Stunde wöchentlich pro Kind zu gewährleisten, befinden sich 7 Millionen im Päckchen. Zur Erinnerung: Vor vier Jahren betrug die Förderung bereits eine Stunde wöchentlich. Erst wurde gnadenlos auf Kosten des Bildungserfolgs der Mädchen und Jungen gekürzt, jetzt erreicht man lediglich den viel zu geringen Fördersatz von vor der Kürzung und feiert, was das Zeug hält. Das ist nichts weiter als eine notdürftige Reparatur innerhalb der Kürzung.“ Zitatende.
Ich kann also feststellen, Frau Oldenburg, vor ziemlich genau zwei Jahren prangerten Sie genau den Umstand an, den wir heute zu ändern versuchen. Sie mögen es heute „exponierte Förderung einiger weniger“ nennen, wir
nennen es das Recht auf eine individuelle Förderung. So besagt beispielsweise Artikel 24 der UN-Behinderten- rechtskonvention, „innerhalb des allgemeinen Bildungssystems“ sollen „angemessene Vorkehrungen … getroffen“ und „die notwendige Unterstützung geleistet“ werden, um eine „erfolgreiche Bildung zu erleichtern“. Weiter heißt es, weiterhin muss durch wirksame „individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen“ ein Umfeld geschaffen werden, das „mit dem Ziel der vollständigen“ Einbeziehung behinderter Menschen „die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet“.
Wir sehen uns mit dieser Forderung, dass Inklusion eben nicht kostenneutral umgesetzt werden kann, nicht allein. So kritisierte beispielsweise die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft Mecklenburg-Vorpommern in einer Pressemitteilung zum Lehrkräftebedarf für das kommende Schuljahr, dass der vom Bildungsminister prognostizierte Bedarf die durch Inklusion entstehenden Mehrbedarfe nicht berücksichtige.
Auch der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm kommt in einer Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zu dem Schluss, dass der Mehrbedarf, der durch Inklusion entsteht, nicht allein dadurch gedeckt werden könne, dass die Lehrkräfte von den Förderschulen in das allgemeinbildende Schulsystem überführt würden. In einer ersten Variante geht Klemm von dem von uns geforderten Rucksackprinzip als Prämisse aus. Die bisherige Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigung im Sonderschulsystem muss auch in einem inklusiven Bildungssystem erhalten bleiben.
Demnach errechnet Klemm für Mecklenburg-Vorpommern im Schuljahr 2020/2021 einen zusätzlichen Lehrerbedarf von 636 Stellen im Vergleich zum Schuljahr 2009/2010. In einer zweiten Variante legt Klemm zugrunde, dass es durch sinkende Schülerzahlen bundesweit zu frei werdenden Lehrerstellen kommt. Er errechnet 8.000 Stellen. Diese will er jedoch in ein inklusives Bildungssystem überführen und so die zusätzlichen Förderbedarfe erhöhen. Daraus ergibt sich eine zusätzliche Förderung von 2,6 Wochenstunden für den sonderpädagogischen Förderbedarf Lernen, sozial-emotionale Entwicklung beziehungsweise Sprache. Für die Bereiche Hören, Sehen, geistige beziehungsweise körperlich-motorische Entwicklung hingegen ergibt sich ein zusätzlicher Bedarf von 3,6 Wochenstunden je Schülerin und Schüler.
geht Klemm dann auf die länderspezifischen Prognosen ein und noch genauer auf die Bundesländer, auf die die Annahme sinkender Schülerzahlen nicht zutrifft, das heißt, die keine frei werdenden Ressourcen haben, die umgewidmet werden können. Zu diesen Bundesländern gehört neben Berlin, Brandenburg, Sachsen und Hamburg auch Mecklenburg-Vorpommern. Hier errechnet Klemm, wenn er diesen bundesweit einheitlichen Förderschlüssel von 2,6 beziehungsweise 3,6 als Grundlage nähme, müssten in Mecklenburg-Vorpommern immer noch 485 zusätzliche Stellen geschaffen werden.
Bevor es zur Einführung eines inklusiven Bildungssystems kommt, das seinen Namen auch wert ist, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Für die mehr als 4.500 Schü
lerinnen und Schüler mit Beeinträchtigung im inklusiven Schulsystem muss es jedoch umgehend Verbesserungen geben. Sie können nicht darauf warten, bis irgendwann einmal ein Inklusionskonzept umgesetzt wird. Sie sind jetzt an den Grundschulen, den Regionalschulen und den Gesamtschulen und sie brauchen sofort eine bessere Förderung. Deshalb: Stimmen Sie unserem An- trag zu!
(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Nein.)
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Berger, seien Sie mir nicht böse, dass ich mich auf wenige Sätze beschränken möchte, denn nachdem Sie aus dem Inklusionsfrieden ausgestiegen sind, finden die wesentlichen politischen Debatten und Gespräche zwischen SPD, CDU und DIE LINKE statt.
Zweitens. Sie haben hier Widersprüche zwischen den Aussagen der Abgeordneten Oldenburg in der Vergangenheit und Gegenwart aufgemacht, aber das ist halt der Unterschied. Man kann das als Widerspruch,
man kann das, Frau Berger, als Widerspruch interpretieren oder in der Tat als die Fähigkeit einer politischen Kraft, im Interesse der Sache Kompromisse zu machen mit politischen Partnern, und da muss man an der einen oder anderen Stelle von seinem eigenen Weltbild abrücken. Das hat die Fraktion DIE LINKE ebenso getan wie die SPD oder die CDU. Allein die Fraktion der GRÜNEN war dazu nicht bereit, weil Sie keine Kompromisse, sondern recht haben wollen.
(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Andreas Butzki, SPD: So ist es. – Egbert Liskow, CDU: Wie immer!)
das Rechthaben kann man sich nur erlauben, sehr geehrte Frau Berger, wenn man die absolute Mehrheit hat. Ansonsten muss man zum Kompromiss bereit sein, wenn man politikfähig ist, und das ist der entscheidende Punkt.
Drei Fraktionen haben sich hier als in höchstem Maße politikfähig erwiesen und eine nicht. Aber es war Ihre Entscheidung, das war Ihre Entscheidung, nicht unsere.
(Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kann Frau Oldenburg nicht für sich selbst sprechen, Herr Minister?)
Ich habe versucht, Ihnen das mehrfach in unseren Arbeitsgruppensitzungen zu erklären. Es ist mir nicht gelungen. Ich versuche es trotzdem noch mal: Die schülerbezogene Zuweisung in den Förderschulen enthält a) den Unterricht und b) die Förderung.
Sie müssten zumindest wenigstens die Unterrichtsversorgung in der Regionalen Schule, in der Gesamtschule et cetera abziehen. Das haben Sie nicht getan. Das habe ich Ihnen fünfmal vorgerechnet,
das ist ja aktenkundig. Dann ist es so, dass außerdem mutmaßlich nicht die schwersten Fälle an körperlichmotorischer Behinderung – Taubheit, Sehbeeinträchtigung – inklusiv beschult werden und dass deshalb diese Sonderausstattung auch etwas niedriger ausfallen kann, als sie im Regelfall ausfällt. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, vor diesem Hintergrund haben sich die Partner des Inklusionsfriedens dazu entschlossen, möglichst zeitnah mindestens 50 weitere Stellen für den Zweck zur Verfügung zu stellen, den Sie hier begehren, Frau Berger,
Jetzt kommt die dritte Frage. Frau Berger, ich bin dankbar für die Frage, weil es mir die Möglichkeit gibt, mal zu sagen, warum Sie aus dem Inklusionsfrieden ausgestiegen sind.
(Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich kann für mich selbst reden, Herr Minister. – Zuruf von Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Ich möchte betonen, dass wir bis zum letzten Verhandlungstermin im Prinzip über jeden Satz Einvernehmen zwischen allen Fraktionen hatten
und dass das für jeden bedeutete, dass das nicht seine Glückseligkeit war, die wir dort vereinbart hatten, sondern
ein Kompromiss. Jeder musste dort nachgeben. Und in der letzten Verhandlungsrunde ging es um die Frage: Wie viel gibt es denn mehr für Inklusion, wie viel Stellen?
Stimmts, Frau Berger, darum ging es? Es ging nur noch um die Frage: Wie viel Stellen gibts für Inklusion? Und dann wurde über die Frage diskutiert: Gibt es mehr Stellen, ja oder nein, und wie ist das im Haushalt abgebildet? Da habe ich erklärt, sehr geehrter Herr Saalfeld, das ich a) niemandem etwas wegnehme. Ich habe zweitens erklärt, dass die Landesregierung in Vorwegnahme unseres Inklusionsfriedens bereits eine gewisse Vorsorge im Haushalt getroffen hat, dass also im Haushalt bereits deutlich zusätzliche Stellen enthalten sein werden, Stellenaufwüchse, die man für die Inklusion verwenden kann. Es ging am Ende nur um die Frage, ob man gemeinsam zu diesem Verhandlungsergebnis steht oder ob es die GRÜNEN sind, die dann sagen können, diese Stellen haben wir erkämpft.
Ich sage Ihnen, diese Stellen haben wir gemeinsam erkämpft, weil wir uns natürlich auch schon aus den gemeinsamen Gesprächen heraus dazu entschlossen haben, so eine Vorsorge zu treffen. Das ist natürlich insofern auch ein Erfolg der LINKEN und der Opposition.
Und damit Sie das vielleicht mal in Zahlen hören, Frau Berger, damit Ihr Lächeln, Ihr gefälliges Lächeln