Protokoll der Sitzung vom 19.11.2015

(Heiterkeit bei Jochen Schulte, SPD: Und schafft es das?)

und dies von den am stärksten belasteten Proben, um den festgelegten Grenzwert zu erreichen. Dieser Grenzwert allerdings beträgt lediglich ein Hundertstel der Dosis, welche überhaupt zu Schäden des Organismus führen könnte. Ich zum Beispiel müsste bei meinem Körpergewicht täglich ungefähr 129,8 Gramm, na, sagen wir, 130 Gramm Glyphosat, reines Glyphosat zu mir nehmen, um überhaupt körperliche Schäden davonzutragen.

(Heiterkeit und Zuruf von Wolfgang Waldmüller, CDU)

Deshalb ist es nicht unverständlich, dass der Herr Professor Walter Krämer – das ist ein Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik – zu dem vernichtenden Urteil kommt, indem er feststellt, und jetzt zitiere ich ein drittes Mal: „Das ist trivial, unseriöser Schwachsinn und weder ein Beleg für irgendeine Gefahr, noch eine Meldung wert. Es verunsichert lediglich den Verbraucher.“

(Johann-Georg Jaeger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt beschimpfen Sie aber die SPD! – Egbert Liskow, CDU: Nein, die GRÜNEN!)

(Johann-Georg Jaeger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das werden Sie gleich merken, warum.)

Ich möchte noch mal aus einer Mitteilung des Bundesinstituts für Risikobewertung zitieren, das zur Auswertung einer 2-Jahres-Studie an Mäusen schreibt: „In dieser Studie wurden vermehrt Lymphome bei einem Mäusestamm mit hoher Spontaninzidenz in einer“ hohen „Dosierung von 1.460 mg pro kg Körpergewicht pro Tag... festgestellt.“ Das bedeutet, ein 2.920-Faches oberhalb der akzeptierten täglichen Aufnahmemenge. Dass diese Studie natürlich nicht für voll genommen werden kann, bezeugt auch noch, dass es ein Mäusestamm war, der sowieso sehr …

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den nimmt man immer für die Forschung.)

Ja, aber gerade dieser Mäusestamm gehörte zu denen, bei denen auch ohne, dass sie Glyphosat nehmen,

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ist der Versuchsaufbau immer in dieser Frage.)

also ohne diese Glyphosatzugabe, Lymphome bei 20 Prozent der männlichen und 30 Prozent der weiblichen Tiere aufgetreten sind. Diese Studie kann man ganz einfach vergessen.

Aber sehr geehrte Damen und Herren der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ihr Antrag auf ein Moratorium für die Nichtzulassung von Herbiziden mit dem Wirkstoff Glyphosat entbehrt aufgrund dieser hier vorliegenden Studien und von über 1.000 Dokumentenuntersuchungen des BfR jeder wissenschaftlichen Basis. Er ist verantwortungslos, er schürt Ängste und zeigt letztendlich, dass Sie aus rein dogmatischen Erwägungen handeln. Nur so ist es zu verstehen, dass Sie nach der umfassenden Beratung im vergangenen Jahr nunmehr wieder einen Antrag in diese Richtung vorlegen. Meine Fraktion wird eine Politik, welche auf unseriöse Studien

und Vermutungen basiert, nicht unterstützen und aus diesem Grund lehnen wir den vorliegenden Antrag ab.

(Beifall Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Ich bin übrigens auch gespannt,

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ach so!)

was die Agrarministerkonferenz unter der Leitung des Landwirtschafts- und Umweltministers Till Backhaus im nächsten Jahr nach der Sichtung der Studien herausbekommt. – Recht schönen Dank.

(Beifall Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Das Wort hat nun der Abgeordnete Professor Dr. Tack von der Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir am Anfang zwei Vorbemerkungen:

Erstens ist es in der Diskussion klar geworden, dass die Land- und Ernährungswirtschaft immer ein komplexes System ist. Das trifft auch für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu. Man muss also immer die gesamte Ernährungskette sehen.

Und das Zweite, was ich vorher sagen will, ist: Zu der Kurzstudie, die hier angesprochen worden ist, habe ich bereits an anderer Stelle Stellung genommen. Das werde ich heute nicht thematisieren.

Nun zu diesem Antrag: Zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode beschäftigt sich dieses Hohe Haus mit einer chemischen Verbindung aus der Gruppe der Phosphate, nämlich dem Glyphosat. Das erste Mal war das auf Antrag meiner Fraktion Ende 2013 der Fall. Wir wollten damals den Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln – ich benutze ganz bewusst nicht den Ausdruck Pestizid – beschränken, beschränken, so lautete der Antrag, den Einsatz zur Sikkation, also zur Abreifebeschleunigung verbieten, ebenso den Einsatz von Mitteln mit diesem Wirkstoff im Heim, im Kleingarten und im öffentlichen Bereich.

Das ist nicht gelungen. Unser Antrag wurde nach einer Anhörung – das war bereits angeführt worden – im Agrarausschuss abgelehnt. Aber in einer Empfehlung des Agrarausschusses wurden viele Inhalte aufgegriffen. Leider ist nicht alles davon erfüllt worden. Ich erinnere auch – es war die Drucksache 6/3091 – an die Stellungnahme der Agrarministerkonferenz vom 04.11.2014.

Seither ist die Diskussion um Glyphosat nicht zur Ruhe gekommen, im Gegenteil, immer neue Fakten, aber auch immer mehr der weltweite Einsatz dieses Mittels befeuerten sie. Dazu läuft die Zulassung von glyphosathaltigen Mitteln in der Europäischen Union eigentlich am Ende dieses Jahres aus, und die Verlängerung der Zulassung für weitere zehn Jahre ist im Verfahren. Die Entscheidung soll im Sommer nächsten Jahres fallen. Deshalb liegt sicher heute dieser Antrag der Fraktion von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN vor.

Glyphosat ist biologisch hochwirksam und Bestandteil einer Vielzahl von sogenannten Breitbandherbiziden.

Glyphosat ist weltweit seit Jahren der mengenmäßig bedeutendste Wirkstoff von Herbiziden. Seit Mitte der 70er-Jahre wird dieser Wirkstoff in immer größerem Umfang in der konventionellen Landwirtschaft sowohl zur Unkraut- oder Beikrautbekämpfung als auch zur Sikkation eingesetzt.

(Vizepräsidentin Silke Gajek übernimmt den Vorsitz.)

Dabei hat Glyphosat aus Sicht der Anwender, also hauptsächlich der Landwirte, unbestritten große Vorteile gegenüber anderen Breitband- oder Totalherbiziden.

(Thomas Krüger, SPD: Genau.)

Es wirkt unselektiv gegen Pflanzen, aber es ist möglich und bereits geschehen, mittels Gentechnik, resistente Nutzpflanzen zu entwickeln und so Glyphosat massenhaft während des Pflanzenwachstums einzusetzen. Man kann zum Beispiel die Reife von Getreide beschleunigen. Das wollen wir natürlich nicht. Es ermöglicht eine pfluglose Bodenbearbeitung, auch dazu werde ich noch etwas sagen.

Die Sikkation wollten wir bekanntlich verbieten, mit Ausnahme von witterungsbedingten Sonderfällen. Darauf will ich auch noch einmal aufmerksam machen. Dazu weist Glyphosat meist eine geringere Mobilität, Lebensdauer und eine geringere Toxizität gegenüber Tieren auf – alles durchaus erwünschte Eigenschaften eines Herbizids. Ich sage es mal einfach: Es ist durchaus anwenderfreundlich im Vergleich zu anderen Herbiziden.

Glyphosat ist aber auch, wie jeder Einsatz von Chemikalien auf dem Feld, mit Nachteilen verbunden. Der massenhafte Einsatz von Glyphosat hat zur Entwicklung von glyphosatresistenten Unkräutern geführt. Die starke Anwendung von herbizidresistenten Kulturpflanzen in den Vereinigten Staaten, in Argentinien und Brasilien hat diese Entwicklung begünstigt. Aufgrund der breiten Anwendung dieses Herbizids auch bei uns rechne ich damit, dass zukünftig auch Deutschland und MecklenburgVorpommern von dieser Entwicklung betroffen sein könnten.

Glyphosat wird in der deutschen Landwirtschaft zu drei verschiedenen Zeitpunkten verwendet: erstens um die Aussaat herum, nach der Ernte des Wintergetreides und vor der Neuansaat und leider immer noch in einigen Betrieben vor der Ernte zur Reifebeschleunigung. So ist eine Anwendung zur Sikkation zwar beschränkt nur dort erlaubt, wo das Getreide ungleichmäßig abreift und eine Ernte ohne Behandlung nicht möglich ist, nicht jedoch zur Steuerung des Erntetermins oder zur Optimierung des Mähdrusches.

Ich habe in dieser Frage viele Gespräche mit den Bauern geführt. Es gibt zum größten Teil durchaus eine Unterstützung unseres Standpunktes, eine solche Beschränkung vorzunehmen.

(Minister Dr. Till Backhaus: Haben wir gemacht.)

Trotzdem scheinen die zulässigen Ausnahmen in vielen Bereichen eher noch die Regel zu sein. In der Schweiz ist die Sikkation grundsätzlich verboten. Es scheint also auch ganz ohne Glyphosat zu gehen. Die durchaus anderen Bedingungen in Süddeutschland und in der

Schweiz lasse ich an dieser Stelle und bei der weiteren Erörterung beiseite.

Daneben gibt es noch eine Reihe einschränkender landesrechtlicher Regelungen. In Bayern wurde die Auflage erteilt, dass das Stroh von behandelten Pflanzen nicht zur Verfütterung eingesetzt werden darf. Vermu- tungen zur toxischen Wirkung von Beistoffen des Herbizids und fehlende Untersuchungen haben zu diesen Bedenken geführt. Nach Angaben des Landesbetriebs Landwirtschaft des Bundeslandes Hessen besteht ein Verwendungsverbot für mit Glyphosat behandeltes Getreide, wenn es sich um Saatgut oder Braugetreide handelt.

Glyphosatresistente Nutzpflanzen spielen in Deutschland zum Glück keine Rolle. Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland etwa 30 bis 40 Prozent der Flächen mit Glyphosat behandelt werden. Bei der pfluglosen Bodenbearbeitung – ich bin sehr für die pfluglose Bodenbearbeitung – wird mit Ausnahme Süddeutschlands standardgemäß Glyphosat verwendet. Insbesondere in der ostdeutschen Landwirtschaft und auch in Mecklenburg-Vorpommern ist das der Fall. Aber wir müssen dabei immer an die Nebenwirkungen denken, wie es natürlich bei jedem Verfahren Vor- und Nachteile gibt. Eine einseitige Betrachtung ist meiner Meinung nach nicht möglich. Auch darauf habe ich im Zusammenhang mit der Begründung unseres Antrages von 2013 seinerzeit aufmerksam gemacht.

Der Einsatz von Glyphosat ist gerade in der letzten Zeit stark in die Kritik geraten: Glyphosat im Grundwasser, im Urin von Mensch und Tier, in der Muttermilch stillender Frauen, im geernteten Getreide, in Eiern, in Sojabohnen. Möglicherweise könnte ich diese Liste noch verlängern. Glyphosat eignet sich für die Gegner ebenso wie für die Befürworter trefflich, um ideologische Gefechte auszutragen. Landwirten wird vorgeworfen, systematisch ihre Kunden zu vergiften. Dem Bundesamt für Risikobewertung wird vorgeworfen, unwissenschaftlich zu arbeiten, negative Studien zu Glyphosat unter den Tisch fallen zu lassen und ausschließlich die wirtschaftlichen Interessen der sogenannten Agrarindustrie zu verfolgen.

Der schlimmste Vorwurf ist allerdings, dass tatsächliche Risiken für die menschliche Gesundheit durch den Einsatz von Glyphosat verschwiegen werden sollen und dabei steigende Krebsraten in Europa bewusst in Kauf genommen werden, nur um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft zu erhalten.

(Beifall Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ähnliche Vorwürfe richten sich auch an die Europäische Kommission, vor allem seit in der letzten Woche Glyphosat durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit – das ist die EFSA – als „wahrscheinlich nicht krebserregend“ eingeschätzt wurde.

Umgekehrt wird argumentiert, Umweltverbände, GRÜNE und auch Teile meiner Partei betreiben häufig eine Diskussion ohne Fakten und schüren damit Ängste, um ihre Ziele zu erreichen. Die Landwirtschaft wird pauschal an den Pranger gestellt. Dagegen verwahre ich mich in jedem Falle.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Ich hoffe, Sie sehen es mir nach, dass ich mich an dieser Diskussion nicht beteilige. Eine Versachlichung der Diskussion ist für mich der richtige Weg, um europaweit zu gültigen und klaren Regelungen zu kommen. Und wenn am Ende die Verlängerung der Zulassung für das Glyphosat verweigert wird, dann müssen die Landwirte auch damit fertigwerden und leben, und das werden sie. Ich werde dies als einer der Ersten begrüßen.

Ebenso gilt aber auch, dass nach einer eventuellen erneuten Zulassung des Mittels, die mit der Einschätzung der EFSA deutlich wahrscheinlicher geworden ist, damit nach wie vor sorgfältig, sparsam und verantwortungsbewusst umgegangen werden muss. Es gilt hier wiederum der Grundsatz der guten fachlichen Praxis. Glyphosat zur Sikkation als ein Standardverfahren und den Einsatz in Heim, Garten und öffentlichen Bereichen lehnt meine Fraktion nach wie vor ab.

Ich halte mich an die bisher bekannten Fakten. Zweifellos hat der massenhafte Einsatz von Glyphosat aus Flugzeugen in Argentinien und im Grenzgebiet zwischen Kolumbien und Ecuador zu starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen der dortigen Bevölkerung geführt. In einem Fall war es die wahrscheinliche Ursache für das Ansteigen der Krebsrate auf das 41-Fache in einem Dorf mit 6.000 Einwohnern gegenüber dem Durchschnitt der argentinischen Bevölkerung. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass diese Menschen in direkten Kontakt mit den eingesetzten Herbiziden gekommen sind. Das hat nichts mit unseren hiesigen Anwendungen zu tun.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ bei Menschen eingestuft. Die Studien, die zu dieser Einstufung führten, waren keine Risikostudien. Sie fußen auf der Direktgabe des reinen Wirkstoffes an Versuchstiere. Viele Studien weisen auf schädliche Wirkungen von Glyphosat auf Bodenorganismen, die Bodenfruchtbarkeit sowie auf die Gesundheit und Reproduktionsleistungen bei Nutztieren hin. Andere Studien – und diese sind in der Mehrzahl, auch das will ich ganz klar sagen – zeigen genau das Gegenteil.