Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 29: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Betriebliche Interessenvertretung in Mecklenburg-Vorpommern sichern und stärken, Drucksache 6/4650.
Antrag der Fraktion DIE LINKE Betriebliche Interessenvertretung in Mecklenburg-Vorpommern sichern und stärken – Drucksache 6/4650 –
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die betriebliche Mitbestimmung hat in der Bundesrepublik Deutschland eine lange Tradition. Seit 1952 regelt das Betriebsverfassungsgesetz die Rechte und Pflichten von gewählten Betriebsräten. Schätzungsweise eine halbe Million Menschen engagieren sich bundesweit als Betriebsrat. Sie kümmern sich Tag für Tag um die konkreten Anliegen im Betrieb, ganz gleich, ob es um Dienstpläne, Arbeits- und Gesundheitsschutz, tarifliche Fragen, Einstellungen, Versetzungen oder Kündigungen geht.
Betriebsrat zu sein, bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, und bringt selten Applaus, und deshalb möchte ich gleich zu Beginn meiner Ausführungen allen engagierten Betriebsräten einmal danken.
Es geht um Mitreden, Mitgestalten und natürlich auch um Mitbestimmen. Dort, wo es Betriebsräte gibt, sind die Entgelte nachweislich um durchschnittlich 10 Prozent höher, die Arbeitsbedingungen besser, die Arbeitsplätze sicherer, es gibt durchschnittlich 25 Prozent weniger arbeitnehmerseitige Kündigungen und oft sind auch die Unternehmen wirtschaftlich erfolgreicher. Der DGB spricht von einem Produktivitätsanstieg in Betrieben mit Betriebsrat je nach Branche und Betriebsgröße zwischen 9 und 30 Prozent.
Deshalb sollte es auch unser gemeinsames Ziel sein, die Verbreitung von Betriebsräten zu verbessern, und hier haben wir nachweislich noch großen Nachholbedarf. Der Anteil der Beschäftigten in Betrieben mit einem gewählten Betriebsrat beträgt in Mecklenburg-Vorpommern nach Angaben des DGB Nord lediglich 33 Prozent. Damit liegen wir sowohl unter dem bundesweiten Durchschnitt von 43 Prozent als auch unter dem ostdeutschen Durchschnitt von 36 Prozent. In nur 8 bis 9 Prozent aller Betriebe existiert überhaupt eine professionelle Interessenvertretung.
Eine Ursache ist sicher die kleinteilige Unternehmensstruktur. Dennoch spricht dies nicht automatisch gegen die Wahl eines Betriebsrates, denn diese ist bereits ab fünf Beschäftigten möglich. Allerdings handelt es sich dann jeweils um Einpersonenbetriebsräte, und jeder hier kann sicherlich nachvollziehen, dass es im Konfliktfall leichter fällt, mit einem Gremium im Rücken zu agieren als ganz allein. Doch auch in den etwas größeren Unternehmen sind Betriebsräte keinesfalls selbstverständlich. 61 Prozent der Betriebe mit 51 bis 100 Beschäftigten hatten laut IAB 2012 gar keine Betriebsräte, in der Größenordnung 101 bis 200 Beschäftigte waren es immerhin noch 46 Prozent.
Woran liegt es also, dass so viele Beschäftigte von ihrem legitimen Recht keinen Gebrauch machen und eben keinen Betriebsrat wählen? Nun, vor allem in kleinen Unternehmen ist zu beobachten, dass man stärker auf die Interessenlage des Chefs, der häufig auch Eigentümer ist, Rücksicht nimmt. Zuweilen gehen Beschäftigte auch davon aus, dass die Bildung eines Betriebsrates dem Unternehmen schaden könnte, und zudem sorgen
Pressemitteilungen über den Versuch, Betriebsratswahlen zu verhindern oder gewählte Betriebsräte wieder loszuwerden, für Ängste, eine Wahl zu initiieren und sich als Kandidat zur Verfügung zu stellen. Begrifflichkeiten wie „Betriebsrats-Bashing“ und „Union Busting“ beschreiben Aktivitäten, mit denen engagierte Interessenvertreter eingeschüchtert und im schlimmsten Fall auch aus den Betrieben entfernt werden sollen.
Das Buch „Die Fertigmacher“ von Elmar Wigand, was ich hier liegen habe, aber nicht hochhalten darf, dokumentiert ebenso wie eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung Fälle, in denen Betriebsräte zerschlagen und die Mitglieder durch Mobbing oder Kündigungen systematisch zermürbt wurden. Beide nehmen auch die andere Seite, nämlich spezialisierte Anwaltskanzleien, in den Blick, welche im Rahmen sogenannter Arbeitgebertage darüber informieren, wie man ungeliebte Betriebsräte wieder loswerden kann. Zwar verlieren diese Anwälte einen Großteil der Fälle, bis es so weit ist, haben die betroffenen Betriebsräte aber häufig gesundheitlich, wirtschaftlich und mit Blick auf ihr Ansehen in der Öffentlichkeit Schaden genommen. Noch zu selten wird dies in der Öffentlichkeit bekannt und deshalb haben engagierte Journalisten – einer ist auch Mitautor des schon angesprochenen Buches – den Verein Arbeitsunrecht e. V. gegründet und den Internetblog www.arbeitsunrecht.de ins Leben gerufen.
Ein Umsteuern ist also angebracht, und unser Antrag zeigt, wo man hier ansetzen kann. Wenn die Landesregierung erfreulicherweise auch zu der Einschätzung kommt, dass Betriebsräte wichtige Partner der Unternehmen sind, und daher das Streben nach mehr Betriebsräten in den hiesigen Unternehmen für sinnvoll erachtet, dann sollten die sie tragenden Fraktionen dem Antrag auch zustimmen,
denn wer es ernst meint mit der Stärkung von Arbeitnehmerrechten, der Stärkung von Betriebsräten und der Tarifbindung, der muss sich den strukturellen Ursachen zuwenden.
(Torsten Renz, CDU: Wir brauchen doch hier keine Selbstverständlichkeit zu beschließen. Das ist doch unstrittig.)
Und das, Herr Renz, bedeutet, sich in der ASMK und im Bundesrat an die Spitze der Bewegung zu stellen,
wenn es jetzt darum geht, die Möglichkeiten der Betriebsratswahl zu vereinfachen und engagierte Leute künftig besser zu schützen.
Lassen Sie mich die einzelnen Forderungen des Antrags also kurz erläutern: Mit der Ausdehnung des vereinfachten Wahlverfahrens für Betriebe mit bis zu 100 und optional auch für mit bis zu 200 Beschäftigten soll die Wahl deutlich vereinfacht werden, denn den Betriebsrat in zwei Wahlversammlungen zu wählen, bei denen im ersten der Wahlvorstand und im zweiten Wahlgang der Betriebsrat gewählt wird, ist natürlich einfacher, als ein über zehn Wochen laufendes mehrstufiges Verfahren zu initiieren, wo Sie erfahrene und gesondert geschulte Betriebsräte
brauchen. Es geht also darum, durch die Absenkung der Anforderungen an den Wahlvorstand einen Anreiz zu setzen, sich zur Verfügung zu stellen.
Wahlvorstandsbewerber, Beschäftigte, die erstmals eine Wahl einleiten, und Wahlvorstandsmitglieder sind aufgrund der angesprochenen Tendenz zur Verhinderung von Betriebsratsgründungen besonders gefährdet. Mit der Aufnahme der Wahlvorstandsmitglieder in die Schutzbestimmungen des Benachteiligungsverbotes nach Paragraf 78 Betriebsverfassungsgesetz soll darauf angemessen reagiert werden, denn besagter Paragraf regelt, dass die unter Schutz gestellten Personen in der Ausübung ihrer Tätigkeit weder behindert noch benachteiligt werden dürfen, auch nicht mit Blick auf ihre berufliche Entwicklung.
In die gleiche Richtung geht die Aufnahme der Wahlvorstandsmitglieder sowie der Beschäftigten, die erstmals eine Wahl einleiten, als vom Strafrecht zu schützende Personen in den Paragrafen 119 Absatz 1 Nummer 3. Dieser stellt nämlich klar, dass mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe belegt wird, wer die genannten Personengruppen aufgrund ihrer Tätigkeit benachteiligt.
Und mit der Aufnahme befristet Beschäftigter, die in einen Betriebsrat gewählt wurden, in die Schutzbestimmungen des Paragrafen 78a Betriebsverfassungsgesetz soll ein Stück auf die Lebensrealität in den Betrieben reagiert werden, denn die Zahl der befristeten Beschäftigungsverhältnisse hat sich zwar hierzulande inzwischen absolut betrachtet auch ein Stück verringert, dennoch erfolgt ja jede zweite Neueinstellung auch in Mecklenburg-Vorpommern nur befristet.
Besagter Paragraf gilt bislang für Auszubildende, die Mitglied der JAV oder des Betriebsrates sind, und soll eben verhindern, dass diese nach Beendigung ihres Ausbildungsverhältnisses wegen ihres ausgeübten Ehrenamtes nicht in ein anschließendes Arbeitsverhältnis übernommen werden. Mit der Übernahme dieser Regelung für in den Betriebsrat gewählte Beschäftigte mit befristeten Verträgen wird für diese große Gruppe eben ein Haupthemmnis abgebaut, sich an demokratischen Beteiligungsstrukturen im Betrieb zu beteiligen.
Ich glaube, niemand stellt infrage, dass es auch sinnvoll ist, Wahlvorstände bei der Durchführung ihrer Arbeit zu unterstützen und ihnen gegebenenfalls sachverständige Berater zur Verfügung zu stellen, weil damit Fehler und Streitigkeiten bei der Durchführung der Wahlen verhindert werden können.
Von besonderer Bedeutung ist der letzte Beschlusspunkt, denn der Paragraf 119 Betriebsverfassungsgesetz gehört nachweislich zu den am seltensten durchgesetzten Rechtsnormen in der arbeitsrechtlichen Praxis. Er regelt den Umgang mit vom Betriebsrat angezeigten Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder. Offenbar liegt die mangelhafte Durchsetzung der zum Schutz betriebsverfassungsrechtlicher Gremien geltenden Bestimmungen daran, dass der Nachweis für eine objektive Behinderung der Betriebsratsarbeit nur schwer zu führen ist. Zudem wird häufig darauf verwiesen, dass Straftaten gegen die Betriebsverfassung für viele Strafrichter und Staatsanwälte ein weitgehend unbekanntes Feld sind. Ich werde in der Debatte auch ein Beispiel dafür bringen.
Deshalb soll geprüft werden, inwieweit auch in Mecklenburg-Vorpommern strukturelle Defizite bestehen und wie diese gegebenenfalls abgebaut werden können. Ich hoffe, mit den Erläuterungen deutlich gemacht zu haben, wie sich die Situation hierzulande darstellt und dass Handlungsbedarf besteht, und freue mich auf die Debatte. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Betriebliche Mitbestimmung ist – und da gebe ich Herrn Foerster recht – ein Grundpfeiler unserer Wirtschaftsordnung. Sie ist verfassungsrechtlich geschützt und leistet seit vielen Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zum sozialen Frieden in unserem Land. Gerade in schwierigen Zeiten, wie etwa den wirtschaftlichen Umbrüchen der 90er-Jahre, hat sich vielerorts gezeigt, dass Mitbestimmung auch Partnerschaft heißen kann und dass Prozesse der Neuorganisation, Restrukturierung oder Sanierung in Unternehmen konstruktiver verliefen, in denen es Betriebsräte gab. Mitbestimmung bedeutet schließlich immer auch Mitverantwortung.
Alle Mitbestimmungsgesetze sind deshalb darauf ausgelegt, eine produktive Zusammenarbeit von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite und einen Interessenausgleich zu ermöglichen. Mit den Veränderungen der Arbeitswelt ändern sich auch die Strukturen von Unternehmen, und hier in Mecklenburg-Vorpommern haben wir es in der Mehrheit mit kleinen und Kleinstbetrieben zu tun. Hier Mitbestimmung sicherzustellen, ist sicherlich keine leichte Aufgabe, da gebe ich Ihnen recht, zumal – und auch das zeigen Sie in Ihrem Antrag auf – der geringe Anteil von Unternehmen mit Betriebsrat kein schmeichelhaftes Licht auf die Mitbestimmung hierzulande wirft.
Wir haben kürzlich eine Kleine Anfrage von Ihnen beantwortet und in dieser Antwort heißt es, ich zitiere: „Die Landesregierung hält ein Streben nach mehr Betriebsräten für sinnvoll. Hierbei können sowohl die … gesetzlichen Regelungen als auch zum Beispiel ein stärkerer Schutz der Mitglieder des Wahlvorstands von Betriebsratswahlen durch eine Unterschutzstellung unter die Bestimmungen des § 78 und § 119 des Betriebsverfassungsgesetzes dazu beitragen, die Bildung von Betriebsräten zu erleichtern. Bei der Bewertung ist allerdings mit zu berücksichtigen, dass mit Blick auf die bereits gegebenen (Kündigungs-) Schutzregelungen nicht Überregelungen zulasten insbesondere kleinerer Unternehmen getroffen werden und Bürokratieaufbau vermieden wird.“
Sehr geehrte Fraktion DIE LINKE, Sie sehen, wir sind uns einig, wohin es gehen soll. Stellt sich noch die Frage nach dem Wie. Und die Ausgestaltung dieses Wie liegt ganz klar in der Zuständigkeit des Bundes. Das ist, glaube ich, auch unstrittig. Wir nutzen natürlich auch in diesem Kontext unsere Möglichkeiten über den Bundesrat und ich bin gerne bereit zu prüfen, ob wir dabei einzelne Punkte Ihres Antrags berücksichtigen können.
Die geeignete Weise, in der wir laut Ihrem Antrag auf Ihr Anliegen hinwirken sollen, ist darüber hinaus hier auf Landesebene das Bündnis für Arbeit. Die Bündnispartner im Fachkräftebündnis haben unter dem Titel „Zukunft der Arbeit“ eine Reihe von Handlungsfeldern, Zielen und entsprechenden Schritten erarbeitet. Ob und wie weit diese umgesetzt werden, überprüfen die Beteiligten jährlich. Im kommenden April haben wir die nächste Hauptrunde des Bündnisses, wo wir gemeinsam mit den Ministerpräsidenten tagen und dann auch die Arbeitsergebnisse in einem Bericht zusammenfassen werden.
Die betriebliche Mitbestimmung gesetzlich abzusichern, ist Sache des Bundestages. Die betriebliche Mitbestimmung mit Leben zu erfüllen, ist Sache der Sozialpartner. Unsere Sache ist es, diese Prozesse mit unseren Mitteln anzustoßen, zu begleiten und zu fördern. Seien Sie sicher, das tun wir! – Vielen Dank.
(Minister Dr. Till Backhaus: Herr Renz, wo brennts? – Heiterkeit bei Torsten Renz, CDU: Auf der Regierungsbank.)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine starke Sozialpartnerschaft gehört zur sozialen Marktwirtschaft. Ich glaube, das ist unstrittig. Insofern möchte ich auch jetzt bei meinen Ausführungen nicht stundenlang die Rolle der Bedeutung diskutieren, sondern will einfach nur feststellen, dass wir ein gutes Betriebsverfassungsgesetz haben. Wenn ich sage „gut“, dann heißt es nicht, dass man es nicht immer noch besser machen kann. Das wissen wir sehr wohl. Aber es stellt sich ja die Frage, ob so ein Antrag dazu dient, es tatsächlich besser zu machen.
Wenn es dann hier um Aktivitäten geht und in Ihrem Antrag steht, „in geeigneter Weise“, bin ich Ihnen schon mal dankbar – da die Antragstellung ja auch nicht so klar war, was ist die geeignete Art und Weise –, dass Sie in Ihrem Redebeitrag darauf hingewiesen haben, dass man sich an die Spitze der Bewegung stellen sollte, zum Beispiel über die ASMK oder über eine Bundesratsinitiative. Dann frage ich mich: Wer soll denn an der Spitze der Bewegung stehen? Das ist der Spruch von gestern,
(Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Das habe ich auch nicht verstanden. – Zuruf von Henning Foerster, DIE LINKE)
Ich will Ihnen da einfach nur antworten, das wäre so eine Art Hase-und-Igel-Spiel, denn wir sind schon längst da.