Protokoll der Sitzung vom 16.12.2015

Mir ist das immer sehr eingängig, was Herr Heydorn häufiger hier vorne sagt: „Ohne Ziel stimmt jede Richtung.“ Ein Ziel bestimmen zu können, letztendlich die Instrumente dann auch vorzulegen und entsprechende Maßnahmen zu entwickeln, das alles beginnt mit einer Analyse. Die wollen wir, das schlagen wir hier vor. Wenn ich das Wort „unverantwortlich“ in diesem Zusammenhang gebrauche, hat das ganz einfach damit zu tun, dass bestimmte Zahlen und Fakten, Sozialdaten dafür sprechen, dass es hier Handlungsbedarf gibt.

Konstant haben wir mehr als 40.000 Kinder im Land, die in Mecklenburg-Vorpommern seit Jahren in Armut leben, allein in den sogenannten Bedarfsgemeinschaften des Hartz-IV-Systems. Hinzu kommen mehr als 120.000 erwerbsfähige Erwachsene und noch mal 16.000 Rentnerinnen und Rentner. Insofern gilt es, sich die Realität zu vergegenwärtigen und sich bewusst zu machen, dass mehr als zehn Prozent der Bevölkerung in unserem Land in Armut beziehungsweise in der Nähe von Armut leben. Das dürfen wir nicht ausblenden. Insofern werbe ich auch für diesen Änderungsantrag, hier Mittel bereitzustellen, um ganz systematisch Armutsbekämpfung

anzugehen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit an dieser Stelle.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Koplin.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Heydorn für die Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich will zunächst auf die Ausführungen der Kollegin Gajek zum Thema „Bürgerschaftliches Engagement“ und zu den Aussagen der QuandtStiftung, die Herr Dr. Eichert wohl im Rahmen der letzten Enquetekommissionssitzung getroffen haben soll, eingehen,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das war die Strategie, die er gefahren hat.)

weil ich auch auf dieser Veranstaltung war. Ich kann mich an solche Ausführungen nicht erinnern. An das, was Dr. Eichert da gesagt hat, kann ich mich aber ganz gut erinnern. Er hat auf der einen Seite zuerst einmal unsere Ehrenamtsstiftung gelobt. Das sei die richtige Geschichte,

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ja, was erzählt denn die Silke da?!)

diese Ehrenamtsstiftung ins Leben zu rufen, das zu implementieren, und er hat goutiert, wie zügig diese Ehrenamtsstiftung ins Laufen gekommen ist.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann hat Herr Dr. Eichert quasi Kritik an den Gutachtern geübt. Er hat gesagt, das ist eine sehr einseitige Brille, durch die man das Thema „Bürgerschaftliches Engagement“ betrachtet, weil der gesamte Bereich der öffentlichen Verwaltung da nur als Vollzugsgehilfe bewertet worden sei. Das halte er als Erfahrungsträger, auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung, für einen kardinalen Fehler. Dann hat Herr Dr. Eichert sich auch zu Strukturen geäußert: Wir brauchen also Strukturen auf dem Land,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dezentrale Strukturen.)

wir brauchen Strukturen in den Kreisen und wir brauchen auch Strukturen auf der Ebene der Ämter und Gemeinden.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau, dezentral.)

Nur, die Dinge sind ja angedacht.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Also Herr Dr. Eichert hat sehr plausibel und einleuchtend dargestellt, dass gerade die Ehrenamtsstiftung nicht nur dem Bereich der Freien Wohlfahrtspflege oder der freien Träger zuzuordnen ist, sondern natürlich auch dem Bereich der öffentlichen Hand – dafür ist sie ja vom Land gegründet worden –, und dass diese Ehrenamtsstiftung

in sehr großem Umfang die Möglichkeit hat, hier strukturbildend Einfluss zu nehmen.

Wir haben als Koalitionäre hier die sogenannten Mitmachzentralen implementiert, die sich in den Kreisen sehr gut etabliert haben und die jetzt beispielsweise im Bereich der Flüchtlingsbetreuung auch ehrenamtliche Aufgaben übernommen haben. Die werden wir auch in diesem Doppelhaushalt mit Mitteln ausstatten und wir werden dranbleiben, sie weiter auszubauen und zu fördern.

Es steht nach wie vor die Aufgabe im Raum, wie man das Thema „Strukturen auf der Ebene der Gemeinden“ hinkriegt. Kümmererstrukturen, das ist ein wichtiges Thema. Wie wird die Verwaltung gefördert und unterstützt, um bürgerschaftliches Engagement zu unterstützen?

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Strategie.)

Aber in dieser Expertenanhörung ist nicht ein Satz darüber gefallen, dass wir hier keinen Plan haben, nicht ein Wort. Das, denke ich, musste ich hier noch mal klarstellen.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, das stelle ich dann auch noch mal klar.)

Jetzt zu Herrn Koplin und seinen Ausführungen zum Thema „Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung“. Ihnen ist bekannt, dass wir unsere Haushaltsansätze für beide Haushaltsjahre noch mal um jeweils 100.000 Euro für die Sachmittel erhöhen. Wenn man sich die Förderung von Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen bundesweit anguckt, dann ist das Land Mecklenburg-Vorpommern vorne mit dabei. Dass unsere Schuldnerberatungsstellen quasi immer so kurz vor dem Abnibbeln sind, da fehlt mir so ein bisschen der Glaube daran, Herr Koplin, weil wir das ja erlebt haben. Immer, wenn vom Abnibbeln der Schuldnerberatungsstellen die Rede war, wurde ganz schnell die Schuldnerberatungsstelle „Lichtblick“ der Diakonie angeführt.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Na die gibts ja nicht mehr.)

Es wurde angeführt, dass die wieder in ihrer Existenz bedroht sind und nicht klarkommen. Es ist ja so gewesen, sie haben nun angekündigt, dass sie ihre Arbeit einstellen wollen, haben ihren Mitarbeitern gekündigt und so weiter und so fort – sie waren hier in Schwerin ansässig –, und dann hatte man den Eindruck, das war es an der Stelle. Die Stadt Schwerin hat sich um einen neuen Träger bemüht, das kann man sagen, das ist die Volkssolidarität, die es letztendlich geworden ist. Aber auf einmal war auch die Diakonie mit „Lichtblick“ wieder auf dem Plan und wollte die Schuldnerberatungsstelle in Schwerin fortführen.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn das so ist, dann habe ich Schwierigkeiten, mir vorzustellen, dass das mit den Mitteln, die wir zur Verfügung stellen, alles nicht geht. Also insofern, Sie als Vorsitzender des Finanzausschusses wissen, dass man mit öffentlichen Mitteln wirtschaftlich und sparsam umgehen

muss und dass es auch nicht angezeigt ist, dann noch mal einen Schlag oben draufzuhauen, wo man wirklich beobachten kann, dass Dinge zur Verfügung stehen. Eines, das mich beim Thema „Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen“ ein bisschen skeptisch macht, ist, wenn man sich einmal anguckt, wie die Zugänglichkeit zu den Beratungsstellen ist. Da muss man sagen, in ländlich peripheren Räumen ist sie deutlich schlechter, das heißt also, die Träger konzentrieren sich im Wesentlichen auf den urbanen Raum. Da muss man auch noch mal gucken, wo die Entwicklung hinführt.

Thema Armutsberichterstattung. Sie haben recht, der Spruch „Ohne Ziel stimmt jede Richtung“ ist von mir schon des Öfteren benutzt worden, aber man muss natürlich dann auch klar das Ziel definieren. Sie haben im April 2015 im Landtag schon mal einen Antrag eingebracht, dass wir vom Land aus eine derartige Armutsberichterstattung auf den Weg bringen sollten, und haben das gefordert. Das haben wir abgelehnt. Ich würde einen solchen Antrag auch heute wieder ablehnen, weil es keinen Sinn macht, so etwas nur von der Landesebene aus zu betreiben. Sie kriegen also von der Landesebene keine kleinräumige Planung hin, schon bei der Analyse haben Sie große Schwierigkeiten. Vor allen Dingen werden Sie das, was Sie dann umsetzen wollen, ohne eine entsprechende Beteiligung der kommunalen Ebene nie realisieren können. Das heißt, da, wo dieses Thema Armutsberichterstattung als Steuerungsinstrument funktioniert, müssen Sie schon zusammenkommen. Das ist nicht nur eine Sache des Landes, dazu braucht man auch die kommunale Ebene.

Es gibt gerade für das Thema Sozialberichterstattung auf der kommunalen Ebene eine ganze Reihe von wirklich sehr guten Beispielen, ob das Bielefeld ist, ob das Wiesbaden ist und noch ein paar andere, die das seit vielen Jahren betreiben und heute auch nicht mehr darauf verzichten wollen, weil sie sagen, wir wollen halt nicht in jede Richtung x-beliebig unterwegs sein, sondern wir brauchen für unser Handeln ein Controllinginstrument, was auf der einen Seite zeigt, wo wir hinwollen, und uns auf der anderen Seite auch als Evaluationsinstrument ermöglicht zu gucken, ob wir denn auf dem richtigen Kurs sind. Also alleine nur von der Landesebene so etwas zu fordern, greift zu kurz. Da muss man gucken, dass man in anderer Art und Weise zusammenbleibt.

Ich erlaube mir jetzt noch ein paar Ausführungen zum Thema Arbeitsmarkt. Also, Herr Foerster, meine Bewertung des Arbeitsmarktes ist eine etwas andere als Ihre. Ich habe den Eindruck, dass wir in Mecklenburg-Vor- pommern inzwischen in einer Situation sind, dass es nicht mehr so ist, dass Menschen ohne Erwerbstätigkeit auf wenige Arbeitsplätze drängen, sondern dass wir inzwischen eine Situation haben, die quasi in die andere Richtung geht. Mir sind eine ganze Reihe von Branchen bekannt, und das sind nicht nur Gesundheitsbereiche, wo sie inzwischen mehr Arbeitsplätze haben als Arbeitskräfte. Mehr Arbeitsplätze als Arbeitskräfte, das muss man sehen und darauf muss man sich einstellen, weil das mit der Zukunftsfähigkeit dieses Landes zu tun hat. Deswegen unterstütze ich in vollem Umfang die Haltung unseres Ministerpräsidenten, wenn er sagt, wir müssen uns darauf konzentrieren, die Menschen in erster Linie auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. Wir haben auch dazu, zu dem Thema eine Anhörung in der Enquetekommission gehabt – ich glaube, Sie waren zugegen –,

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wo beispielsweise jemand von der Industrie- und Handelskammer – aus Hagen, glaube ich, kam der Mann –, vorgetragen hat, wie sie da rangehen und auf Arbeitgeber zugehen, um letztendlich Menschen mit Behinderung in reguläre Arbeitsplätze zu bringen. Das geht so weit, dass sie Vorschläge unterbreiten, wie Unternehmen ihre Arbeitsprozesse und ihre Arbeitsinhalte anders organisieren können und wie man auf diese Art und Weise weiterkommt.

Wir haben in der gleichen Runde jemanden vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gehabt, der gesagt hat, konzentriert euch darauf, Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen, wie beispielsweise durch dieses Thema Familiencoaches, die den Leuten zur Seite stehen, wenn sie in Arbeit gehen, wenn Probleme auftauchen, mit dem Arbeitgeber reden, wenn Frustration bei Leuten entsteht, die sich überfordert fühlen, versuchen sie, das aufzufangen. Damit, sagte er, sind große Erfolgsaussichten verbunden. Deswegen ist das in erster Linie und prioritär Gegenstand unserer Politik und wir werden daran festhalten.

Zum Abschluss von mir noch ein paar Ausführungen zum Thema Kindertagesstättenförderung. Herr Koplin, ich kann mich daran erinnern, dass wir beide mal zusammen im Sozialbereich unterwegs gewesen sind und auch das Thema „Umstellung der Finanzierung im Kitabereich“ zusammen gemacht haben mit der damaligen Novelle des Kindertagesstättenförderungsgesetzes. Ich meine, das war 2002 oder 2003. Wir sind damals von dieser Istkostenkalkulation weggegangen und haben gesagt, wir machen etwas Neues, wir kommen jetzt von der Architektur zu einem System, wo jeder, der sich in irgendeiner Form beteiligen sollte, auch zu beteiligen sein wird.

Ich will an dieser Stelle daran erinnern, das, was wir damals gemacht haben, hatte einen festen Kostenbeitrag des Landes zum Inhalt, völlig unabhängig davon, ob jetzt weniger Kinder oder mehr, und die Tendenz ging immer nach oben. Das heißt, wir beide haben damals noch ein Gesetz verabschiedet, das aufgrund der fixen Zuschusssituation des Landes immer dazu geführt hat, dass bei steigender Zahl von Kindern andere mehr belastet worden sind,

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ja.)

ob die Gemeinden oder auch

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Die Eltern.)

die Eltern. Wenn Sie sich heute hier hinstellen und das, was eine Errungenschaft ist, nämlich dass wir als Land inzwischen jeden Platz finanzieren, dass Sie das kritisieren und sagen, also das ist im Grunde die Kostensteigerung beim KiföG, und das, was die Koalitionäre da mehr reingegeben haben, ist nur der erhöhten Inanspruchnahme geschuldet, dann ist das ein Treppenwitz, weil das ist eine richtige Verbesserung, was wir gemacht haben. Diese Pro-Platz-Förderung bedeutet eben, dass Eltern nicht alleine die Kostensteigerung zu tragen haben und Wohnsitzgemeinden nicht alleine, zusammen mit den Eltern, dabei sind, sondern dass das Land sich bei jedem Platz, der in Anspruch genommen wird, entspre

chend beteiligt. Und das ist nichts Negatives, das ist etwas Positives.

Dann will ich noch mal darauf aufmerksam machen, wir haben im Bereich der Kitagrundförderung im Jahr 2006 81 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Wir sind 2014 bei 114 Millionen Euro und es stimmt nicht, dass das nur dem Thema Platzförderung geschuldet ist. Wir haben eine ganze Reihe von Verbesserungen eingeführt, ob das die Finanzierung von Einrichtungen in sozialen Brennpunkten ist und so weiter und so fort.

Dazu fällt mir übrigens noch etwas ein. Also vor ein paar Tagen stand in der Presse, dass nach wie vor im Rahmen der Einschulungsuntersuchungen festgestellt worden ist, dass Kinder häufig mit Sprachproblemen in Erscheinung treten. LINKE und GRÜNE fordern, hier muss etwas getan werden.

(Regine Lück, DIE LINKE: Das ist ja auch richtig.)

Jetzt muss ich Ihnen sagen, wir haben schon vor Jahren etwas getan. Wir haben hier das Dortmunder Entwicklungsscreening eingeführt, was ein valides und reliables Instrument ist, um zum Beispiel Sprachdefizite zu erkennen.

(Regine Lück, DIE LINKE: Sie können ja was ändern in den Grundschulen! – Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir, das habe ich gerade gesagt, geben mehr Geld an Kitas in sozialen Brennpunkten. Und jetzt stelle ich Ihnen die Frage: Wie haben Sie sich als Oppositionsparteien, LINKE und GRÜNE, zu dem Dortmunder Entwicklungsscreening verhalten?

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Kritisch.)