Protokoll der Sitzung vom 26.04.2012

Lassen Sie uns also gemeinsam diesen Baustein der Zweiklassenmedizin in Deutschland beiseite räumen! – Ich bedanke mich recht herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 45 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat zunächst die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Praxisgebühr hat sich überlebt. Die Praxisgebühr kommt den Zielen, die sie hatte, nicht nach. Ich bin für die Abschaffung der Praxisgebühr. Da gibt es drei Gründe.

Erstens. Sie hat ihre Steuerungsfunktion verfehlt. Geplant war, dass man mit der Praxisgebühr erreicht, dass die Patienten zunächst erst mal zum Hausarzt gehen und man dann mehr steuert die Facharztbesuche und damit die überdurchschnittlich hohe Zahl der Arztbesuche, die Deutschland im Verhältnis zu anderen Ländern hat, sozusagen reduzieren kann. Wir wissen aus Studien, dass diese Steuerungsfunktion versagt, unabhängig davon, ob man sie jetzt gut findet oder nicht.

Zweitens. Die Praxisgebühr hat hohe bürokratische Kosten, sie nervt nicht nur die Patienten, sondern auch diejenigen, die Ärzte, die sie einbehalten müssen.

Und drittens – und das ist aber für mich der entscheidende Grund: Die jüngste Studie zeigt, dass die Praxisgebühr eben an sich keine Steuerungswirkung hat, aber eines bewirkt, und das finde ich aus sozial- und gesundheitspolitischen Gründen untragbar, dass die Menschen, die ein kleines Einkommen haben, die sowieso schon kaum klarkommen, dass die vor allem von Arztbesuchen abgehalten werden wegen der Praxisgebühr. Und das kann nicht das Ziel sein, dass es Instrumente gibt, die sozusagen einen Teil der Bevölkerung ausgrenzt aus der ärztlichen Versorgung.

Wie die Fraktion DIE LINKE weiß, gibt es dazu auf Bundesebene unterschiedliche Auffassungen, Herr Koplin hat es eben referiert. In der Bundesregierung gibt es auch unterschiedliche Auffassungen. Es ist ja ein Bundesgesetz, was geändert werden muss. Und hier spricht sich eher die FDP dafür aus, also komische Konstellation – LINKE unterstützt FDP-Bundesgesundheitsminister und die CDU ist dagegen. Das ist die Konstellation innerhalb der Bundesregierung und es gibt aus meiner Sicht derzeit keine Mehrheiten eben dort auf Bundesebene, die Praxisgebühr abzuschaffen. Auch in der Koalition gibt es dazu unterschiedliche Auffassungen.

Ich finde, dass wir in diesem Landtag vor dem Hintergrund – und dieser Hintergrund hat ja jetzt die Debatte um die Praxisgebühr bewegt – voller Kassen über Dinge diskutieren sollten, die wir auch hier ganz konkret im Land bewegen können. Und da hatte ich mir erhofft, dass in der letzten Landtagssitzung die Debatte um Einschränkung von Leistungskürzung in der Pflege unterstützt wird von allen demokratischen Fraktionen. Wenn wir hier volle Kassen haben und da debattieren über Abschaffung Praxisgebühr und alle von uns haben schnelle Ideen, dann sollten wir uns hier im Land vor allem auf Dinge fokussieren, die ganz, ganz dringend unter den Fingernägeln brennen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Haben wir ja gemacht.)

Und deswegen sehe ich kritisch, dass wir in Zeiten, gerade wo die Kassen voll sind, es derzeit zu tun haben mit den Verhandlungen bei der häuslichen Pflege, dass hier Leistungen eingeschränkt werden sollen. Ich finde, wenn wir darüber diskutieren, dass wir derzeit in den Kassen sehr viel Geld von den Versicherten haben, dann sollten wir uns dafür einsetzen, dass die Versicherten in unserem Land auch etwas davon haben. Und da ist als Erstes, als erster Punkt bei uns an der Tagesordnung, dass wir uns dagegen wehren, dass die Leistungen in der häuslichen Krankenpflege eingeschränkt werden. Das ist das, was gerade das Land bewegt. Das ist das, was alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der häuslichen Krankenpflege bewegt.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Und wer spricht dagegen?)

Das ist auch das, was die Versicherten bewegt. Und dass ausgerechnet bei diesem Thema, was die Menschen in unserem Land bewegt, wo wir konkret was tun könnten, die LINKE nicht mitmacht, aber wieder mit einem Schaufensterantrag der bundespolitischen Natur kommt, das halte ich für unredlich

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist es auch.)

und das muss auch mal gesagt werden.

Und als Gesundheitsministerin dieses Landes würde ich mich sehr freuen, wenn die LINKE Dinge unterstützt, die den Menschen hier im Land wirklich weiterhelfen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Barbara Borchardt, DIE LINKE: Die Sie dann auch ablehnen, ja?)

Das Wort hat nun für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Schubert.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Also lautet der Schluss, dass die Praxisgebühr nicht interessiert.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Ich habe eigentlich gedacht, die LINKEN ziehen diesen Antrag zurück.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So einfach geht das aber nicht, Herr Schubert. – Zuruf von Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt da eine ganz einfache Begründung: Morgen findet eine Debatte im Bundestag statt zur Praxisgebühr. Da gibt es drei Anträge, einen Antrag von den GRÜNEN, der wurde gestern vorbereitet,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist so wichtig, dass wir uns heute hier positionieren.)

einen Antrag von der SPD und schon seit längerem einen Antrag von Ihnen.

In Ihrem Antrag fordern Sie ja die Landesregierung auf, sich an die Bundesregierung zu wenden. Ich weiß gar nicht, wie soll das geschehen von heute bis morgen? Wie wollen Sie das praktizieren?

(Peter Ritter, DIE LINKE: Sie können die Kanzlerin zum Beispiel anrufen. Sie haben doch die Telefonnummer.)

Oder erwarten Sie, dass die CDU noch einen eigenen Antrag stellt, dass dann vier Anträge im Bundestag sind?

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das wäre doch mal was Neues. – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Oder sollen wir die SPD bitten, ihren Antrag zurückzuziehen? Das können Sie doch auch von uns nicht erwarten.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das schaffen Sie auch nicht.)

So und das würden wir auch gar nicht machen. Es gibt unterschiedliche Standpunkte und die halten wir auch, wie Torsten Renz das gestern schon beim Betreuungsgeld gesagt hat. Und insofern weiß ich nicht, was dieser Antrag heute eigentlich hier auf dieser Tagesordnung sein soll.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Und wenn Sie wirklich mal mit Patienten sprechen – ich habe die Möglichkeit durch die Tätigkeit meiner Frau –, wenn Patienten kommen und haben diese 10 Euro nicht, dann werden die trotzdem behandelt. Dafür hat sie ihren Eid geleistet und die haben die Möglichkeit, innerhalb des Monats diese 10 Euro zu bezahlen. Zahlen sie diese 10 Euro nicht, dann blutet nicht der Arzt. Nein, dann wird es weitergemeldet

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Die ziehen die Knete schon ab. Da machen Sie sich mal keine Sorgen!)

an die Kassenärztliche Vereinigung oder Kassenzahnärztliche Vereinigung und die setzen den Weg in Gang. Und das wissen die Patienten auch.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das kommt aber auf ein Ergebnis raus.)

Und zum anderen gibt es ja auch – das hatte Herr Koplin schon angeführt – Befreiungstatbestände. In dieser Studie, die Sie angeführt haben, Herr Koplin, ich habe sie auch gelesen, steht eindeutig drin, dass viele Patienten gar nicht wissen, dass es eine Befreiung von den 10Euro-Gebühren gibt. Das führt die Studie nämlich auch an. Und das heißt, es muss mehr Aufklärungsarbeit gemacht werden.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Aha!)

Aber das haben Sie eben nicht erwähnt.

Und wenn ich mir wirklich mal

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das wollen Sie auch nicht erhalten.)

den Antrag für den Bundestag der GRÜNEN ansehe, der führt ja natürlich dann auch die Punkte an, warum.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Auf der einen Seite begründet man, auch die Praxisgebühr soll abgeschafft werden. In der Begründung spricht man wieder dafür, ja, so einfach geht es nicht mit der Abschaffung der Praxisgebühr, dann muss nämlich auch der Krankenkassenbeitrag erhöht werden.

(Heinz Müller, SPD: Na gut. – Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und da widerspricht sich der Antrag in sich schon. Ich kann noch mal daraus zitieren, aber ich möchte es auch nicht zu lang machen: „Wer es, wie führende Politikerin

nen und Politiker der FDP, bei diesem widersinnigen und ungerechten Finanzierungssystem belassen will, aber gleichzeitig die Abschaffung der Praxisgebühr fordert, verschweigt, dass damit die Krankenkassen umso früher umso höhere Zusatzbeiträge werden nehmen müssen. In der Folge hätten die Versicherten …“

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, und deswegen kann ich das eine nicht fordern, wenn ich nicht das andere irgendwie finanzieren kann. Das widerspricht sich schon in Ihrem eigenen Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Darüber hinaus wird sogar gefordert, dass die Beitragsautonomie der Krankenkassen wiederhergestellt wird, das heißt, die Krankenkassen können allein ihre Beitragshöhe bestimmen und damit soll ein Wettbewerb ausgelöst werden. Und ich glaube, das wollen die Patienten und die Bürgerinnen und Bürger am wenigsten. Insofern, glaube ich, diese Debatte hier anzuregen, ist unsinnig, weil wir das nicht entscheiden. Entscheiden tut der Bundestag. Und ich muss noch mal daran erinnern: Wer hat die Praxisgebühr eingeführt?

(Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Na, wir nicht.)