Aber die Abschaffung der Praxisgebühr ist noch keine Gesundheitspolitik. Da können und müssen wir gerade hier auf Landesebene sehr viel mehr machen, vor allem bei der Gestaltung einer bedarfsgerechten gesundheitlichen Versorgung.
(Jochen Schulte, SPD: Das sind gerade mal noch 60 Sekunden. – Heiterkeit vonseiten der Fraktion der CDU)
Herr Koplin, Sie haben vorhin gerade Gesunde und Arbeitende in einen Kontext gestellt, der mir häufig auffällt und wogegen ich mich einfach wehre, weil ich denke, wir sollten nicht bestimmte Menschen gegeneinander aus
spielen, sondern Vorsorge ist ein Bereich, der von klein auf im Bildungsbereich, in den Familien durchgesetzt werden muss. Und ich weiß, dass sehr viele Krankenkassen gerade mit Vorsorgeprogrammen darauf verzichten, dass dann Praxisgebühren gezahlt werden sollen. Und ich denke, dieses „Da sind die Armen, da sind die Guten, da sind vielleicht die Schlechten“ ist etwas,
was insbesondere auch zu unserer Partei nicht passt. Also wir wollen selbstbestimmte Politik, auch Gesundheit haben. Und dazu zählt dieses „die armen Hartz-IVEmpfänger oder auch die armen Rentnerinnen und Rentner“. Es gibt sehr viele kranke Menschen, also das ist nicht sauber, was da abläuft. Und ich bitte einfach, in Zukunft auf solche Pauschalisierungen oder irgendwie Schuldzuschiebungen zu verzichten, weil das bringt uns alle hier nicht weiter und führt dann zu einer Debatte, wo eigentlich die SPD, die zu unserem Antrag oder zu dem Anliegen stehen müsste, auch dazwischen debattiert.
Und ich denke, wir sollten hier an einer Sache ziehen, damit wir eine Gesundheitspolitik haben, die sich alle irgendwann leisten können.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf die bei dieser Frage wesentlichen Rahmendaten ist Ministerin Schwesig hinreichend eingegangen. Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Praxisgebühr ihre angedachte Steuerungswirkung, also die bessere Strukturierung
der Inanspruchnahme von insbesondere vertragsärztlichen Leistungen bis heute, also rund zehn Jahre nach der Einführung, nicht erfüllt hat. Die Zahl der Arztkontakte in Deutschland ist international spitze, die Bürokratie zur Administration der Praxisgebühr ebenso. Darüber hinaus – Herr Koplin ist darauf eingegangen –, das Aufkommen des Finanzvolumens deckt mitunter 2 Milliarden Euro in 2011 weniger als ein Prozent der GKV-Ausgaben. Die erwartete Stärkung der hausärztlichen Versorgung ist ausgeblieben und zudem „motiviert“ die Praxisgebühr in der Tat gerade finanzschwächere, ältere und damit tendenziell kränkere Menschen, medizinische Versorgungsleistungen eher zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen. Und aufgrund dieser Effekte ist die Praxisgebühr grundsätzlich abzuschaffen.
Meine Damen und Herren, in der Gesamtschau lehnen wir den zu beratenden Antrag der Fraktion DIE LINKE – das wird Sie nicht verwundern – jedoch ab.
Zunächst einmal laufen – und das dürfte auch Herrn Koplin bei der Blitzrecherche zu dem vorliegenden Antrag, er hat es selber noch einmal eingestanden, interessieren – bundesweit bereits zahlreiche Initiativen zur Abschaffung der Praxisgebühr. Beispielsweise hat die 85. Gesundheitsministerkonferenz das Thema mit der gleichen Stoßrichtung im Juno in Saarbrücken auf der Tagesordnung. Und auch unsere Bundestagsfraktionen, auch die SPD-Bundestagsfraktion – denn dort gehört der Antrag im Kern hin, das ist auch festgestellt worden, in den Deutschen Bundestag – hat Ende März dieses Jahres jüngst einen, und ich betone, fundierten Antrag zum Thema „Praxisgebühr abschaffen“ eingebracht. Der dürfte Ihnen im Wortlaut inhaltlich bekannt sein. Und wenn man jetzt einfach diese beiden Anträge, also den Ihrigen hier heute aus dem Landtag und den der SPD im Bundestag, mal anschaut, dann wird eines klar:
Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der LINKEN, springt in der Sache viel zu kurz. Keine Frage, es herrscht Einigkeit zwischen uns bei der grundsätzlichen Forderung nach einer Abschaffung der Praxisgebühr, sofern die Kassenlage dies langfristig wirklich zulassen würde. Aber eine solche Entscheidung, die letztlich Auswirkungen auf alle Versicherten und die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung in Gänze hat, kann man einfach nicht mit einem Ein-Satz-Antrag – und das ist der Antrag – aus der Hüfte schießen.
Der Antrag enthält kein Sterbenswort zu den relevanten Finanzierungsfragen in diesem Zusammenhang. Davon auszugehen, dass die bei der Abschaffung der Praxisgebühr zu deckende Summe einfach bis zum SanktNimmerleins-Tag aus der derzeit – zumindest bei einigen Krankenkassen, nicht bei allen – satten Reserve entnommen werden kann, ist unrealistisch und unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten auch fahrlässig.
Und wenn wir über zukunftssichere und gerechte Gesundheitsversorgung sprechen, dann fordern wir als SPD zunächst einmal die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung, das Ende einer ungerechten, einseitigen Belastung der Versicherten in Höhe von aktuell 0,9 Beitragspunkten. Und darüber hinaus müssen im Rahmen einer solidarischen Bürgerversicherung Zusatzbeiträge abgeschafft werden
und Beitragsautonomie hergestellt werden. Kein Satz zu diesen Fragen im Antrag der LINKEN und deshalb sind wir der Meinung, dass es einen reinen Alibiantrag zur Abschaffung der Praxisgebühr vor diesem Hintergrund wirk
lich nicht braucht. Und ich möchte die Anmerkung von Manuela Schwesig zur Redlichkeit der Debatte noch einmal unterstreichen. Die Abgeordneten der LINKEN haben im Rahmen der letzten Plenarwoche bei der Beratung unseres Antrages zur häuslichen Krankenversicherung, als es um das konkrete Wohl der Patienten und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land ging, mehrheitlich abgelehnt. Einige, nur einige aufrechte Mitglieder haben sich zu einer Enthaltung durchringen können, das rechnen wir ihnen schon einigermaßen hoch an.
Und dann, wenn es heute darum geht, über die Praxisgebühr zu beraten und über andere sozialpolitische Themen, dann präsentiert uns DIE LINKE im Rahmen ihres – ich sage mal – Planspieles Bundestag einen Antrag mit bundespolitischer Relevanz nach dem anderen, immer mit dem Unterton „Ihr kümmert euch nicht!“
Und, meine Damen und Herren, ich sage es ganz deutlich für das Protokoll: Das Gegenteil ist der Fall.
Ihren Antrag lehnen wir ab, weil er wesentliche Aspekte in diesem Zusammenhang außen vor lässt und weil wir die Kugel auf Bundesebene ohnehin ins Rollen gebracht haben. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag wollen die LINKEN also die Abschaffung der Praxisgebühr erreichen. Die ersatzlose Streichung der Praxisgebühr ist ein wichtiger Schritt und die NPD-Fraktion wird dem Antrag daher zustimmen.
Seit 2004 werden die Patienten durch die Praxisgebühr zusätzlich ausgenommen. Allein im vergangenen Jahr betrugen die Einnahmen durch die Praxisgebühr 2 Milliarden Euro. Insgesamt sollen schon etwa 16 Milliarden Euro durch die Praxisgebühr aus den Taschen der Versicherten auf die Konten der Krankenkassen gewandert sein – wohlgemerkt zusätzlich.
Die Praxisgebühr sollte zu einer Beeinflussung der Arztbesuche führen, zumindest offiziell. Dem Gesetzgeber war von Anfang an bekannt, dass wieder einmal die Armen in unserem Volk massiv benachteiligt wurden sowie werden und die Praxisgebühr nur eine zusätzliche Einnahmequelle für die Kassen darstellt. Zudem handelt es sich hierbei um ein weiteres Bürokratiemonster. Es gibt viele Möglichkeiten, in Gesundheitssystemen sorgfältiger mit den zur Verfügung stehenden Finanzmitteln umzugehen.
Bereits gestern verwies ich auf den Betrag von 18 Milliarden Euro jährlich, der durch Korruption dem Gesund
heitssystem entzogen wird. Die Bundestagsparteien verweigern sich jedoch grundlegenden Änderungen. Nicht umsonst gehen seit vielen Jahren Tausende Lobbyisten im Bundestag ein und aus.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das habe ich sehr wohl vernommen, dass Frau Gajek sagt, sie stimmen dem Antrag zu, und gleichzeitig ihn als Schaufensterantrag qualifiziert.