Protokoll der Sitzung vom 21.06.2012

(Zurufe von Dr. Margret Seemann, SPD, und Peter Ritter, DIE LINKE)

und die wäre dann zu verfolgen. Das ist Aufgabe der Polizei und nicht des Geheimdienstes.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das macht er ja auch nicht.)

Niemand braucht eine geheimdienstliche Aufklärung darüber, welcher nationale Aktivist möglicherweise ein NPD-Flugblatt verteilen könnte. Das ist nicht mal eine Straftat. Bei Steuerhinterziehern wird auch erst verfolgt, wenn Steuern hinterzogen worden sind, und nicht mal bei polizeibekannten Dieben

(Dr. Margret Seemann, SPD: Nun hören Sie doch auf zu weinen und setzen Sie sich hin!)

erfolgt eine Vorfeldüberwachung. Warum also bei nationalen Aktivisten?

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Diese armen unschuldigen Nazis, ne? Mir kommen jetzt gleich die Tränen.)

Blendet man die staatlich gebilligten Straftaten mit Verfassungsschutzbeteiligung aus, bleibt außer Denunziantentum, und das kennen Sie sehr wohl, ohnehin nichts übrig – also nichts, was die Kollegen von den MEKs, der Presse oder der Antifa nicht auch hinbekommen würden. Verfassungsschützer richten nur Unheil an,

(Dr. Margret Seemann, SPD: Sie müssen ja fürchterliche Angst haben.)

in der Regel ist ihre Arbeit überflüssig und störend für eine Gesellschaft, in der Freiheitsrechte dem Bürger ernsthaft zugestanden werden.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Freiheit, dass Sie das Wort überhaupt in den Mund nehmen?!)

Vielen Dank.

(Beifall von Stefan Köster, NPD – Dr. Margret Seemann, SPD: Einsamer Beifall des Abgeordneten Köster.)

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 6/819. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. –

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Zwei Stimmen. Na bravo!)

Gegenprobe. – Enthaltungen? –

(Dr. Margret Seemann, SPD: Die eigene Fraktion konnte das Gelaber von Petereit nicht hören. – Peter Ritter, DIE LINKE: Knapp gescheitert.)

Damit ist der Antrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 6/819 mit den Stimmen der Fraktion der SPD, der CDU, der LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Zustimmung der NPD abgelehnt.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Zwei Zustimmungen.)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 17: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Von Insolvenz bei Schlecker betroffenen Beschäftigten helfen, Drucksache 6/794.

Antrag der Fraktion DIE LINKE Von Insolvenz bei Schlecker betroffenen Beschäftigten helfen – Drucksache 6/794 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Foerster von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Insolvenz der Drogeriemarktkette Schlecker ist eine der größten Pleiten in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie kostet bundesweit voraussichtlich bis zu 25.000 vorwiegend weibliche Beschäftigte ihren Arbeitsplatz, und dies nicht nur, weil der Inhaber sein Unternehmen wie die sprichwörtliche Würstchenbude führte. Ich entschuldige mich an der Stelle bei allen Würstchenbudenbesitzern. Man muss sich einmal vorstellen, ein Unternehmen mit dieser Mitarbeiterzahl führt Kassenbücher, kommt ohne Bilanzierung aus und kann, wenn es schiefgeht, nicht einmal belangt werden.

Eine unrühmliche Rolle bei den Diskussionen um mögliche Hilfen von Bund und Ländern spielte die FDP, die

aus rein taktischen Erwägungen heraus eine Lösung für die Betroffenen verweigerte. Eine bundesweite Transfergesellschaft hätte zumindest die Chance auf eine Rettung des Unternehmens bedeutet. Politiker aller drei Oppositionsparteien im Bund haben dies auch zu Recht kritisiert. Mein Kollege Bodo Ramelow aus Thüringen brachte es auf den Punkt, als er sagte: „Bei den Banken ist man fix, für die Schlecker-Beschäftigten tut man nix!“

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Helmut Holter, DIE LINKE: Richtig.)

Bei allem Für und Wider zum Thema Transfergesellschaften, Fakt ist, eine solche hätte den Eintritt der betroffenen Frauen und Männer, einige wenige soll es geben, in Arbeitslosigkeit verzögert, die Möglichkeit von Qualifizierungen und Bewerbungen aus ungekündigter Stellung heraus geboten und vor allem dazu beigetragen, die Anzahl der Kündigungsschutzklagen im Rahmen zu halten. Erst nachdem das Scheitern der Transfergesellschaft amtlich wurde, haben mehr als 4.400 Kolleginnen individuelle Kündigungsschutzklagen eingereicht und deren Risiko wird mit mehreren Millionen Euro beziffert. Dies war auch ein Grund dafür, dass die Bemühungen des Insolvenzverwalters um eine Fortführung des Unternehmens am Ende scheiterten.

Da sich schon mit Bekanntwerden der Probleme bei Schlecker abzeichnete, dass auch mehrere Hundert Arbeitsplätze in Mecklenburg-Vorpommern betroffen sein könnten, hatte meine Fraktion beantragt, dass die Sozialministerin regelmäßig in den Sitzungen des Sozialausschusses über die Auswirkungen der SchleckerInsolvenz auf unser Land berichtet. Dies ist auch so erfolgt.

Es war nach Auffassung unserer Fraktion auch völlig richtig, die im Frühjahr diskutierte, bundesweite Transfergesellschaft für die Betroffenen der ersten Entlassungswelle durch die anteilige Bereitstellung von Landesbürgschaften zu unterstützen. Warum? Nun, schauen Sie sich die nüchternen Zahlen an! Von 199 Frauen der ersten Entlassungswelle sind bislang ganze 29 wieder in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt worden. Meine Damen und Herren, das ist nicht eben eine Erfolgsbilanz.

Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, denn zum einen verteilen sich die Schlecker-Märkte auf das gesamte Land und zum anderen verdienen die Schlecker-Frauen entgegen landläufiger Meinungen seit Abschluss ihres Tarifvertrages im Jahr 2010 deutlich mehr als vergleichbare Beschäftigte. Dafür, und das will ich an der Stelle ganz deutlich sagen, haben sie lange gekämpft und dies sollte daher auch weder als Grund für das Scheitern des Unternehmens noch für die Annahme schlecht bezahlter Beschäftigungsverhältnisse oder gar unbezahlter Praktika herhalten müssen, so, wie dies jüngst aus ver.diVeröffentlichungen zu den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagenturen in Nordrhein-Westfalen zu hören war. Ich habe heute noch mal mit den Kollegen von ver.di gesprochen, der durchschnittliche Stundenlohn bei Schlecker betrug zuletzt 10 bis 12 Euro pro Stunde.

Wir haben heute hier gerade ein Vergabegesetz beschlossen, das Vorbildwirkung entfalten und einen Beitrag zur Anhebung des Lohnniveaus leisten soll. Vor diesem Hintergrund verbietet sich eigentlich eine Argumentation über vermeintlich zu hohe tariflich vereinbarte

Löhne bei Schlecker als Ursache für jetzige Vermittlungshemmnisse der ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Ich war ehrlich gesagt entsetzt, von Frau Ministerin Schwesig zu hören, dass die Schlecker-Mitarbeiter/innen vor diesem Hintergrund sogar mehr Arbeitslosengeld I beziehen, als ein großer Teil der Beschäftigten im Einzelhandel unseres Landes verdient. Dass die Mitarbeiterinnen angesichts dessen natürlich überlegen, ob sie deutlich schlechter bezahlte Jobangebote der Agenturen annehmen oder nicht, ist nachvollziehbar, vor allem, wenn man in Rechnung stellt, dass mit einem neuen Arbeitsplatz im Einzelhandel oftmals auch noch längere An- und Abreisewege zum Arbeitsplatz verbunden sein werden. Zudem ist das Verhältnis zwischen offenen Stellen und arbeitslosen Verkäuferinnen im Einzelhandel nach wie vor ungünstig, es betrug im März 2012 1 : 29 und beträgt aktuell noch mindestens 1 : 14.

Meine Damen und Herren, für Mecklenburg-Vorpommern bedeutet das Ende von Schlecker nicht nur mehr Arbeitslose, denn es kommen ja jetzt noch einmal 500 bis 550 dazu, sondern auch einen Verlust an Infrastruktur, bedingt durch die Schließung von Verkaufsstellen vor allem natürlich in kleineren Ortschaften. Damit einher geht auch ein Stück abnehmende Lebensqualität, denn die Wege zum nächsten Drogeriemarkt können bei Wegfall von circa 150 Filialen im Land lang werden. Aus diesem Grund wollen wir heute mit unserem Antrag noch einmal darüber diskutieren, ob und, wenn ja, welche Möglichkeiten die Landesregierung für die Betroffenen bereitstellen kann.

Klar scheint, dass es die große, sprich die bundesweite Lösung für das Problem wohl nicht mehr geben wird. Zwar wurde diese Woche und wird auch in der kommenden Woche in Ulm noch weiterverhandelt, allerdings hat Baden-Württemberg als Schlecker-Stammland bislang Forderungen zurückgewiesen, die darauf orientieren, einen erneuten Anlauf in Richtung einer bundesweiten Transfergesellschaft zu nehmen, und wo das Land Baden-Württemberg sozusagen an der Spitze der Bemühungen stehen soll.

Neben der verantwortlichen Gewerkschaft ver.di hatten auch Politikerinnen und Politiker von SPD, LINKEN, GRÜNEN und, man höre und staune, sogar der stellvertretende Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels der CDU dieses Thema erneut ins Gespräch gebracht.

(Torsten Renz, CDU: Und wieso staunen Sie da?)

Klar ist inzwischen auch, dass eine Nutzung des Europäischen Globalisierungsfonds EGF, der 2007 von der Europäischen Union eingerichtet wurde und der seitdem bei Massenentlassungen von mehr als 500 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angezapft werden kann, um Ungleichgewichte auf regionalen Arbeitsmärkten abzufedern, individuelle Unterstützungsangebote für die Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt zu unterbreiten sowie Qualifizierungen durchzuführen, nicht in Anwendung gebracht werden kann. Das Grundprinzip des EGF, nach dem nicht die entlassenden Unternehmen gefördert werden, sondern die ehemaligen Mitarbeiter, klingt zwar gut, die 500 Millionen Euro zu diesem Zweck können jedoch nach rechtlicher Prüfung des Sachverhaltes durch den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages

nicht für den Einzelhandel ausgereicht werden, sie gelten nur für Schlüsselindustrien wie die Stahlbranche oder die Automobilbranche. Das ist aus meiner Sicht eine fragwürdige Geschichte, wenn man allein mal überlegt, wie viele Arbeitsplätze deutschlandweit jetzt dort verloren gehen.

Aber wir bewegen uns ja auf der Landesebene. Was bleibt also als möglicher Ausweg für die Landespolitik? Zum einen muss aus der Sicht meiner Fraktion noch einmal ernsthaft geschaut werden, ob die betroffenen Frauen berufsfremd qualifiziert werden können. Die neue Leiterin der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, Frau Haupt-Koopmann, hat meinem Kollegen Helmut Holter und mir in einem persönlichen Gespräch vergangene Woche durchaus aufgezeigt, dass diesbezüglich Möglichkeiten bestünden.

Die Schlecker-Frauen werden im Allgemeinen als fachlich versiert, als hoch motiviert und als gut organisiert beschrieben, weshalb wohl nicht nur Frau von der Leyen eine mögliche Umschulung für Bedarfsbranchen wie die Altenpflege oder den Erziehungsbereich ins Spiel gebracht hat. Aber will man diesen Ansatz ernsthaft weiterverfolgen, dann müssen wir auch im Land MecklenburgVorpommern darüber reden, dass eine vollwertige Umschulung ermöglicht und vor allem auch finanziert wird. Diesbezüglich ist den Ausführungen von Frau Ministerin Schwesig zuzustimmen, die Gleiches in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ vom 08.06. dieses Jahres verlautbaren ließ.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Na sehen Sie!)

Allerdings reicht es eben nicht, wieder mahnend mit dem Finger nach Berlin zu zeigen und die Verantwortung dem Bund allein zuzuschanzen. So richtig die Kritik an der Kürzung der Mittel für die Weiterbildung durch die bundespolitischen Entscheidungen von 2012 ist,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

wenn wir uns darauf verlassen wollen, dass der Bund uns hilft, dann sind wir wahrscheinlich verlassen. Es geht also darum, konkrete Verhandlungen zu diesem Thema zu führen.

Nebenbei bemerkt, nach Angaben des Zentralverbandes der Aus- und Weiterbildung sowie des Verbandes der Privatschulen in Mecklenburg-Vorpommern sank die Anzahl der Neueintritte in Weiterbildungsmaßnahmen bereits im Vergleich 2011 zu 2012 um 42 Prozent, und tendenziell wird sich dies so fortsetzen.

(Torsten Renz, CDU: Weil ja auch die Arbeitslosigkeit immer weiter zurückgeht.)

Sie wissen vermutlich alle, wie Sie hier sitzen, dass die Bundesagentur für Arbeit seit Jahren Probleme mit der Finanzierung des dritten Ausbildungsjahres beispielsweise bei Altenpflegern hat, weil sie eine Ausbildung im Erwachsenenalter nur maximal zwei Jahre fördern darf. Da es den Bedarf in diesem Bereich gibt und er sogar weiter ansteigt, ist das Land Mecklenburg-Vorpommern in den letzten Jahren auch durchaus eingesprungen und hat das dritte Ausbildungsjahr unter anderem aus ESFMitteln finanziert. Insofern rege ich hier ernsthaft an, noch einmal darüber nachzudenken, ob nicht ähnlich wie in diesem Fall gehandelt werden kann, denn dies wäre

dann ein echter und vor allen Dingen ein wesentlich weiterreichender Hilfeansatz als Informationsveranstaltungen und Bewerbungstraining im Rahmen beziehungsweise im Anschluss an regionale Jobbörsen der Arbeitsagenturen.

Neben dem arbeitsmarktpolitischen Ansatz gibt es auch einen strukturpolitischen. Was passiert eigentlich mit den Filialen insbesondere im ländlichen Raum, für die es in aller Regel keine Interessenten gibt? Die großen Drogerieketten wie dm interessieren sich nur für die SchleckerXL-Märkte. Vor diesem Hintergrund hatte nicht nur die Bundestagsfraktion der LINKEN, sondern auch die Landtagsfraktion der GRÜNEN in Baden-Württemberg einen entsprechenden Vorschlag gemacht. Ich werde in der Debatte noch mal darauf zurückkommen. – Vielen Dank.