Protokoll der Sitzung vom 24.10.2012

Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, einer Gerichtsstrukturreform wird durch die Volksinitiative keine pauschale Absage erteilt. Das haben auch die Stellungnahmen der Initiatoren im Rahmen der öffentlichen Anhörung gezeigt. So wurde im Rahmen der Anhörung vonseiten eines Initiators erklärt, dass es wichtig sei, auf den demografischen Wandel Rücksicht zu nehmen, eventuelle Anpassungen vorzunehmen.

Ziel der Volksinitiative ist es, dass bei der Gerichtsstrukturreform der Aspekt der Entfernung des Bürgers und der Unternehmen zum Gericht besondere Beachtung findet. Wir werden also aufgefordert, die Präsenz der Justiz in unserem Land zu erhalten und den Zugang zum Recht nicht unangemessen zu erschweren. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, sollen wir der Schließung einzelner Gerichtsstandorte zustimmen.

Ich denke, es ist ureigenes Interesse des Parlaments, bei der Verabschiedung eines Gesetzes nicht gegen die Verfassung zu verstoßen – in diesem Fall gegen den in Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes normierten Anspruch des Bürgers auf Gewährung von Rechtsschutz. Und darum ist der Ausschuss einstimmig zu der Auffassung gekommen, dass wir als Landtag dem nur zustimmen können.

Hintergrund dieser Empfehlung sind natürlich auch die Beratungen im Ausschuss und insbesondere die Anhörung. Wir haben mit vier Vertretern der Volksinitiative im Ausschuss diskutiert. In der umfangreichen Anhörung

haben wir mündliche und schriftliche Stellungnahmen von Rechtswissenschaftlern und Praktikern angefordert und ausgewertet und im Laufe der Beratungen im Europa- und Rechtsausschuss hat sich herausgestellt, dass sich die Volksinitiative auf das erste, mittlerweile überholte Reformkonzept des Justizministeriums bezieht. Das hat,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das andere ist aber auch nicht besser.)

das hat die Ausschussmehrheit dazu gebracht, neben der Zustimmung zum Antrag noch die Annahme einer begleitenden Entschließung zu empfehlen – dies ist die Ziffer 2 der Ihnen vorliegenden Beschlussempfehlung – denn die Mehrheit ist der Auffassung, dass viele der im Rahmen der Begründung des Antrages der Volksinitiative aufgezählten Forderungen schon jetzt in den aktuellen Reformplänen des Justizministeriums berücksichtigt sind.

Der Text der Entschließung insgesamt war im Ausschuss, wie bereits angedeutet, sehr umstritten, denn DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatten ebenfalls beantragt festzustellen, dass die geplante Gerichtsstrukturreform im Widerspruch zur Volksinitiative stehe. Außerdem sollte die Landesregierung aufgefordert werden, bestimmte Stellungnahmen aus der Anhörung im Ausschuss in die Überarbeitung des Reformkonzepts einzubeziehen, und der Landtag sollte über die Einhaltung bestimmter Einsparvorgaben unterrichtet werden. Dies fand im Europa- und Rechtsausschuss keine Mehrheit. Dieser Antrag liegt Ihnen ja jetzt als Änderungsantrag noch einmal vor.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Grunde ist der Streit um die Ziffer 2 der Beschlussempfehlung ein gutes Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Ergebnisse einer Anhörung politisch bewertet werden können.

(Torsten Renz, CDU: Wohl wahr!)

Es war nicht ganz einfach, den …

(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was werden sich die Antragsteller wohl so gedacht haben, als sie das eingebracht haben, Herr Müller, oder?)

Schauen wir mal!

Es war nicht ganz einfach, den engen Zeitplan, den uns das Volksabstimmungsgesetz vorgegeben hat, einzuhalten. Aber wir haben es geschafft. Bedanken möchte ich mich in diesem Zusammenhang bei den Mitgliedern des Europa- und Rechtsausschusses für ihre konstruktive Mitarbeit, bei der Landesregierung, die uns im Rahmen der Beratungen zur Verfügung gestanden hat, aber natürlich auch beim Sekretariat des Europa- und Rechtsausschusses.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Eine Zustimmung zum Antrag der Volksinitiative führt dazu, dass dem Aspekt der Nähe zu den Gerichten bei der Schaffung einer neuen Gerichtsstruktur unseres Landes besondere Beachtung zukommt. Dies ist in unser aller Interesse und auch das Interesse der Justiz,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Da bin ich ja gespannt.)

die wir mit der Zustimmung zum Antrag der Volksinitiative an unserer Seite haben sollten. In diesem Sinne bitte ich Sie im Namen des Europa- und Rechtsausschusses um Ihre Zustimmung zu der Ziffer 1 der Beschlussempfehlung zur Volksinitiative und im Namen der Ausschussmehrheit um Ihre Zustimmung zu der Entschließung unter Ziffer 2. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorgesehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Als Erste hat das Wort die Abgeordnete Frau Reese von der SPD-Fraktion.

(Zurufe aus dem Plenum: Drese! – Peter Ritter, DIE LINKE: Frau Reese war eine Legislatur vorher da. – Heinz Müller, SPD: Und in einer anderen Partei.)

Drese, natürlich, Frau Drese, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass die gegenwärtige Gerichtsstruktur in unserem Land angesichts des fortwährenden Bevölkerungsrückgangs und der konstant zurückgehenden Finanzmittel nicht auf Dauer ohne Anpassung bestehen kann, liegt auf der Hand.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Alle Bereiche des Landes müssen an sinkende Einwohnerzahlen und Solidarpakteinnahmen angepasst werden. Dem kann sich auch die Justiz nicht verschließen. Die Reform der Gerichtsstruktur in Mecklenburg-Vorpommern ist unter anderem darauf gerichtet, Qualitätssicherung in der Rechtsprechung und bürgerfreundliche Aufgabenerfüllung in der Justiz zu gewährleisten.

Es ist verständlich und auch legitim, dass vor Ort versucht wird, vorhandene Strukturen zu erhalten. Das ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit einer Gerichtsstrukturreform an sich. Auch Vertreter der Volksinitiative „Für den Erhalt einer bürgernahen Gerichtsstruktur in Mecklenburg-Vorpommern“ haben im Rahmen des Europa- und Rechtsausschusses im September in der durchgeführten Anhörung deutlich gemacht, dass sie grundsätzlich Reformbedarf bei der Gerichtsstruktur sehen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das ist wohl wahr.)

Sehr geehrte Damen und Herren, mit ihrem Antrag fordert die Volksinitiative den Landtag auf, einer Schließung einzelner Gerichtsstandorte nur zuzustimmen, wenn die Präsenz der Justiz in Mecklenburg-Vorpommern erhalten bleibt und der Zugang der Bürger und Unternehmen zum Recht im Sinne des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz nicht unangemessen erschwert wird. Die Bindung an diesen verfassungsrechtlichen Grundsatz nimmt der Landtag sehr ernst. Vor diesem Hintergrund ist dem Antrag der Volksinitiative zuzustimmen.

Der Europa- und Rechtsausschuss hat zu dem Antrag der Volksinitiative eine öffentliche Anhörung durchgeführt, in welcher sämtliche Vertreter der Antragstellerin die Möglichkeit hatten, die Volksinitiative zu erläutern. Darüber hinaus hat eine Reihe von Sachverständigen zu dem Gegenstand der Volksinitiative Stellung genommen.

Sehr geehrte Damen und Herren, die vorliegende Beschlussempfehlung trägt den aus der Anhörung gewonnenen Erkenntnissen Rechnung, welche auch angesichts kritischer Anmerkungen den Vorschlägen der Regierungskoalition nicht entgegenstehen, sondern ihnen schon recht nahekommen.

So hat der Vorsitzende des Richterbundes erklärt, der im aktuellen Reformkonzept vorgesehene Landtagsvorbehalt für eine mögliche Schließung von Zweigstellen stelle eine Verbesserung im Vergleich zu den ersten Reformüberlegungen dar. Er halte eine Zahl von 15 bis 16 Amtsgerichten für angemessen, ohne sich genau festlegen zu wollen.

Vonseiten des Landesanwaltsverbandes MecklenburgVorpommern ist zur Volksinitiative ausgeführt worden, Ziel sei nicht, sich Verbesserungsmöglichkeiten zu verschließen. Es sei wichtig und richtig, auf den demografischen Wandel Bezug zu nehmen. Denkbar sei, die Anzahl der Amtsgerichte von derzeit 21 um rund ein Viertel zu verringern.

Vonseiten des Landesrechnungshofs Mecklenburg-Vor- pommern ist zur geplanten Gerichtsstrukturreform erklärt worden, dass eine Gerichtsstrukturreform angesichts sinkender Einwohnerzahlen und zurückgehender Solidarpaktmittel notwendig sei. Das Land müsse sich in allen Bereichen auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen, da könne die Gerichtsbarkeit nicht ausgenommen werden.

Der Präsident des Oberlandesgerichts Rostock hat betont, dass die Justiz in der Fläche erhalten bleiben müsse. Die Entfernungen dürften nicht unangemessen werden und der Rechtsgewährleistungsanspruch des Grundgesetzes müsse gewahrt bleiben. Allerdings weiche das aktuelle Konzept des Justizministeriums deutlich von der Begründung der Volksinitiative ab. Der Volksinitiative liege noch der ursprüngliche, mittlerweile überholte Vorschlag des Justizministeriums zugrunde. Er wies auch darauf hin, dass man es in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit mit lediglich vier Standorten im Lande zu tun habe,

(Heinz Müller, SPD: Aha!)

ohne dass dadurch der Rechtsgewährungsanspruch des Grundgesetzes verletzt werde.

Vonseiten des Vereins der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter im Land Mecklenburg-Vorpommern ist zur geplanten Gerichtsstrukturreform erklärt worden, dass der Verein mit den Vorschlägen zur Verwaltungsgerichtsbarkeit im aktuellen Eckpunkteplan des Justizministeriums einverstanden sei. Ein Belastungsausgleich erfolge durch die freiwillige Abordnung mehrerer Richter an das Oberverwaltungsgericht und durch eine Zuständigkeitsverlagerung in kleinerem Umfang.

Der Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern hat erklärt, der Landtag könne der Volksinitiative zustim

men, da mit der Zustimmung keine konkreten Standortentscheidungen verbunden seien, sondern die Zustimmung nur dazu führe, dass dem Aspekt der Präsenz der Justiz in der Fläche eine prioritäre Rolle zukomme.

Der Landkreistag Mecklenburg-Vorpommern hat in der schriftlichen Stellungnahme ausgeführt, dass die Zielsetzung der Volksinitiative unterstützt werde. Diese stehe nicht notwendigerweise im Widerspruch zu den Überlegungen des Justizministeriums. Begrüßt werde das in den Leitgedanken der Reform enthaltene Bekenntnis zur bürgerfreundlichen Aufgabenwahrnehmung. Im Übrigen hat er zur geplanten Gerichtsstrukturreform ausgeführt, dass die Einrichtung von Zweigstellen nicht von vornherein ausgeschlossen werden solle. Die Verringerung der Zahl der Hauptstandorte von Amtsgerichten sei nicht gleichbedeutend mit einem Vertrauensverlust in den Rechtsstaat.

Sehr geehrte Damen und Herren, all diese Aussagen machen deutlich, dass die Versuche der Gegner einer Reform, die Volksinitiative für sich zu vereinnahmen und ihre Zwecke zu instrumentalisieren, gescheitert sind. Dass es eine Gerichtsstrukturreform in MecklenburgVorpommern geben muss, steht außer Frage. Wir werden der Beschlussempfehlung und damit der Volksinitiative zustimmen und folglich den Änderungsantrag ablehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Borchardt von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei allen Initiatoren und Anzuhörenden der Volksinitiative bedanken.

(Vizepräsidentin Silke Gajek übernimmt den Vorsitz.)

Sie alle haben sich in Bezug auf die Begründung der Volksinitiative, der Darstellung der sachlichen Argumente sehr viel Mühe gemacht und die Fragen der Abgeordneten geduldig beantwortet. Es war nur folgerichtig, dass der federführende Ausschuss dem Anliegen der Volksinitiative zugestimmt hat, und zwar einstimmig. Anders sieht es mit dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen aus.

Meine Damen und Herren von der Koalition, das ist geradezu eine Verhöhnung des Anliegens der Volksinitiative und damit der über 35.000 Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Aber, das will ich an der Stelle gleich sagen, das sind wir ja bereits gewohnt, auch im Zusammenhang mit anderen Volksinitiativen.

Um den gesamten Diskussionsprozess darzustellen, möchte ich ein wenig weiter ausholen: Im Rahmen des Wahlkampfes haben die Parteien von vielen Vereinen und Verbänden Wahlprüfsteine erhalten, so auch vom Richterbund.

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Auf die Frage über die Zukunft der Gerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern antwortete die CDU, ich zitie

re: „Wir setzen uns dafür ein, die bestehende Gerichtsstruktur weitestgehend zu erhalten. Eine Reduzierung der Amtsgerichte ist nicht vorgesehen.“ Zitatende. Mit der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages sah die Sache mit einem Mal ganz anders aus. In Ziffer 374 ist zu lesen, ich zitiere: „Im Hinblick auf die demografische Entwicklung stehen langfristig tragfähige Strukturen bei den Gerichtsbarkeiten und Staatsanwaltschaften im Vordergrund. Im Rahmen der Gerichtsstrukturreform ist die Zahl der Gerichtsstandorte der Struktur der Kreisgebietsreform anzupassen.“