Protokoll der Sitzung vom 24.10.2012

Zum einen sollte es gute demokratische Gepflogenheit sein, Gesetzentwürfe, solange sie nicht absoluten Nonsens enthalten, zur Beratung in die Fachausschüsse zu überweisen, auch solche der Opposition,

(Zurufe von Wolfgang Waldmüller, CDU, und Michael Andrejewski, NPD)

zum anderen handelt es sich bei der Kommunalverfassung um ein zentrales Regelwerk der Kommunalpolitik.

(Heinz Müller, SPD: Das stimmt.)

Erst durch die Überweisung wird etwa im Rahmen einer Anhörung eine sachgerechte und fachkundige Mitwirkung der kommunalen Landesverbände und weiterer Institutionen ermöglicht. Dies alles ist im Grunde bekannt. Dies alles mahnen wir nicht zum ersten Mal an.

Meine Damen und Herren, schließlich dürfte es selbst der Koalition keine Schmerzen bereiten, für eine Überweisung des Gesetzentwurfes zu stimmen, auch wenn sich die Koalitionsvereinbarung weder zur Kommunalverfassung noch zu Bürgerbegehren oder Bürgerentscheiden äußert. Dafür verspricht die Präambel der Koalitionsvereinbarung geradezu ein goldenes Zeitalter für die Bürgerbeteiligung. Es heißt, SPD und CDU brauchen die aktive Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, die sich für ihr Land engagieren wollen. In Zukunft wollen SPD und CDU Bürgerinnen und Bürgern verstärkt die Möglichkeit bieten, sich in Planungsprozesse einzubringen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist alles nicht so gemeint.)

Und schließlich wollen SPD und CDU früh, ergebnisoffen und kontinuierlich über Veränderungen und neue Vorhaben informieren und so Beteiligung ermöglichen. Nur eine solche breite Bürgerbeteiligung schaffe ausreichend Akzeptanz in der Bevölkerung. Tja, ob diese Verheißungen für bare Münze genommen werden können, wird sich zeigen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Papier ist geduldig.)

Laut Lösungsbeschreibung will der vorliegende Gesetzentwurf das Zustimmungsquorum für Bürgerentscheide absenken. Für die Initiatorinnen und Initiatoren soll die Möglichkeit eröffnet werden, sich von der Gemeinde über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens beraten und eine entsprechende Vorentscheidung treffen zu lassen. Weder in der Problembeschreibung noch in der Lösung wird allerdings auf den ersten Änderungsbefehl Ihres Entwurfes verwiesen, meine Damen und Herren von BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN.

Bisher sind in Mecklenburg-Vorpommern wichtige Entscheidungen der Gemeinde einem Bürgerentscheid zugänglich, soweit sie nicht unter den Negativkatalog fallen. Herr Müller ist darauf sehr intensiv eingegangen. Eine entsprechende Regelung findet sich etwa in BadenWürttemberg, Hessen, Sachsen-Anhalt oder RheinlandPfalz. Über die praktischen Konsequenzen der Strei

chung dieser bisherigen Einschränkung würde ich gern in den Ausschussberatungen diskutieren wollen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Anmerkung zur allgemeinen Begründung des Gesetzentwurfes machen, die mehr oder weniger deutlich Kritik an der Novelle der Kommunalverfassung 2011 üben will.

DIE LINKE hat diese Novelle nicht mitgetragen, sondern sich enthalten. Aus unserer Sicht wurden einerseits Chancen vergeben und gleichzeitig unnötige Eingriffe vorgenommen. Das steht aber heute hier nicht zur Debatte.

Zum Thema Bürgerentscheid gab es damals einen Änderungsantrag, und zwar von meiner Fraktion. Es ging um die Frage offene oder geheime Abstimmung über einen Bürgerentscheid zur Abberufung des Bürgermeisters.

Meine Damen und Herren von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das Thema Bürgerentscheid wurde darüber hinaus vor einem Jahr weder thematisiert noch problematisiert, weder aus Sicht der Landes- noch der Kommunalpolitik. Und selbst die damalige Enquetekommission des Landtages, die unter anderem konkrete Vorschläge zur Novellierung der Kommunalverfassung unterbreitet hat, vermochte hier kein Problem zu erkennen.

(Johann-Georg Jaeger, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Deswegen sind wir jetzt da.)

Dies alles muss noch nicht gegen Ihren Gesetzentwurf sprechen, aber ganz offensichtlich gibt es andere drängende kommunale Fragen. Auch da stimme ich Herrn Müller ausnahmsweise zu.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Oh, oh! Entsteht da eine neue Freundschaft? – allgemeine Heiterkeit)

Wer, wie DIE LINKE, meine Damen und Herren, Volksinitiativen unterstützt, wird sich anwenderfreundlichen Regelungen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden nicht verschließen, auch deshalb befürworten wir selbstverständlich die Überweisung. Ich sage aber auch ganz klar, der Bürgerentscheid ist für uns kein Selbstzweck. An einem Bundeswettbewerb um die höchste Anzahl von Bürgerentscheiden, wie es in der Problembeschreibung ein wenig durchschimmert, müssen wir uns nicht betei- ligen.

(Heinz Müller, SPD: Sehr richtig.)

Wir sollten hierbei auch deutlich unterscheiden, nicht werten, aber unterscheiden zwischen sogenannten kassierenden und initiierenden Bürgerbegehren. Möchte ich also etwas verhindern oder möchte ich etwas Neues erreichen, was noch nicht auf der politischen Agenda stand? Und ich sage Ihnen, als Kommunalpolitikerin wäre ich nicht besonders stolz auf eine hohe Anzahl von Bürgerbegehren, die sich gegen meine Entscheidungen richten, diese also kassieren beziehungsweise rückgängig machen oder verhindern wollen.

(Heinz Müller, SPD: Sehr richtig.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns also gründlich beraten und Erfahrungen, die es gibt, auswerten. Deshalb bitte ich, dass Sie der Überweisung zustimmen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Reinhardt von der Fraktion der CDU.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Ja, Herr Saalfeld, Frau Rösler hat es eigentlich in ihren Ausführungen gesagt: Es sollen nur geeignete Gesetze in den Ausschuss überwiesen werden. Ich glaube, wer den Ausführungen meines Kollegen Müller sehr aufmerksam gefolgt ist, wird festgestellt haben, dass dieser Gesetzentwurf alles andere als geeignet ist, um in den Ausschuss überwiesen zu werden.

(Zuruf von Jeannine Rösler, DIE LINKE)

Ich will aber mit einem Konsens anfangen. Es sind sich, glaube ich, alle einig, dass Bürgerbegehren und auch Bürgerentscheide zwei wichtige kommunalpolitische

Instrumente sind, um Bürger/-innen auch an der Entscheidung der örtlichen Politik zu beteiligen. Da, denke ich, sind wir uns alle einig.

(Torsten Renz, CDU: Sehr richtig.)

Aber – ein großes „Aber“ muss ich dransetzen – es sind eben auch nicht die einzigen Instrumente, um Bürgerinnen und Bürger hier bei uns im Land an Kommunalpolitik zu beteiligen. Wir haben da – und das sieht ja auch die Kommunalverfassung vor – einen ganzen Koffer an Instrumenten, derer man sich bedienen kann. Ich will hier nur mal nennen:

die öffentliche Sitzung der Gemeindevertretung mit

der Möglichkeit der Einwohnerfragestunde.

Es gibt viele Gemeinden und Stadtvertretungen, die

haben öffentliche Ausschüsse.

Es gibt die Einwohnerversammlung, die ja mindes

tens einmal jährlich stattfinden soll.

Und es gibt in fast oder in allen Gemeinden die Bür

gersprechstunde des Bürgermeisters.

Bei Bürgerbegehren und auch bei Bürgerentscheiden ist es ja so: Es gibt zahlreiche Projekte, für die sind diese beiden Instrumente gar nicht tauglich, um die Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen. Da geht es darum, mit Ja oder mit Nein zu stimmen.

Und es gibt zahlreiche Projekte, gerade auf der kommunalen Ebene, wo man gerade eben keine Ja/NeinEntscheidung fällen kann. Man stelle sich das beim Straßenbau vor, da könnte man dann nur darüber entscheiden, ob man die Straße baut oder nicht baut. Aber das gerade ist ja nicht gewollt und deshalb gibt es hier, glaube ich, Einrichtungen wie die Einwohnerversammlung, wo man sich dann mit den betroffenen Einwohnern darüber unterhält: Wie wird dieser Straßenbau ausgestaltet oder wie wird ein B-Plan gestaltet? Das sind ja doch wesentlich bessere Instrumente, um die Bürger an der Kommunalpolitik richtig zu beteiligen, sie nicht nur abstimmen zu lassen, ob sie das wollen oder nicht, sondern ihnen die Möglichkeit zu geben, auf die Entscheidung Einfluss zu nehmen und das Projekt mitzugestalten. Und

deshalb glauben wir, dass diese Möglichkeiten, die wir in der Kommunalverfassung haben, sehr gut sind.

Worauf ich aber auch eingehen will, ist, dass es zum Beispiel – ich habe es in der Zeitung gelesen – wohl zahlreiche Gemeinden gibt, wo diese Instrumente zum Teil gar nicht angewandt werden. Es steht ja in der Kommunalverfassung: Eine Einwohnerversammlung soll einmal jährlich stattfinden. Ich habe, glaube ich, gelesen, dass bei uns, in einer nicht näher benannten Stadt an der Peene – ne, Herr Ritter? – diese Einwohnerversammlung wohl schon mehrere Jahre nicht stattgefunden hat. Ich finde, das kann dann auch nicht sein und da sind wir alle in der Verantwortung, dass diese Instrumente, die in der Kommunalverfassung stehen, umgesetzt werden und dass vor Ort dann diese Bürgerbeteiligung stattfindet.

Und da glaube ich nicht, dass wir es mit so einer Gesetzesänderung schaffen, mehr Bürger vor Ort zu beteiligen. Deshalb werden wir der Überweisung Ihres Gesetzentwurfes auch nicht zustimmen und setzen lieber darauf, dass die Instrumente, die da sind, vor Ort aktiv genutzt werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Andrejewski von der NPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DIE GRÜNEN sollten vielleicht ein bisschen vorsichtig sein, die Demokraten aus Athen zu loben. Kurz nach dem Tod von Perikles haben die Demokraten Athens ein Gesetz verabschiedet unter ihren Anführern Kleon und Hyperbolos, wonach die vollen athenischen Bürgerrechte nur der haben durfte, dessen Vater und Mutter aus Athen stammten. Das heißt, die Demokraten Athens waren gegen Überfremdung. Die Aristokraten waren für Überfremdung, genau wie heute – aber dies nur nebenbei.

(Heiterkeit und Beifall vonseiten der Fraktion der NPD – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Zum Thema: Die Demokratie auf kommunaler Ebene findet in der Tat in Mecklenburg-Vorpommern unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das Interesse an der Arbeit der Kommunalvertretung ist gleich null. Bei der vorletzten Sitzung der Anklamer Stadtvertretung gab es keinen einzigen Zuschauer, bei der letzten ganze drei. Man könnte die Stühle, die dort stehen, eigentlich verkaufen und zur Haushaltssanierung einsetzen, weil das Volk sich dafür nicht mehr interessiert.